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Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

"Ich biete an, dass sich Kiel als Reallabor zur Verfügung stellt"

Eine Umrüstung des Heizkraftwerks der Stadtwerke Kiel auf Wasserstoff ist geplant. Der Rahmen ist jedoch alles andere als gut, sagen Jörg Teupen (Stadtwerke) und Carl Richers (Innio).
E&M: Herr Teupen, die Planungen für das Küstenkraftwerk begannen vor etwas mehr als zehn Jahren. War damals eine spätere Umstellung auf Wasserstoff schon Thema?

Jörg Teupen: Bei der Ausschreibung der Anlagen haben wir uns noch keine Gedanken über Wasserstoff gemacht. Unser primäres Ziel war, die Kohle durch Erdgas abzulösen, schließlich haben wir in Deutschland den Kohleausstieg vor Augen. Es ging deshalb um eine Brückentechnologie. Jetzt wissen wir alle hierzulande, dass die Brücke kürzer ist als erwartet. Gleichzeitig sehen wir, dass die nationalen Klimaziele vor allem im Verkehrs- und Gebäudesektor nicht zu erreichen sind, wenn wir weitermachen wie bisher. Wir als Stadtwerke Kiel haben deshalb unser Ziel, bei der Strom- und Wärmeerzeugung klimaneutral zu werden, von 2040 um fünf Jahre nach vorne gezogen. Wenn wir das Küstenkraftwerk auf grünen Wasserstoff umstellen und die anderen Maßnahmen unserer Klimaneutralitätsstrategie umsetzen, schaffen wir das auch bis 2035.
 
Jörg Teupen, Vorstand Technik und Personal der Stadtwerke Kiel
Quelle: Stadtwerke Kiel

E&M: Gibt es Anlass, die tatsächliche Umstellung doch noch in Frage zu stellen? In ihrer Kommunikation in den letzten Wochen haben Sie sehr entschlossen gewirkt.
 
Instrumente zum Ausgleich von Preisdifferenzen notwendig
 
Teupen: Die Bundesregierung muss schnell die richtigen Weichen für die Wasserstoffversorgung stellen. In welchem Umfang und in welcher Weise wird künftig Wasserstoff importiert? Wie lässt sich eine Wasserstoffproduktion hierzulande aufbauen? Das sind Fragen, auf die die Politik noch konkrete Antworten schuldig ist. Wir als mittelgroßes Stadtwerk können ja beispielsweise nicht selbst mit anderen Staaten oder großen Wasserstoffproduzenten im Ausland Importabkommen schließen. Wir werden auf Importeure, wie wir sie jetzt auch beim Erdgas haben, angewiesen sein.

E&M: Aber Sie könnten möglicherweise in eigene Erzeugungskapazitäten investieren. Windstrom hätten Sie ja genug im Netz und auch Platz dafür.

Teupen: Wir könnten auf der Fläche des ehemaligen Kohlekraftwerks, das jetzt zurückgebaut wird, Elektrolyseure errichten, das stimmt. Es gibt derzeit aber keine klaren Rahmen- und vor allem Förderbedingungen, sodass wir das unternehmerische Risiko, das der Aufbau eigener Kapazitäten mit sich bringt, im Moment noch nicht eingehen können.

E&M: Was müsste dafür geschehen?

Teupen: Für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland − ich biete an, dass sich Kiel hier als Reallabor zur Verfügung stellt − brauchen wir vor allem Instrumente, mit denen man Preisdifferenzen zwischen Wasserstoff und Erdgas ausgleichen kann, um den Fernwärmepreis stabil halten zu können. Contracts for Difference wären beispielsweise ein solches Instrument, mit dem der Staat diejenigen unterstützen könnte, die frühzeitig auf Wasserstoff setzen. Dafür gibt es aber noch keinen rechtlichen Rahmen.

E&M: Import von Wasserstoff oder eigene Erzeugung − haben Sie eine grundsätzliche Präferenz?

Teupen: Wir denken in alle Richtungen. Es geht aber letztendlich um eine sichere und bezahlbare Versorgung mit grünem Wasserstoff. Diese muss auf jeden Fall gewährleistet sein. Denn wir können den Bürgerinnen und Bürgern bei der Wärmeversorgung keine Unsicherheiten zumuten.

