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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Festhalten am Sonderweg
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E&M Vor 20 Jahren

Festhalten am Sonderweg

Nicht so schnell wie politisch gewünscht hatte vor 20 Jahren die Verbändevereinbarung Gas den Wettbewerb vorangebracht. Und die Gaswirtschaft wehrte sich gegen den Regulierer.
Vor 20 Jahren sollte die Verbändevereinbarung die Gas-Durchleitung von Anbietern außerhalb des angestammten Versorgungsgebiets der Platzhirsche zu wechselwilligen Kunden regeln. Das funktionierte mehr schlecht als recht. Angesichts eines aufwändigen Prozesses und zahlreicher juristischer Fallstricke kam der erhoffte Wettbewerb nicht in Gang. Das Thema dominierte auch die Gasfachliche Aussprachetagung im November 2001, die zu dieser Zeit nur „GAT“ hieß. E&M-Redakteur Peter Focht war damals dabei.
 
Der vielfach als unbefriedigend betrachtete Zustand des Wettbewerbs in der deutschen Gaswirtschaft wurde auch bei der Gasfachlichen Aussprachetagung am 20. und 21. November in Hannover ausführlich erörtert. „Die Zeit für den Anpassungsprozess ist knapp“, mahnte Günter Waschke vom Bundeswirtschaftsministerium, dessen Führungsspitze als entschiedener Befürworter des Wettbewerbs in der Versorgungswirtschaft gilt.

Kernpunkt der Diskussion sei nach wie vor der verhandelte Netzzugang, sagte er. Und die EU habe bereits Pläne in der Schublade, „die auf Abschaffung des verhandelten Netzzugangs hinauslaufen“. Der deutsche Weg müsse also „mindestens ebenso gute Ergebnisse liefern wie der regulierte“, ergänzte er. Nicht unter dem dadurch zunehmenden Kostendruck leiden dürfe allerdings die Sicherheit der Gasversorgung, stellte Waschke klar. „Gas darf weder Menschen noch Sachen schädigen und es darf nicht in die Umwelt gelangen“, forderte er.
 
Die Sicherheit als Schwerpunktthema der GAT hatte vor ihm schon Werner Hauenherm von der Erdgasversorgungsgesellschaft Thüringen-Sachsen in seiner Rolle als Präsident des Branchenverbandes DVGW Deutsche Vereinigung des Gas und Wasserfachs ins Gespräch gebracht. Hauenherm warnte ausdrücklich davor, unter dem zunehmenden Wettbewerbsdruck die Kosten für die Sicherheit zu reduzieren. Als negatives Beispiel für eine Verringerung des Aufwandes für den Netzerhalt führte er England an, wo die Netzqualität seit Einführung des Wettbewerbs erheblich zurückgegangen sei. Im Gegensatz dazu habe die deutsche Gaswirtschaft den Sicherheitsstandard ihrer Anlagen in den letzten Jahren weiter erhöht.
 
Unfälle mit Gasnetzen auf ein Fünftel gesunken
 
Unfallträchtige Graugussleitungen seien durch sicherere Kunststoffrohre ersetzt worden. Die Zahl der Unfälle im Bereich der Netze sei innerhalb der letzten zwanzig Jahre auf ein Fünftel der ursprünglichen Zahl zurückgegangen. Die deutschen Gasversorger und der DVGW seien ständig bemüht, Baggerführer zu schulen, um versehentliche Beschädigungen von Gasleitungen bei Bauarbeiten zu reduzieren. Außerdem seien in den letzten Jahren 35.000 sogenannte Gasströmungswächter in Hausinstallationen eingebaut worden, um mutwillige herbeigeführte oder versehentliche Beschädigungen von Gasleitungen in Gebäuden schnell und automatisch zu erkennen, um damit Explosionen zu verhindern. Das alles bedeute für Gasversorger einen nicht unerheblichen Aufwand, der kritisch hinterfragt werde, wenn „Versorgungsunternehmen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge ihren Strukturen weiter optimieren und rationalisieren“, erläuterte Hauenherm.
 
An der Versorgungsqualität sollte die Gaswirtschaft also auch im anziehenden Wettbewerb nicht rühren. Damit Wettbewerb im Gasmarkt aber „zum Massengeschäft“ wird, wie das Bundeswirtschaftsministerium fordert, sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich. Eine Durchleitung von Gas müsse in Zukunft so einfach sein wie das Lösen einer Zugfahrkarte nach Rom, forderte Waschke. Die Kunden würden es auf Dauer nicht akzeptieren, dafür mit mehreren Netzbetreibern verhandeln zu müssen.
 
