Quelle: E&M / Harmsen
Das Bundeswirtschaftsministerium hat die lange erwarteten Vorschläge zur Reform des Stromsystems in Deutschland vorgelegt. Zentral soll ein neuer sogenannter Kapazitätsmechanismus sein.
Das Stromsystem in Deutschland muss von der Verteilung aus zentralen, kontinuierlich liefernden Großkraftwerken umgebaut werden. Schon heute kommt über die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien. Windkraft und Solarstrom stehen aber nicht immer gleichbleibend zur Verfügung, und sie werden an zehntausenden Stellen produziert. Schon vor 18 Monaten entwarf die „Plattform Klimaneutrales Stromsystem“ (PKNS) Vorschläge, wie die neue Flexibilität in der Erzeugung trotzdem eine stabile Stromversorgung sichern kann.
Am 2. August hat nun das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) aus den Ideen von Industrie, Wissenschaft und Verbänden Schlüsse gezogen. In seinen Vorschlägen zur Reform des Stromsystems in Deutschland ist ein neuer sogenannter Kapazitätsmechanismus vorgesehen. Er soll bis zum Jahr 2028 eingeführt werden. Dafür entwirft das BMWK verschiedene Modelle.
Verschiedene Stabilisierungsinstrumente
Als Reserve für Zeiten mit wenig Sonnen- und Windstrom sollen neue Gaskraftwerke flexibel einspringen, die später mit erneuerbaren Gasen wie Wasserstoff betrieben werden. Zudem sollen sich Speicher lohnen. Dies können Batterien sein, aber auch Anlagen, die Strom in Überschusszeiten zu Gas oder Wärme wandeln (Power-to-Gas/Power-to-Heat) oder Pumpspeicherkraftwerke, wie sie bereits existieren.
Da diese nur wenige Stunden im Jahr laufen, können sie sich nicht über den Stromverkauf allein refinanzieren. Darum sollen solche Anbieter über Ausschreibungen, wie heute schon für Erneuerbare-Energie-Anlagen (nach EEG), für die Bereitstellung der Kapazität entlohnt werden.
Zugleich soll der Verbrauch von Strom in Zeiten gelenkt werden, wenn das Netz nicht zu stark belastet ist und viel zur Verfügung steht. So sollen Nutzer von Elektroautos und Wärmepumpen über flexible Tarife in diesen Zeiten den Strom günstiger beziehen können. Ziel des Strommarktdesigns der Zukunft sei ein sicheres, bezahlbares und klimaneutrales Stromsystem. Zu den Vorschlägen findet zunächst bis Ende August eine öffentliche Konsultation statt.
Um erneuerbaren Strom lokal besser zu nutzen, soll als technische Voraussetzung die Installation von digitalen Stromzählern zum Messen und digitalen Systemen, die Stromflüsse auch steuern können, beschleunigt werden. Dann könnten die Netzentgelte zeitlich variieren und ebenfalls Strom günstiger machen in Überschusszeiten.
Erste Reaktionen auf den BMWK-Entwurf
Die energiepolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Nina Scheer, mahnte: „Das neue System darf den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht behindern.“ Der zukünftige Strommarkt müsse sich an den erneuerbaren Energien orientieren. „Dezentralisierung schafft dabei Sicherheit und die Möglichkeit, vorhandene Flexibilität einzubinden“, schlägt Scheer vor. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sollte dabei nicht als Teil der Strommarktintegration verstanden werden, da dies ihren Ausbau bremsen und den Klimaschutz behindern würde, appellierte sie.
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) begrüßte, dass der Bericht zum PKNS nun offen liegt, kritisiert aber die Konsultationsfrist als zu kurz und fordert eine geordnete Debatte. „Inhaltlich ist das klare Bekenntnis des BMWK zur einheitlichen deutsch-luxemburgischen Stromgebotszone eine wichtige Basis der weiteren Arbeit, um die Herausforderungen, die sich aus der Transformation der Energiewirtschaft ergeben, nachhaltig und verantwortlich anzugehen“, sagte BEE-Präsidentin Simone Peter.
Auch die Ankündigung einer koordinierten Flexibilitätsagenda sei ausdrücklich zu begrüßen, da die bislang nur unzureichend vorhandenen Flexibilitätsoptionen wie die Bioenergie oder die Wasserkraft eine der Lösungsoptionen darstellen. „Erzeuger-, Speicher und Verbraucherflexibilitäten müssen jetzt dringend angereizt werden, um auf die Bedürfnisse der systemsetzenden Erneuerbaren systemisch und nicht mit Einzelreaktionen zu reagieren“, forderte Peter.
EEG-Förderung nicht gefährden
Das BMWK-Papier schlägt auch eine Umgestaltung der EEG-Förderung auf Investitionszuschüsse statt Vergütungen für eingespeisten Strom vor. Dies lehnt der BEE ab. Das bewährte Absicherungssystem des EEG dürfe „nicht durch unzureichend diskutierte Modelle ersetzt werden“ mahnte Peter. „Die Energiewende erfordert hohe Investitionen, die Sicherheit und Verlässlichkeit benötigen“, sagte sie. Jede Reform müsse sich daran messen lassen, ob die Bereitstellung von Finanzmitteln für den EE-Ausbau über den freien Markt gesichert ist, sagte Peter.
Sie verwies auf den Vorschlag ihres Verbandes zur Erhöhung der Flexibilität im Strommarkt und Senkung der Kosten der Energiewende. Demnach wäre ein Dreiklang aus deutlicher Flexibilitätssteigerung, besserer Nutzung der vorhandenen Netzinfrastruktur durch Überbauung der Netzverknüpfungspunkte und einem mengen- statt zeitbasierten Absicherungssystem erforderlich.
Freitag, 2.08.2024, 15:36 Uhr
Susanne Harmsen
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