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Quelle: Jonas Rosenberger
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

"Zum Grünstrom gibt es keine Alternative"

Für Stadtwerke gibt es in der E-Mobilität eine ganze Reihe attraktiver Ansatzpunkte für neue Geschäfte, meint Sebastian Seier von BET.
E&M: Herr Seier, in Ihrer Umfrage geben 43 Prozent der Stadtwerke an, den Aufbau der Ladeinfrastruktur mit dem Ausbau der Erneuerbaren verzahnen zu wollen. Ist damit ausschließlich die Eigenerzeugung gemeint?

Seier: Nein. Es geht auch − aber nicht nur − um den Aufbau eigener Erzeugungskapazitäten. Die Energieversorger müssen einfach sicherstellen, regenerativ erzeugte Strommengen zur Verfügung zu haben. Das kann natürlich auch über langfristige Abnahmeverträge geschehen.

E&M: Und über Zertifikate?

Seier: Das ist die einfachste Variante. Es hängt davon ab, wie sich ein Energieversorger positionieren will, mit welchen Argumenten er für die E-Mobilität und die Dekarbonisierung des Verkehrssektors eintreten und werben will. Aber grundsätzlich ist auch die Nutzung von Herkunftsnachweisen denkbar.

E&M: Ist Graustrom ein Thema für die E-Mobilität? Beim Wasserstoff gibt es ja immer wieder Stimmen, die grauen Wasserstoff − zumindest für eine Übergangszeit − zur Stabilisierung des Marktes für unverzichtbar halten.

„Graustrom ist ein No-Go“

Seier: Aus Marketingsicht ist Graustrom sicherlich ein No-Go. Rein physikalisch bezieht der Kunde, der an das öffentliche Netz angeschlossen ist, natürlich einen Strommix, in dem noch gewisse Anteile von Kohle- und Atomstrom enthalten sind. Aber dann wird der Energieversorger den Strom zumindest über Zertifikate als Grünstrom vermarkten. Es geht ja um die Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Da gibt es zum Grünstrom keine Alternative. Politisch hat grauer Strom ohnehin keine Zukunft. Zum einen wird der Kohleausstieg kommen, zum anderen wird der CO2-Preis steigen. Damit werden konventionelle Kraftwerke aus dem Markt gedrängt und wir werden über kurz oder lang auch keinen bilanziellen Grünstrom mehr in den Ladesäulen haben, sondern wirklich physikalischen.

E&M: Die Investitionen in eigene Erzeugungskapazitäten oder der Abschluss langfristiger Abnahmeverträge setzt aber verlässliche Prognosen voraus. Wir haben das gerade bei der Bundesregierung erlebt, wie weit man − aus welchen Gründen auch immer − daneben liegen kann.

Seier: Es werden sicherlich von Ort zu Ort und von Region zu Region unterschiedlich viele Elektrofahrzeuge in unterschiedlicher Zeit auf die Straße kommen. Daher wird sich auch der Bedarf an regenerativem Strom deutlich unterscheiden. Für einzelne Energieversorger ist es wichtig, sich ein Bild vom eigenen Versorgungsgebiet zu machen. Je genauer die Prognose, desto besser. Im Zweifel ist aber eine grobe Prognose besser als gar keine. Die E-Mobilität ist ja auch nicht der einzige Treiber für den notwendigen Erneuerbaren-Ausbau.

E&M: Und es wird die Frage sein, wie viel erneuerbare Energie für die Wasserstoffproduktion benötigt wird.

Seier: Richtig, zum einen für den Wasserstoff, der in der Industrie eingesetzt wird, zum anderen aber auch zur Herstellung synthetischer Treibstoffe, die vor allem im Schiffs- und Flugverkehr eine wichtige Rolle spielen. Aber egal auf welches Zukunftsszenario wir schauen: Die E-Mobilität wird immer einen relativ großen Anteil am Verkehr haben. Spielt Wasserstoff auch im Pkw-Bereich eine große Rolle, sind es vielleicht 60 bis 70 Prozent batterieelektrische Fahrzeuge, andernfalls vielleicht sogar 80 bis 90 Prozent. Der Bedarf an grünem Strom wird auf jeden Fall sehr groß sein und aus unserer Sicht die Investitionen von Stadtwerken in eigene Erzeugungskapazitäten rechtfertigen.

