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Energie & Management > Recht -
Quelle: Pixabay / Sang Hyun Cho
Recht

"Zeitenwende": Windturbine von Militärhelikoptern nicht zu kippen

Die Bundeswehr hat eine Menge ihrer Lufthoheit über Tieffluggebiete eingebüßt. So darf sie die Planungen der Stadtwerke Münster für eine Windturbine in Lemgo nicht länger verhindern.
Ein Windenergieprojekt mit Symbolkraft: Die Stadtwerke Münster haben vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Einwände der Bundeswehr gegen eine in Lemgo geplante Turbine förmlich in der Luft zerreißen können. Am Ende ging das Militär einem Urteil aus dem Wege und räumte seine Barrikaden für die Anlage über einen Vergleich zur Seite.

Im Verlauf der Verhandlung am 11. Mai wurde zunehmend deutlich, dass die Bundeswehr nur eine allzu dünne Begründung für ihre Blockade zu bieten hatte. Ihretwegen war das Genehmigungsverfahren für eine 2020 beantragte Nordex-Turbine (5,7 MW) mit rund 200 Metern Gesamthöhe im Februar 2022 vom Kreis Lippe beendet worden. Den Ausschlag dafür hatte das Veto des Militärs gegeben, das in der Anlage eine Gefahr für Hubschraubertiefflüge sah.

Jurczyk sieht "Landes- und Versorgungssicherheit im Einklang"

Die im Gerichtssaal anwesende Delegation der Stadtwerke nahm den Rückzug der Truppe mit Genugtuung zur Kenntnis. Der Versorger will die Anlage nun möglichst rasch verwirklichen. Die Einigung zeige, so kommentierte Geschäftsführer Sebastian Jurczyk, „dass sich die Interessen von Landes- und Versorgungssicherheit in Einklang bringen lassen“. Für den Vergleich erklärten die Stadtwerke sich ihrerseits bereit, auf Schadenersatz wegen der Verzögerung, möglicherweise entgangener Einnahmen und höherer Baukosten zu verzichten.

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) feierte den Erfolg als „Zeitenwende“ im Verhältnis von Bundeswehr und Windkraft, wie Stadtwerke-Rechtsvertreter Oliver Frank unserer Redaktion sagte. Der Fachanwalt stammt aus der Kanzlei Engemann & Partner, die wie die Stadtwerke Mitglied im LEE NRW sind. Nachdem die Erneuerbaren qua Gesetz „im überragenden öffentlichen Interesse“ seien, befänden sie sich jetzt auf Augenhöhe mit Belangen des Militärs. Das hatte nach einer Auflistung des Bundesverbands Wind-Energie (BWE) Ende 2021 bundesweit nahezu 1.000 Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 4.800 MW ausgebremst.

Mit dem geschlossenen Vergleich ist der Kreis Lippe verpflichtet, „unverzüglich“ das seinerzeit gestoppte Genehmigungsverfahren wieder aufzunehmen. Es sind noch Formalien zu klären. Dies ist sofort möglich, weil der Vergleich das Einverständnis aller zuvor in luftverkehrsrechtlichen Fragen gehörten Stellen einschließt. Entsprechend groß war der Auflauf der Verfahrensbeteiligten: Neben den klagenden Stadtwerken Münster waren die Bundeswehr mit ihrem Luftfahrtsamt, die Bezirksregierung als Vertretung des Landes NRW und der beklagte Kreis Lippe vertreten.

Bundeswehr soll künftig Verlegung von Tiefflugkorridoren prüfen

Der Vorsitzende Richter am neu eingerichteten „Windkraft-Senat“, Hans-Joachim Hüwelmeier, zeigte sich „überrascht und erfreut“ über den Vergleich. Er hatte sich darauf eingestellt, mit seinem Senat in der Sache Recht sprechen zu müssen. Doch schon früh wurde deutlich, dass die Bundeswehr wenig Stichhaltiges vorzubringen hatte.

