Quelle: Handelsblatt
Auf einer Gastagung in Berlin wurde die Rolle von Erdgas in den nächsten Jahrzehnten diskutiert. Alternativen wie Strom und erneuerbare Gase könnten seine Bedeutung deutlich senken.
Noch ist Erdgas heiß begehrt, vor allem vor dem nahenden Winter. Auf der Handelsblatttagung in Berlin gab es aber auch Ausblicke in eine Zukunft mit weniger Erdgasnutzung. Der Generalsekretär von Eurogas, James Watson, sieht diesen Bedeutungsverlust noch fern. Die Energiewendeziele der EU seien bislang mehr gute Absichten als Realitäten. Aktuell werde auch der viel beschworene Wasserstoff oft aus Erdgas hergestellt, sagte Watson. Zudem müssten Reservekraftwerke für Zeiten mit wenig Sonne und Wind aus Erdgas Strom erzeugen.
Es sei nicht sicher, dass die hohen Ziele der EU für eine erneuerbare Wasserstoffversorgung umsetzbar seien. Deshalb sollten vorerst für künftige Knappheiten im Gasbereich die Solidaritätsmechanismen innerhalb der EU verbessert werden. Deutschlands schnelle Ablösung des Pipelinegases wegen des Lieferstopps Russlands hätte die anderen EU-Länder durch extrem hohe Gaspreise in Schwierigkeiten gebracht, erinnerte Watson.
Michael Bloss (Grüne), Mitglied des Europäischen Parlaments, mahnte, mehr in Effizienz zu investieren, um schnell die Abhängigkeit von Energieimporten zu senken. Perspektivisch sei der Ausweg, weiter daran zu arbeiten, von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu werden. Nach der Krisenbewältigung solle es nun wieder mehr um die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft gehen, ohne dabei die Industrie zu verlieren, sagte Bloss.
Marktteilnehmer zwischen Erdgas und WasserstoffFrank van Doorn, Head of Trading bei Vattenfall, rechnet ebenfalls nicht schnell mit einer sinkenden Erdgasnachfrage. „Der Anteil grüner Gase ist noch gering, zunächst wird Wasserstoff eher beigemischt werden“, sagte er. „Dafür sind verlässliche Zertifikate nötig, was zu einem parallelen Markt ähnlich wie heute schon beim Strom führen wird“, meinte van Doom. Es sei beeindruckend, wie schnell Flüssigerdgas (LNG) das ausgefallene russische Pipelinegas ersetzen konnte. Für die Zukunft sei es klug, alle Optionen zu nutzen und sich nicht auf eine oder wenige Quellen und Transportwege zu beschränken, riet der Marktexperte.
Aktuell wurde Trading Hub Europe (THE) durch die Bundesregierung zum Marktgebietsverantwortlichen und damit Großeinkäufer des deutschen Erdgasbedarfs gemacht. Sein Geschäftsführer, Torsten Frank, sieht den Verbund der Gasnetzbetreiber dennoch nicht als Händler, sondern als Kunden am Erdgasmarkt, auch wenn man zuweilen Gas weiterverkaufe. Kürzlich wurde das Mandat verlängert, aber THE habe keinen Ehrgeiz, dauerhaft so große Mengen Gas zu kaufen und verkaufen. Wegen der staatlichen Vorgaben könne man nicht allein nach marktlichen Gesichtspunkten handeln, trotz aller gute Vorschläge von Experten, erläuterte Frank.
Sirko Beidatsch, Expert Gas Markets bei der European Energy Exchange (EEX), rechnet mit einer wachsender Bedeutung des am 24.
Mai 2023 neu eingeführten Handelsplatzes „Hydrex“ für Wasserstoff, der auch stark aus der Wirtschaft eingefordert worden war. Noch liege der Preis wegen weniger Anbieter von nur grünem Wasserstoff bei ca. 240
Euro/MWh. Er rechne aber mit wachsenden Marktteilnehmern bei Anbietern und Käufern, sodass der Markt volatiler wird und die Preise perspektivisch sinken werden.
Leider gebe es für anders erzeugten (blauen oder grauen) Wasserstoff momentan keinen freien Markt, sondern nur direkte Produzenten-Käufer-Verhältnisse. Deshalb könne die Börse dafür noch keine Plattform füllen, sagte Beidatsch auf eine Frage aus dem Publikum. Mit H2-Global werde über die EEX ab dem kommenden Jahr international physisch Wasserstoff eingekauft und verkauft, um einen Markt zu etablieren. Er rechne zwischen 2026 und 2032 mit dem Hochlauf eines echten und volatilen Wasserstoffmarktes.
Dienstag, 19.09.2023, 16:20 Uhr
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