Seit Jahren ist das Abregeln von Erneuerbare-Energien-Anlagen eine umstrittene, aber angesichts des aktuellen Zustands der Stromnetze unbestreitbar notwendige Praxis. Grüner Strom wird nicht genutzt, obwohl die Sonneneinstrahlung oder die Windverhältnisse eine klimafreundliche Energieerzeugung ermöglichen. Drohende Netzengpässe machen, sofern keine anderen Instrumente zur Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch zur Verfügung stehen oder deren Potenzial bereits ausgeschöpft ist, die Abregelung von PV- und Windkraftanlagen in bestimmten Fällen unumgänglich.
Der Bundesnetzagentur zufolge belief sich das Redispatch mit erneuerbaren Energien im Jahr 2023 auf 10,5 Millionen MWh. „Obwohl rund 42 Prozent dieser Menge EE-Anlagen betrafen, die im Verteilnetz angeschlossen sind, lag der verursachende Netzengpass zu rund 80 Prozent im Übertragungsnetz. Rund 20 Prozent der Redispatch-Menge mit erneuerbaren Energien (früher war die Rede von Einspeisemanagement; d. Red.) wurden aufgrund von Engpässen im Verteilnetz veranlasst“, heißt im Bericht der Behörde vom Mai. Mit 5,7 Millionen MWh beziehungsweise 4 Millionen MWh waren Offshore- und Onshore-Windräder die am stärksten abgeregelten Erzeugungsanlagen.
Zuschaltbare Lasten im Rahmen von „Nutzen statt Abregeln 2.0“ Mit „Nutzen statt Abregeln 2.0“ hat die Bundesnetzagentur einen Ansatz entwickelt, der dazu dient, vorübergehende Netzengpässe zu reduzieren beziehungsweise zu vermeiden. Sofern die Netzkapazitäten an bestimmten Stellen zu bestimmten Zeiten nicht ausreichen, um eine hohe Ökostromproduktion abzutransportieren, soll zusätzliche Stromnachfrage angereizt werden. Dies soll verhindern, dass Anlagen, die grünen Strom erzeugen, abgeregelt werden müssen. Die Bundesnetzagentur hat eine entsprechende Festlegung zur Definition der Zusätzlichkeitskriterien erlassen und damit die Voraussetzungen geschaffen, in „geeigneten Regionen einen Anreiz zur Aktivierung zusätzlichen Stromverbrauchs durch zusätzlich zuschaltbare Lasten (Entlastungsanlagen)“ zu setzen, heißt es dort.
Es muss sich um Anlagen handeln, die einem von drei Bereichen zugeordnet werden können:
- Anlagen, die eine fossile Wärmeerzeugung durch eine strombasierte Wärmeerzeugung ersetzen können,
- netzgekoppelte Stromspeicher,
- Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff oder Großwärmepumpen.
Eine Reihe von Detailregelungen konkretisiert die Liste, wie etwa Stichtage zur Inbetriebnahme oder Registrierung, Zeiträume im Volllastbetrieb oder Vorgaben zur alternativen Verwendung von Systemdienstleistungen. Ein Betreiber kann nur dann „berechtigter Teilnehmer“ werden, wenn seine Anlage die allgemeinen Anforderungen kumulativ erfüllt, insbesondere die „Steuerbarkeit und Empfänglichkeit für Marktsignale“. Darüber hinaus müssen die Anlagen die Kriterien in einem der drei genannten Segmente erfüllen.
Bereits im EEG 2016 spiegelte sich die Absicht des Gesetzgebers wider, Ökostrom so weit wie möglich zu nutzen und nicht abzuregeln. Die aktuelle Grundlage ist Paragraf 13k EnWG, der vorschreibt, dass „Betreiber von Übertragungsnetzen mit Regelzonenverantwortung berechtigten Teilnehmern (…) ab dem 1. Oktober 2024 ermöglichen, Strommengen in zusätzlichen zuschaltbaren Lasten zu nutzen“. Im Rahmen einer wettbewerblichen Ausschreibung sollen diese Teilnehmer zu den Mengen kommen, die ansonsten abgeregelt worden wären.
