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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Weile trotz Eile
Quelle: Fotolia / Miredi
E&M Vor 20 Jahren

Weile trotz Eile

Nachdem sich die Verbände 2003 nicht auf eine Weiterentwicklung der sogenannten Verbändevereinbarung einigen konnten, war eine Regulierungsbehörde praktisch unvermeidlich.
Vor 20 Jahren zeichnete sich immer stärker ab, dass es einen Regulierer für den Energiemarkt geben würde. Die Protagonisten der Branche konnten sich nicht über eine Weiterentwicklung ihrer freiwilligen Vereinbarungen über die Bedingungen für die Nutzung der Strom- und Gasnetze einigen. Sie waren letztendlich nur Übergangslösungen nach der Liberalisierung der Energiemärkte 1998. Eine Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen, wie sie das Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht gestellt hatte, fand nicht statt.

E&M-Redakteur Fritz Wilhelm beobachtete 2003, wie sich die Verbände gegenseitig den Schwarzen Peter zuschoben. Hier ein Beitrag vom September 2003.



Die derzeit für den Strommarkt gültige Verbändevereinbarung läuft Ende des Jahres aus. Eine Nachfolgerin ist weit und breit noch nicht in Sicht. So richtig gesucht wird nach ihr zurzeit auch nicht.

Wie ist die offizielle Sprachregelung? Abgebrochen, unterbrochen oder eingebrochen? „Die Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung für den Strommarkt laufen doch noch.“ So sieht es jedenfalls die stellvertretende Pressesprecherin des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) Astrid Fischer und versucht das schiefe öffentliche Bild über den derzeitigen Stand wieder etwas gerade zu rücken. Es habe keinen Abbruch gegeben.
 
Die Sprachverwirrung war entstanden, nachdem die Unterhändler der Stromwirtschaft - in Erwartung der Äußerungen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWA) in seinem Monitoring-Bericht - die Verhandlungen „einseitig unterbrochen“ hatten, wie es Christoph Bier, Referent beim VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft formuliert. Henning Borchers, Vorsitzender des Bundesverbandes Neuer Energieanbieter e.V. (bne), kann sogar „kein ernsthaftes Interesse“ der Netzbetreiber mehr erkennen, die Verbändevereinbarung weiterzuentwickeln. Mit dieser Meinung steht Borchers nicht allein. Meist wird sie jedoch nur hinter vorgehaltener Hand geäußert.
 
Wen wundert’s, warten doch alle, auch wenn sie es nicht explizit zugeben, auf den Regulator, für den es allerdings noch keine abschließende Stellenbeschreibung gibt. Wer will in einer solchen Situation schon in Vorleistung treten und Zugeständnisse machen, um am Ende dann vom Regulator in Amt und Würden noch zu einer Dreingabe verpflichtet zu werden? Gutmütigkeit wird doch nur ausgenutzt - alte Netzbetreiberweißheit.
 
Der VIK sieht allerdings die Netzbetreiber in der Pflicht, „sich eindeutig zu erklären“, sagt Bier. Als eindeutig kann man die Stellungnahme von VDEW-Präsident Werner Brinker durchaus empfinden: „Der Gesetzgeber sollte die Verbändevereinbarung als bewährtes Instrument in den neuen Ordnungsrahmen integrieren“, forderte er. Die Verbändevereinbarung dürfe nicht nur als Steinbruch für die Regulierung dienen, schließlich werde sie im Monitoring-Bericht als anerkanntes Modell für den Netzzugang bewertet. Von der VV II plus ist explizit die Rede. An der Entwicklung des künftigen Ordnungsrahmens des Netzzugangs werde die Stromwirtschaft jedoch auf jeden Fall mitwirken.