E&M: Herr Richers, ist der Wasserstoffeinsatz im Küstenkraftwerk alternativlos?
 
Carl Richers, Vice President Product Management und Marketing Innio Jenbacher GmbH
Quelle: Innio

Richers: Ich würde nicht sagen, alternativlos. Es gibt ja noch grundsätzlich die Option, erneuerbare, biogene Gase zu nutzen − sprich Biomethan − oder etwa E-Fuels beziehungsweise synthetisches Methan. Dieses hat aber den Nachteil, dass sein Molekül Kohlenstoff enthält, den man dann aus der Luft filtern müsste. Das ist sehr energieaufwändig. Deshalb halte ich diese Alternative für wenig zielführend. Gleichzeitig müsste man am Kraftwerk aber keine Umstellungen vornehmen.

E&M: Haben Sie einen Plan B, Herr Teupen?
 
Biomethan keine echte Alternative
 
Teupen: Theoretisch wäre das Biomethan der Plan B. Wobei die Mengen, die wir im Kraftwerk benötigen, wirklich gigantisch sind. Dann wäre das Problem eigentlich nur verlagert. Denn wie sollten wir ausreichend Biomethan bekommen, ohne dass wir den kompletten Biomethanmarkt in Deutschland leerkaufen? Das ist also auch keine echte Alternative.

E&M: Die Stilllegung des Küstenkraftwerks ist auch keine Alternative, oder?
Teupen: Nein. Es sichert ja die Strom- und Wärmeversorgung der Stadt. Trotz des umfangreichen Ausbaus der Erneuerbaren in Deutschland werden wir auch weiterhin gesicherte Leistung während der Dunkelflaute bereitstellen müssen. Aufgrund des jetzigen Technologiestands kann dies in den Mengen, wie wir sie in Deutschland benötigen, nur durch konventionelle Kraftwerke geschehen, die perspektivisch mit grünen Gasen betrieben werden.

E&M: Unter Umständen würden Sie Ihr Klimaneutralitätsziel revidieren?

Teupen: Ich habe den festen Glauben, dass für Anlagen wie das Küstenkraftwerk bis 2035 ausreichend Wasserstoff vorhanden ist, sei es durch eine eigene Produktion, die durch entsprechende Förderbedingungen angereizt wird, oder durch umfangreiche Importe. Das gilt auch für die Industrie, die mehr und mehr grünen Wasserstoff nachfragen wird. Sollten diese Voraussetzungen durch die Bundesregierung nicht erfüllt werden, brauchen wir auch nicht mehr vom nationalen Klimaneutralitätsziel 2045 zu sprechen. Davon kann sich die Politik dann verabschieden.

Richers: Wir müssen uns einfach klarmachen: Wir stehen unter großem Zeitdruck. Es sollen bis 2028 in Summe 4 Gigawatt an Wasserstoffkraftwerken und 4,4 Gigawatt an wasserstoffbasierter Stromspeicherkapazität ausgeschrieben werden. Das ist ein richtiger Schritt. Es gibt aber noch keine Klarheit über die angekündigten Ausschreibungen, die im kommenden Dezember zum ersten Mal durchgeführt werden sollen. Ohne die Verordnung kann aber niemand an den Auktionen teilnehmen. Wir stehen vor einer wachsenden Leistungslücke. Der dezentrale Ausbau flexibler, effizienter Residualleistung muss jetzt gestartet werden. Ich befürchte, dass sonst in letzter Minute Peaker-Turbinen auf der grünen Wiese gebaut werden, nur um schnell Strom erzeugen zu können, ohne darauf zu achten, wo ein Wärmebedarf besteht. Das würde aber bedeuten, dass wertvoller Brennstoff mit einem Gesamtwirkungsgrad von vielleicht 40 Prozent verstromt wird, statt mit 95 Prozent in flexiblen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.
 
Plan der Bundesregierung absolut richtig
 
Teupen: Man muss sich vor Augen halten, dass nach dem Kohleausstieg ja insgesamt 15 bis 25 Gigawatt an Kraftwerksleistung fehlen. Ich wage die These: Wenn diese Kraftwerke bis 2030 nicht vorhanden sind, wird es den Kohleausstieg, wie er in Deutschland geplant ist, nicht geben. Was wäre aber, wenn die Kohlekraftwerksbetreiber, die sich auf den Ausstieg vorbereitet haben, dann schon Personal abgebaut haben? Aus meiner Sicht ist der Plan der Bundesregierung absolut richtig, zunächst auf Gaskraftwerke zu setzen, die hochflexibel sind, und später dann auf Wasserstoff umgestellt werden können. Aber sie muss auch schnell die entsprechenden Anreize setzen, damit die Kapazitätslücke geschlossen wird.

