Ende Juni hat die Beratungsgesellschaft PwC einen „E-Mobility-Check“ vorgelegt und dabei Defizite bei der Ladeinfrastruktur und dem Fahrzeugangebot festgestellt. Als „schleppend“ haben die Autoren den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland bezeichnet. Er gehe so langsam voran, dass dadurch die nationalen Klimaziele in Gefahr geraten. Pessimisten halten sie ohnehin schon nicht mehr für erreichbar im Verkehrssektor.
Nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) müssen die Treibhausgasemissionen des Verkehrs bis 2030 auf 85 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent sinken − im Vergleich zum Jahr 1990 ist dies eine Reduktion um 65
%. Allerdings wurden 2021 immer noch insgesamt 148 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent
emittiert. Rund 12
% der Gesamtemissionen in Deutschland fallen im Verkehrssektor an.
Auch die Berater von PwC bezweifeln, dass die Elektromobilität die ihr zugedachte Wirkung für den Klimaschutz im geplanten Zeitraum wird entfalten können. Sie gehen sowohl von einer Lade- als auch einer Zulassungslücke aus.
Lade- und Zulassungslücke absehbarLegt man das gegenwärtige Ausbautempo bei öffentlichen Ladepunkten zugrunde − laut dem Verband der Automobilindustrie werden pro Woche rund 300 öffentliche Ladepunkte in Betrieb genommen −, könnten bis 2030 allenfalls 214.000 von ihnen zur Verfügung stehen. Für die 10,3
Mio. Fahrzeuge, mit denen Heiko Seitz und Marcus Hoffmann, die beiden Autoren des Mobility-Checks, rechnen, wären jedoch 340.000 Ladepunkte notwendig. Seitz, der auch Leiter Elektromobilität bei PwC ist, wies im Gespräch mit Journalisten darauf hin, dass bis 2030 sogar 15,8
Mio. Fahrzeuge nötig seien, um die Klimaziele zu erreichen. Für eine adäquate Stromversorgung müssten dann rund 520.000 Lademöglichkeiten geschaffen werden.
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EnBW-Schnellladepark am Kamener Kreuz mit 52 HPC-Ladepunkten Quelle: EnBW/Endre Dulic |
Mit den von ihr angepeilten 15 Mio. Elektrofahrzeugen bis 2030 habe die Bundesregierung zwar schon das richtige Zeichen gesetzt. Mit der im Koalitionsvertrag genannten Zahl von 1 Mio. öffentlichen Ladepunkten schieße sie jedoch deutlich über das Ziel hinaus − ein Ziel, das unter den gegebenen Bedingungen ohnehin nicht zu erreichen sei. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) rechne mittlerweile lediglich mit 687.000 Ladepunkten verschiedener Leistungsstufen, berichtete Seitz. „Aber dafür wäre eine viel größere Hochlaufgeschwindigkeit nötig. Derzeit sehen wir die nicht, um das mal klar zu sagen“, so der Berater.
Mitte Juni hatte sich der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zu Wort gemeldet und ebenfalls die Zielgröße von 1 Mio. Ladepunkten im Jahr 2030 als übertrieben kritisiert. Eine solche Menge gehe weit über den Bedarf hinaus. Außerdem befürchtet der Verband in einem solchen Fall weitreichende Folgen für das Förderregime nach dem Masterplan Ladeinfrastruktur der Bundesregierung. Es drohe die Gefahr einer Übersteuerung durch staatliche Förderprogramme statt privatwirtschaftlicher Investitionen.
Sieben Ansatzpunkte für VerbesserungenZur Einordnung: Zum 1. Juni waren der Bundesnetzagentur von den jeweiligen Betreibern insgesamt 52.605 Normalladepunkte und 9.395 Schnellladepunkte gemeldet worden. Am 1. Januar waren es 48.012 Normalladepunkte und 8.422 Schnellladepunkte und zu Jahresbeginn 2021 standen 36.104 Normalladepunkte und 5.736 Schnellladepunkte zu Buche.
Auf Schnellladepunkten mit einer Ladeleistung von mindestens 50
kW solle auch der klare Fokus sein, mahnte Seitz. Damit sei es möglich, mehr Autos in kürzerer Zeit zu laden und die Lücke
zumindest etwas zu schließen. Die netzseitigen Erfordernisse, die hohe Ladeleistungen mit sich bringen, diskutierten die Autoren allerdings nicht.
