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Energie & Management > Recht -
Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
Recht

"Ziemlich beste Feinde" verheddern sich vor dem OVG in Details

Treffen sich zwei „ziemlich beste Feinde“ im Ringen um den Windkraftausbau vor dem Oberverwaltungsgericht, geht es allenfalls noch um Details – nicht mehr um die Turbinen selbst.
Drei Stunden Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Da darf man Großes erwarten, zumal mit der Landesgruppe NRW des Naturschutzbunds (Nabu) und dem Windkraftentwickler Westfalenwind (Paderborn) zwei Streithähne par excellence die Gerichtsbänke füllen. Am Ende viel heiße Luft: Mit einem skurrilen Feilschen um Minuten, Meter und Moneten ging eine Auseinandersetzung um zwei Windkraftanlagen im ostwestfälischen Bad Wünnenberg zu Ende. Das OVG legte den Streit ohne Urteil bei.

Die Geschichte geht so: Das Ökoenergie-Unternehmen beantragte vor gut sieben Jahren zwei Enercon-Kraftwerke mit Gesamthöhen von 207 Metern. Der Kreis Paderborn sah artenschutzrechtliche Hindernisse und lehnte 2018 ab. Westfalenwind klagte. Im Dezember 2020 verglichen Kreisverwaltung und Westfalenwind sich vor dem Verwaltungsgericht Minden.

Wegen neuer Artenschutz-Gutachten gab es Ende 2021 im Neubescheid doch das Ja der Behörde, mit einigen Auflagen für den Artenschutz. Diese gingen Westfalenwind indes zu weit. Erst Anfang Mai 2023 kam es erneut zum Vergleich.
 
Heide Naderer (Nabu NRW) und Rechtsbeistand Martin Gellermann vor dem OVG Münster
Quelle: Volker Stephan

Dies hätte das Ende der Geschichte sein können. Doch kurz vor Silvester 2021 tritt als dritte Streitpartei der Nabu NRW auf den Plan. Er hält die Genehmigung der beiden Anlagen für rechtswidrig. Einerseits gebe es Verfahrensfehler, weil die Öffentlichkeit im wiederaufgenommenen Genehmigungsverfahren nicht erneut beteiligt worden sei. Andererseits gefährde das Betriebskonzept der Anlagen diverse Greifvögel. Auch sei die Lärmentwicklung für ein Naturschutzgebiet (FFH) in der Nähe nicht geklärt. Letztlich sei aus landschaftsökologischen Gründen zuerst nach Ersatzflächen zu suchen, ehe einfach Kompensationszahlungen an den Kreis fließen könnten.

Den letzten Kampf ums große Ganze trägt der Nabu nach Leipzig

Die letzten Punkte sind eher das Kleingedruckte in Genehmigungsverfahren. Damit geht es nicht mehr ums Ganze, nicht mehr um Aspekte, die die Windkraftanlagen verhindern könnten. Diesen Zahn zog der Vorsitzende des Windkraft-Senats 22, Hans-Joachim Hüwelmeier, gleich zu Beginn dem Nabu, vertreten auch durch die Landesvorsitzende Heide Naderer. Die Öffentlichkeit sei nicht neu zu beteiligen.

Wie schon in seinem Urteil Ende 2022 im Verfahren um den Windpark „Himmelreich“ im benachbarten Marsberg hält der Senat es auch hier für zulässig, in laufenden Verfahren den neuen Paragrafen 45b Bundesnaturschutzgesetz anzuwenden. Dieser relativiert einige Vorgaben für windkraftsensible Arten und ist dem Nabu ein Dorn im Auge. Deswegen hat der Verband Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht, um doch noch letztinstanzlich klagen zu können.

​Die "Himmelreich"-Gegner: Nabu und Westfalenwind.

In Bad Wünnenberg blieb dem Nabu noch, vom Kreis Paderborn höhere Auflagen für die beiden Enercon-Maschinen zu verlangen, die unweit der Windparks „Gut Wohlbedacht“ und eben „Himmelreich“ entstehen sollen. Ein Ergebnis: Westfalenwind zahlt nun 90.000 statt gut 100.000 Euro an den Kreis, womit dieser Bodenversiegelung und Landschaftseingriff in eigener Verantwortung kompensiert. Denn etwa 20 Kilometer von Bad Wünnenberg entfernt – in Etteln – fanden sich doch noch renaturierbare 7.000 Quadratmeter, die Westfalenwind kauft und weitgehend sich selbst überlässt.

