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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Das Wunderwerk vom Walchensee
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Das Wunderwerk vom Walchensee

Seit 100 Jahren liefert es zuverlässig grünen Strom: das Walchenseekraftwerk in Oberbayern. Und es passt besser zur Energiewende als alle modernen Anlagen.
 
Durch sechs Druckrohre stürzt das Wasser ins Maschinenhaus, rechts das Umspannwerk
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Nein, es ist nicht passiert, nicht während der fünfjährigen Bauzeit und auch nicht in den 100 Jahren danach, in denen das Hochdruckspeicherkraftwerk ab 1924 Strom erzeugte: Der am Grunde des Walchensees schlafende Riesenwaller mit seinen tellergroßen rot glühenden Augen wurde durch die lärmreichen Arbeiten zur Erstellung der Anlage nicht geweckt, die dadurch befürchtete Ãœberschwemmungskatastrophe blieb aus. Merke: Unsinnige Begründungen, um gegen Projekte aller Art vorzugehen, sind kein typisches Phänomen unserer Tage, die gab es auch früher schon. Nur sind sie damals zweifellos mit sehr viel spannenderen Geschichten einhergegangen.
 
Theodoros Reumschüssel an einer Turbine, die nach 67 Jahren ersetzt werden musste. Mit den in den 1990er-Jahren modernsten Methoden wurde eine Nachfolgerin berechnet. Die sah dann aber auch nicht anders aus
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Von der noblen alten Dame der bayerischen Energieversorgung spricht Theodoros Reumschüssel, Pressesprecher Wasserkraft bei Uniper, wenn er Gäste übers Gelände des Walchenseekraftwerks führt, durchs Besucherzentrum, zu den mächtigen Turbinen − und, wenn sie Glück haben, ins Wasserschloss, das mit 10.000 Kubikmetern als Zwischenspeicher dient. Aus ihm heraus werden die sechs mächtigen Rohre gefüllt, über die das Wasser mit einem Gefälle von 200 Metern nach unten schießt und dort mit einer Geschwindigkeit von 216 km/h auf die acht Turbinen donnert, die die Generatoren antreiben. Dass die noble Dame trotz solcher Höchstleistungen und ihres Alters immer noch topfit ist, hat eine externe unabhängige Ãœberprüfung ihres Gesundheitszustands ergeben: Die International Hydropower Association vergab Bestnoten.

Die noble alte Dame der bayerischen Energieversorgung

Blicken wir zurück in die Geburtsstunden. Im November 1918 begannen die Bauarbeiten, mehr oder weniger unbarmherzig durchgezogen von Ingenieur Oskar von Miller. Bis zu 2.000 Beschäftigte errichteten in 18 Millionen Arbeitsstunden Turbinen- und Transformatorenhallen, das Umspannwerk, verschraubten die 53 je acht Meter langen Rohrteile, die das visuelle Markenzeichen des Kraftwerks sind, und kämpften den Weg für das Wasser aus dem Walchensee zum Wasserschloss frei: Der Vortrieb des Kesselbergstollens galt als schwierigster Bauabschnitt. Er ist 1,2 Kilometer lang, gut vier Meter breit und hoch. Mit Presslufthämmern und Sprengstoff kamen die Arbeiter nur ein paar Meter jeden Tag voran, Gehör- oder Atemschutz gab es nicht. Von 17 Männern ist bekannt, dass sie auf der Kraftwerksbaustelle ihr Leben ließen, weit mehr wurden verletzt.

Ende Januar 1924 lieferte die erste Drehstrommaschine Strom. „Dora 2“ tut das übrigens heute noch. So wie die anderen sieben Kolleginnen auch. Und sie passen damit perfekt zur ganz neuen Stromwelt, die sich die Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben hat. So als wäre alles genau dafür von einem Hellseher konstruiert worden. Obwohl Oskar von Miller zwar schon damals als Visionär galt, die heutige Energiewende mit volatiler Erzeugung hat er sicher nicht im Blick gehabt, als er das Walchenseekraftwerk plante.