Für die Lade- und Zulassungslücke haben Seitz und sein Kollege Hoffmann, der Co-Leiter Automotive des PwC-Strategieberatungsarms „Strategy&“ in Europa ist, sieben wesentliche Gründe und damit auch gleich sieben Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Situation ausgemacht. Dazu gehören beispielsweise die Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen.
Seitz wies darauf hin, dass bis zum Netzanschluss eines Ladepunkts in der Regel sechs bis neun Monate vergehen. Abgesehen von fragmentierten Anforderungen der Netzbetreiber, von der Bürokratie der Förderkulisse und von fehlenden Tiefbaukapazitäten sei das drängendste Thema in diesem Zusammenhang: „Flächen, Flächen, Flächen“. Vor allem die öffentliche Hand halte derzeit ihre Flächen noch zurück. Dabei sei klar, dass eine Verknappung zu hohen Pachtpreisen führen kann. Gleichzeitig werde das Flächen-Tool des Bundes, mit dessen Hilfe Ladeinfrastrukturbetreiber und Grundstückseigentümer vernetzt werden könnten, kaum genutzt.
Und wenn dann einmal Flächen verfügbar seien, müssten sie auch so erschlossen werden, dass ein Laden rund um die Uhr jederzeit möglich ist. Keine Säulen „in the Middle of Nowhere“ und keine frei stehenden Anlagen ohne Überdachung und ausreichende Beleuchtung. Seitz formuliert den Anspruch als „tankstellenartiges Ladeerlebnis“. Das Laden müsse dem Leben folgen und nicht umgekehrt.
Da zum Leben auch das Reisen mit Übernachtungen dazugehört, dürfen natürlich auch die Hotels, Gaststätten und der Einzelhandel nicht die E-Mobilität verschlafen. Die Zahl der Ladepunkte wird künftig einer der wesentlichen Faktoren für die Attraktivität eines Unternehmens bei seinen Gästen, Kunden und auch Mitarbeitern sein. Davon ist auch Hoffmann überzeugt.
Größte Auswahl in der OberklasseZur derzeit realen Lebenswelt gehört auch die Erkenntnis, dass sich vor allem das elektrisch betriebene Hochpreissegment und die Mittelklasse in der Produktpalette der Autohersteller wiederfinden. Damit die E-Mobilität nicht zum Privileg von Besserverdienenden, sondern ein Massenmarkt wird, sind preisgünstige Modelle unerlässlich.
Auch wenn die gesamte Modellpalette über alle Marken hinweg seit 2012 von rund 10 auf heute 180 Fahrzeuge angewachsen ist, haben die Kunden immer noch in der margenstarken Oberklasse die größte Auswahl. „Es bedarf daher einer zügigen Ausweitung der Niedrigpreis-Modellpalette, um die Bedürfnisse sämtlicher Kundengruppen zu befriedigen“, schreiben die Autoren des Mobility-Checks. Vor allem Hersteller aus den USA und Asien könnten die Lücke schließen, wenn sich die Liefersituation für Rohstoffe und Elektronikbauteile wieder etwas entspannt hat.
Die schwierigste Phase sei zwar überstanden, meint Hoffmann. Dennoch rechnet er damit, dass der Chip-Mangel die Branche noch bis Anfang 2024 beschäftigen wird, zumal die Produktionskapazitäten bei 1 Mrd. Investitionssumme für ein Halbleiterwerk und einer Planungs- und Bauzeit von rund vier Jahren kurzfristig nicht signifikant ausgeweitet werden können.
Eon hat einen interaktiven „Energieatlas“ ins Internet gestellt. Demzufolge gibt es bundesweit rund 65.800 Ladepunkte. Dies sind 13.000 mehr als noch vor einem Jahr. Nichtöffentliche Ladepunkte wie private Wallboxen oder Ladestationen von Arbeitgebern für ihre Mitarbeiter sind nicht mitgezählt. Die Daten beziehen sich auf Bundesländer, Landkreise und Städte.
