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Energie & Management > Gas - Gaswirtschaft im Dilemma
Tanker an LNG-Terminal. Quelle: Shutterstock / aerial motion
Gas

Gaswirtschaft im Dilemma

Die Versorger brauchen neue Infrastrukturen, um die Importe aus Russland zu ersetzen. Doch die langfristigen Lieferverträge zu deren Finanzierung widersprechen der Klimapolitik.
Der russische Einmarsch in der Ukraine Ende Februar des vergangenen Jahres hat den Gasmarkt vollständig verändert, zumal in Europa, hieß es am 27. März bei der European Gas Conference (EGC). Sie findet bis einschließlich 29. März in Wien statt und ist als jährliches Treffen führender Vertreter der internationalen Gasindustrie mit ihren „Stakeholdern“ bekannt.

Verflüssigtes Erdgas (LNG), insbesondere aus den USA importiert, habe Pipelinegas aus Russland zur Deckung der „Baseload“ abgelöst, berichteten Branchenvertreter bei der EGC. Europas Importe an russischem Gas seien im Verlauf des vergangenen Jahres um etwa 74 Milliarden Kubikmeter zurückgegangen. Im Gegenzug hätten sich die LNG-Importe um rund 71 Milliarden Kubikmeter erhöht. Es handle sich um einen völlig neuen Markt, der eine völlig neue Infrastruktur erfordere, um die sichere Versorgung auf lange Sicht zu gewährleisten.

Doch damit ergebe sich ein Dilemma: Die Notwendigkeit, zwecks sicherer Versorgung der Kunden von den Haushalten bis zur Industrie neue Pipelines sowie LNG-Terminals zu errichten, stehe der ebenso dringlichen Notwendigkeit entgegen, zügig ein möglichst klimaneutrales Energiesystem aufzubauen. Anders gesagt: Die langfristigen Lieferverträge, mit deren Hilfe die Infrastruktur für die Gasversorgung finanziert wird, passen mit der Klimapolitik nicht zusammen.

„Ja, wir haben Klimaschutzziele. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Versorgungssicherheit ein Ziel ist“, mahnte ein hochrangiger Manager eines europäischen Konzerns aus der energieintensiven Industrie. Kauft ein Versorger Terminal- sowie Leitungskapazität für die kommenden 20 Jahre, kann er nicht sicher sein, diese über die gesamte Laufzeit des diesbezüglichen Vertrags hinweg nutzen zu dürfen. Also müssen zumindest in neue Lieferverträgen Klauseln aufgenommen werden, die dem Rechnung tragen. „Mit den üblichen Preisrevisionsklauseln ist da kein Auslangen mehr zu finden. Man kann ein Geschäftsmodell nicht vollständig umbauen, indem man einfach nur die Preise ändert“, warnte ein Vertreter einer renommierten britischen Anwaltssozietät.

Klimaverträglichkeit kostet

Zwar ist es grundsätzlich möglich, Leitungen, Terminals und Gasspeicher für die Nutzung „klimaverträglicher“ Gase tauglich zu machen. Manche der auf der European Gas Conference vertretenen Versorger tun dies mittlerweile stets, wenn es um neue Einrichtungen geht. Doch dies ist technisch keineswegs einfach und damit auch finanziell aufwendig, berichteten Vertreter von Unternehmen, die sich mit derartigen Projekten befassen. So sind beispielsweise für Tanks zur Lagerung von Ammoniak spezielle Beschichtungen sowie erheblich tragfähigere Fundamente nötig als für LNG-Tanks.

Hinzu kommen Probleme mit den Genehmigungen: Die Behörden sind mit derartigen Projekten oft noch nicht vertraut und entsprechend zurückhaltend. Und generell habe die Energiekrise wenigstens in Deutschland keineswegs zu einer zügigeren Abwicklung der Verfahren geführt, bedauerten einschlägig erfahrene Unternehmensvertreter. Eine löbliche Ausnahme seien lediglich die schwimmenden LNG-Terminals (FSRUs), für deren Zulassung ein eigenes Gesetz geschaffen wurde.