E&M: Auch ohne EEG-Förderung?

Seier: Die Eigenerzeugung muss natürlich zur Strategie des Energieversorgers passen. Aber wir sehen tatsächlich, dass mittlerweile die eigenen Erzeugungsanlagen bei Stadtwerken wachsende Ergebnisbeiträge liefern. Bisher waren vor allem die Netze die Renditebringer. Diese Zeiten neigen sich dem Ende zu. Die Margen gehen immer weiter zurück. Dafür steigen die Wertbeiträge der Erneuerbaren. Wer früh angefangen hat, solche Anlagen zu betreiben, verdient heute gutes Geld damit.

„Wir gehen wir davon aus, dass die Stadtwerke gute Chancen haben, mit der E-Mobilität ein einträgliches Geschäftsmodell aufzubauen“

E&M: 75 Prozent der befragten Stadtwerke gaben an, dass ihre Gesellschafter schon klare Vorstellungen hätten, wie sie sich bei der E-Mobilität positionieren sollen. Aus Sicht einer Kommune wird das doch in erster Linie bedeuten: Errichter und Betreiber öffentlicher Ladeinfrastruktur.

Seier: Die öffentliche und halböffentliche Ladeinfrastruktur spielt als neues Geschäftsfeld eine ganz wichtige Rolle, die heute von vielen Stadtwerken aber schon bespielt wird. Die spannende Frage ist aber: Wie viel Geld lässt sich damit verdienen? Kurz- und mittelfristig wahrscheinlich nicht allzu viel. Es ist zwar aus Sicht der Kommune ein wichtiges Engagement, aber ein schwieriges Geschäftsfeld. Wir haben die Diskussion um den Pflichteinbau eines Kartenterminals. Es gibt auch die Pflicht zum Einbau eines Smart Meter Gateways. Das sind nur zwei Beispiele für Faktoren, die zunächst einmal zusätzliche Kosten verursachen.

E&M: Aber die Stadtwerke werden sich kaum dieser Aufgabe entziehen können, wenn es der Aufsichtsrat gern so hätte.

Seier: Nein, aber als Ergänzung sollten die Stadtwerke die E-Mobilität ins Privatkundengeschäft integrieren. Wir haben schon mehrere Projekte mit Stadtwerken durchgeführt, die gezeigt haben, dass dieses Geschäftsmodell sehr attraktiv ist. Und zwar nicht allein wegen des Verkaufs und der Installation der Wallboxen, sondern vor allem wegen der zusätzlichen Strommengen, die sie im Bereich der E-Mobilität absetzen können. Insgesamt lässt sich daran erkennen, wie das Dienstleistungs- und das Commodity-Geschäft mehr und mehr zusammenwächst.

 
Sebastian Seier
Quelle: BET


E&M: Wie schätzen Sie die Chancen der Stadtwerke ein, sich gegen die Konkurrenz aus der Automobilwirtschaft zu behaupten?

Seier: Die Konkurrenz ist sehr groß. Volkswagen ist schon mit seiner Tochter Elli in den Stromverkauf eingestiegen. Die im E-Mobilitätsmarkt benötigten Strommengen werden aber so groß sein, dass es sich auf jeden Fall für Stadtwerke lohnen wird, den Wettbewerb aufzunehmen, auch wenn sie nicht nur mit den Automobilkonzernen, sondern natürlich auch mit den Großen aus der Energiewirtschaft im Wettbewerb stehen. Selbst wenn im Stromvertrieb die Margen etwas zurückgehen sollten, gehen wir davon aus, dass die Stadtwerke gute Chancen haben, mit der E-Mobilität ein einträgliches Geschäftsmodell aufzubauen.

E&M: Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Mineralölkonzerne?