Die Vermutung guter fachlicher Praxis entfällt

Der Abschluss einer VV III Strom – eine VV II plus plus bleibt der Branche wohl erspart – noch vor dem Auslaufen der aktuellen Fassung am 31.12.2003 scheint damit fast ausgeschlossen. Zumal ein Spitzengespräch der Verbände Ende September oder Anfang Oktober nach den Vorstellungen des VDEW erst einmal klären soll, wie die Verhandlungen unter dem Eindruck der sich entwickelnden Regulierungspläne überhaupt weiterlaufen sollen. Aus Kreisen des VDEW ist zu hören, eine Ergänzung, ein Zusatzdokument zur geltenden Fassung - oder wie man es auch immer nennen mag - oder einfach deren Fortschreibung seien durchaus denkbar.
 
Mit dem VIK dürfte eine simple Verlängerung der VV II plus allerdings nicht zu machen sein. Sie sei von Anfang an befristet gewesen mit der Maßgabe einer stetigen Fortentwicklung, gibt Bier zu bedenken. So sieht es auch der Monitoring-Bericht und fordert alle Beteiligten auf, „die Verbändevereinbarungen, insbesondere auch die Netzkostenkalkulation (...) weiterzuentwickeln“. Allerdings spätestens bis zum 1. Juli 2004, wenn EU-Recht in nationale Gesetze gegossen sein muss.
 
Die VV II plus könnte – fast ist man geneigt, zu sagen sang- und klanglos – auslaufen. Jörg Spicker, Präsident der deutschen Sektion der europäischen Energiehändlervereinigung EFET, fände das Auslaufen ohne einen direkten Anschluss „sehr unglücklich“. Dem juristischen Laien liegt der Begriff „rechtsfreier Raum“ auf der Zunge.
 
Da die Verbändevereinbarung zum 31.12.2003 ausläuft, entfällt ab diesem Datum auch die im Energiewirtschaftsgesetz seit April verankerte Vermutung, die Anwendung des Regelwerks entspreche guter fachlicher Praxis; schließlich gilt sie ja nicht mehr. Für den Juristen an sich jedoch kein Grund, gleich an Anarchie zu denken. „Die Gerichte werden nicht einfach sagen können, dass sich jemand missbräuchlich verhält, wenn er entsprechend der VV II plus handelt“, meint Manfred Ungemach, Rechtsanwalt bei Clifford Chance Pünder, gerade auch im Hinblick auf den Monitoring-Bericht, in dem die VV Strom, im Vergleich zur VV Gas, gut weggekommen sei. Allerdings müsse nach Wegfall der Vermutungsregelung derjenige, der eine bestimmte Methode zur Netzentgeltberechnung anwendet, wieder nachweisen, dass diese Methode wettbewerbskonform ist. Die vorherige Beweislastumkehr zugunsten des Netzbetreibers gelte nämlich nicht mehr.
 
Es ist anzunehmen, dass nicht unmittelbar nach dem 1.7.2004 bereits die ersten Regulierungsentscheidungen erlassen werden. Der Regulator wird sich zunächst warmlaufen. Eine Übergangsphase dürfte demnach über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Die Gefahr, dass gerade in diesem Zeitraum viele Rechtsstreitigkeiten anhängig werden könnten, sieht Ungemach jedoch nicht. Seinem Eindruck nach sinke die allgemeine Streitlust der Marktteilnehmer in Fragen der Netzentgelte immer mehr.
 
Wie sich die Verbände letztlich verhalten, welche Beiträge sie zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung in nächster Zeit doch noch einbringen, ist eine sehr individuelle strategische Entscheidung. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Aufforderung des Bundeswirtschaftsministeriums durchaus mit einer gewissen Erwartungshaltung verknüpft ist. Nachdem der designierte Vizepräsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) Martin Cronenberg heißt, ein ausgewiesener Energiefachmann, der in den neunziger Jahren im Bundeswirtschaftsministerium den Liberalisierungsprozess entscheidend mitgeprägt hat, werden sich Behörde und Energiewirtschaft schon weit vor dem 1. Juli des kommenden Jahres gegenseitig beschnuppern. Wer dann eine angenehme Duftmarke setzen kann - oder womöglich sogar schon gesetzt hat - wird dies in der späteren Zusammenarbeit mit dem Amt sicherlich nicht bereuen – alte Bürokratenweißheit.

