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Energie & Management > Gastbeitrag - Das Urteil richtig lesen
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Gastbeitrag

Das Urteil richtig lesen

Tobias Roß*, Rechtsanwalt für Umwelt- und Planungsrecht, analysiert, welche Folgen ein jüngstes Urteil vom Europäisches Gerichtshof zum Artenschutz für die Windenergiebranche hat.
Wenn sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Fragen des Artenschutzes befasst, ist ihm Aufmerksamkeit gewiss. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil das Naturschutzrecht von Verbänden inzwischen als „Verhinderungsinstrument“ erkannt wurde.

Auf den ersten Blick scheint ein aktuelles Urteil des EuGH zum Artenschutz (Aktenzeichen: C 473/19) in diese Reihe von „Verhinderungsurteilen“ zu passen – und wurde auch in ersten Reaktionen entsprechend aufgenommen: Von einer „Schlappe für die Windbranche“ ist etwa im Handelsblatt die Rede sowie davon, dass der „Vogelschutz gestärkt wurde“.

Das ist jedoch noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Was genau hat der EuGH also entschieden?

Die Richter hatten ein Verfahren aus Schweden auf dem Tisch. Dort wehren sich Umweltverbände gegen die Abholzung eines Waldes, in dem geschützte Vogelarten leben. Das schwedische Gericht hatte dazu mehrere Rechtsfragen in Luxemburg vorgelegt.

Zunächst stellte der EuGH klar, dass alle in Europa heimischen Vogelarten generell dem Artenschutz unterfallen – was nicht überrascht. Die zweite Rechtsfrage hatte es dagegen in sich: Zu klären war, ob artenschutzrechtliche Verbote auch dann eingreifen, wenn eine menschliche Handlung nicht darauf abzielt, Vögel beispielsweise zu töten, sondern dies nur eine mögliche Folge sein könnte - etwa durch die Errichtung von Windenergieanlagen.

Die Generalanwältin des EuGH, Juliane Kokott, hatte mit ihren Ausführungen zu dieser Frage für Aufsehen gesorgt: Sie hatte sich dafür ausgesprochen, bei der Auslegung der Verbote aus der europäischen Vogelschutzrichtlinie, die in Deutschland den Verboten in § 44 BNatSchG (Bundesnaturschutz-Gesetz) entsprechen, „unverhältnismäßige Einschränkungen zu vermeiden“. Sie forderte deshalb eine Populationsbetrachtung und Abwägung mit anderen Interessen schon bei der Frage, ob das jeweilige Verbot überhaupt eingreift. Dies würde eine Abkehr von der bisher sehr strengen deutschen Rechtsprechung bedeuten.
 
Rechtsanwalt Tobis Roß von der Kanzlei Dombert Rechtsanwälte mit Sitz in Düsseldorf
Bild: Dombert Rechtsanwälte

Der EuGH hat diese Frage nun in seinem Urteil offen gelassen. Insbesondere hat das Gericht sich nicht gegen die Auffassung der Generalanwältin gestellt. Es spricht sogar Überwiegendes dafür, dass die Richter dieser Auffassung - wäre es darauf angekommen - auch gefolgt wären. Das Gericht hat allein zur sogenannten Habitatrichtlinie, also zum flächenbezogenen Artenschutz in Vogelschutzgebieten, entschieden.

Man kann die Ausführungen des Gerichts auch nicht auf die Vogelschutzrichtlinie übertragen, weil die Habitatrichtlinie auf den Schutz weniger, in der Regel sehr seltener Arten beschränkt ist, während die Vogelschutzrichtlinie alle Vögel schützt – und damit auch in der Planungspraxis deutlich mehr Konfliktpotential birgt. Damit stellen sich bei der Auslegung der Vogelschutzrichtlinie die Fragen der Verhältnismäßigkeit viel dringender. Diese Fragen bleiben vorerst ungeklärt.

Das Urteil ist jedenfalls keine „Schlappe“ für Vorhabenträger – sondern vielmehr Ermutigung, weil die Richter die innovative Argumentation der Generalanwältin gerade nicht ablehnen. Dies eröffnet auch Vorhabenträgern in Deutschland neue rechtliche Möglichkeiten, artenschutzrechtliche Verbote zu vermeiden.
Ziel wird und muss es nun sein, die Fach- und Genehmigungsbehörden auf diesen Weg „mitzunehmen“.
 