Seier: Das sind sicherlich Wettbewerber. Es wird sehr spannend, wie sich die Konzerne künftig bei der E-Mobilität aufstellen werden. Shell hat beispielsweise schon mit Ubitricity einen Ladeinfrastrukturanbieter gekauft. Die Mineralölkonzerne sind aber auch potenzielle Handelspartner der Stadtwerke für Treibhausgasquoten. Denn sie haben klare Emissionsvorgaben. Sie müssen entweder selbst umweltfreundliche Treibstoffe in den Markt bringen oder in bestimmtem Umfang Zertifikate erwerben. Stadtwerke, die grünen Ladestrom in den Markt bringen, sind potenzielle Verkäufer der Zertifikate. Allerdings haben sich nur wenige Stadtwerke bisher mit diesem Thema beschäftigt. Sie sollten es aber aus unserer Sicht unbedingt angehen. Denn kurz- und mittelfristig, bis die Ölkonzerne wirklich ‚grün‘ geworden sind, wird es bei diesem Geschäft nur Gewinner geben.

„Energieversorger können ein Bündelprodukt kreieren“

E&M: Wie schätzen Sie die Chancen von Messstellenbetreibern ein?

Seier: Sowohl grundzuständige als auch wettbewerbliche Messstellenbetreiber spielen aus unserer Sicht in der E-Mobilität eine ganz wesentliche Rolle. Sie haben über das intelligente Messsystem in der Ladesäule oder Wallbox einen sehr guten Zugang zum Kunden. Energieversorger können darauf aufbauend datenbasierte Zusatzdienste anbieten, ein Bündelprodukt kreieren und gegebenenfalls eine Wärmepumpe und eine PV-Anlage mit in das Paket packen. Das ist auch das Kerngeschäft der EVU, die in diesem Bereich sicher einen Vorteil gegenüber den Automobilkonzernen haben.

E&M: Leasing und Verkauf von Autos sind aber weit vom Kerngeschäft der Energieversorger entfernt. Trotzdem geben einige Unternehmen in Ihrer Befragung an, hier einsteigen zu wollen. Wie passt das zu einem Stadtwerk?

Seier: Das passt vor allem in Form von Partnerschaften mit Autohäusern. Sowohl Stadtwerke als auch Autohäuser haben hervorragende Möglichkeiten, den Kunden zu kontaktieren und zu binden. Die einen bieten die Ladeinfrastruktur, eine langfristige Stromlieferung und energiebasierte Zusatzdienste. Die anderen kommen mit den Kunden beim Autokauf und in regelmäßigen Wartungszyklen in Kontakt. Da liegt auch der Gedanke nahe, einen lokalen Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos auf die Beine zu stellen.

E&M: Da gibt es aber schon eine Reihe von Anbietern.

Seier: Viele klassische Gebrauchtwagenseiten im Internet scheinen sich aber noch nicht auf die E-Mobilität eingestellt zu haben. Das mag auch daran liegen, dass der Gebrauchtwagenmarkt bei den E-Pkw noch in den Kinderschuhen steckt. Zudem ist es bei E-Pkw aufgrund der beschränkten Reichweite gegebenenfalls sinnvoll, sie nicht 600 Kilometer entfernt zu kaufen, sondern in der eigenen Region. Immer mehr Stadtwerke bauen sowieso lokale Plattformen oder City-Apps mit lokalen Vernetzungs- und Dienstleistungsangeboten auf. Hier ließe sich ein E-Pkw-Gebrauchtwagenmarkt integrieren, über den die EVU dann auch Wallboxen und Stromtarife an die Autokäufer vermitteln können.

Zur Person

Sebastian Seier studierte Politik- und Europawissenschaften und arbeitet seit 2017 bei BET mit dem Schwerpunkt Strategieentwicklung und Innovationsmanagement. Als Projektmanager war er maßgeblich an einer Studie zur E-Mobilitätsstrategie von Energieversorgern beteiligt.
 

