Zwischen Stacks: Landrat Martin Sommer, Florian Vogt, Mona Neubaur. Quelle: Volker Stephan
Großer Auflauf im kleinen Bioenergiedorf: Die Gemeinde Saerbeck stellt den ersten Megawatt-Elektrolyseur vor und lockt damit auch die NRW-Landesregierung ins tiefste Münsterland.
Frösteln und freuen: Im Norden von Münster ist es knackig frisch, als etwa 200 Geladene einen großen Wurf in der kleinen Energiegemeinde Saerbeck begutachten wollen. Von außen versprüht das gute Stück den Charme eines schnöden 40-Fuß-Schiffscontainers. Im Inneren hat der Berliner Wasserstoff-Projektentwickler Enapter hingegen Hightech verbaut: den ersten Elektrolyseur der Megawatt-Klasse.
Dutzende Schubladen im Container erinnern an die Medikamentenfächer in Apotheken. Wer eine davon aufzieht wie Enapter-Entwickler Florian Vogt vor den Augen von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), der sieht wie an einer Spule gereihte Schichten, das Herz der kleinen Elektrolyseur-Einheiten. Sie trennen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Enapter und der Bioenergiepark Saerbeck seien damit „wieder ganz weit vorne, die Energiewende einfach und bezahlbar zu machen“, so die Ministerin.
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Technik zum Niederknien: NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur lässt sich einen Elektrolyseur-Stack von Enapter-Entwickler Florian Vogt (l.) erklären. Frank Dellmann (Präsident FH Münster) hört interessiert zu. Quelle: Volker Stephan |
In Saerbeck entsteht der "grünste Wasserstoff"Die technischen Voraussetzungen für das Erzeugen künstlichen Wasserstoffs zu schaffen, dies sei „das Thema der Stunde“, sagt Enapter-Chef Sebastian-Justus Schmidt. Der „Multicore“ genannte MW-Elektrolyseur mit Anionenaustauschmembran-Technik (AEM) sei der Einstieg in die günstige Produktion grünen Wasserstoffs, "die wir in drei bis vier Jahren erreichen werden. Und wir benötigen diese günstige und bezahlbare Energie, wenn die Energiewende gelingen soll“, so der Geschäftsführer.
Saerbecks Bürgermeister Tobias Lehberg (parteilos) würdigt den ab sofort produzierten Energieträger als „grünsten Wasserstoff“. Denn den nötigen Ökostrom liefere komplett der Bioenergiepark über Biomasse, Wind- und Sonnenkraft – und die direkte physikalische Belieferung sei damit höher einzuschätzen als der nur bilanzielle Bezug von Strom „aus den österreichischen Alpen oder norwegischen Wasserkraftwerken“.
Dieser klare Standortvorteil mit Bioenergie im Überfluss hatte Enapter seinerzeit bewogen, die Produktion im münsterländischen Nirgendwo anzusiedeln. Das Areal ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zu erreichen, dieses Versteckspiel geht auf die frühere militärische Nutzung zurück. Ehemalige Bunker sind noch heute zu erkennen, aber längst anders genutzt.
Das Besondere am Elektrolyseur-Protoypen, der sich in der sechswöchigen Inbetriebnahmephase befindet, ist das Stecksystem. Hier sind einzelne Module durch vielfachen Einbau auf Megawatt-Kapazität skaliert. 420 Einheiten sind auf Zehnerpacks aufgeteilt. Dies habe den Vorteil, dass im Wartungsfall nicht der ganze Elektrolyseur den Dienst einstelle, erklärt Jerrit Hilgedieck, Enapter-Teamleiter Funding, im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Ingenieur hat nicht unwesentliche Arbeit geleistet, um die Förderung für den Erstling zu sichern. 5,6
Millionen Euro steckt allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung in die Entwicklung, noch mehr Millionen stammen vom Land.
Der Prototyp ist aufgrund der öffentlichen Förderung unverkäuflich. Er wird ein Demonstrations- und Ausstellungsstück bleiben, womöglich gibt es irgendwann Abnehmer in der Umgebung für seinen grünen Wasserstoff und die entstehende Abwärme. Enapter hat den „Campus“ genannten Forschungs- und Produktionsbetrieb in 1,8
Kilometer Entfernung gebaut, in dem auch die Fachhochschule Münster wichtige Partnerin ist. Interessierte könnten auch im nahe gelegenen Industriegebiet auf H2 für die nötige Prozesswärme warten.
Bis zu zehn Bestellungen für 2024 eingegangenZwei weitere MW-Elektrolyseure sind bereits in Bau, sie gehen an Unternehmen in Deutschland und den Niederlanden. Mit diesen verdient Enapter erstes Geld, mindestens 1,2
Millionen Euro seien für die Maßanfertigungen zu zahlen, sagt Enapter-Chef Sebastian-Justus Schmidt. Schon bis zu zehn Bestellungen könnten es im Jahr 2024 sein. So groß zu denken hat Enapter erst lernen müssen. Sebastian-Justus Schmidt verweist darauf, eigentlich die Massenproduktion kleiner Elektrolyseure geplant zu haben. Diese Hoffnungen haben sich vorerst zerschlagen. „Dann zeigte der Markttrend, dass mehr Bedarf für große Systeme besteht.“ Also schwenkte die Firma um, nahm einen Kern als Technologiebasis und multiplizierte ihn.
Das kann der „AEM Multicore“Mit einer Leistung von 1
MW produzieren die 420 Einzeleinheiten (Stacks) binnen 24 Stunden 450 Kilogramm Wasserstoff. Dafür ist die Zufuhr von 190 Litern Wasser pro Stunde nötig, das in Saerbeck aus dem kommunalen Frischwassernetz kommt. Theoretisch ist auch der Einsatz von Regenwasser möglich, der von Salzwasser hingegen ohne aufwändiges Herausfiltern des Salzes und der Mineralstoffe nicht.
Das kostet ein Kilogramm WasserstoffIn einer Modellrechnung spricht Enapter davon, dass die Investitionskosten über eine Anlagenlebensdauer von 20 Jahren mit 2 Euro je Kilogramm Wasserstoff zu veranschlagen seien. Hinzu kommt der Strompreis. Zur Produktion eines Kilogramms Wasserstoff sind im Prototypen 53 kWh Strom nötig. Bei einem angenommenen Preis von 10 Cent je kWh wären dies 5,30 Euro. Gesamtkosten je Kilogramm H2: ungefähr 7,30 Euro.
Am Ende bleibt ein abgewandeltes Zitat von Helmut Schmidt (SPD) im Ohr. "Wer Visionen hat...", setzt Ministerin Mona Neubaur genau so an wie seinerzeit der frühere Bundeskanzler. Sie lässt aber das folgende „der sollte zum Arzt gehen“ weg, sondern schließt mit: „...der muss nach NRW, nach Saerbeck ins Bioenergiedorf.“ Denn hier zeigten Vorbilder und Visionäre, was mit den Erneuerbaren möglich ist.
Mittwoch, 24.05.2023, 15:05 Uhr
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