Quelle: E&M
Die Grenzen der Gebotszonen werden kontrovers diskutiert. Ines Zenke wirft auf das Dauerstreitthema einen rechtlichen Blick*.
In Europa gibt es nicht nur Landesgrenzen, Sprachgrenzen oder Zollgrenzen. Es gibt auch die Grenzen der Gebotszonen. Und während das jetzt für das breite Publikum eher esoterisch klingt, ist das Thema hinter den Kulissen heiß diskutiert.
„Da stelle ma uns ma janz dumm“
Eine Gebotszone, auch Preiszone genannt, ist mit Blick auf Strom das Gebiet, in dem der gleiche Großhandelspreis für Strom gilt. Vom Prinzip her ist die Gebotszone ein Netzgebiet, innerhalb dessen es keine Engpässe beim Transport des Stroms gibt. Denn wenn es keine Engpässe gibt, ist es egal, an welcher Stelle der Erzeuger und der Verbraucher jeweils sitzen. Die Gebotszone verknüpft gewissermaßen die Netzrealität mit der Marktseite. In Deutschland ist die Lage so, dass das ganze Land trotz vier verschiedener Übertragungsnetzbetreiber eine einheitliche Gebotszone darstellt (und auch Luxemburg noch dazugehört).
Und wenn es doch knirscht?
Die Idee, dass es innerhalb einer Gebotszone keine Netzengpässe geben soll, haben wir uns nicht ausgedacht. Das steht so in Art. 14 Abs. 1 Satz 3 der Elektrizitätsverordnung. Und genau hier setzt die Kritik an der einheitlichen deutschen Preiszone an: In Wahrheit gibt es ja innerdeutsche Engpässe, die sich nicht nur in relativ hohen Redispatch-Kosten ausdrücken, sondern auch physikalisch zu Ausweichbewegungen über unsere Nachbarnetze führen, die Ringflüsse. Und weil die Nachbarländer mit betroffen sind, kann auch Deutschland das Problem nicht mit sich selbst nur ausmachen.
Entsprechend ist das Thema Gegenstand eines seit 2022 laufenden formalen Prozesses, des sogenannten Bidding Zone Reviews. In diesem arbeiten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber mit ihrem Verband Entso-E, den Regulierern, der Acer und zwischendrin der Öffentlichkeit zusammen, um zu ermitteln, wo genau die Gebotszonengrenzen liegen sollten. Im Frühjahr sollen aktuelle Ergebnisse öffentlich konsultiert werden. Der abschließende Bericht ist für das Ende des Jahres geplant.
Auf Basis dieses Berichts müssen sich daraufhin die betroffenen Länder für eine Lösung entscheiden, sei es mit oder ohne Gebotszonenrekonfiguration. Aber sollten sie sich am Ende nicht einig sein, muss die Kommission als Ultima Ratio übernehmen − haben wir uns auch nicht ausgedacht, steht so in Art. 14 Abs. 8 Satz 5 der Elektrizitätsverordnung.
Wer bin ich und wenn ja wie viele?
Neben der Möglichkeit, dass die deutsche Gebotszone bleibt, wie sie ist, sind vier alternative Konfigurationen ebenfalls Prüfungsgegenstand. Diese reichen von einem simplen Schnitt zwischen Nord und Süd bis zu ganz neuen Gebotszonen mit jeweils Teilen der Nachbarnetze.
Die wesentliche Folge einer Anpassung der Gebotszonen wären separate Märkte und separate Preise. Nehmen wir als Beispiel die einfache Konfiguration einer norddeutschen und einer süddeutschen Preiszone: Es würde dann einen norddeutschen Markt geben, der von der Verfügbarkeit von Windenergie geprägt ist.
Und einen süddeutschen Markt, der insgesamt weniger erneuerbare Energien umfasst und damit vermutlich im Schnitt teurer würde. Die teuren Redispatch-Kosten könnten immerhin teilweise entfallen. Stattdessen müssten Unternehmen, die Energie von Nord nach Süd importieren wollen, ein Engpassentgelt zahlen (was den Strom im Süden halt teurer macht).
Gründliche Abwägung aller direkten und indirekten Folgen
Einige norddeutsche Bundesländer haben in den vergangenen Monaten große Sympathie für eine solche Lösung gezeigt. Es würde die Stromkosten in ihren Bundesländern senken und sie somit attraktiver für die Industrie machen. Man kann sich vorstellen, dass die Meinung im Süden dazu konträr ist.
Die Konsequenzen beschränken sich aber nicht auf dicke Luft in Bundesratssitzungen. Ebenso spielen die Interessen aus dem Netzbetrieb eine Rolle: klare Verhältnisse, keine Ringflüsse, Erlöse aus dem Engpassmanagement für den weiteren Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindungen. Alles vernünftig und nachvollziehbar.
Demgegenüber stehen die Interessen des Marktes: Die große deutsche Gebotszone hat eine ausgezeichnete Liquidität, jede Aufteilung würde diese verringern, würde den Handel erschweren und damit marktliche Ineffizienzen erzeugen. Das Zielmodell ist in Europa ja ein einheitlicher Markt − und ein Split ist ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung.
Außerhalb der Energiewelt stehen industriepolitische Interessen: Stabile und niedrige Strompreise sind ein interessanter Faktor für die Ansiedlungspolitik. Aber kein süddeutsches Unternehmen wird seine Produktion kurzfristig nach Norddeutschland verlagern, nur weil dort der Strom etwas billiger ist. Wenn man schon seine Wurzeln aus dem Boden zieht, kann man auch gleich irgendwo hingehen, wo der Strom deutlich günstiger ist (oder andere Förderungen locken).
Und dann gibt es noch die Interessen von allen, die von einem massiven Einschnitt wie einer Gebotszonentrennung operativ betroffen wären. Neben anderem wären sicherlich Prozesse, IT und Verträge anzufassen. Ein riesiger Aufwand für … eine temporäre Lösung? Tatsächlich ist Deutschland mit den Ausbauprojekten für die großen Nord-Süd-Verbindungen ja gerade dabei, die Engpässe zu verringern. Wie immer dauert alles länger als ursprünglich gehofft. Aber ein Ende ist absehbar. Wenn in ein paar Jahren die „Stromautobahnen“ in Betrieb sind, wäre es dann Zeit für die nächste Gebotszonenreform? Theoretisch ja. Aber hier hat der europäische Normgeber mitgedacht. Den Gebotszonengrenzen müssen nämlich „langfristige, strukturelle Engpässe“ zugrunde liegen − haben wir uns auch nicht ausgedacht, steht so in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 der Elektrizitätsverordnung. Kurzfristiger Aktionismus für ein paar Jahre steht damit nicht im Einklang.
* Ines Zenke, Rechtsanwältin, Becker Büttner Held, Berlin
Dienstag, 7.05.2024, 08:15 Uhr
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