E&M: Wie viel Wasserstoff benötigen Sie für das Küstenkraftwerk?

Richers: Grob kann man sagen, dass 70 Kilogramm Wasserstoff notwendig sind, um 1 Megawattstunde Strom zu erzeugen.

Teupen: Das bedeutet etwa, dass ein Motor, der eine Stunde läuft, ungefähr zwei Trailer, also zwei Lkw-Ladungen Wasserstoff benötigt. Und wir haben 20 Motoren.

Richers: Die Versorgungssicherheit hat noch einen ganz wesentlichen Aspekt. Denn die Umstellung auf Wasserstoff ist im Grunde eine Einbahnstraße. Man kann nicht so einfach zum Gas zurückkehren oder andere Brennstoffe in variierenden Mischungsverhältnissen einsetzen. Man könnte zwar eine Breitbandlösung schaffen, die die Nutzung verschiedener Brennstoffe im Wechsel zulässt. Dann hätten wir jedoch Leistungseinbußen und einen schlechteren Wirkungsgrad. Wir wollen das Kraftwerk aber optimieren − für den Betrieb mit Wasserstoff. Deshalb müssen wir uns dann zu 100 Prozent auf die Wasserstoffversorgung verlassen können.
 
Pipelineanbindung ist wichtig
 
Teupen: Deshalb ist auch eine Pipelineanbindung für uns so wichtig. Unser Zugang zur Deudan, der Ferngasleitung von Dänemark nach Hamburg, wird sicherlich eine wichtige Rolle spielen, wenn der Wasserstoff darin fließt. Sofern wir selbst Wasserstoff erzeugen, ist die Speicherung noch ein ganz wesentliches Thema. Denn bei den Mengen, über die wir sprechen, kann man nicht mit technischen Speichern arbeiten, sondern braucht geologische Speicher. Wir sind aber in der glücklichen Lage, über zwei Erdgaskavernen zu verfügen. Die können wir perspektivisch auf Wasserstoff umstellen.

E&M: Welche Anpassungsmaßnahmen sind bei der Umstellung der Anlage auf Wasserstoff an den Motoren notwendig?

Richers: Es müssen die Gasregelstrecke und Gasventile, über die der Gasdruck und die Gasmengendosierung geregelt werden, getauscht werden. Außerdem müssen Teile wie Kolben, Kolbenringe und Zylinderköpfe getauscht und die Motorsteuerung angepasst werden. Das ist aber technisch alles kein Problem. Wir haben das schon 2020 an einer 1-Megawatt-Anlage in Hamburg demonstriert. Hier in Kiel haben wir mit 190 Megawatt und 20 Motoren allerdings ganz andere Dimensionen.

E&M: Das Kraftwerk mit seinen 20 Motoren ist ja modular aufgebaut. Ist es eine Option, stufenweise umzustellen, vielleicht erst zwei oder drei Motoren, und dann weitere folgen zu lassen?

Teupen: Das kann man machen, aber wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Versorgung mit Wasserstoff gesichert ist, kann man auch den Schalter umlegen und das gesamte Kraftwerk umstellen.

E&M: Was müssen Sie in Kiel außer dem Küstenkraftwerk noch umstellen, um Ihr Klimaneutralitätsziel bis 2035 zu erreichen?
 
Noch zwei Großwärmepumpen geplant
 
Teupen: Das Ziel bezieht sich ja auf die Erzeugung von Strom und Wärme. Wir haben noch vier alte Gasturbinen, die aber planmäßig vor 2035 stillgelegt werden. Als einziger Stromerzeuger bleibt dann das Küstenkraftwerk. Für die Wärmeversorgung planen wir, noch zwei Großwärmepumpen zu errichten. Wir können uns auch den Einstieg in die tiefe Geothermie vorstellen. Das prüfen wir gerade. Damit hätten wir eine gute Staffelung bei der Fernwärme: die Müllverbrennungsanlage und die Geothermie für die Grundlast, die Wärmepumpen in der Mittellast und das Küstenkraftwerk in der Spitzenlast.