Wettbewerb in England erst nach sechs Jahren
 
Die alltagstaugliche Anpassung der Verbändevereinbarung brauche jedoch auf jeden Fall Zeit, mahnte in Hannover Manfred Scholle von der RWE Gas AG, Dortmund, in seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW). In England habe die Einführung des Wettbewerbs sechs Jahre gedauert. Deshalb sei Vertrauen in die Verbändevereinbarung erforderlich. Dann werde sich – „trotz vieler Irrungen und Wirrungen, die hereingetragen werden“ – der Wettbewerbsprozess in Deutschland weiter intensivieren. „Das meiste von dem, was in der Gaswirtschaft mittlerweile in Form der jetzigen Verbändevereinbarung innerlich verarbeiteter und akzeptierter Konsens ist, wäre vor eineinhalb Jahren absolut nicht denkbar gewesen“, so der BGW-Präsident.
 
Manfred Scholle Manfred Scholle von der RWE Gas AG und Präsident des Bundesverbands der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) meinte, eine Regulierungsbehörde sei ein „massiver Eingriff in das marktwirtschaftliche System“
Quelle: E&M

Die Verbändevereinbarung sei praxisgerecht, „der Netzzugang in Deutschland funktioniert“, unterstrich auch Fritz Gautier. Das Ruhrgas-Vorstandsmitglied verteidigte in Hannover engagiert den deutschen Sonderweg. Zu arbeiten sei noch „an der Vereinfachung der Durchleitung“.
 
Lastprofile sind Voraussetzung für freie Wahl des Versorgers
 
In Deutschland hat es nach BGW-Angaben seit Inkrafttreten der Verbändevereinbarung bis September 2001 etwa 550 Anfragen auf Durchleitung gegeben. In 200 Fällen sei verhandelt worden, abgeschlossen wurden 72 Durchleitungsverträge, davon 66 mit Händlern. Die absolute Zahl der Durchleitungen zum alleinigen Gradmesser für den Wettbewerb zu machen, halten die Gasversorger aber nicht für angemessen. „Wir dürfen nicht übersehen, dass neben dem faktischen Wettbewerb qua Durchleitung die Vermeidung von Durchleitung durch entsprechende Preisangebote im Wesentlichen für das niedrige Preisniveau verantwortlich ist“, gab Scholle zu bedenken. Vor allem die Industrie setze offenbar weiter auf langfristige Verträge.
 
Zur Diskussion um die angeblich zu hohen Durchleitungspreise in Deutschland bezog Ruhrgas-Vorstand Gautier eindeutig Stellung: Eine Studie habe im Sommer nachgewiesen, dass „die Entgelte der deutschen Importgesellschaften im internationalen Vergleich als niedrig und selbst bei hohen Entfernungen als wettbewerbsfähig zu bezeichnen sind“, erklärte er. Die Entgelte auf der regionalen Stufe und in der Endverteilung entsprächen der lokalen Vermaschung und berücksichtigten damit ihre Bestimmung.
 
Gaswirtschaft wehrt sich gegen Einführung einer Regulierungsbehörde
 
Dass allerdings die Lastprofile, die für die freie Versorgerwahl für Haushalts- und Gewerbekunden ohne Zähler zur Leistungsmessung notwendig sind, noch nicht in der Praxis einsetzbar sind, mussten auch die Verfechter des verhandelten Netzzugangs zugestehen. Die Erprobungsphase für die bisher erarbeiteten Lastprofile bis Ende des Jahres müsse noch intensiv genutzt werden, konstatierte Ewald Woste von der N-Ergie AG in Nürnberg. Ein wesentliches Problem bei der Arbeit mit Lastprofilen sei die Frage der Ausgleichsenergie. Sie könne erst nach dem Ablesen aller Kundenzähler eindeutig bestimmt und zwischen den Versorgern verrechnet werden. Das führe zu erheblichem Zeitverzug und Korrekturbedarf. Woste bezeichnete vor dem Hintergrund des nicht unerheblichen Rechenaufwandes für Versorgerwechsel und Durchleitung die Computer- und IT-Branche als sichere Gewinner der Liberalisierung.