Freitag, 1.10.2021, 08:45 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe -
Quelle: Jonas Rosenberger
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
"Zum Grünstrom gibt es keine Alternative"
Für Stadtwerke gibt es in der E-Mobilität eine ganze Reihe attraktiver Ansatzpunkte für neue Geschäfte, meint Sebastian Seier von BET.
E&M: Herr Seier, in Ihrer Umfrage geben 43 Prozent der Stadtwerke an, den Aufbau der Ladeinfrastruktur mit dem Ausbau der Erneuerbaren verzahnen zu wollen. Ist damit ausschließlich die Eigenerzeugung gemeint?

Seier: Nein. Es geht auch − aber nicht nur − um den Aufbau eigener Erzeugungskapazitäten. Die Energieversorger müssen einfach sicherstellen, regenerativ erzeugte Strommengen zur Verfügung zu haben. Das kann natürlich auch über langfristige Abnahmeverträge geschehen.

E&M: Und über Zertifikate?

Seier: Das ist die einfachste Variante. Es hängt davon ab, wie sich ein Energieversorger positionieren will, mit welchen Argumenten er für die E-Mobilität und die Dekarbonisierung des Verkehrssektors eintreten und werben will. Aber grundsätzlich ist auch die Nutzung von Herkunftsnachweisen denkbar.

E&M: Ist Graustrom ein Thema für die E-Mobilität? Beim Wasserstoff gibt es ja immer wieder Stimmen, die grauen Wasserstoff − zumindest für eine Übergangszeit − zur Stabilisierung des Marktes für unverzichtbar halten.

„Graustrom ist ein No-Go“

Seier: Aus Marketingsicht ist Graustrom sicherlich ein No-Go. Rein physikalisch bezieht der Kunde, der an das öffentliche Netz angeschlossen ist, natürlich einen Strommix, in dem noch gewisse Anteile von Kohle- und Atomstrom enthalten sind. Aber dann wird der Energieversorger den Strom zumindest über Zertifikate als Grünstrom vermarkten. Es geht ja um die Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Da gibt es zum Grünstrom keine Alternative. Politisch hat grauer Strom ohnehin keine Zukunft. Zum einen wird der Kohleausstieg kommen, zum anderen wird der CO2-Preis steigen. Damit werden konventionelle Kraftwerke aus dem Markt gedrängt und wir werden über kurz oder lang auch keinen bilanziellen Grünstrom mehr in den Ladesäulen haben, sondern wirklich physikalischen.

E&M: Die Investitionen in eigene Erzeugungskapazitäten oder der Abschluss langfristiger Abnahmeverträge setzt aber verlässliche Prognosen voraus. Wir haben das gerade bei der Bundesregierung erlebt, wie weit man − aus welchen Gründen auch immer − daneben liegen kann.

Seier: Es werden sicherlich von Ort zu Ort und von Region zu Region unterschiedlich viele Elektrofahrzeuge in unterschiedlicher Zeit auf die Straße kommen. Daher wird sich auch der Bedarf an regenerativem Strom deutlich unterscheiden. Für einzelne Energieversorger ist es wichtig, sich ein Bild vom eigenen Versorgungsgebiet zu machen. Je genauer die Prognose, desto besser. Im Zweifel ist aber eine grobe Prognose besser als gar keine. Die E-Mobilität ist ja auch nicht der einzige Treiber für den notwendigen Erneuerbaren-Ausbau.

E&M: Und es wird die Frage sein, wie viel erneuerbare Energie für die Wasserstoffproduktion benötigt wird.

Seier: Richtig, zum einen für den Wasserstoff, der in der Industrie eingesetzt wird, zum anderen aber auch zur Herstellung synthetischer Treibstoffe, die vor allem im Schiffs- und Flugverkehr eine wichtige Rolle spielen. Aber egal auf welches Zukunftsszenario wir schauen: Die E-Mobilität wird immer einen relativ großen Anteil am Verkehr haben. Spielt Wasserstoff auch im Pkw-Bereich eine große Rolle, sind es vielleicht 60 bis 70 Prozent batterieelektrische Fahrzeuge, andernfalls vielleicht sogar 80 bis 90 Prozent. Der Bedarf an grünem Strom wird auf jeden Fall sehr groß sein und aus unserer Sicht die Investitionen von Stadtwerken in eigene Erzeugungskapazitäten rechtfertigen.