Klaus Müller wies Anfang Juli darauf hin, dass nun der Teilnehmerkreis für „Nutzen statt Abregeln 2.0“ feststehe. Gleichzeitig sei das Instrument − trotz seiner großen Bedeutung − kein Ersatz für einen möglichst schnellen und bedarfsgerechten Netzausbau, so der Präsident der Bundesnetzagentur.
Das Konzept zur Umsetzung der Maßnahme „Nutzen statt Abregeln 2.0“ haben die vier Übertragungsnetzbetreiber entsprechend der gesetzlichen Frist bereits am 1. April der Bundesnetzagentur vorgelegt. Das 49-seitige Dokument zeigt die Ergebnisse der Regelzonenanalysen und die entsprechende Abgrenzung der Entlastungsregionen.
Diese wurden anhand von historischen Abregelungsmengen und von Netzplanungsdaten ermittelt, auf Landkreisebene zusammengefasst und dann ausgewiesen. Die Übertragungsnetzbetreiber weisen allerdings darauf hin, dass die Analysen verschiedenen Unsicherheiten, Annahmen und Prognosen unterliegen. Historische Werte könnten nicht für die Zukunft gelten, denn künftige Abregelungen seien wesentlich vom Wetter sowie vom Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Netzausbau abhängig.
Während Tennet und 50 Hertz jeweils Entlastungsregionen ausgewiesen haben, haben Amprion und Transnet
BW „nach intensiver Analyse“ darauf verzichtet. Die Netzdienlichkeit der Ausweisung von Entlastungsregionen habe zunächst nicht festgestellt werden können. Man habe sich entsprechend mit den betroffenen Verteilnetzbetreibern abgestimmt, heißt es vonseiten der Transnet
BW und Amprion. Beide Unternehmen werden daher zum 1. Oktober keine Entlastungsregionen ausweisen.
Wettbewerbliches Zuteilungsverfahren soll entwickelt werden Ab diesem Stichtag beginnt eine zweijährige Erprobungsphase. Während dieser werden die vier Übertragungsnetzbetreiber ein vereinfachtes, pauschalisiertes Zuteilungsverfahren anwenden. Ab einer bestimmten Schwelle in relevanten Stunden − ein bestimmter Prozentsatz der Erzeugung erneuerbarer Energien in der jeweiligen Entlastungsregion, der abgeregelt werden müsste − wird das Zuteilungsverfahren aktiviert. „So wird sichergestellt, dass die Maßnahme nur in Stunden mit signifikanten Abregelungsstrommengen durchgeführt wird“, heißt es in der Gesetzesbegründung.
Dem Umsetzungskonzept der Übertragungsnetzbetreiber zufolge soll über die Auslösung zur Nutzung von Entlastungsanlagen am jeweiligen Vortag vormittags vor 10 Uhr entschieden werden. „Aufgrund der hohen Unsicherheiten vor Handelsschluss der vortägigen Auktion am Spotmarkt fließen aktuelle Erkenntnisse über die anstehende Netzsituation in die Abwägung zur Auslösung des Kriteriums mit ein“, wie es heißt.
Dem Gesetzgeber war Transparenz ein wichtiges Anliegen. Diesem wollen die Übertragungsnetzbetreiber ab dem 1. Oktober mit den Abregelungsstrommengen und den Ergebnissen des Zuteilungsverfahrens entsprechen − als aggregierte Leistungsmittelwerte in MW stündlich aggregiert und für jede Entlastungsregion bis 10 Uhr am Vortag für den Folgetag veröffentlicht.
Während der Erprobungsphase soll laut Bundesnetzagentur ein wettbewerbliches Ausschreibungsverfahren entwickelt werden und dann in den folgenden Jahren zum Einsatz kommen. Die Mitteilung der Behörde schließt mit dem Hinweis, dass ab dem 1. April 2025 auch Verteilnetzbetreiber das Instrument anwenden können.
Dienstag, 6.08.2024, 09:00 Uhr
© 2024 Energie & Management GmbH