Ihre Marschrichtung will die Gaswirtschaft dennoch auch gegen Bestrebungen der EU beibehalten, die nur in Deutschland genutzte Möglichkeit des verhandelten Netzzugangs abzuschaffen. Der Einsatz einer Regulierungsbehörde wäre ein „massiver Eingriff in das marktwirtschaftliche System“, brandmarkte Scholle entsprechende Vorhaben. Widerstand kündigte der BGW-Präsident auch gegen die von Brüssel geforderte Zwangsaufspaltung von Gasunternehmen in Handels- und Transportgesellschaften an. Solche Vorhaben verstießen gegen europäisches Gemeinschafts- und deutsches Verfassungsrecht, sie führten zum „Wegfall ökonomischer Synergieeffekte“, zu einer Enteignung durch die Hintertür und zu einem massiven Eingriff in die Substanz von Unternehmen, so der BGW-Präsident.
 
Unbundling ist „Enteignung durch die Hintertür“
 
Diskriminiert sähe sich die Gaswirtschaft auch durch eine sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen des Kartellamtes, wie sie zurzeit diskutiert werden, führte Scholle weiter aus. Dadurch sollen wettbewerbsrechtliche Streitfälle schneller entschieden werden. In der Diskussion ist auch eine Beweislastumkehr - nicht mehr die Kartellbehörden müssen nachweisen, dass Unternehmen Preismissbrauch betreiben, sondern die Unternehmen, dass sie dies nicht tun. Ein solches Vorgehen würde praktisch zu einem "regulierten Netzzugang durch die Hintertür", formulierte der BGW-Präsident.
 
Trotz aller Streitpunkte setzt indes Erdgas in Deutschland seinen Siegeszug fort. Im ersten Halbjahr 2001 stieg der Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent und auch zum Jahresende werde beim Absatz unter dem Strich ein Plus stehen, prognostizierte Scholle. Mehr als drei Viertel (76,7 %) aller hierzulande neu gebauten Wohnungen werde bereits mit Erdgasheizungen ausgestattet. Und auch bei der Industrie sei Erdgas die Wunschenergie Nummer eins. Dieser Wirtschaftszweig deckt über 32 Prozent seines Endenergiebedarfs mit Erdgas. Die Gaspreise werden nach vorsichtigen Andeutungen von Scholle im kommenden Frühjahr weiter zurückgehen. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit nachgebenden Preisen; nur noch etwa 20 bis 30 % weniger als bisher würden Verbraucher im Frühjahr bezahlen, so die Prognose eines DIW-Experten.
 

Freitag, 26.11.2021, 13:40 Uhr
Peter Focht und Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Festhalten am Sonderweg
Quelle: Shutterstock
E&M Vor 20 Jahren
Festhalten am Sonderweg
Nicht so schnell wie politisch gewünscht hatte vor 20 Jahren die Verbändevereinbarung Gas den Wettbewerb vorangebracht. Und die Gaswirtschaft wehrte sich gegen den Regulierer.
Vor 20 Jahren sollte die Verbändevereinbarung die Gas-Durchleitung von Anbietern außerhalb des angestammten Versorgungsgebiets der Platzhirsche zu wechselwilligen Kunden regeln. Das funktionierte mehr schlecht als recht. Angesichts eines aufwändigen Prozesses und zahlreicher juristischer Fallstricke kam der erhoffte Wettbewerb nicht in Gang. Das Thema dominierte auch die Gasfachliche Aussprachetagung im November 2001, die zu dieser Zeit nur „GAT“ hieß. E&M-Redakteur Peter Focht war damals dabei.
 
Der vielfach als unbefriedigend betrachtete Zustand des Wettbewerbs in der deutschen Gaswirtschaft wurde auch bei der Gasfachlichen Aussprachetagung am 20. und 21. November in Hannover ausführlich erörtert. „Die Zeit für den Anpassungsprozess ist knapp“, mahnte Günter Waschke vom Bundeswirtschaftsministerium, dessen Führungsspitze als entschiedener Befürworter des Wettbewerbs in der Versorgungswirtschaft gilt.

Kernpunkt der Diskussion sei nach wie vor der verhandelte Netzzugang, sagte er. Und die EU habe bereits Pläne in der Schublade, „die auf Abschaffung des verhandelten Netzzugangs hinauslaufen“. Der deutsche Weg müsse also „mindestens ebenso gute Ergebnisse liefern wie der regulierte“, ergänzte er. Nicht unter dem dadurch zunehmenden Kostendruck leiden dürfe allerdings die Sicherheit der Gasversorgung, stellte Waschke klar. „Gas darf weder Menschen noch Sachen schädigen und es darf nicht in die Umwelt gelangen“, forderte er.
 
