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Kommt es beim Gasleitungsprojekt Nordstream 2 zu einer Einigung mit den USA, will die Ukraine im Rahmen des Green Deals für Europa Wasserstofflieferant Nummer 1 werden.
Aktuell tobt der Streit um das Scheitern des Milliardenprojekts der zweiten Ostseegasleitung Nordstream 2. Vor dem Hintergrund der Inhaftierung von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat das Europäische Parlament und jetzt auch Frankreich dazu aufgerufen, das Projekt zu stoppen. Ungeachtet dessen gingen die Teilnehmer in einer Online-Diskussion des Wirtschaftsbeirates der Union (WBU) am 28. Januar von der Fertigstellung und Inbetriebnahme der Pipeline aus, ob sie das nun befürworten oder nicht.
So erklärt der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, dass sein Land den Gang der Ereignisse hier nicht beeinflussen könne. Klar sei aber, dass spätestens 2025 der Transit von russischem Gas nach Europa über die Ukraine ende. Dann laufe die fünfjährige Transitvereinbarung aus, die mithilfe Deutschlands zwischen dem ukrainischen Fernleitungsnetzbetreiber "OGTSU" und dem russischen Gaskonzern Gazprom Ende 2019 zustande gekommen ist.
Im Jahr 2020 sank der Transitumfang laut OGTSU um 38 % auf knapp 56 Mrd. m3 Gas und lag somit unter der vereinbarten Marge von 65 Mrd. m3 Gas. Bis 2025 sind pro Jahr 40 Mrd. m3 vorgesehen. Die Verluste aus dem Transitgeschäft für die Ukraine bezifferte Melnyk auf knapp 3 Mrd. US-Dollar (etwa 2,48 Mrd. Euro) im Vergleich zu 2019 und etwas weniger als 1,65 Mrd. Euro im Vergleich zu 2020. Für ihn unterliegt der Bau von Nordstream 2 dem Ziel, die Ukraine mit einer jährlichen Durchleitungskapazität von 146 Mrd. m3 Gas vom Transit Richtung Europa abzuschneiden.
Ukraines Erwartungen an Deutschland
Damit gingen bis zu 3 % des Bruttoinlandsproduktes verloren. Einen Kompromiss zu Nordstream 2 zwischen Deutschland und den USA hält Melnyk für wahrscheinlich und appelliert, dass dafür im Green Deal die Interessen seines Landes Eingang finden. Hier erwartet er insbesondere von Deutschland ein dementsprechendes Angebot, um mit Projekten zu erneuerbaren Energien und zur Produktion von Wasserstoff die heimische Wirtschaft zu stärken. Ziel sei es, in fünf bis zehn Jahren Europas Wasserstofflieferant Nummer Eins zu werden.
"Wir sehen sehr große Chancen im Bereich der alternativen Energien", bekräftigt hierzu Andreas Metz, Leiter Public Affairs beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Die Ukraine sei abgesehen von Russland der größte Agrarproduzent und Flächenstaat in Europa. Biomethan und grüner Strom seien ein Thema. Demnächst will die Ukraine mit der EU eine Wasserstoff-Partnerschaft schließen. An dieser Stelle sieht Metz die deutsche Wirtschaft gefordert, sich zu beteiligen und zu investieren.
Das komme der Wertschöpfung der Ukraine zugute und sei besser, als von russischen Transitgebühren abhängig zu sein. Für das ukrainische Gasnetz sieht Metz zugleich eine Perspektive, denn das Gros importiere die Ukraine von europäischen Lieferanten. Vor allem den großen Gasspeichern in der Ukraine räumt er lukrative Chancen am europäischen Markt ein. Sie könnten bei Bedarfsspitzen zum Einsatz kommen und Gas für Südost-Europa bereitstellen.
Für Nordstream 2 sprechen seiner Ansicht nach Wirtschafts- und Umweltargumente. So erfordere der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle in Deutschland eine sehr schnelle Alternative, für die sich Erdgas als vergleichsweise umweltverträglicher Brennstoff im Verhältnis zu anderen fossilen Energieträgern anbiete. Neben anderen Lieferalternativen wie Norwegen oder Flüssigerdgas sei Russland ein traditioneller Partner. Sollte weniger Gas nötig sein, wirke Nordstream 2 preisdämpfend. Immerhin heizten über 50 % der deutschen Haushalte mit Gas. Dazu sei Nordstream 2 die modernste Pipeline und kürzeste Verbindung zum nordsibirischen Gasförderzentrum auf der Jamalhalbinsel. Zur Durchleitung von Gas seien nur zwei Kompressorstationen nötig, mit dem Umweg über die Ukraine seien es 40. Das koste zusätzlich Energie zulasten der Umwelt.
Nord Stream 2 − ein "Fossil der Vergangenheit"
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, nennt die Pipeline dennoch ein Fossil aus der Vergangenheit, durch das Deutschland den Anschluss an die Digitalisierung verpasst. "Es wird in 20 Jahren viel weniger Erdgas genutzt werden", so Kornblum. Dass Nordstream 2 gebaut wird, bezweifelt er nicht. Entscheidend für ihn ist, dass sowohl die EU als auch die USA die Ukraine auf ihrem Weg der Demokratisierung weiter unterstützen. Ihr Rückfall in das russische Interessengebiet sei für die EU ein großer Verlust und stelle ihre Glaubwürdigkeit infrage.
"Wir müssen alles daran setzen, dass sich Ihr Land wirtschaftlich gut entwickelt", richtet sich die EU-Parlamentarierin Angelika Niebler (CSU) an den ukrainischen Botschafter. Es bestehe großes Interesse, die Ukraine an die EU heranzuführen. "Wasserstoff ist ein Riesenthema in der EU", da gebe es großartige Chancen zur Zusammenarbeit.
Montag, 1.02.2021, 13:44 Uhr
Josephine Bollinger-Kanne
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