Besonders die Geschwindigkeit, mit der es seine Maximalleistung zur Verfügung stellen kann, macht es zum Wunderwerk und Traumpartner für Windkraft und Photovoltaik: Wenn der Wind plötzlich abflaut oder Wolken sich zwischen Sonne und Solaranlagen schieben, kommt die große Stunde der Grande Dame: Von null auf hundert in zweieinhalb Minuten, was für ein Auto keine Meisterleistung wäre − für ein 124-MW-Kraftwerk ist es Champions League. Das schaffen auch die modernen Gaskraftwerke nicht annähernd, die jetzt für diese Fälle gebaut werden sollen. Im schon laufenden Betrieb auf Volllast zu gehen, ist für das Walchenseekraftwerk übrigens eine Sache von wenigen Sekunden. Rund 2.000 Stunden im Jahr sind die Maschinen am Laufen, die vier Francis-Turbinen sorgen für rund 84 MW Haushaltsstrom, vier Pelton-Turbinen treiben die Bahnstromgeneratoren an. 

Auch sonst hat das Walchenseekraftwerk Eigenschaften, die heute zu würdigen sind: Es scheint nicht wie andere Wasserkraftwerke Fische zu häckseln, im Bereich des Einlaufbauwerks Urfeld halten sich offenbar keine auf. Zudem ist es schwarzstartfähig. Das heißt, es könnte nach einem Totalzusammenbruch des Netzes selbstständig hochfahren und mit seinem Strom anderen Erzeugungsanlagen den Neustart ermöglichen. Hinzu kommt die Nachhaltigkeit bei den Produktionsmitteln: So gut wie alle Anlagenteile von vor 100 Jahren sind heute noch unverändert im Einsatz. „Mehr Nachhaltigkeit geht nicht“, findet Reumschüssel und man kann ihm da kaum widersprechen.
 
Hier wird 16,7-Hertz-Bahnstrom gemacht: Pelton-Turbinen und Generatoren im Maschinenhaus
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Bei all dem wundert es nicht, dass im Freistaat Begehrlichkeiten wach wurden, sich die Uniper-Wasserkraftwerke einzuverleiben. Die Diskussion ist inzwischen wieder abgeflaut, weiß Reumschüssel, deren Höhepunkt hat er im bayerischen Landtagswahlkampf vergangenen Herbst verortet. Und er bekräftigt, dass Uniper seine Wasserkraftwerke unbedingt behalten will. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat dann auch Anfang März erklärt, dass es angesichts dieser Tatsache nicht zur Debatte stehe, dass der Freistaat einsteigen „wollte, müsste oder könnte“.

Was weiterhin zur Diskussion steht, sind die Folgen des Kraftwerksbetriebs für die obere Isar, aus der dafür große Mengen über einen zehn Kilometer langen Kanal abgezweigt werden. Umweltschützer sehen in der Entnahme eine Gefahr für die vom Wildfluss geformte Landschaft und ihren Artenreichtum, Kies bleibe liegen, das Ufer verbusche, lautet der Vorwurf.

Doch zumindest eine Sorge, die Kraftwerkskritiker vor dem Baubeginn 1918 gegen das Projekt äußerten, braucht uns heute nicht mehr umzutreiben: Ein Ingenieur meinte damals, die Anlage werde viel zu viel Strom erzeugen, viel mehr als je gebraucht wird.


Walchenseekraftwerk in Zahlen
  • 30 Milliarden kWh wurden bisher erzeugt
  • 24 Millionen Tonnen CO2 eingespart
  • 300 Millionen kWh jährliche Produktion
  • 18 Millionen Arbeitsstunden wurden beim Bau geleistet,
  • 114 Tonnen Sprengstoff kamen zum Einsatz
  • 100.000 Gäste besichtigen jährlich das Industriedenkmal
 
 
Deckel drauf: Im Maschinenhaus wird ein Generator zusammengebaut
Quelle: Uniper
 
 
Stolz lassen sich die Monteure mit den Teilen der Druckrohrleitung ablichten
Quelle: Uniper


 

Mittwoch, 3.04.2024, 08:54 Uhr
Günter Drewnitzky
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Das Wunderwerk vom Walchensee
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Das Wunderwerk vom Walchensee
Seit 100 Jahren liefert es zuverlässig grünen Strom: das Walchenseekraftwerk in Oberbayern. Und es passt besser zur Energiewende als alle modernen Anlagen.
 