Die Sicherheit als Schwerpunktthema der GAT hatte vor ihm schon Werner Hauenherm von der Erdgasversorgungsgesellschaft Thüringen-Sachsen in seiner Rolle als Präsident des Branchenverbandes DVGW Deutsche Vereinigung des Gas und Wasserfachs ins Gespräch gebracht. Hauenherm warnte ausdrücklich davor, unter dem zunehmenden Wettbewerbsdruck die Kosten für die Sicherheit zu reduzieren. Als negatives Beispiel für eine Verringerung des Aufwandes für den Netzerhalt führte er England an, wo die Netzqualität seit Einführung des Wettbewerbs erheblich zurückgegangen sei. Im Gegensatz dazu habe die deutsche Gaswirtschaft den Sicherheitsstandard ihrer Anlagen in den letzten Jahren weiter erhöht.
 
Unfälle mit Gasnetzen auf ein Fünftel gesunken
 
Unfallträchtige Graugussleitungen seien durch sicherere Kunststoffrohre ersetzt worden. Die Zahl der Unfälle im Bereich der Netze sei innerhalb der letzten zwanzig Jahre auf ein Fünftel der ursprünglichen Zahl zurückgegangen. Die deutschen Gasversorger und der DVGW seien ständig bemüht, Baggerführer zu schulen, um versehentliche Beschädigungen von Gasleitungen bei Bauarbeiten zu reduzieren. Außerdem seien in den letzten Jahren 35.000 sogenannte Gasströmungswächter in Hausinstallationen eingebaut worden, um mutwillige herbeigeführte oder versehentliche Beschädigungen von Gasleitungen in Gebäuden schnell und automatisch zu erkennen, um damit Explosionen zu verhindern. Das alles bedeute für Gasversorger einen nicht unerheblichen Aufwand, der kritisch hinterfragt werde, wenn „Versorgungsunternehmen aufgrund wirtschaftlicher Zwänge ihren Strukturen weiter optimieren und rationalisieren“, erläuterte Hauenherm.
 
An der Versorgungsqualität sollte die Gaswirtschaft also auch im anziehenden Wettbewerb nicht rühren. Damit Wettbewerb im Gasmarkt aber „zum Massengeschäft“ wird, wie das Bundeswirtschaftsministerium fordert, sind noch erhebliche Anstrengungen erforderlich. Eine Durchleitung von Gas müsse in Zukunft so einfach sein wie das Lösen einer Zugfahrkarte nach Rom, forderte Waschke. Die Kunden würden es auf Dauer nicht akzeptieren, dafür mit mehreren Netzbetreibern verhandeln zu müssen.
 
Wettbewerb in England erst nach sechs Jahren
 
Die alltagstaugliche Anpassung der Verbändevereinbarung brauche jedoch auf jeden Fall Zeit, mahnte in Hannover Manfred Scholle von der RWE Gas AG, Dortmund, in seiner Funktion als Präsident des Bundesverbands der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW). In England habe die Einführung des Wettbewerbs sechs Jahre gedauert. Deshalb sei Vertrauen in die Verbändevereinbarung erforderlich. Dann werde sich – „trotz vieler Irrungen und Wirrungen, die hereingetragen werden“ – der Wettbewerbsprozess in Deutschland weiter intensivieren. „Das meiste von dem, was in der Gaswirtschaft mittlerweile in Form der jetzigen Verbändevereinbarung innerlich verarbeiteter und akzeptierter Konsens ist, wäre vor eineinhalb Jahren absolut nicht denkbar gewesen“, so der BGW-Präsident.
 
Manfred Scholle Manfred Scholle von der RWE Gas AG und Präsident des Bundesverbands der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) meinte, eine Regulierungsbehörde sei ein „massiver Eingriff in das marktwirtschaftliche System“
Quelle: E&M

Die Verbändevereinbarung sei praxisgerecht, „der Netzzugang in Deutschland funktioniert“, unterstrich auch Fritz Gautier. Das Ruhrgas-Vorstandsmitglied verteidigte in Hannover engagiert den deutschen Sonderweg. Zu arbeiten sei noch „an der Vereinfachung der Durchleitung“.
 
Lastprofile sind Voraussetzung für freie Wahl des Versorgers
 
In Deutschland hat es nach BGW-Angaben seit Inkrafttreten der Verbändevereinbarung bis September 2001 etwa 550 Anfragen auf Durchleitung gegeben. In 200 Fällen sei verhandelt worden, abgeschlossen wurden 72 Durchleitungsverträge, davon 66 mit Händlern. Die absolute Zahl der Durchleitungen zum alleinigen Gradmesser für den Wettbewerb zu machen, halten die Gasversorger aber nicht für angemessen. „Wir dürfen nicht übersehen, dass neben dem faktischen Wettbewerb qua Durchleitung die Vermeidung von Durchleitung durch entsprechende Preisangebote im Wesentlichen für das niedrige Preisniveau verantwortlich ist“, gab Scholle zu bedenken. Vor allem die Industrie setze offenbar weiter auf langfristige Verträge.
 