Ein anderes Ergebnis: Vögel haben nun eine Stunde länger Ruhe vor den Rotoren, diese haben ab drei Stunden vor Sonnenuntergang stillzustehen. Zudem sind die Turbinen sofort abzuschalten, wenn auf den Äckern gemäht, geerntet oder gepflügt wird, weil das den Rotmilan anlockt. Der Stopp endet 24 Stunden nach der letzten bäuerlichen Tätigkeit. Wenn erforderlich, kommen Infrarot-Kameras an den Windtürmen zum Einsatz, die Traktoren erkennen können und die Turbinen automatisch drosseln.

In ihrem Urteil über das Erreichte konnten die Parteien nicht weiter auseinander liegen. Heide Naderer wertet es als Erfolg, die (gängigen) Auflagen konkretisiert zu haben. Franz-Josef Tigges, Westfalenwind-Anwalt und Vorstand im Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW), sagte, nach dem fehlgeschlagenen „Frontalangriff“ auf „Himmelreich“ und die beiden beklagten Turbinen verliere der Nabu sich jetzt in Nebensächlichkeiten.

Braucht es ein OVG bei nahezu nichtigen Detailfragen, die sich mit gutem Willen bilateral lösen könnten, überhaupt? Das müssen die Streithähne für sich klären. Eine Aufgabe hatte Martin Gellermann, Rechtsbeistand des Nabu, indes noch für Richter Hüwelmeier. Der möge bitte in dem Schriftstück über die Beilegungserklärung die Gerichtskosten verteilen. „Jeder trägt seine Kosten“, hatte Franz-Josef Tigges vorgeschlagen. Das schloss Martin Gellermann aus, schließlich sei der Kreis Paderborn wegen der vorzunehmenden Änderungen an den Nebenbestimmungen „die unterlegene Partei“.

Donnerstag, 25.05.2023, 17:20 Uhr
Volker Stephan
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Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
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"Ziemlich beste Feinde" verheddern sich vor dem OVG in Details
Treffen sich zwei „ziemlich beste Feinde“ im Ringen um den Windkraftausbau vor dem Oberverwaltungsgericht, geht es allenfalls noch um Details – nicht mehr um die Turbinen selbst.
Drei Stunden Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Da darf man Großes erwarten, zumal mit der Landesgruppe NRW des Naturschutzbunds (Nabu) und dem Windkraftentwickler Westfalenwind (Paderborn) zwei Streithähne par excellence die Gerichtsbänke füllen. Am Ende viel heiße Luft: Mit einem skurrilen Feilschen um Minuten, Meter und Moneten ging eine Auseinandersetzung um zwei Windkraftanlagen im ostwestfälischen Bad Wünnenberg zu Ende. Das OVG legte den Streit ohne Urteil bei.

Die Geschichte geht so: Das Ökoenergie-Unternehmen beantragte vor gut sieben Jahren zwei Enercon-Kraftwerke mit Gesamthöhen von 207 Metern. Der Kreis Paderborn sah artenschutzrechtliche Hindernisse und lehnte 2018 ab. Westfalenwind klagte. Im Dezember 2020 verglichen Kreisverwaltung und Westfalenwind sich vor dem Verwaltungsgericht Minden.

Wegen neuer Artenschutz-Gutachten gab es Ende 2021 im Neubescheid doch das Ja der Behörde, mit einigen Auflagen für den Artenschutz. Diese gingen Westfalenwind indes zu weit. Erst Anfang Mai 2023 kam es erneut zum Vergleich.
 
Heide Naderer (Nabu NRW) und Rechtsbeistand Martin Gellermann vor dem OVG Münster
Quelle: Volker Stephan

Dies hätte das Ende der Geschichte sein können. Doch kurz vor Silvester 2021 tritt als dritte Streitpartei der Nabu NRW auf den Plan. Er hält die Genehmigung der beiden Anlagen für rechtswidrig. Einerseits gebe es Verfahrensfehler, weil die Öffentlichkeit im wiederaufgenommenen Genehmigungsverfahren nicht erneut beteiligt worden sei. Andererseits gefährde das Betriebskonzept der Anlagen diverse Greifvögel. Auch sei die Lärmentwicklung für ein Naturschutzgebiet (FFH) in der Nähe nicht geklärt. Letztlich sei aus landschaftsökologischen Gründen zuerst nach Ersatzflächen zu suchen, ehe einfach Kompensationszahlungen an den Kreis fließen könnten.

