Quelle: Bundesnetzagentur
In der Kapazitätsreserve kann ein Oligopol den Höchstpreis abgreifen. 120 Millionen Euro verdienen die Bieter pro Jahr dabei, alte Kraftwerke in Reserve zu halten.
Die Kapazitätsreserve in Höhe von 2.000 MW soll das Stromnetz absichern, kommt aber bislang nicht zum Einsatz. Insgesamt rund 120 Millionen Euro im Jahr lässt sich der Staat die Ausschreibung für die benötigten Kraftwerke kosten. Erstaunlicherweise erhalten die Betreiber der bezuschlagten Kraftwerke in der Regel eine höhere Vergütung, als sie selbst im Angebot angegeben haben. Die Redaktion hat nachgefragt.
Aus Antworten seines Ministeriums (BMWK), der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes an diese Redaktion lässt sich der Schluss ziehen: Offenbar prüft niemand, ob die ausgeschriebene Leistung 2.000
MW überhaupt angemessen ist und das Design einen Bieterwettbewerb fördert oder ein Oligopol belohnt. Behörden verweisen jeweils auf eine andere Behörde.
Die Kapazitätsreserve ist das letzte Mittel, um die aktuelle Stromnachfrage zu decken, wenn alle anderen Segmente – Spotmarkt, Regelenergiemarkt, „Netzreserve“ oder „netztechnische Betriebsmittel“ – ausgeschöpft sind. Die vorhergehende Bundesregierung hatte sie 2018 eingerichtet, um den
absehbaren Atom- und Kohleausstieg und den Ausbau Erneuerbarer zu flankieren. Alte fossile Kraftwerke und seit Ende 2023 auch abschaltbare Industrielasten, die dann nicht mehr am Strommarkt teilnehmen dürfen, werden dann hoch- beziehungsweise heruntergefahren. Das war bisher noch nie der Fall.
Dieselben Kraftwerksbieter wie 2022Die jüngste Ausschreibung – für Oktober 2024 bis September 2026 – war wie berichtet mit 1.205 MW von 2.000 MW erneut unterzeichnet. Alle Kraftwerks-Zuschläge gingen an die drei bisherigen Bieter RWE, Leag und Statkraft, mit einem Gasblock von RWE mehr als bisher. Neu war eine abschaltbare Last von einem Industriebetrieb dabei – gerade mal 9
MW. Alle zehn Gebote wurden bezuschlagt.
Das Ergebnis: Der Zuschlagswert erhöhte sich gegenüber 2022 um 59
Prozent auf 99.990
Euro/MW/Jahr. Das ist beinahe der rechtliche Höchstwert. Die Gesamtkosten gehen um 76
Prozent hoch, auf 120
Millionen Euro pro Jahr.
Unveröffentlichte Zahlen: Bieter verdienen sich goldene NaseEinige Bieter machen damit einen Reibach vom Vielfachen ihres Gebots. Dies enthüllen unveröffentlichte Zahlen, die die Redaktion von den Behörden erfragte. Demnach lag das niedrigste Gebot bei nur 19.000
Euro. Der gewichtete Schnitt lag bei 45.183
Euro. Doch die Kapazitätsreserveverordnung gesteht allen Bietern den teuersten Zuschlagswert zu, und das waren die 99.990
Euro.
Das BMWK rechtfertigt dieses „Markträumungsverfahren“ mit dem angeblichen Zweck, dass „die Bieter ihre Gebote auf Basis ihrer tatsächlichen Kosten abgeben“. Die jüngste
Evaluierung durchs eigene Haus habe Ende 2022 ergeben, dass die Vorteile überwögen.
Für das Kartellamt eignen sich Einheitspreise sogar „grundsätzlich“ dazu, den Wettbewerb zu stärken. Es fehle zudem an einem „hinreichende(n) Anfangsverdacht“ für eine marktbeherrschende Stellung der Bieter, damit die Behörde tätig werde. Im
Übrigen sei das Ausschreibungsdesign „umfassend verordnungsrechtlich geregelt“, „diskriminierungsfrei und technologieoffen“. Nach alledem „bestand kein Anlass für eine Untersuchung“ oder einen Austausch mit der Netzagentur.
Berufung auf einen Bericht, in dem das Thema fehltBei der Bedarfsermittlung verweisen beide Fachbehörden auf das BMWK und den Monitoringbericht Versorgungssicherheit der Netzagentur von Anfang 2023. Die Agentur behauptet, das BMWK habe „auch auf Annahmen und Vorarbeiten“ des Berichts „zurückgegriffen“.
Das BMWK stellt dagegen richtig, dass die Kapazitätsreserve im Bericht nicht vorkommt. Parallel riet die Bundesregierung lediglich zu einer „gewissen“ Reserve. Das Ministerium erklärt jetzt, „im Lichte der Energiekrise“ sei es gut gewesen, die 2.000
MW „nicht einzukürzen, sondern weiteren Anlagen eine Teilnahme (...) zu ermöglichen“ – eine Anspielung auf die abschaltbaren Lasten, die 9
MW erbrachten.
Im Übrigen seien die 2.000
MW von Brüssel genehmigt. Die Kapazitätsreserveverordnung wird also womöglich mit der Beißzange angefasst, um dieses Ja der EU zu behalten. Aus ihr geht hervor, dass die 100.000
Euro Höchstwert frühestens 2026 geändert werden dürfen. Die zugrundeliegenden Kalkulationen von 2018 hält das BMWK für „weiterhin gültig“.
Die Verordnung lässt eine Nachbeschaffung der fehlenden 795
MW zu. Die ist aber vom BMWK „nicht vorgesehen“, mangels Erfolgsaussicht. In derselben Antwort behauptet das BMWK, das Angebotspotenzial an deutschen oder luxemburgischen Kraftwerken – weitere ausländische dürfen nicht teilnehmen – liege „weit über (...) 2.000
MW“.
Dienstag, 2.04.2024, 17:30 Uhr
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