E&M: Auch ohne EEG-Förderung?

Seier: Die Eigenerzeugung muss natürlich zur Strategie des Energieversorgers passen. Aber wir sehen tatsächlich, dass mittlerweile die eigenen Erzeugungsanlagen bei Stadtwerken wachsende Ergebnisbeiträge liefern. Bisher waren vor allem die Netze die Renditebringer. Diese Zeiten neigen sich dem Ende zu. Die Margen gehen immer weiter zurück. Dafür steigen die Wertbeiträge der Erneuerbaren. Wer früh angefangen hat, solche Anlagen zu betreiben, verdient heute gutes Geld damit.

„Wir gehen wir davon aus, dass die Stadtwerke gute Chancen haben, mit der E-Mobilität ein einträgliches Geschäftsmodell aufzubauen“

E&M: 75 Prozent der befragten Stadtwerke gaben an, dass ihre Gesellschafter schon klare Vorstellungen hätten, wie sie sich bei der E-Mobilität positionieren sollen. Aus Sicht einer Kommune wird das doch in erster Linie bedeuten: Errichter und Betreiber öffentlicher Ladeinfrastruktur.

Seier: Die öffentliche und halböffentliche Ladeinfrastruktur spielt als neues Geschäftsfeld eine ganz wichtige Rolle, die heute von vielen Stadtwerken aber schon bespielt wird. Die spannende Frage ist aber: Wie viel Geld lässt sich damit verdienen? Kurz- und mittelfristig wahrscheinlich nicht allzu viel. Es ist zwar aus Sicht der Kommune ein wichtiges Engagement, aber ein schwieriges Geschäftsfeld. Wir haben die Diskussion um den Pflichteinbau eines Kartenterminals. Es gibt auch die Pflicht zum Einbau eines Smart Meter Gateways. Das sind nur zwei Beispiele für Faktoren, die zunächst einmal zusätzliche Kosten verursachen.

E&M: Aber die Stadtwerke werden sich kaum dieser Aufgabe entziehen können, wenn es der Aufsichtsrat gern so hätte.

Seier: Nein, aber als Ergänzung sollten die Stadtwerke die E-Mobilität ins Privatkundengeschäft integrieren. Wir haben schon mehrere Projekte mit Stadtwerken durchgeführt, die gezeigt haben, dass dieses Geschäftsmodell sehr attraktiv ist. Und zwar nicht allein wegen des Verkaufs und der Installation der Wallboxen, sondern vor allem wegen der zusätzlichen Strommengen, die sie im Bereich der E-Mobilität absetzen können. Insgesamt lässt sich daran erkennen, wie das Dienstleistungs- und das Commodity-Geschäft mehr und mehr zusammenwächst.

 
Sebastian Seier
Quelle: BET


E&M: Wie schätzen Sie die Chancen der Stadtwerke ein, sich gegen die Konkurrenz aus der Automobilwirtschaft zu behaupten?

Seier: Die Konkurrenz ist sehr groß. Volkswagen ist schon mit seiner Tochter Elli in den Stromverkauf eingestiegen. Die im E-Mobilitätsmarkt benötigten Strommengen werden aber so groß sein, dass es sich auf jeden Fall für Stadtwerke lohnen wird, den Wettbewerb aufzunehmen, auch wenn sie nicht nur mit den Automobilkonzernen, sondern natürlich auch mit den Großen aus der Energiewirtschaft im Wettbewerb stehen. Selbst wenn im Stromvertrieb die Margen etwas zurückgehen sollten, gehen wir davon aus, dass die Stadtwerke gute Chancen haben, mit der E-Mobilität ein einträgliches Geschäftsmodell aufzubauen.

E&M: Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Mineralölkonzerne?