Auch die Bundesnetzagentur berichtet regelmäßig über den Stand der Ladeinfrastruktur, sowohl über die Anzahl der Ladepunkte als auch über die Entwicklung der Ladeleistung. Die zum Redaktionsschluss aktuellen Zahlen (veröffentlicht: 1. Juni 2022; Stand: 1. April 2022) weisen die beste Abdeckung mit öffentlicher Ladeinfrastruktur in Bayern und Nordrhein-Westfalen aus. Für den Freistaat stehen insgesamt 11.966 Ladepunkte zu Buche. An Rhein und Ruhr sind es 10.781. Mit weitem Abstand folgen Niedersachsen (6.490) und Hessen (4.688).
Bei den Schnellladern liegt Bayern mit 1.606 Ladepunkten ebenfalls vorn, gefolgt von Baden-Württemberg mit 1.452 und Nordrhein-Westfalen mit 1.415.
Abgesehen von den Stadtstaaten bilden Mecklenburg-Vorpommern mit insgesamt 706 und das Saarland mit 498 öffentlichen Ladepunkten den Schluss. Die Entwicklung der bundesweiten Ladeleistung hat sich in den vergangenen fünf Jahren den Zahlen der Bundesnetzagentur zufolge mehr als verzehnfacht von 137.526 auf 1.806.969 kW. Die durchschnittliche Leistung je Ladepunkt ist in dieser Zeit von knapp 21 kW auf 29,9 kW gestiegen.
Wie schnell die E-Mobilität im Massenmarkt ankommt, hängt auch wesentlich von den Batterien ab. Eine Verdopplung der Reichweite bei nur noch 10 % der Kosten − das ist in etwa die Entwicklung der letzten Dekade. „Eine Reichweite von 600 Kilometern sollte es schon sein“, sagte Hoffmann. Dann wäre seiner Meinung nach der Reichweitenangst der Stachel gezogen.
„Wenn dann noch die Kombination mit höheren Ladeleistungen gelingt und die Batterietechnologie, etwa hin zur Festkörperbatterie, weiterentwickelt wird, kommen wir zu einem Ladeerlebnis, das dem herkömmlichen Tanken sehr ähnlich sein wird“, meint der Mobility-Experte. Und bei einer Betrachtung der Total Cost of Ownership inklusive der verschiedenen Fördermöglichkeiten dürften einige E-Autos schon heute bezogen auf den gefahrenen Kilometer günstiger sein als mancher Verbrenner.
Initiative Bidirektionales Laden identifiziert AnpassungsbedarfApropos Wirtschaftlichkeit: Wenn einmal der regulatorische Rahmen für das bidirektionale Laden steht, eröffnen sich für alle Beteiligten zahlreiche Nutzungs- und Geschäftsmöglichkeiten rund um die Wallbox und das Fahrzeug − von der Optimierung des Eigenverbrauchs über die Vermeidung von Lastspitzen bis zur Netzstabilisierung. Um Rechtssicherheit zu schaffen, müssten beispielsweise aber erst einmal mobile Speicher überhaupt als solche in den einschlägigen Gesetzen definiert werden.
Die „Initiative Bidirektionales Laden“ hat im März in einem Positionspapier aufgezeigt, wo der dringendste regulatorische Anpassungsbedarf besteht, um Rechtssicherheit für das bidirektionale Laden zu schaffen und das Potenzial der darauf aufbauenden Geschäftsmodelle freizusetzen.
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Entwicklung der gesamten Ladeleistung in Deutschland Quelle: Bundesnetzagentur |
Auch die Bundesregierung spricht in ihrem Masterplan Ladeinfrastruktur II das bidirektionale Laden an und verspricht, bis zum ersten Quartal 2023 zu prüfen, „ob und in welchen Fällen eine Präzisierung und eine Vereinheitlichung des Letztverbraucherbegriffs in bestehenden Regularien sinnvoll und möglich ist, auch um Anreize für das bidirektionale Laden zu setzen“. Insgesamt geht es dem federführenden Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) aber um das große Ganze: Deutschland soll zum globalen Leitmarkt für E-Mobilität werden, heißt es in dem 24-seitigen Papier, in dem sich auch die Zahl von 1 Mio. öffentlich zugänglichen Ladepunkten wiederfindet, die im Koalitionsvertrag als Ziel verankert wurde.
