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Die EU müsste ihren Gasverbrauch schon im Sommer deutlich reduzieren, wenn sie kein Gas mehr aus Russland beziehen will − oder kann.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Institutes Köln (EWI). Sie geht davon aus, dass Russland seit dem 1. Mai kein Gas mehr liefert. In diesem Fall müsste die EU ihren Verbrauch in den nächsten zwölf Monaten um mindestens 459 TWh reduzieren. Die Speicher, die bis Anfang November zu 80 % befüllt werden müssen, wären dann am 30. April 2023 vollständig erschöpft. Ansonsten müsste die EU ihren Verbrauch sogar um 790 TWh reduzieren.
Im ersten Quartal dieses Jahres bezog die EU noch 30 % ihrer Gasimporte aus Russland, in Deutschland waren es 35 %. Daneben gibt es fünf Importkorridore: Pipelines nach Algerien, Aserbeidschan, Libyen und Norwegen sowie Flüssiggasterminals. Alle nicht-russischen Pipelines lieferten gegenwärtig nahe an der Kapazitätsgrenze und könnten nur geringe Mengen zusätzlich in den Markt geben. Auch die LNG-Terminals seien weitgehend ausgelastet.
Die Speicher der EU waren am 30. April zu 33 % gefüllt. Von der Betrachtung des EWI ausgenommen ist die – vom europäischen Energiemarkt weitgehend abgekoppelte – iberische Halbinsel. Auch Engpässe bei Pipelines wurden nicht berücksichtigt.
Die Nachfrage werde maßgeblich vom Wärmebedarf im kommenden Winter bestimmt, schreiben die Experten in Köln. Der sei unsicher. Im Stromsektor könne der Bedarf nur geringfügig verringert werden, weil Gaskraftwerke aufgrund des Preisverhältnisses bereits weitgehend durch die Erzeugung aus Kohle verdrängt worden seien. Allerdings könnte die Stromnachfrage verringert werden.
Die EU befinde sich deswegen in einem Dilemma, weil die verfügbaren Mengen im Sommer voraussichtlich nicht ausreichten, um die Speicher aufzufüllen und die verbleibende Nachfrage zu decken, heißt es in dem Papier des EWI. „Eine Reduktion der Gas-Nachfrage über den Sommer sollte deshalb umgehend eingeleitet und die Winter-Nachfrage vorausschauend reduziert werden.“
Kritik übt das EWI an den geplanten Vorgaben der EU zum Auffüllen der Speicher: 80 % bis zum 1. November. Dadurch würde „ein Teil der Versorgungslücke in den Sommer vorgezogen und die Lücke im Winter entsprechend verringert“. Im Sommer würde die Lücke dann 302 TWh betragen, im Winter 488 TWh. Das würde die Preise weiter in die Höhe treiben. Die Vorgaben für die Speicher sollten deswegen „im Lichte der weiteren geopolitischen Entwicklung laufend überprüft werden“.
Montag, 2.05.2022, 16:12 Uhr
Tom Weingärtner
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