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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Zeitenwende für die KWK ?
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Zeitenwende für die KWK ?

Die Kraft-Wärme-Kopplung wird hoch gehandelt als Back-up-Sicherung eines schnellen Erneuerbaren-Hochlaufs. Zugleich war sie aufgrund des Brennstoffs Gas noch nie so umstritten. 
„Mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz, eine klimafreundliche Industrie“ − das ist es, worauf man hinarbeite, um Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze auch in Zukunft zu sichern, beschrieb Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Ziele der Bundesregierung, als er Anfang März einen „Werkstattbericht“ zum klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft vorlegte. Bei der Vorstellung des Berichts sagte Habeck, er sehe „gute Fortschritte bei der Erneuerung der Energieversorgung und der Erneuerung der industriellen Wertschöpfung“. Der Fokus des BMWK liegt dabei klar auf dem Ausbau von Erneuerbaren-Kapazitäten. 

Weniger Klarheit hingegen gibt es bei der Frage, wo die dafür dringend benötigte gesicherte Leistung in Zukunft herkommen soll. Aus diesem Grund sprechen sich sowohl Erneuerbaren-Verbände als auch Vertreter aus der Kraft-Wärme-Kopplungsbranche dafür aus, diesem Thema endlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen − und damit auch der KWK-Technologie als solcher. KWK-Anlagen könnten als Lückenschließer heute schon flexibel zugeschaltet werden, wenn Wind und Sonne nicht genug Energie liefern, so die Argumentation der KWK-Branche. Diese gesicherte Leistung müsse allerdings zügig ausgebaut werden. 

Das Bundeswirtschaftsministerium „geht aktuell von einem Zubaubedarf von 17 bis 21 Gigawatt aus, um die Residuallast in einem künftigen erneuerbaren Stromsystem zu decken“, sagt Claus-Heinrich Stahl, Präsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK) auf Nachfrage von E&M. 

Mit dieser gesicherten Leistung, sprich neuen Kraftwerken, soll der Anteil der Nachfrage im Jahr 2030 abgedeckt werden, der nicht durch Erneuerbare bestritten wird. Bei einem geschätzten Verbrauch von 750 Milliarden kWh seitens des BMWK sollten etwa 20 Prozent oder rund 150 Milliarden kWh noch aus konventionellen Kraftwerken stammen. Diese Lücke sollen möglichst Gaskraftwerke füllen, die auch wasserstofffähig sind. Mit der Kohle soll 2030 endgültig Schluss sein. Mit dem Plan werde sich die installierte Gaskraftwerksleistung im Strommarkt von derzeit laut Bundesnetzagentur knapp 30 GW fast verdoppeln, wobei die Wasserstofffähigkeit sicherstellen soll, dass Deutschland den Weg zur Klimaneutralität bis 2045 beschreitet.

Wie und wo diese Kraftwerke allerdings gebaut werden, wird in diesem Jahr wohl noch für viele kontroverse Debatten sorgen. Robert Habeck ist zwar klar, dass Deutschland schnell „große Back-up-Kapazitäten“ braucht. Dafür hat er eine „Kraftwerksstrategie“ angekündigt, die derzeit erarbeitet wird. Der B.KWK sowie der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) plädieren hier allerdings klar für eine dezentrale Lösung − und sprechen sich gegen große Gaskraftwerke „auf der grünen Wiese“ aus. 

Verbänden plädieren für dezentrale Back-up-Struktur

BEE-Präsidentin Simone Peter warnt beim Thema Kraftwerksstrategie vor unüberlegten Schritten. Denn hier bestünde die Gefahr eines fossilen Lock-in. „Die Entfesselung der Erneuerbaren-Erzeugung aus Wind- und Sonnenkraft erfordert ein flexibles, grünes und dezentrales Back-up. Dafür sind die über 9.000 Bioenergieanlagen, die 7.500 Wasserkraft- und die grünen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen perfekt geeignet. Für diese flexible Erzeugung braucht es eine passende Finanzierungsstrategie, die einen Betrieb von nur wenigen Stunden absichert. An manchen Standorten wird man die Bereitstellungsleistung nur 100 Stunden im Jahr brauchen“, so Peter. „Großkraftwerke passen hingegen nicht in dieses dezentrale System, wir lehnen den Neubau von Erdgaskraftwerken daher deutlich ab.“