Unsichere Entwicklung

Hinzu kommt die Unsicherheit hinsichtlich des künftigen europäischen Gasbedarfs und der Möglichkeiten, diesen zu decken. Analysten berichteten auf der EGC, seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sei der Verbrauch in der EU um rund 50 Milliarden Kubikmeter gefallen. Dies sei nicht zuletzt der milden Witterung im vergangenen Winter zu verdanken. Ferner hätten die extremen Preise im vergangenen Jahr die Endkunden von der Industrie bis zu den Haushalten veranlasst, ihren Gasbedarf zu verringern. Mutmaßlich sei zwar nicht die von der EU-Kommission angestrebte Reduktion um 15 Prozent erreicht worden, aber immerhin eine um etwa zwölf Prozent. Bei einem Erfolg des RepowerEU-Programms der EU-Kommission könne der Bedarf bis 2030 um weitere rund 60 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zurückgehen. Das Problem: Schlägt das Programm fehl, könnte sich ein zusätzlicher Bedarf von etwa 40 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ergeben.

Preise auf der Achterbahn

Bei der Deckung des Bedarfs im vergangenen Jahr kam der EU auch zugute, dass im asiatischen Raum, vor allem in China, weniger Erdgas benötigt wurde als prognostiziert. Die freien Mengen waren in Europa willkommen. Zwar bestätigten Analysten auf der EGC die Erwartung, der chinesische Bedarf werde heuer wieder anziehen, womit auch die Preise steigen dürften. Doch ihnen zufolge wird sich dies in Grenzen halten: Eine australische Sozietät etwa rechnet für China im zweiten Halbjahr mit einem Gaspreis von rund 16 bis 18 US-Dollar pro Million British Thermal Units, was rund 51,07 bis 57,45 Euro pro MWh entspräche. Der Höhepunkt der Gaspreise ist den Analysten zufolge somit wohl überschritten – auch in Europa. Erhalten bleibt indessen wohl die Volatilität: „Die Achterbahnfahrt wird weitergehen.“

Dienstag, 28.03.2023, 09:03 Uhr
Klaus Fischer
Energie & Management > Gas - Gaswirtschaft im Dilemma
Tanker an LNG-Terminal. Quelle: Shutterstock / aerial motion
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Die Versorger brauchen neue Infrastrukturen, um die Importe aus Russland zu ersetzen. Doch die langfristigen Lieferverträge zu deren Finanzierung widersprechen der Klimapolitik.
Der russische Einmarsch in der Ukraine Ende Februar des vergangenen Jahres hat den Gasmarkt vollständig verändert, zumal in Europa, hieß es am 27. März bei der European Gas Conference (EGC). Sie findet bis einschließlich 29. März in Wien statt und ist als jährliches Treffen führender Vertreter der internationalen Gasindustrie mit ihren „Stakeholdern“ bekannt.

Verflüssigtes Erdgas (LNG), insbesondere aus den USA importiert, habe Pipelinegas aus Russland zur Deckung der „Baseload“ abgelöst, berichteten Branchenvertreter bei der EGC. Europas Importe an russischem Gas seien im Verlauf des vergangenen Jahres um etwa 74 Milliarden Kubikmeter zurückgegangen. Im Gegenzug hätten sich die LNG-Importe um rund 71 Milliarden Kubikmeter erhöht. Es handle sich um einen völlig neuen Markt, der eine völlig neue Infrastruktur erfordere, um die sichere Versorgung auf lange Sicht zu gewährleisten.

Doch damit ergebe sich ein Dilemma: Die Notwendigkeit, zwecks sicherer Versorgung der Kunden von den Haushalten bis zur Industrie neue Pipelines sowie LNG-Terminals zu errichten, stehe der ebenso dringlichen Notwendigkeit entgegen, zügig ein möglichst klimaneutrales Energiesystem aufzubauen. Anders gesagt: Die langfristigen Lieferverträge, mit deren Hilfe die Infrastruktur für die Gasversorgung finanziert wird, passen mit der Klimapolitik nicht zusammen.