Seier: Das sind sicherlich Wettbewerber. Es wird sehr spannend, wie sich die Konzerne künftig bei der E-Mobilität aufstellen werden. Shell hat beispielsweise schon mit Ubitricity einen Ladeinfrastrukturanbieter gekauft. Die Mineralölkonzerne sind aber auch potenzielle Handelspartner der Stadtwerke für Treibhausgasquoten. Denn sie haben klare Emissionsvorgaben. Sie müssen entweder selbst umweltfreundliche Treibstoffe in den Markt bringen oder in bestimmtem Umfang Zertifikate erwerben. Stadtwerke, die grünen Ladestrom in den Markt bringen, sind potenzielle Verkäufer der Zertifikate. Allerdings haben sich nur wenige Stadtwerke bisher mit diesem Thema beschäftigt. Sie sollten es aber aus unserer Sicht unbedingt angehen. Denn kurz- und mittelfristig, bis die Ölkonzerne wirklich ‚grün‘ geworden sind, wird es bei diesem Geschäft nur Gewinner geben.

„Energieversorger können ein Bündelprodukt kreieren“

E&M: Wie schätzen Sie die Chancen von Messstellenbetreibern ein?

Seier: Sowohl grundzuständige als auch wettbewerbliche Messstellenbetreiber spielen aus unserer Sicht in der E-Mobilität eine ganz wesentliche Rolle. Sie haben über das intelligente Messsystem in der Ladesäule oder Wallbox einen sehr guten Zugang zum Kunden. Energieversorger können darauf aufbauend datenbasierte Zusatzdienste anbieten, ein Bündelprodukt kreieren und gegebenenfalls eine Wärmepumpe und eine PV-Anlage mit in das Paket packen. Das ist auch das Kerngeschäft der EVU, die in diesem Bereich sicher einen Vorteil gegenüber den Automobilkonzernen haben.

E&M: Leasing und Verkauf von Autos sind aber weit vom Kerngeschäft der Energieversorger entfernt. Trotzdem geben einige Unternehmen in Ihrer Befragung an, hier einsteigen zu wollen. Wie passt das zu einem Stadtwerk?

Seier: Das passt vor allem in Form von Partnerschaften mit Autohäusern. Sowohl Stadtwerke als auch Autohäuser haben hervorragende Möglichkeiten, den Kunden zu kontaktieren und zu binden. Die einen bieten die Ladeinfrastruktur, eine langfristige Stromlieferung und energiebasierte Zusatzdienste. Die anderen kommen mit den Kunden beim Autokauf und in regelmäßigen Wartungszyklen in Kontakt. Da liegt auch der Gedanke nahe, einen lokalen Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos auf die Beine zu stellen.

E&M: Da gibt es aber schon eine Reihe von Anbietern.

Seier: Viele klassische Gebrauchtwagenseiten im Internet scheinen sich aber noch nicht auf die E-Mobilität eingestellt zu haben. Das mag auch daran liegen, dass der Gebrauchtwagenmarkt bei den E-Pkw noch in den Kinderschuhen steckt. Zudem ist es bei E-Pkw aufgrund der beschränkten Reichweite gegebenenfalls sinnvoll, sie nicht 600 Kilometer entfernt zu kaufen, sondern in der eigenen Region. Immer mehr Stadtwerke bauen sowieso lokale Plattformen oder City-Apps mit lokalen Vernetzungs- und Dienstleistungsangeboten auf. Hier ließe sich ein E-Pkw-Gebrauchtwagenmarkt integrieren, über den die EVU dann auch Wallboxen und Stromtarife an die Autokäufer vermitteln können.

Zur Person

Sebastian Seier studierte Politik- und Europawissenschaften und arbeitet seit 2017 bei BET mit dem Schwerpunkt Strategieentwicklung und Innovationsmanagement. Als Projektmanager war er maßgeblich an einer Studie zur E-Mobilitätsstrategie von Energieversorgern beteiligt.
 

Freitag, 1.10.2021, 08:45 Uhr
Fritz Wilhelm

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