Geothermiepotenzial wird ausgelotet
Die Stadtwerke Kiel und der dänische Geothermieentwickler Innargi wollen das Potenzial für ein gemeinsames Projekt in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt erkunden. Am 15. März haben die Partner eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Zunächst sollen die Untergrundbedingungen analysiert werden. Auf dieser Grundlage erfolgt dann eine Potenzialabschätzung für den Aufbau einer geothermischen Fernwärmeversorgung in Kiel. In Abhängigkeit von den Ergebnissen prüfe der Energieversorger eine vertragliche Vereinbarung über den Bau und den Betrieb mehrerer Geothermieheizwerke durch Innargi, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der beiden Unternehmen.

Wenn die Untersuchungsergebnisse positiv ausfallen, könnte in circa fünf Jahren der Betrieb starten, heißt es vonseiten der Stadtwerke. Die tiefe Geothermie ist ein potenzieller Baustein im Energiewende-Programm „Kurs Klimaneutralität“. Dieses Acht-Punkte-Programm bildet die Basis für eine umfassende Dekarbonisierung, inklusive einer klimaneutralen Energieerzeugung bis spätestens 2035.
 

​Klimaneutral bis 2035

Die Stadtwerke Kiel und der Motorenhersteller Innio planen, das Großmotoren-Heizkraftwerk in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt auf Wasserstoff umzurüsten. Das 190-MW-Küstenkraftwerk, das seit 2020 in Betrieb ist und über 20 Jenbacher-Motoren verfügt, soll spätestens von 2035 an klimaneutral Strom und Wärme produzieren − sofern die Politik rechtzeitig die Weichen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland gestellt hat. Jörg Teupen, Vorstand der Stadtwerke Kiel für Technik und Personal, sowie Carl Richers, Vice President Product Management und Marketing bei Innio Jenbacher, machen deutlich, dass die Zeit dafür sehr drängt.
 

Dienstag, 25.04.2023, 11:01 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung -
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
"Ich biete an, dass sich Kiel als Reallabor zur Verfügung stellt"
Eine Umrüstung des Heizkraftwerks der Stadtwerke Kiel auf Wasserstoff ist geplant. Der Rahmen ist jedoch alles andere als gut, sagen Jörg Teupen (Stadtwerke) und Carl Richers (Innio).
E&M: Herr Teupen, die Planungen für das Küstenkraftwerk begannen vor etwas mehr als zehn Jahren. War damals eine spätere Umstellung auf Wasserstoff schon Thema?

Jörg Teupen: Bei der Ausschreibung der Anlagen haben wir uns noch keine Gedanken über Wasserstoff gemacht. Unser primäres Ziel war, die Kohle durch Erdgas abzulösen, schließlich haben wir in Deutschland den Kohleausstieg vor Augen. Es ging deshalb um eine Brückentechnologie. Jetzt wissen wir alle hierzulande, dass die Brücke kürzer ist als erwartet. Gleichzeitig sehen wir, dass die nationalen Klimaziele vor allem im Verkehrs- und Gebäudesektor nicht zu erreichen sind, wenn wir weitermachen wie bisher. Wir als Stadtwerke Kiel haben deshalb unser Ziel, bei der Strom- und Wärmeerzeugung klimaneutral zu werden, von 2040 um fünf Jahre nach vorne gezogen. Wenn wir das Küstenkraftwerk auf grünen Wasserstoff umstellen und die anderen Maßnahmen unserer Klimaneutralitätsstrategie umsetzen, schaffen wir das auch bis 2035.
 
Jörg Teupen, Vorstand Technik und Personal der Stadtwerke Kiel
Quelle: Stadtwerke Kiel

E&M: Gibt es Anlass, die tatsächliche Umstellung doch noch in Frage zu stellen? In ihrer Kommunikation in den letzten Wochen haben Sie sehr entschlossen gewirkt.
 