Auch der B.KWK spricht sich für eine dezentrale Back-up-Struktur aus. Mit dezentralen KWK-Anlagen könne das Stromnetz entlastet werden, vor allem wenn künftig immer mehr Wärmepumpen im Wärmesektor betrieben werden. KWK-Anlagen würden dann systembedingt dort stehen, wo auch die Lastschwerpunkte sind. Der Transport volatiler Residualstrommengen über weite Entfernungen entfalle damit. 

Neben einer neuen Kraftwerksstrategie will die Bundesregierung bis Sommer auch beim Thema Strommarktdesign weiterkommen. Damit sollen Weichen in den nächsten Monaten für ein künftig klimaneutrales Energiesystem gestellt werden. Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sollen bis zum Sommer im Rahmen der „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ (PKNS) ein Marktdesign für ein erneuerbares Stromsystem diskutieren und so entwerfen, dass es in Gesetze überführt werden kann. Strom muss weiter sicher und bezahlbar bleiben, auch wenn er bis 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse kommt, so Habeck.

Um die Menge an gesicherter Leistung auch aufbauen zu können, brauche es aber mehr Anreize. Dafür sei gerade bei der KWK wesentlich, so B.KWK-Präsident Stahl, die „Ausschreibungsmengen deutlich zu erhöhen und seitens der Bundesregierung einen stabilen Rechtsrahmen zu schaffen. „Dazu gehört dringend die anstehende Evaluierung des KWKG“, sagt Stahl. „Die bisherige Bedingung der wärmegeführten Betriebsweise muss gestrichen werden. In Zukunft müssen KWK-Anlagen strommarktgeführt beziehungsweise stromnetzdienlich gefahren werden, um ihre Funktion zur Residuallastdeckung erfüllen zu können.“

Rückendeckung für die KWK kam indes nicht vom BMWK, sondern vom Bundesbauministerium. „Brennstoffbetriebene KWK-Anlagen werden auch zukünftig eine wichtige Rolle im Energiesystem einnehmen, vor allem wenn sie CO2-arme Brennstoffe einsetzen“, betonte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), als sie kürzlich dem BHWK-Hersteller 2G Energy aus Heek einen Besuch abstattete. Als Bundesbauministerin setze sie sich dafür ein, dass es „unter geänderten Rahmenbedingungen weiterhin Perspektiven für den Einsatz von dezentralen KWK-Anlagen im Gebäudebereich gibt“. 

Sowohl das Unternehmen 2G als auch der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) wollten mit dem Besuch nochmals auf die Bedeutung der KWK-Technik hinweisen. Um die Energiewende zu beschleunigen, stünden in diesem Jahr mehrere Herkulesaufgaben auf der Agenda der Bundesregierung, so der LEE: Neben dem neuen Strommarktdesign und der zukünftigen Kraftwerksstrategie stehe unter anderem die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) an. „Dabei sollen zum einen die Leitplanken so gesetzt werden, dass Ende dieser Dekade mindestens 80 Prozent des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden können. Damit die Stromversorgung auch künftig sicher und stabil läuft, arbeitet die Bundesrepublik parallel konzeptionell an dem dann noch notwendigen Kraftwerkspark auf Gasbasis.“

Auch für den Erneuerbaren-Verband sei „klar, dass bei diesem Umbauprozess die Technik der Kraft-Wärme-Kopplung eine unverzichtbare Rolle spielt“, erklärte dessen Geschäftsführer Christian Mildenberger. „KWK-Anlagen sind auf lokaler Ebene ein wichtiges Back-up für die Energieversorgungssicherheit und werden mit der sukzessiven Umstellung vom Brennstoff Gas auf grünen Wasserstoff zu einem Rückgrat − egal ob in Industrie, Quartiersversorgung oder der Umsetzung der kommunalen Wärmewende.“

 
Claus-Heinrich Stahl
Quelle: B.KWK
 

„Dieses Jahr wird für uns ein kämpferisches“

Claus-Heinrich Stahl, Präsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK) spricht im E&M-Gespräch darüber, wie sich die Gaskrise auf die KWK ausgewirkt hat und was er in diesem Jahr erwartet.