Zur Diskussion um die angeblich zu hohen Durchleitungspreise in Deutschland bezog Ruhrgas-Vorstand Gautier eindeutig Stellung: Eine Studie habe im Sommer nachgewiesen, dass „die Entgelte der deutschen Importgesellschaften im internationalen Vergleich als niedrig und selbst bei hohen Entfernungen als wettbewerbsfähig zu bezeichnen sind“, erklärte er. Die Entgelte auf der regionalen Stufe und in der Endverteilung entsprächen der lokalen Vermaschung und berücksichtigten damit ihre Bestimmung.
 
Gaswirtschaft wehrt sich gegen Einführung einer Regulierungsbehörde
 
Dass allerdings die Lastprofile, die für die freie Versorgerwahl für Haushalts- und Gewerbekunden ohne Zähler zur Leistungsmessung notwendig sind, noch nicht in der Praxis einsetzbar sind, mussten auch die Verfechter des verhandelten Netzzugangs zugestehen. Die Erprobungsphase für die bisher erarbeiteten Lastprofile bis Ende des Jahres müsse noch intensiv genutzt werden, konstatierte Ewald Woste von der N-Ergie AG in Nürnberg. Ein wesentliches Problem bei der Arbeit mit Lastprofilen sei die Frage der Ausgleichsenergie. Sie könne erst nach dem Ablesen aller Kundenzähler eindeutig bestimmt und zwischen den Versorgern verrechnet werden. Das führe zu erheblichem Zeitverzug und Korrekturbedarf. Woste bezeichnete vor dem Hintergrund des nicht unerheblichen Rechenaufwandes für Versorgerwechsel und Durchleitung die Computer- und IT-Branche als sichere Gewinner der Liberalisierung.

Ihre Marschrichtung will die Gaswirtschaft dennoch auch gegen Bestrebungen der EU beibehalten, die nur in Deutschland genutzte Möglichkeit des verhandelten Netzzugangs abzuschaffen. Der Einsatz einer Regulierungsbehörde wäre ein „massiver Eingriff in das marktwirtschaftliche System“, brandmarkte Scholle entsprechende Vorhaben. Widerstand kündigte der BGW-Präsident auch gegen die von Brüssel geforderte Zwangsaufspaltung von Gasunternehmen in Handels- und Transportgesellschaften an. Solche Vorhaben verstießen gegen europäisches Gemeinschafts- und deutsches Verfassungsrecht, sie führten zum „Wegfall ökonomischer Synergieeffekte“, zu einer Enteignung durch die Hintertür und zu einem massiven Eingriff in die Substanz von Unternehmen, so der BGW-Präsident.
 
Unbundling ist „Enteignung durch die Hintertür“
 
Diskriminiert sähe sich die Gaswirtschaft auch durch eine sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen des Kartellamtes, wie sie zurzeit diskutiert werden, führte Scholle weiter aus. Dadurch sollen wettbewerbsrechtliche Streitfälle schneller entschieden werden. In der Diskussion ist auch eine Beweislastumkehr - nicht mehr die Kartellbehörden müssen nachweisen, dass Unternehmen Preismissbrauch betreiben, sondern die Unternehmen, dass sie dies nicht tun. Ein solches Vorgehen würde praktisch zu einem "regulierten Netzzugang durch die Hintertür", formulierte der BGW-Präsident.
 
Trotz aller Streitpunkte setzt indes Erdgas in Deutschland seinen Siegeszug fort. Im ersten Halbjahr 2001 stieg der Absatz im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent und auch zum Jahresende werde beim Absatz unter dem Strich ein Plus stehen, prognostizierte Scholle. Mehr als drei Viertel (76,7 %) aller hierzulande neu gebauten Wohnungen werde bereits mit Erdgasheizungen ausgestattet. Und auch bei der Industrie sei Erdgas die Wunschenergie Nummer eins. Dieser Wirtschaftszweig deckt über 32 Prozent seines Endenergiebedarfs mit Erdgas. Die Gaspreise werden nach vorsichtigen Andeutungen von Scholle im kommenden Frühjahr weiter zurückgehen. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit nachgebenden Preisen; nur noch etwa 20 bis 30 % weniger als bisher würden Verbraucher im Frühjahr bezahlen, so die Prognose eines DIW-Experten.
 

Freitag, 26.11.2021, 13:40 Uhr
Peter Focht und Fritz Wilhelm

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