Instrumente zum Ausgleich von Preisdifferenzen notwendig
 
Teupen: Die Bundesregierung muss schnell die richtigen Weichen für die Wasserstoffversorgung stellen. In welchem Umfang und in welcher Weise wird künftig Wasserstoff importiert? Wie lässt sich eine Wasserstoffproduktion hierzulande aufbauen? Das sind Fragen, auf die die Politik noch konkrete Antworten schuldig ist. Wir als mittelgroßes Stadtwerk können ja beispielsweise nicht selbst mit anderen Staaten oder großen Wasserstoffproduzenten im Ausland Importabkommen schließen. Wir werden auf Importeure, wie wir sie jetzt auch beim Erdgas haben, angewiesen sein.

E&M: Aber Sie könnten möglicherweise in eigene Erzeugungskapazitäten investieren. Windstrom hätten Sie ja genug im Netz und auch Platz dafür.

Teupen: Wir könnten auf der Fläche des ehemaligen Kohlekraftwerks, das jetzt zurückgebaut wird, Elektrolyseure errichten, das stimmt. Es gibt derzeit aber keine klaren Rahmen- und vor allem Förderbedingungen, sodass wir das unternehmerische Risiko, das der Aufbau eigener Kapazitäten mit sich bringt, im Moment noch nicht eingehen können.

E&M: Was müsste dafür geschehen?

Teupen: Für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland − ich biete an, dass sich Kiel hier als Reallabor zur Verfügung stellt − brauchen wir vor allem Instrumente, mit denen man Preisdifferenzen zwischen Wasserstoff und Erdgas ausgleichen kann, um den Fernwärmepreis stabil halten zu können. Contracts for Difference wären beispielsweise ein solches Instrument, mit dem der Staat diejenigen unterstützen könnte, die frühzeitig auf Wasserstoff setzen. Dafür gibt es aber noch keinen rechtlichen Rahmen.

E&M: Import von Wasserstoff oder eigene Erzeugung − haben Sie eine grundsätzliche Präferenz?

Teupen: Wir denken in alle Richtungen. Es geht aber letztendlich um eine sichere und bezahlbare Versorgung mit grünem Wasserstoff. Diese muss auf jeden Fall gewährleistet sein. Denn wir können den Bürgerinnen und Bürgern bei der Wärmeversorgung keine Unsicherheiten zumuten.

E&M: Herr Richers, ist der Wasserstoffeinsatz im Küstenkraftwerk alternativlos?
 
Carl Richers, Vice President Product Management und Marketing Innio Jenbacher GmbH
Quelle: Innio

Richers: Ich würde nicht sagen, alternativlos. Es gibt ja noch grundsätzlich die Option, erneuerbare, biogene Gase zu nutzen − sprich Biomethan − oder etwa E-Fuels beziehungsweise synthetisches Methan. Dieses hat aber den Nachteil, dass sein Molekül Kohlenstoff enthält, den man dann aus der Luft filtern müsste. Das ist sehr energieaufwändig. Deshalb halte ich diese Alternative für wenig zielführend. Gleichzeitig müsste man am Kraftwerk aber keine Umstellungen vornehmen.

E&M: Haben Sie einen Plan B, Herr Teupen?
 
Biomethan keine echte Alternative
 
Teupen: Theoretisch wäre das Biomethan der Plan B. Wobei die Mengen, die wir im Kraftwerk benötigen, wirklich gigantisch sind. Dann wäre das Problem eigentlich nur verlagert. Denn wie sollten wir ausreichend Biomethan bekommen, ohne dass wir den kompletten Biomethanmarkt in Deutschland leerkaufen? Das ist also auch keine echte Alternative.

E&M: Die Stilllegung des Küstenkraftwerks ist auch keine Alternative, oder?
Teupen: Nein. Es sichert ja die Strom- und Wärmeversorgung der Stadt. Trotz des umfangreichen Ausbaus der Erneuerbaren in Deutschland werden wir auch weiterhin gesicherte Leistung während der Dunkelflaute bereitstellen müssen. Aufgrund des jetzigen Technologiestands kann dies in den Mengen, wie wir sie in Deutschland benötigen, nur durch konventionelle Kraftwerke geschehen, die perspektivisch mit grünen Gasen betrieben werden.

E&M: Unter Umständen würden Sie Ihr Klimaneutralitätsziel revidieren?