E&M: Herr Stahl, das vergangene Jahr war von massiven Verwerfungen an den Energiemärkten geprägt. Aber KWK-Betreiber haben auch von der Einspeisevergütung von KWK-Anlagen (üblicher Preis) profitiert. Welches Resümee zieht der B.KWK zum Jahr 2022? 

Stahl: Tatsächlich markiert das letzte Jahr eine Zeitenwende. Beinahe hätte der wenig diversifizierte Bezug von günstigem fossilem Gas aus Russland in einer Katastrophe geendet. Das konsequente Befüllen der Gasspeicher durch den zusätzlichen Einkauf von LNG sowie von Gas aus Norwegen und Holland haben zusammen mit dem milden Winter das Schlimmste verhindert und trotz anfänglicher Skepsis zu einer sicheren Gasversorgung geführt. Auf die Gas-KWK wirkte sich der russische Angriffskrieg daher nicht ganz eindeutig aus. Zwar stieg der Börsenpreis für Strom und somit auch der übliche Preis für KWK-Anlagen. Aber davon auszugehen, dass der Ukraine-Krieg Goldgräberstimmung unter den KWK-Anlagenbetreibern ausgelöst hätte, ist falsch. Denn viele Gas-KWK-Anlagen wurden zur Residuallastdeckung eingesetzt. Sie konnten nicht in beliebigem Umfang Strom und Wärme produzieren und gelangten so in die Nähe der Unrentabilität. Denn mit den Gaspreisen stiegen auch die Erzeugungskosten für Strom und Wärme aus diesen Anlagen.

E&M: Als Konsequenz sollen die Erneuerbaren viel zügiger und konsequenter ausgebaut werden. Dafür braucht es ein neues Strommarktdesign. Die ‚Diskussionsplattform Klimaneutrales Strommarktdesign‘ (PKNS) ist dafür gestartet. Gibt es Erwartungen oder Befürchtungen?

Stahl: Sowohl als auch. Wir hoffen, dass mit der Plattform Klimaneutrales Strommarktdesign eine Möglichkeit gefunden wurde, die überfällige Neustrukturierung des Strommarkts zu vollziehen. Wir befürchten aber auch, dass durch die fehlende Einbeziehung relevanter Akteure − beispielsweise der Bioenergieverbände, aber auch uns als B.KWK − Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden. Es versteht sich von selbst, dass mit dem umfangreichen Ausbau von Wind- und Sonnenenergie auch das Stromnetz angepasst werden muss, das mit erneuerbarem Strom für eine sichere Energieversorgung der Menschen, der mittelständischen Wirtschaft und der Industrie sorgt. Genau deshalb muss ein breites Spektrum an Stakeholdern in den Diskussionsprozess einbezogen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass in einem Strommarkt, der durch viele und neue Akteure beziehungsweise eine Vielzahl unterschiedlicher Stromerzeugungsanlagen gekennzeichnet ist − Stichwort Prosumer, Bürgerenergiegenossenschaften, dezentrale KWK ... –, Gelegenheiten vertan werden.

E&M: Bei der PKNS ist auch die Spitzenlastabdeckung Thema. Der B.KWK mahnt schon länger, dass die KWK hier eine wesentliche Rolle spielen muss und kann. Welche Weichen sollten auf jeden Fall für die KWK gestellt werden? 