Sonntag, 17.09.2023, 17:53 Uhr
Fritz Wilhelm
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Quelle: Fotolia / Miredi
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Weile trotz Eile
Nachdem sich die Verbände 2003 nicht auf eine Weiterentwicklung der sogenannten Verbändevereinbarung einigen konnten, war eine Regulierungsbehörde praktisch unvermeidlich.
Vor 20 Jahren zeichnete sich immer stärker ab, dass es einen Regulierer für den Energiemarkt geben würde. Die Protagonisten der Branche konnten sich nicht über eine Weiterentwicklung ihrer freiwilligen Vereinbarungen über die Bedingungen für die Nutzung der Strom- und Gasnetze einigen. Sie waren letztendlich nur Übergangslösungen nach der Liberalisierung der Energiemärkte 1998. Eine Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen, wie sie das Bundeswirtschaftsministerium in Aussicht gestellt hatte, fand nicht statt.

E&M-Redakteur Fritz Wilhelm beobachtete 2003, wie sich die Verbände gegenseitig den Schwarzen Peter zuschoben. Hier ein Beitrag vom September 2003.



Die derzeit für den Strommarkt gültige Verbändevereinbarung läuft Ende des Jahres aus. Eine Nachfolgerin ist weit und breit noch nicht in Sicht. So richtig gesucht wird nach ihr zurzeit auch nicht.

Wie ist die offizielle Sprachregelung? Abgebrochen, unterbrochen oder eingebrochen? „Die Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung für den Strommarkt laufen doch noch.“ So sieht es jedenfalls die stellvertretende Pressesprecherin des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) Astrid Fischer und versucht das schiefe öffentliche Bild über den derzeitigen Stand wieder etwas gerade zu rücken. Es habe keinen Abbruch gegeben.
 
Die Sprachverwirrung war entstanden, nachdem die Unterhändler der Stromwirtschaft - in Erwartung der Äußerungen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWA) in seinem Monitoring-Bericht - die Verhandlungen „einseitig unterbrochen“ hatten, wie es Christoph Bier, Referent beim VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft formuliert. Henning Borchers, Vorsitzender des Bundesverbandes Neuer Energieanbieter e.V. (bne), kann sogar „kein ernsthaftes Interesse“ der Netzbetreiber mehr erkennen, die Verbändevereinbarung weiterzuentwickeln. Mit dieser Meinung steht Borchers nicht allein. Meist wird sie jedoch nur hinter vorgehaltener Hand geäußert.
 
Wen wundert’s, warten doch alle, auch wenn sie es nicht explizit zugeben, auf den Regulator, für den es allerdings noch keine abschließende Stellenbeschreibung gibt. Wer will in einer solchen Situation schon in Vorleistung treten und Zugeständnisse machen, um am Ende dann vom Regulator in Amt und Würden noch zu einer Dreingabe verpflichtet zu werden? Gutmütigkeit wird doch nur ausgenutzt - alte Netzbetreiberweißheit.
 
Der VIK sieht allerdings die Netzbetreiber in der Pflicht, „sich eindeutig zu erklären“, sagt Bier. Als eindeutig kann man die Stellungnahme von VDEW-Präsident Werner Brinker durchaus empfinden: „Der Gesetzgeber sollte die Verbändevereinbarung als bewährtes Instrument in den neuen Ordnungsrahmen integrieren“, forderte er. Die Verbändevereinbarung dürfe nicht nur als Steinbruch für die Regulierung dienen, schließlich werde sie im Monitoring-Bericht als anerkanntes Modell für den Netzzugang bewertet. Von der VV II plus ist explizit die Rede. An der Entwicklung des künftigen Ordnungsrahmens des Netzzugangs werde die Stromwirtschaft jedoch auf jeden Fall mitwirken.