Teupen: Ich habe den festen Glauben, dass für Anlagen wie das Küstenkraftwerk bis 2035 ausreichend Wasserstoff vorhanden ist, sei es durch eine eigene Produktion, die durch entsprechende Förderbedingungen angereizt wird, oder durch umfangreiche Importe. Das gilt auch für die Industrie, die mehr und mehr grünen Wasserstoff nachfragen wird. Sollten diese Voraussetzungen durch die Bundesregierung nicht erfüllt werden, brauchen wir auch nicht mehr vom nationalen Klimaneutralitätsziel 2045 zu sprechen. Davon kann sich die Politik dann verabschieden.

Richers: Wir müssen uns einfach klarmachen: Wir stehen unter großem Zeitdruck. Es sollen bis 2028 in Summe 4 Gigawatt an Wasserstoffkraftwerken und 4,4 Gigawatt an wasserstoffbasierter Stromspeicherkapazität ausgeschrieben werden. Das ist ein richtiger Schritt. Es gibt aber noch keine Klarheit über die angekündigten Ausschreibungen, die im kommenden Dezember zum ersten Mal durchgeführt werden sollen. Ohne die Verordnung kann aber niemand an den Auktionen teilnehmen. Wir stehen vor einer wachsenden Leistungslücke. Der dezentrale Ausbau flexibler, effizienter Residualleistung muss jetzt gestartet werden. Ich befürchte, dass sonst in letzter Minute Peaker-Turbinen auf der grünen Wiese gebaut werden, nur um schnell Strom erzeugen zu können, ohne darauf zu achten, wo ein Wärmebedarf besteht. Das würde aber bedeuten, dass wertvoller Brennstoff mit einem Gesamtwirkungsgrad von vielleicht 40 Prozent verstromt wird, statt mit 95 Prozent in flexiblen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.
 
Plan der Bundesregierung absolut richtig
 
Teupen: Man muss sich vor Augen halten, dass nach dem Kohleausstieg ja insgesamt 15 bis 25 Gigawatt an Kraftwerksleistung fehlen. Ich wage die These: Wenn diese Kraftwerke bis 2030 nicht vorhanden sind, wird es den Kohleausstieg, wie er in Deutschland geplant ist, nicht geben. Was wäre aber, wenn die Kohlekraftwerksbetreiber, die sich auf den Ausstieg vorbereitet haben, dann schon Personal abgebaut haben? Aus meiner Sicht ist der Plan der Bundesregierung absolut richtig, zunächst auf Gaskraftwerke zu setzen, die hochflexibel sind, und später dann auf Wasserstoff umgestellt werden können. Aber sie muss auch schnell die entsprechenden Anreize setzen, damit die Kapazitätslücke geschlossen wird.

E&M: Wie viel Wasserstoff benötigen Sie für das Küstenkraftwerk?

Richers: Grob kann man sagen, dass 70 Kilogramm Wasserstoff notwendig sind, um 1 Megawattstunde Strom zu erzeugen.

Teupen: Das bedeutet etwa, dass ein Motor, der eine Stunde läuft, ungefähr zwei Trailer, also zwei Lkw-Ladungen Wasserstoff benötigt. Und wir haben 20 Motoren.

Richers: Die Versorgungssicherheit hat noch einen ganz wesentlichen Aspekt. Denn die Umstellung auf Wasserstoff ist im Grunde eine Einbahnstraße. Man kann nicht so einfach zum Gas zurückkehren oder andere Brennstoffe in variierenden Mischungsverhältnissen einsetzen. Man könnte zwar eine Breitbandlösung schaffen, die die Nutzung verschiedener Brennstoffe im Wechsel zulässt. Dann hätten wir jedoch Leistungseinbußen und einen schlechteren Wirkungsgrad. Wir wollen das Kraftwerk aber optimieren − für den Betrieb mit Wasserstoff. Deshalb müssen wir uns dann zu 100 Prozent auf die Wasserstoffversorgung verlassen können.
 
Pipelineanbindung ist wichtig
 
Teupen: Deshalb ist auch eine Pipelineanbindung für uns so wichtig. Unser Zugang zur Deudan, der Ferngasleitung von Dänemark nach Hamburg, wird sicherlich eine wichtige Rolle spielen, wenn der Wasserstoff darin fließt. Sofern wir selbst Wasserstoff erzeugen, ist die Speicherung noch ein ganz wesentliches Thema. Denn bei den Mengen, über die wir sprechen, kann man nicht mit technischen Speichern arbeiten, sondern braucht geologische Speicher. Wir sind aber in der glücklichen Lage, über zwei Erdgaskavernen zu verfügen. Die können wir perspektivisch auf Wasserstoff umstellen.