Stahl: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz rechnet selbst mit einem Zubau von 17 bis 21 Gigawatt, um die Residuallast im zukünftigen erneuerbaren Stromsystem zu decken. Zu dieser Kraftwerksleistung zählt auch Kraft-Wärm-Kopplung. Insofern gehen wir von entsprechenden Normen aus, die dieses Ziel ermöglichen. Zu solchen Regelungen könnte zählen, dass die Ausschreibungsvolumen im KWKG und EEG für regelbare Gas-KWK erhöht werden oder − im Falle des KWKG − die Grenze für die Pflicht zur Ausschreibung angehoben wird. Solche Maßnahmen würden den Zubau dringend benötigter Gas-KWK als dezentrale Erzeuger in den Lastsenken beschleunigen und zukünftig für verstärkte Investitionen in CO2-neutrale Kraftwerksleistung zur Residuallastdeckung durch Kraft-Wärme-Kopplung sorgen.

E&M: Wärmepumpen, Solaranlagen plus KWK-Technik. Einige Stadtwerke kombinieren bereits heute die Technologien sinnvoll miteinander − auch außerhalb der iKWK. Werden wir solche Projekte künftig häufiger sehen? 

Stahl: Mit Sicherheit. Denn die Kombination aus verschiedenen Technologien sorgt für einen strommarktdienlichen wie wirtschaftlichen Betrieb von dezentralen Strom- und Wärmeerzeugungssystemen mit großen Wärmespeichern. Sind die Strompreise niedrig, kann in einer beispielhaften Kombination aus KWK-Anlage, Wärmepumpe und Pufferspeicher die Wärmepumpe als Wärmeerzeuger dienen. Sind Strombedarf und Strompreis hoch, erzeugt das BHKW strommarktgeführt im Flexbetrieb den Strom und nebenbei die Nutzwärme. Besteht in diesem Moment kein Wärmebedarf, sorgt der Pufferspeicher dafür, dass die Wärme gespeichert und in Zeiten der Anforderung wieder ins Wärmenetz abgegeben wird.

E&M: Kann man schon einen Ausblick für 2023 geben?

Stahl: Dieses Jahr wird weiterhin im Zeichen der Dekarbonisierung unserer Strom- und Wärmeversorgung stehen. Patrick Graichen, Staatssekretär im BMWK, hatte bereits angekündigt, dass sein Haus auch in diesem Jahr das Ministerium sein will, das die meisten Gesetzesvorhaben anstoßen wird. Für uns als B.KWK, aber auch für die anderen energiewirtschaftlichen Verbände kann das nur bedeuteten, weiterhin wachsam zu bleiben, und wo immer es geht, Hilfe für das Erreichen einer klimaneutralen Strom- und Wärmeversorgung anzubieten. Ich denke dabei zum Beispiel an die Biomasse- und an die Kraftwerksstrategie, die sich gerade in entsprechenden Stakeholderprozessen befinden, aber auch an die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Diese Gesetzesvorhaben beziehungsweise Strategien müssen wir begleiten und den Ministerien, den Politikerinnen und Politikern vermitteln, dass Gaskraftwerke mit kombinierter Strom- und Wärmeerzeugung allein aus Gründen der Ressourceneffizienz elementarer Bestandteil der zukünftigen dekarbonisierten Energieversorgung sein müssen. Das werden wir auch im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen tun, auf die wir für Ressourceneffizienz durch Kraft-Wärme-Kopplung werben − zum Beispiel auf dem B.KWK-Kongress oder auf der Anwenderkonferenz Biomassevergasung sowie auf zahlreichen weiteren Events, die wir nicht selbst durchführen. Dementsprechend wird auch dieses Jahr für uns ein kämpferisches. Wir werden uns auch 2023 weiter dafür einsetzen, dass neue Gaskraftwerke über einen Gesamtwirkungsgrad von mindestens 80 Prozent verfügen sollten sowie über die Fähigkeit, auf einen 100-prozentigen Wasserstoffbetrieb um- oder nachgerüstet werden zu können, wenn dieser Brennstoff in Zukunft zur Verfügung steht.
 