Den letzten Kampf ums große Ganze trägt der Nabu nach Leipzig

Die letzten Punkte sind eher das Kleingedruckte in Genehmigungsverfahren. Damit geht es nicht mehr ums Ganze, nicht mehr um Aspekte, die die Windkraftanlagen verhindern könnten. Diesen Zahn zog der Vorsitzende des Windkraft-Senats 22, Hans-Joachim Hüwelmeier, gleich zu Beginn dem Nabu, vertreten auch durch die Landesvorsitzende Heide Naderer. Die Öffentlichkeit sei nicht neu zu beteiligen.

Wie schon in seinem Urteil Ende 2022 im Verfahren um den Windpark „Himmelreich“ im benachbarten Marsberg hält der Senat es auch hier für zulässig, in laufenden Verfahren den neuen Paragrafen 45b Bundesnaturschutzgesetz anzuwenden. Dieser relativiert einige Vorgaben für windkraftsensible Arten und ist dem Nabu ein Dorn im Auge. Deswegen hat der Verband Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht, um doch noch letztinstanzlich klagen zu können.

​Die "Himmelreich"-Gegner: Nabu und Westfalenwind.

In Bad Wünnenberg blieb dem Nabu noch, vom Kreis Paderborn höhere Auflagen für die beiden Enercon-Maschinen zu verlangen, die unweit der Windparks „Gut Wohlbedacht“ und eben „Himmelreich“ entstehen sollen. Ein Ergebnis: Westfalenwind zahlt nun 90.000 statt gut 100.000 Euro an den Kreis, womit dieser Bodenversiegelung und Landschaftseingriff in eigener Verantwortung kompensiert. Denn etwa 20 Kilometer von Bad Wünnenberg entfernt – in Etteln – fanden sich doch noch renaturierbare 7.000 Quadratmeter, die Westfalenwind kauft und weitgehend sich selbst überlässt.

Ein anderes Ergebnis: Vögel haben nun eine Stunde länger Ruhe vor den Rotoren, diese haben ab drei Stunden vor Sonnenuntergang stillzustehen. Zudem sind die Turbinen sofort abzuschalten, wenn auf den Äckern gemäht, geerntet oder gepflügt wird, weil das den Rotmilan anlockt. Der Stopp endet 24 Stunden nach der letzten bäuerlichen Tätigkeit. Wenn erforderlich, kommen Infrarot-Kameras an den Windtürmen zum Einsatz, die Traktoren erkennen können und die Turbinen automatisch drosseln.

In ihrem Urteil über das Erreichte konnten die Parteien nicht weiter auseinander liegen. Heide Naderer wertet es als Erfolg, die (gängigen) Auflagen konkretisiert zu haben. Franz-Josef Tigges, Westfalenwind-Anwalt und Vorstand im Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW), sagte, nach dem fehlgeschlagenen „Frontalangriff“ auf „Himmelreich“ und die beiden beklagten Turbinen verliere der Nabu sich jetzt in Nebensächlichkeiten.

Braucht es ein OVG bei nahezu nichtigen Detailfragen, die sich mit gutem Willen bilateral lösen könnten, überhaupt? Das müssen die Streithähne für sich klären. Eine Aufgabe hatte Martin Gellermann, Rechtsbeistand des Nabu, indes noch für Richter Hüwelmeier. Der möge bitte in dem Schriftstück über die Beilegungserklärung die Gerichtskosten verteilen. „Jeder trägt seine Kosten“, hatte Franz-Josef Tigges vorgeschlagen. Das schloss Martin Gellermann aus, schließlich sei der Kreis Paderborn wegen der vorzunehmenden Änderungen an den Nebenbestimmungen „die unterlegene Partei“.

Donnerstag, 25.05.2023, 17:20 Uhr
Volker Stephan

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