* Tobias Roß, Rechtsanwalt, Kanzlei Dombert Rechtsanwälte, Düsseldorf

Montag, 8.03.2021, 13:49 Uhr
Redaktion
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Das Urteil richtig lesen
Tobias Roß*, Rechtsanwalt für Umwelt- und Planungsrecht, analysiert, welche Folgen ein jüngstes Urteil vom Europäisches Gerichtshof zum Artenschutz für die Windenergiebranche hat.
Wenn sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Fragen des Artenschutzes befasst, ist ihm Aufmerksamkeit gewiss. Das gilt nicht zuletzt deshalb, weil das Naturschutzrecht von Verbänden inzwischen als „Verhinderungsinstrument“ erkannt wurde.

Auf den ersten Blick scheint ein aktuelles Urteil des EuGH zum Artenschutz (Aktenzeichen: C 473/19) in diese Reihe von „Verhinderungsurteilen“ zu passen – und wurde auch in ersten Reaktionen entsprechend aufgenommen: Von einer „Schlappe für die Windbranche“ ist etwa im Handelsblatt die Rede sowie davon, dass der „Vogelschutz gestärkt wurde“.

Das ist jedoch noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Was genau hat der EuGH also entschieden?

Die Richter hatten ein Verfahren aus Schweden auf dem Tisch. Dort wehren sich Umweltverbände gegen die Abholzung eines Waldes, in dem geschützte Vogelarten leben. Das schwedische Gericht hatte dazu mehrere Rechtsfragen in Luxemburg vorgelegt.

Zunächst stellte der EuGH klar, dass alle in Europa heimischen Vogelarten generell dem Artenschutz unterfallen – was nicht überrascht. Die zweite Rechtsfrage hatte es dagegen in sich: Zu klären war, ob artenschutzrechtliche Verbote auch dann eingreifen, wenn eine menschliche Handlung nicht darauf abzielt, Vögel beispielsweise zu töten, sondern dies nur eine mögliche Folge sein könnte - etwa durch die Errichtung von Windenergieanlagen.

Die Generalanwältin des EuGH, Juliane Kokott, hatte mit ihren Ausführungen zu dieser Frage für Aufsehen gesorgt: Sie hatte sich dafür ausgesprochen, bei der Auslegung der Verbote aus der europäischen Vogelschutzrichtlinie, die in Deutschland den Verboten in § 44 BNatSchG (Bundesnaturschutz-Gesetz) entsprechen, „unverhältnismäßige Einschränkungen zu vermeiden“. Sie forderte deshalb eine Populationsbetrachtung und Abwägung mit anderen Interessen schon bei der Frage, ob das jeweilige Verbot überhaupt eingreift. Dies würde eine Abkehr von der bisher sehr strengen deutschen Rechtsprechung bedeuten.
 
Rechtsanwalt Tobis Roß von der Kanzlei Dombert Rechtsanwälte mit Sitz in Düsseldorf
Bild: Dombert Rechtsanwälte

Der EuGH hat diese Frage nun in seinem Urteil offen gelassen. Insbesondere hat das Gericht sich nicht gegen die Auffassung der Generalanwältin gestellt. Es spricht sogar Überwiegendes dafür, dass die Richter dieser Auffassung - wäre es darauf angekommen - auch gefolgt wären. Das Gericht hat allein zur sogenannten Habitatrichtlinie, also zum flächenbezogenen Artenschutz in Vogelschutzgebieten, entschieden.

Man kann die Ausführungen des Gerichts auch nicht auf die Vogelschutzrichtlinie übertragen, weil die Habitatrichtlinie auf den Schutz weniger, in der Regel sehr seltener Arten beschränkt ist, während die Vogelschutzrichtlinie alle Vögel schützt – und damit auch in der Planungspraxis deutlich mehr Konfliktpotential birgt. Damit stellen sich bei der Auslegung der Vogelschutzrichtlinie die Fragen der Verhältnismäßigkeit viel dringender. Diese Fragen bleiben vorerst ungeklärt.

Das Urteil ist jedenfalls keine „Schlappe“ für Vorhabenträger – sondern vielmehr Ermutigung, weil die Richter die innovative Argumentation der Generalanwältin gerade nicht ablehnen. Dies eröffnet auch Vorhabenträgern in Deutschland neue rechtliche Möglichkeiten, artenschutzrechtliche Verbote zu vermeiden.
Ziel wird und muss es nun sein, die Fach- und Genehmigungsbehörden auf diesen Weg „mitzunehmen“.
 
* Tobias Roß, Rechtsanwalt, Kanzlei Dombert Rechtsanwälte, Düsseldorf

Montag, 8.03.2021, 13:49 Uhr
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