Mittwoch, 26.04.2023, 09:06 Uhr
Heidi Roider
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Zeitenwende für die KWK ?
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Zeitenwende für die KWK ?
Die Kraft-Wärme-Kopplung wird hoch gehandelt als Back-up-Sicherung eines schnellen Erneuerbaren-Hochlaufs. Zugleich war sie aufgrund des Brennstoffs Gas noch nie so umstritten. 
„Mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz, eine klimafreundliche Industrie“ − das ist es, worauf man hinarbeite, um Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze auch in Zukunft zu sichern, beschrieb Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Ziele der Bundesregierung, als er Anfang März einen „Werkstattbericht“ zum klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft vorlegte. Bei der Vorstellung des Berichts sagte Habeck, er sehe „gute Fortschritte bei der Erneuerung der Energieversorgung und der Erneuerung der industriellen Wertschöpfung“. Der Fokus des BMWK liegt dabei klar auf dem Ausbau von Erneuerbaren-Kapazitäten. 

Weniger Klarheit hingegen gibt es bei der Frage, wo die dafür dringend benötigte gesicherte Leistung in Zukunft herkommen soll. Aus diesem Grund sprechen sich sowohl Erneuerbaren-Verbände als auch Vertreter aus der Kraft-Wärme-Kopplungsbranche dafür aus, diesem Thema endlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen − und damit auch der KWK-Technologie als solcher. KWK-Anlagen könnten als Lückenschließer heute schon flexibel zugeschaltet werden, wenn Wind und Sonne nicht genug Energie liefern, so die Argumentation der KWK-Branche. Diese gesicherte Leistung müsse allerdings zügig ausgebaut werden. 

Das Bundeswirtschaftsministerium „geht aktuell von einem Zubaubedarf von 17 bis 21 Gigawatt aus, um die Residuallast in einem künftigen erneuerbaren Stromsystem zu decken“, sagt Claus-Heinrich Stahl, Präsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK) auf Nachfrage von E&M. 

Mit dieser gesicherten Leistung, sprich neuen Kraftwerken, soll der Anteil der Nachfrage im Jahr 2030 abgedeckt werden, der nicht durch Erneuerbare bestritten wird. Bei einem geschätzten Verbrauch von 750 Milliarden kWh seitens des BMWK sollten etwa 20 Prozent oder rund 150 Milliarden kWh noch aus konventionellen Kraftwerken stammen. Diese Lücke sollen möglichst Gaskraftwerke füllen, die auch wasserstofffähig sind. Mit der Kohle soll 2030 endgültig Schluss sein. Mit dem Plan werde sich die installierte Gaskraftwerksleistung im Strommarkt von derzeit laut Bundesnetzagentur knapp 30 GW fast verdoppeln, wobei die Wasserstofffähigkeit sicherstellen soll, dass Deutschland den Weg zur Klimaneutralität bis 2045 beschreitet.

Wie und wo diese Kraftwerke allerdings gebaut werden, wird in diesem Jahr wohl noch für viele kontroverse Debatten sorgen. Robert Habeck ist zwar klar, dass Deutschland schnell „große Back-up-Kapazitäten“ braucht. Dafür hat er eine „Kraftwerksstrategie“ angekündigt, die derzeit erarbeitet wird. Der B.KWK sowie der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) plädieren hier allerdings klar für eine dezentrale Lösung − und sprechen sich gegen große Gaskraftwerke „auf der grünen Wiese“ aus. 

Verbänden plädieren für dezentrale Back-up-Struktur

BEE-Präsidentin Simone Peter warnt beim Thema Kraftwerksstrategie vor unüberlegten Schritten. Denn hier bestünde die Gefahr eines fossilen Lock-in. „Die Entfesselung der Erneuerbaren-Erzeugung aus Wind- und Sonnenkraft erfordert ein flexibles, grünes und dezentrales Back-up. Dafür sind die über 9.000 Bioenergieanlagen, die 7.500 Wasserkraft- und die grünen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen perfekt geeignet. Für diese flexible Erzeugung braucht es eine passende Finanzierungsstrategie, die einen Betrieb von nur wenigen Stunden absichert. An manchen Standorten wird man die Bereitstellungsleistung nur 100 Stunden im Jahr brauchen“, so Peter. „Großkraftwerke passen hingegen nicht in dieses dezentrale System, wir lehnen den Neubau von Erdgaskraftwerken daher deutlich ab.“