„Ja, wir haben Klimaschutzziele. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch die Versorgungssicherheit ein Ziel ist“, mahnte ein hochrangiger Manager eines europäischen Konzerns aus der energieintensiven Industrie. Kauft ein Versorger Terminal- sowie Leitungskapazität für die kommenden 20 Jahre, kann er nicht sicher sein, diese über die gesamte Laufzeit des diesbezüglichen Vertrags hinweg nutzen zu dürfen. Also müssen zumindest in neue Lieferverträgen Klauseln aufgenommen werden, die dem Rechnung tragen. „Mit den üblichen Preisrevisionsklauseln ist da kein Auslangen mehr zu finden. Man kann ein Geschäftsmodell nicht vollständig umbauen, indem man einfach nur die Preise ändert“, warnte ein Vertreter einer renommierten britischen Anwaltssozietät.

Klimaverträglichkeit kostet

Zwar ist es grundsätzlich möglich, Leitungen, Terminals und Gasspeicher für die Nutzung „klimaverträglicher“ Gase tauglich zu machen. Manche der auf der European Gas Conference vertretenen Versorger tun dies mittlerweile stets, wenn es um neue Einrichtungen geht. Doch dies ist technisch keineswegs einfach und damit auch finanziell aufwendig, berichteten Vertreter von Unternehmen, die sich mit derartigen Projekten befassen. So sind beispielsweise für Tanks zur Lagerung von Ammoniak spezielle Beschichtungen sowie erheblich tragfähigere Fundamente nötig als für LNG-Tanks.

Hinzu kommen Probleme mit den Genehmigungen: Die Behörden sind mit derartigen Projekten oft noch nicht vertraut und entsprechend zurückhaltend. Und generell habe die Energiekrise wenigstens in Deutschland keineswegs zu einer zügigeren Abwicklung der Verfahren geführt, bedauerten einschlägig erfahrene Unternehmensvertreter. Eine löbliche Ausnahme seien lediglich die schwimmenden LNG-Terminals (FSRUs), für deren Zulassung ein eigenes Gesetz geschaffen wurde.

Unsichere Entwicklung

Hinzu kommt die Unsicherheit hinsichtlich des künftigen europäischen Gasbedarfs und der Möglichkeiten, diesen zu decken. Analysten berichteten auf der EGC, seit Beginn des Kriegs in der Ukraine sei der Verbrauch in der EU um rund 50 Milliarden Kubikmeter gefallen. Dies sei nicht zuletzt der milden Witterung im vergangenen Winter zu verdanken. Ferner hätten die extremen Preise im vergangenen Jahr die Endkunden von der Industrie bis zu den Haushalten veranlasst, ihren Gasbedarf zu verringern. Mutmaßlich sei zwar nicht die von der EU-Kommission angestrebte Reduktion um 15 Prozent erreicht worden, aber immerhin eine um etwa zwölf Prozent. Bei einem Erfolg des RepowerEU-Programms der EU-Kommission könne der Bedarf bis 2030 um weitere rund 60 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zurückgehen. Das Problem: Schlägt das Programm fehl, könnte sich ein zusätzlicher Bedarf von etwa 40 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ergeben.

Preise auf der Achterbahn

Bei der Deckung des Bedarfs im vergangenen Jahr kam der EU auch zugute, dass im asiatischen Raum, vor allem in China, weniger Erdgas benötigt wurde als prognostiziert. Die freien Mengen waren in Europa willkommen. Zwar bestätigten Analysten auf der EGC die Erwartung, der chinesische Bedarf werde heuer wieder anziehen, womit auch die Preise steigen dürften. Doch ihnen zufolge wird sich dies in Grenzen halten: Eine australische Sozietät etwa rechnet für China im zweiten Halbjahr mit einem Gaspreis von rund 16 bis 18 US-Dollar pro Million British Thermal Units, was rund 51,07 bis 57,45 Euro pro MWh entspräche. Der Höhepunkt der Gaspreise ist den Analysten zufolge somit wohl überschritten – auch in Europa. Erhalten bleibt indessen wohl die Volatilität: „Die Achterbahnfahrt wird weitergehen.“

Dienstag, 28.03.2023, 09:03 Uhr
Klaus Fischer

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