Die Vermutung guter fachlicher Praxis entfällt

Der Abschluss einer VV III Strom – eine VV II plus plus bleibt der Branche wohl erspart – noch vor dem Auslaufen der aktuellen Fassung am 31.12.2003 scheint damit fast ausgeschlossen. Zumal ein Spitzengespräch der Verbände Ende September oder Anfang Oktober nach den Vorstellungen des VDEW erst einmal klären soll, wie die Verhandlungen unter dem Eindruck der sich entwickelnden Regulierungspläne überhaupt weiterlaufen sollen. Aus Kreisen des VDEW ist zu hören, eine Ergänzung, ein Zusatzdokument zur geltenden Fassung - oder wie man es auch immer nennen mag - oder einfach deren Fortschreibung seien durchaus denkbar.
 
Mit dem VIK dürfte eine simple Verlängerung der VV II plus allerdings nicht zu machen sein. Sie sei von Anfang an befristet gewesen mit der Maßgabe einer stetigen Fortentwicklung, gibt Bier zu bedenken. So sieht es auch der Monitoring-Bericht und fordert alle Beteiligten auf, „die Verbändevereinbarungen, insbesondere auch die Netzkostenkalkulation (...) weiterzuentwickeln“. Allerdings spätestens bis zum 1. Juli 2004, wenn EU-Recht in nationale Gesetze gegossen sein muss.
 
Die VV II plus könnte – fast ist man geneigt, zu sagen sang- und klanglos – auslaufen. Jörg Spicker, Präsident der deutschen Sektion der europäischen Energiehändlervereinigung EFET, fände das Auslaufen ohne einen direkten Anschluss „sehr unglücklich“. Dem juristischen Laien liegt der Begriff „rechtsfreier Raum“ auf der Zunge.
 
Da die Verbändevereinbarung zum 31.12.2003 ausläuft, entfällt ab diesem Datum auch die im Energiewirtschaftsgesetz seit April verankerte Vermutung, die Anwendung des Regelwerks entspreche guter fachlicher Praxis; schließlich gilt sie ja nicht mehr. Für den Juristen an sich jedoch kein Grund, gleich an Anarchie zu denken. „Die Gerichte werden nicht einfach sagen können, dass sich jemand missbräuchlich verhält, wenn er entsprechend der VV II plus handelt“, meint Manfred Ungemach, Rechtsanwalt bei Clifford Chance Pünder, gerade auch im Hinblick auf den Monitoring-Bericht, in dem die VV Strom, im Vergleich zur VV Gas, gut weggekommen sei. Allerdings müsse nach Wegfall der Vermutungsregelung derjenige, der eine bestimmte Methode zur Netzentgeltberechnung anwendet, wieder nachweisen, dass diese Methode wettbewerbskonform ist. Die vorherige Beweislastumkehr zugunsten des Netzbetreibers gelte nämlich nicht mehr.
 
Es ist anzunehmen, dass nicht unmittelbar nach dem 1.7.2004 bereits die ersten Regulierungsentscheidungen erlassen werden. Der Regulator wird sich zunächst warmlaufen. Eine Übergangsphase dürfte demnach über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Die Gefahr, dass gerade in diesem Zeitraum viele Rechtsstreitigkeiten anhängig werden könnten, sieht Ungemach jedoch nicht. Seinem Eindruck nach sinke die allgemeine Streitlust der Marktteilnehmer in Fragen der Netzentgelte immer mehr.
 
Wie sich die Verbände letztlich verhalten, welche Beiträge sie zur Weiterentwicklung der Verbändevereinbarung in nächster Zeit doch noch einbringen, ist eine sehr individuelle strategische Entscheidung. Man kann allerdings davon ausgehen, dass die Aufforderung des Bundeswirtschaftsministeriums durchaus mit einer gewissen Erwartungshaltung verknüpft ist. Nachdem der designierte Vizepräsident der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) Martin Cronenberg heißt, ein ausgewiesener Energiefachmann, der in den neunziger Jahren im Bundeswirtschaftsministerium den Liberalisierungsprozess entscheidend mitgeprägt hat, werden sich Behörde und Energiewirtschaft schon weit vor dem 1. Juli des kommenden Jahres gegenseitig beschnuppern. Wer dann eine angenehme Duftmarke setzen kann - oder womöglich sogar schon gesetzt hat - wird dies in der späteren Zusammenarbeit mit dem Amt sicherlich nicht bereuen – alte Bürokratenweißheit.

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