Auch der B.KWK spricht sich für eine dezentrale Back-up-Struktur aus. Mit dezentralen KWK-Anlagen könne das Stromnetz entlastet werden, vor allem wenn künftig immer mehr Wärmepumpen im Wärmesektor betrieben werden. KWK-Anlagen würden dann systembedingt dort stehen, wo auch die Lastschwerpunkte sind. Der Transport volatiler Residualstrommengen über weite Entfernungen entfalle damit. 

Neben einer neuen Kraftwerksstrategie will die Bundesregierung bis Sommer auch beim Thema Strommarktdesign weiterkommen. Damit sollen Weichen in den nächsten Monaten für ein künftig klimaneutrales Energiesystem gestellt werden. Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sollen bis zum Sommer im Rahmen der „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ (PKNS) ein Marktdesign für ein erneuerbares Stromsystem diskutieren und so entwerfen, dass es in Gesetze überführt werden kann. Strom muss weiter sicher und bezahlbar bleiben, auch wenn er bis 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse kommt, so Habeck.

Um die Menge an gesicherter Leistung auch aufbauen zu können, brauche es aber mehr Anreize. Dafür sei gerade bei der KWK wesentlich, so B.KWK-Präsident Stahl, die „Ausschreibungsmengen deutlich zu erhöhen und seitens der Bundesregierung einen stabilen Rechtsrahmen zu schaffen. „Dazu gehört dringend die anstehende Evaluierung des KWKG“, sagt Stahl. „Die bisherige Bedingung der wärmegeführten Betriebsweise muss gestrichen werden. In Zukunft müssen KWK-Anlagen strommarktgeführt beziehungsweise stromnetzdienlich gefahren werden, um ihre Funktion zur Residuallastdeckung erfüllen zu können.“

Rückendeckung für die KWK kam indes nicht vom BMWK, sondern vom Bundesbauministerium. „Brennstoffbetriebene KWK-Anlagen werden auch zukünftig eine wichtige Rolle im Energiesystem einnehmen, vor allem wenn sie CO2-arme Brennstoffe einsetzen“, betonte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), als sie kürzlich dem BHWK-Hersteller 2G Energy aus Heek einen Besuch abstattete. Als Bundesbauministerin setze sie sich dafür ein, dass es „unter geänderten Rahmenbedingungen weiterhin Perspektiven für den Einsatz von dezentralen KWK-Anlagen im Gebäudebereich gibt“. 

Sowohl das Unternehmen 2G als auch der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) wollten mit dem Besuch nochmals auf die Bedeutung der KWK-Technik hinweisen. Um die Energiewende zu beschleunigen, stünden in diesem Jahr mehrere Herkulesaufgaben auf der Agenda der Bundesregierung, so der LEE: Neben dem neuen Strommarktdesign und der zukünftigen Kraftwerksstrategie stehe unter anderem die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) an. „Dabei sollen zum einen die Leitplanken so gesetzt werden, dass Ende dieser Dekade mindestens 80 Prozent des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden können. Damit die Stromversorgung auch künftig sicher und stabil läuft, arbeitet die Bundesrepublik parallel konzeptionell an dem dann noch notwendigen Kraftwerkspark auf Gasbasis.“

Auch für den Erneuerbaren-Verband sei „klar, dass bei diesem Umbauprozess die Technik der Kraft-Wärme-Kopplung eine unverzichtbare Rolle spielt“, erklärte dessen Geschäftsführer Christian Mildenberger. „KWK-Anlagen sind auf lokaler Ebene ein wichtiges Back-up für die Energieversorgungssicherheit und werden mit der sukzessiven Umstellung vom Brennstoff Gas auf grünen Wasserstoff zu einem Rückgrat − egal ob in Industrie, Quartiersversorgung oder der Umsetzung der kommunalen Wärmewende.“

 
Claus-Heinrich Stahl
Quelle: B.KWK
 

„Dieses Jahr wird für uns ein kämpferisches“

Claus-Heinrich Stahl, Präsident des Bundesverbands Kraft-Wärme-Kopplung (B.KWK) spricht im E&M-Gespräch darüber, wie sich die Gaskrise auf die KWK ausgewirkt hat und was er in diesem Jahr erwartet.