Durch sechs Druckrohre stürzt das Wasser ins Maschinenhaus, rechts das Umspannwerk
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Nein, es ist nicht passiert, nicht während der fünfjährigen Bauzeit und auch nicht in den 100 Jahren danach, in denen das Hochdruckspeicherkraftwerk ab 1924 Strom erzeugte: Der am Grunde des Walchensees schlafende Riesenwaller mit seinen tellergroßen rot glühenden Augen wurde durch die lärmreichen Arbeiten zur Erstellung der Anlage nicht geweckt, die dadurch befürchtete Ãœberschwemmungskatastrophe blieb aus. Merke: Unsinnige Begründungen, um gegen Projekte aller Art vorzugehen, sind kein typisches Phänomen unserer Tage, die gab es auch früher schon. Nur sind sie damals zweifellos mit sehr viel spannenderen Geschichten einhergegangen.
 
Theodoros Reumschüssel an einer Turbine, die nach 67 Jahren ersetzt werden musste. Mit den in den 1990er-Jahren modernsten Methoden wurde eine Nachfolgerin berechnet. Die sah dann aber auch nicht anders aus
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Von der noblen alten Dame der bayerischen Energieversorgung spricht Theodoros Reumschüssel, Pressesprecher Wasserkraft bei Uniper, wenn er Gäste übers Gelände des Walchenseekraftwerks führt, durchs Besucherzentrum, zu den mächtigen Turbinen − und, wenn sie Glück haben, ins Wasserschloss, das mit 10.000 Kubikmetern als Zwischenspeicher dient. Aus ihm heraus werden die sechs mächtigen Rohre gefüllt, über die das Wasser mit einem Gefälle von 200 Metern nach unten schießt und dort mit einer Geschwindigkeit von 216 km/h auf die acht Turbinen donnert, die die Generatoren antreiben. Dass die noble Dame trotz solcher Höchstleistungen und ihres Alters immer noch topfit ist, hat eine externe unabhängige Ãœberprüfung ihres Gesundheitszustands ergeben: Die International Hydropower Association vergab Bestnoten.

Die noble alte Dame der bayerischen Energieversorgung

Blicken wir zurück in die Geburtsstunden. Im November 1918 begannen die Bauarbeiten, mehr oder weniger unbarmherzig durchgezogen von Ingenieur Oskar von Miller. Bis zu 2.000 Beschäftigte errichteten in 18 Millionen Arbeitsstunden Turbinen- und Transformatorenhallen, das Umspannwerk, verschraubten die 53 je acht Meter langen Rohrteile, die das visuelle Markenzeichen des Kraftwerks sind, und kämpften den Weg für das Wasser aus dem Walchensee zum Wasserschloss frei: Der Vortrieb des Kesselbergstollens galt als schwierigster Bauabschnitt. Er ist 1,2 Kilometer lang, gut vier Meter breit und hoch. Mit Presslufthämmern und Sprengstoff kamen die Arbeiter nur ein paar Meter jeden Tag voran, Gehör- oder Atemschutz gab es nicht. Von 17 Männern ist bekannt, dass sie auf der Kraftwerksbaustelle ihr Leben ließen, weit mehr wurden verletzt.

Ende Januar 1924 lieferte die erste Drehstrommaschine Strom. „Dora 2“ tut das übrigens heute noch. So wie die anderen sieben Kolleginnen auch. Und sie passen damit perfekt zur ganz neuen Stromwelt, die sich die Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben hat. So als wäre alles genau dafür von einem Hellseher konstruiert worden. Obwohl Oskar von Miller zwar schon damals als Visionär galt, die heutige Energiewende mit volatiler Erzeugung hat er sicher nicht im Blick gehabt, als er das Walchenseekraftwerk plante.