E&M: Welche Anpassungsmaßnahmen sind bei der Umstellung der Anlage auf Wasserstoff an den Motoren notwendig?

Richers: Es müssen die Gasregelstrecke und Gasventile, über die der Gasdruck und die Gasmengendosierung geregelt werden, getauscht werden. Außerdem müssen Teile wie Kolben, Kolbenringe und Zylinderköpfe getauscht und die Motorsteuerung angepasst werden. Das ist aber technisch alles kein Problem. Wir haben das schon 2020 an einer 1-Megawatt-Anlage in Hamburg demonstriert. Hier in Kiel haben wir mit 190 Megawatt und 20 Motoren allerdings ganz andere Dimensionen.

E&M: Das Kraftwerk mit seinen 20 Motoren ist ja modular aufgebaut. Ist es eine Option, stufenweise umzustellen, vielleicht erst zwei oder drei Motoren, und dann weitere folgen zu lassen?

Teupen: Das kann man machen, aber wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Versorgung mit Wasserstoff gesichert ist, kann man auch den Schalter umlegen und das gesamte Kraftwerk umstellen.

E&M: Was müssen Sie in Kiel außer dem Küstenkraftwerk noch umstellen, um Ihr Klimaneutralitätsziel bis 2035 zu erreichen?
 
Noch zwei Großwärmepumpen geplant
 
Teupen: Das Ziel bezieht sich ja auf die Erzeugung von Strom und Wärme. Wir haben noch vier alte Gasturbinen, die aber planmäßig vor 2035 stillgelegt werden. Als einziger Stromerzeuger bleibt dann das Küstenkraftwerk. Für die Wärmeversorgung planen wir, noch zwei Großwärmepumpen zu errichten. Wir können uns auch den Einstieg in die tiefe Geothermie vorstellen. Das prüfen wir gerade. Damit hätten wir eine gute Staffelung bei der Fernwärme: die Müllverbrennungsanlage und die Geothermie für die Grundlast, die Wärmepumpen in der Mittellast und das Küstenkraftwerk in der Spitzenlast.


Geothermiepotenzial wird ausgelotet
Die Stadtwerke Kiel und der dänische Geothermieentwickler Innargi wollen das Potenzial für ein gemeinsames Projekt in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt erkunden. Am 15. März haben die Partner eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet. Zunächst sollen die Untergrundbedingungen analysiert werden. Auf dieser Grundlage erfolgt dann eine Potenzialabschätzung für den Aufbau einer geothermischen Fernwärmeversorgung in Kiel. In Abhängigkeit von den Ergebnissen prüfe der Energieversorger eine vertragliche Vereinbarung über den Bau und den Betrieb mehrerer Geothermieheizwerke durch Innargi, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der beiden Unternehmen.

Wenn die Untersuchungsergebnisse positiv ausfallen, könnte in circa fünf Jahren der Betrieb starten, heißt es vonseiten der Stadtwerke. Die tiefe Geothermie ist ein potenzieller Baustein im Energiewende-Programm „Kurs Klimaneutralität“. Dieses Acht-Punkte-Programm bildet die Basis für eine umfassende Dekarbonisierung, inklusive einer klimaneutralen Energieerzeugung bis spätestens 2035.
 

​Klimaneutral bis 2035

Die Stadtwerke Kiel und der Motorenhersteller Innio planen, das Großmotoren-Heizkraftwerk in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt auf Wasserstoff umzurüsten. Das 190-MW-Küstenkraftwerk, das seit 2020 in Betrieb ist und über 20 Jenbacher-Motoren verfügt, soll spätestens von 2035 an klimaneutral Strom und Wärme produzieren − sofern die Politik rechtzeitig die Weichen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland gestellt hat. Jörg Teupen, Vorstand der Stadtwerke Kiel für Technik und Personal, sowie Carl Richers, Vice President Product Management und Marketing bei Innio Jenbacher, machen deutlich, dass die Zeit dafür sehr drängt.
 

Dienstag, 25.04.2023, 11:01 Uhr
Fritz Wilhelm

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