E&M: Herr Stahl, das vergangene Jahr war von massiven Verwerfungen an den Energiemärkten geprägt. Aber KWK-Betreiber haben auch von der Einspeisevergütung von KWK-Anlagen (üblicher Preis) profitiert. Welches Resümee zieht der B.KWK zum Jahr 2022? 

Stahl: Tatsächlich markiert das letzte Jahr eine Zeitenwende. Beinahe hätte der wenig diversifizierte Bezug von günstigem fossilem Gas aus Russland in einer Katastrophe geendet. Das konsequente Befüllen der Gasspeicher durch den zusätzlichen Einkauf von LNG sowie von Gas aus Norwegen und Holland haben zusammen mit dem milden Winter das Schlimmste verhindert und trotz anfänglicher Skepsis zu einer sicheren Gasversorgung geführt. Auf die Gas-KWK wirkte sich der russische Angriffskrieg daher nicht ganz eindeutig aus. Zwar stieg der Börsenpreis für Strom und somit auch der übliche Preis für KWK-Anlagen. Aber davon auszugehen, dass der Ukraine-Krieg Goldgräberstimmung unter den KWK-Anlagenbetreibern ausgelöst hätte, ist falsch. Denn viele Gas-KWK-Anlagen wurden zur Residuallastdeckung eingesetzt. Sie konnten nicht in beliebigem Umfang Strom und Wärme produzieren und gelangten so in die Nähe der Unrentabilität. Denn mit den Gaspreisen stiegen auch die Erzeugungskosten für Strom und Wärme aus diesen Anlagen.

E&M: Als Konsequenz sollen die Erneuerbaren viel zügiger und konsequenter ausgebaut werden. Dafür braucht es ein neues Strommarktdesign. Die ‚Diskussionsplattform Klimaneutrales Strommarktdesign‘ (PKNS) ist dafür gestartet. Gibt es Erwartungen oder Befürchtungen?

Stahl: Sowohl als auch. Wir hoffen, dass mit der Plattform Klimaneutrales Strommarktdesign eine Möglichkeit gefunden wurde, die überfällige Neustrukturierung des Strommarkts zu vollziehen. Wir befürchten aber auch, dass durch die fehlende Einbeziehung relevanter Akteure − beispielsweise der Bioenergieverbände, aber auch uns als B.KWK − Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden. Es versteht sich von selbst, dass mit dem umfangreichen Ausbau von Wind- und Sonnenenergie auch das Stromnetz angepasst werden muss, das mit erneuerbarem Strom für eine sichere Energieversorgung der Menschen, der mittelständischen Wirtschaft und der Industrie sorgt. Genau deshalb muss ein breites Spektrum an Stakeholdern in den Diskussionsprozess einbezogen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass in einem Strommarkt, der durch viele und neue Akteure beziehungsweise eine Vielzahl unterschiedlicher Stromerzeugungsanlagen gekennzeichnet ist − Stichwort Prosumer, Bürgerenergiegenossenschaften, dezentrale KWK ... –, Gelegenheiten vertan werden.

E&M: Bei der PKNS ist auch die Spitzenlastabdeckung Thema. Der B.KWK mahnt schon länger, dass die KWK hier eine wesentliche Rolle spielen muss und kann. Welche Weichen sollten auf jeden Fall für die KWK gestellt werden? 