„Für uns ist der Masterplan Ladeinfrastruktur II ein Schlüsselelement für den weiteren Hochlauf der Elektromobilität“, erklärte Volker Wissing (FDP) bei der Vorstellung. „Damit schaffen wir es, dass die Menschen das E-Auto genauso gut laden, wie sie bislang tanken können. Der Masterplan macht also deutlich mehr Tempo beim Ausbau von Ladeinfrastruktur“, so der Bundesverkehrsminister.
Voraussetzungen für einen Massenmarkt schaffenNach Einschätzung der Bundesregierung hat die E-Mobilität die Markteinführungsphase mittlerweile aber bereits hinter sich gelassen und befindet sich nun in einem breiten und dynamischen Markthochlauf. Dies lasse sich an den aktuell mehr als 1,5
Mio. in Deutschland zugelassenen Elektro-Pkw und den steigenden Neuzulassungen ablesen. Um die Voraussetzungen für die Entwicklung eines Massenmarkts zu schaffen, will die Bundesregierung zum einen „entscheidende neue Weichenstellungen“ im Bereich der Ladeinfrastruktur vornehmen und die „optimale Integration der E-Mobilität in das Stromsystem“ vorantreiben.
Im Masterplan ist die Rede von einer „flächendeckenden, bedarfsgerechten und nutzerfreundlichen Ladeinfrastruktur“. Um diese zu gewährleisten, sind 62 neue regulatorische und investive Maßnahmen vorgesehen. Diese reichen von der Gründung einer interministeriellen Steuerungsgruppe über ein neues Förderkonzept und die mögliche Bereitstellung von Flächen bis hin zur Berücksichtigung des Ladeinfrastrukturausbaus in der Roadmap Digitalisierung. Letztere soll 2023 vorliegen. Gleichzeitig soll die Attraktivität von Geschäftsmodellen rund um die Ladeinfrastruktur gesteigert werden, um mehr Investitionen der Privatwirtschaft zu mobilisieren.
Darüber hinaus verspricht das BMDV, das maßgeblich an der Erstellung des Masterplans beteiligt war, an der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, der Digitalisierung des Ladeerlebnisses und an „vielen weiteren Herausforderungen“ werde „mit Hochdruck“ gearbeitet.
Am 8. Juli hat das Bundesverkehrsministerium den Masterplan Ladeinfrastruktur II veröffentlicht. Den ersten Masterplan hatte die Bundesregierung im November 2019 vorgelegt. Damals kündigte noch Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) unter anderem an, bis 2023 sollten mehr als 3 Mrd. Euro in die Tank- und Ladeinfrastruktur für Pkw und Lkw mit CO2-freien Antrieben investiert werden. Private Lademöglichkeiten sollten mit 50 Mio. Euro gefördert werden. Er kündigte auch die Einrichtung einer nationalen Leitstelle an, um den Aufbau der Ladeinfrastruktur zu koordinieren.
Die zweite Auflage des Masterplans umfasst nun 62 Ziele beziehungsweise Maßnahmen, für die jeweils eine Umsetzungsfrist und die beteiligten Akteure angegeben sind. Sie reichen von der Einrichtung einer interministeriellen Steuerungsgruppe über die Erstellung eines Monitoring-Konzepts bis Ende 2022 und die Bereitstellung dynamischer Daten für Navigationssysteme (bis Q2/2023) bis hin zur Überarbeitung des Umsatzsteuerrechts für den Betrieb von Ladeinfrastruktur (möglichst bis Q2/2023).
Der als „1. Regierungsentwurf“ bezeichnete Masterplan wurde an „relevante Akteure“ übermittelt, heißt es aus dem BMDV. Zum Empfängerkreis gehören dem Ministerium zufolge Länder, Kommunen, Verbände und Unternehmen der Privatwirtschaft. Mit ihnen sollen die Maßnahmen und nächsten Schritte diskutiert werden.
Angesichts der kritischen Situation hat das Bundesverkehrsministerium Mitte Juli noch ein „Sofortprogramm zur Einhaltung der Klimaziele im Verkehrssektor“ veröffentlicht. Dazu gehören neben dem Ausbau der Ladeinfrastruktur auch eine „Ausbauoffensive Radverkehr“ und eine „Ausbau- und Qualitätsoffensive“ für den ÖPNV.
Montag, 1.08.2022, 09:15 Uhr
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