Besonders die Geschwindigkeit, mit der es seine Maximalleistung zur Verfügung stellen kann, macht es zum Wunderwerk und Traumpartner für Windkraft und Photovoltaik: Wenn der Wind plötzlich abflaut oder Wolken sich zwischen Sonne und Solaranlagen schieben, kommt die große Stunde der Grande Dame: Von null auf hundert in zweieinhalb Minuten, was für ein Auto keine Meisterleistung wäre − für ein 124-MW-Kraftwerk ist es Champions League. Das schaffen auch die modernen Gaskraftwerke nicht annähernd, die jetzt für diese Fälle gebaut werden sollen. Im schon laufenden Betrieb auf Volllast zu gehen, ist für das Walchenseekraftwerk übrigens eine Sache von wenigen Sekunden. Rund 2.000 Stunden im Jahr sind die Maschinen am Laufen, die vier Francis-Turbinen sorgen für rund 84 MW Haushaltsstrom, vier Pelton-Turbinen treiben die Bahnstromgeneratoren an. 

Auch sonst hat das Walchenseekraftwerk Eigenschaften, die heute zu würdigen sind: Es scheint nicht wie andere Wasserkraftwerke Fische zu häckseln, im Bereich des Einlaufbauwerks Urfeld halten sich offenbar keine auf. Zudem ist es schwarzstartfähig. Das heißt, es könnte nach einem Totalzusammenbruch des Netzes selbstständig hochfahren und mit seinem Strom anderen Erzeugungsanlagen den Neustart ermöglichen. Hinzu kommt die Nachhaltigkeit bei den Produktionsmitteln: So gut wie alle Anlagenteile von vor 100 Jahren sind heute noch unverändert im Einsatz. „Mehr Nachhaltigkeit geht nicht“, findet Reumschüssel und man kann ihm da kaum widersprechen.
 
Hier wird 16,7-Hertz-Bahnstrom gemacht: Pelton-Turbinen und Generatoren im Maschinenhaus
Quelle: E&M/Günter Drewnitzky
 
Bei all dem wundert es nicht, dass im Freistaat Begehrlichkeiten wach wurden, sich die Uniper-Wasserkraftwerke einzuverleiben. Die Diskussion ist inzwischen wieder abgeflaut, weiß Reumschüssel, deren Höhepunkt hat er im bayerischen Landtagswahlkampf vergangenen Herbst verortet. Und er bekräftigt, dass Uniper seine Wasserkraftwerke unbedingt behalten will. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat dann auch Anfang März erklärt, dass es angesichts dieser Tatsache nicht zur Debatte stehe, dass der Freistaat einsteigen „wollte, müsste oder könnte“.

Was weiterhin zur Diskussion steht, sind die Folgen des Kraftwerksbetriebs für die obere Isar, aus der dafür große Mengen über einen zehn Kilometer langen Kanal abgezweigt werden. Umweltschützer sehen in der Entnahme eine Gefahr für die vom Wildfluss geformte Landschaft und ihren Artenreichtum, Kies bleibe liegen, das Ufer verbusche, lautet der Vorwurf.

Doch zumindest eine Sorge, die Kraftwerkskritiker vor dem Baubeginn 1918 gegen das Projekt äußerten, braucht uns heute nicht mehr umzutreiben: Ein Ingenieur meinte damals, die Anlage werde viel zu viel Strom erzeugen, viel mehr als je gebraucht wird.


Walchenseekraftwerk in Zahlen
  • 30 Milliarden kWh wurden bisher erzeugt
  • 24 Millionen Tonnen CO2 eingespart
  • 300 Millionen kWh jährliche Produktion
  • 18 Millionen Arbeitsstunden wurden beim Bau geleistet,
  • 114 Tonnen Sprengstoff kamen zum Einsatz
  • 100.000 Gäste besichtigen jährlich das Industriedenkmal
 
 
Deckel drauf: Im Maschinenhaus wird ein Generator zusammengebaut
Quelle: Uniper
 
 
Stolz lassen sich die Monteure mit den Teilen der Druckrohrleitung ablichten
Quelle: Uniper


 

Mittwoch, 3.04.2024, 08:54 Uhr
Günter Drewnitzky

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