Stahl: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz rechnet selbst mit einem Zubau von 17 bis 21 Gigawatt, um die Residuallast im zukünftigen erneuerbaren Stromsystem zu decken. Zu dieser Kraftwerksleistung zählt auch Kraft-Wärm-Kopplung. Insofern gehen wir von entsprechenden Normen aus, die dieses Ziel ermöglichen. Zu solchen Regelungen könnte zählen, dass die Ausschreibungsvolumen im KWKG und EEG für regelbare Gas-KWK erhöht werden oder − im Falle des KWKG − die Grenze für die Pflicht zur Ausschreibung angehoben wird. Solche Maßnahmen würden den Zubau dringend benötigter Gas-KWK als dezentrale Erzeuger in den Lastsenken beschleunigen und zukünftig für verstärkte Investitionen in CO2-neutrale Kraftwerksleistung zur Residuallastdeckung durch Kraft-Wärme-Kopplung sorgen.

E&M: Wärmepumpen, Solaranlagen plus KWK-Technik. Einige Stadtwerke kombinieren bereits heute die Technologien sinnvoll miteinander − auch außerhalb der iKWK. Werden wir solche Projekte künftig häufiger sehen? 

Stahl: Mit Sicherheit. Denn die Kombination aus verschiedenen Technologien sorgt für einen strommarktdienlichen wie wirtschaftlichen Betrieb von dezentralen Strom- und Wärmeerzeugungssystemen mit großen Wärmespeichern. Sind die Strompreise niedrig, kann in einer beispielhaften Kombination aus KWK-Anlage, Wärmepumpe und Pufferspeicher die Wärmepumpe als Wärmeerzeuger dienen. Sind Strombedarf und Strompreis hoch, erzeugt das BHKW strommarktgeführt im Flexbetrieb den Strom und nebenbei die Nutzwärme. Besteht in diesem Moment kein Wärmebedarf, sorgt der Pufferspeicher dafür, dass die Wärme gespeichert und in Zeiten der Anforderung wieder ins Wärmenetz abgegeben wird.

E&M: Kann man schon einen Ausblick für 2023 geben?

Stahl: Dieses Jahr wird weiterhin im Zeichen der Dekarbonisierung unserer Strom- und Wärmeversorgung stehen. Patrick Graichen, Staatssekretär im BMWK, hatte bereits angekündigt, dass sein Haus auch in diesem Jahr das Ministerium sein will, das die meisten Gesetzesvorhaben anstoßen wird. Für uns als B.KWK, aber auch für die anderen energiewirtschaftlichen Verbände kann das nur bedeuteten, weiterhin wachsam zu bleiben, und wo immer es geht, Hilfe für das Erreichen einer klimaneutralen Strom- und Wärmeversorgung anzubieten. Ich denke dabei zum Beispiel an die Biomasse- und an die Kraftwerksstrategie, die sich gerade in entsprechenden Stakeholderprozessen befinden, aber auch an die Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Diese Gesetzesvorhaben beziehungsweise Strategien müssen wir begleiten und den Ministerien, den Politikerinnen und Politikern vermitteln, dass Gaskraftwerke mit kombinierter Strom- und Wärmeerzeugung allein aus Gründen der Ressourceneffizienz elementarer Bestandteil der zukünftigen dekarbonisierten Energieversorgung sein müssen. Das werden wir auch im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen tun, auf die wir für Ressourceneffizienz durch Kraft-Wärme-Kopplung werben − zum Beispiel auf dem B.KWK-Kongress oder auf der Anwenderkonferenz Biomassevergasung sowie auf zahlreichen weiteren Events, die wir nicht selbst durchführen. Dementsprechend wird auch dieses Jahr für uns ein kämpferisches. Wir werden uns auch 2023 weiter dafür einsetzen, dass neue Gaskraftwerke über einen Gesamtwirkungsgrad von mindestens 80 Prozent verfügen sollten sowie über die Fähigkeit, auf einen 100-prozentigen Wasserstoffbetrieb um- oder nachgerüstet werden zu können, wenn dieser Brennstoff in Zukunft zur Verfügung steht.
 

Mittwoch, 26.04.2023, 09:06 Uhr
Heidi Roider

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