Im Einzelnen: Die geplante Windturbine soll zwar in einem Tiefflugkorridor von Hubschraubern entstehen, die von den Stützpunkten Faßberg und Bückeburg (beides Niedersachsen) aus den Truppenübungsplatz Senne/Augustdorf (NRW) ansteuern. Allerdings ist sie in einer kleinen Windkraft-Vorrangzone vorgesehen, gegen die die Bundeswehr bei der entsprechenden Aufstellung des Flächennutzungsplans nichts Wesentliches einzuwenden hatte.

Dieser Punkt hätte in einem Urteil schweres Gewicht haben können: Denn den Planungsbehörden sind die Flugkorridore nicht bekannt, ihre Streckenführung ist geheim. Es wäre also in FNP-Verfahren, bei denen das Militär gehört wird, unabdingbar, die Planenden von Windkraftzonen frühzeitig in Kenntnis zu setzen. Zudem liegt direkt nebenan, auf dem Gebiet der Stadt Lage, eine weitere Konzentrationszone, von deren vier Windturbinen drei ebenfalls im Flugkorridor stehen.

Auch war der Argumentation der Truppenvertreter nicht zu entnehmen, dass eine konkrete Gefahr durch die neue Windturbine entstehen würde. Schließlich hatten die Uniformierten sich offenbar auch nicht ansatzweise mit dem Vorschlag der Stadtwerke auseinander gesetzt, den Flugkorridor einige Hundert Meter nach Osten zu verschieben. Ein Bundeswehr-Vertreter räumte ein, dass vor einer Verlegung von Korridoren inzwischen in umfangreichem Maße Träger öffentlicher Belange zu beteiligen seien. „Darauf möchten wir möglichst verzichten.“ Stattdessen solle ein „heranrückendes Bauwerk“ Rücksicht nehmen.

Diese Haltung wird vermutlich keine Zukunft mehr haben. Denn Verfassungsrichter Hans-Joachim Hüwelmeier schrieb der Bundeswehr mit einer Protokollnotiz zum Vergleich ins Stammbuch, sich künftig doch besser „grundsätzlich mit Verlegungsmöglichkeiten von Tiefflugstrecken auseinander zu setzen“. Zwar hat dieser Hinweis keine bindende Kraft. Es zeigt aber die Position des OVG, künftig in jedem vergleichbaren Einzelfall kritisch nachhaken zu wollen. Die Bundeswehr-Seite kommentierte, eine Klärung in dieser Frage sei im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen.

Im Fall Lemgo jedenfalls, so der Richter, dürfte aufgrund der Sachlage „eine vertiefte Prüfung angezeigt sein“. Stadtwerke-Rechtsanwalt Oliver Frank konnte sich eine Spitze nicht verkneifen: Dieses geringfügige Verlegen des Korridors wäre möglich gewesen, „ohne die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu gefährden“. Nach dem Vergleich ist das Verschieben über Lemgo zumindest überflüssig.

Donnerstag, 11.05.2023, 16:38 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Recht -
Quelle: Pixabay / Sang Hyun Cho
Recht
"Zeitenwende": Windturbine von Militärhelikoptern nicht zu kippen
Die Bundeswehr hat eine Menge ihrer Lufthoheit über Tieffluggebiete eingebüßt. So darf sie die Planungen der Stadtwerke Münster für eine Windturbine in Lemgo nicht länger verhindern.
Ein Windenergieprojekt mit Symbolkraft: Die Stadtwerke Münster haben vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Einwände der Bundeswehr gegen eine in Lemgo geplante Turbine förmlich in der Luft zerreißen können. Am Ende ging das Militär einem Urteil aus dem Wege und räumte seine Barrikaden für die Anlage über einen Vergleich zur Seite.

Im Verlauf der Verhandlung am 11. Mai wurde zunehmend deutlich, dass die Bundeswehr nur eine allzu dünne Begründung für ihre Blockade zu bieten hatte. Ihretwegen war das Genehmigungsverfahren für eine 2020 beantragte Nordex-Turbine (5,7 MW) mit rund 200 Metern Gesamthöhe im Februar 2022 vom Kreis Lippe beendet worden. Den Ausschlag dafür hatte das Veto des Militärs gegeben, das in der Anlage eine Gefahr für Hubschraubertiefflüge sah.

Jurczyk sieht "Landes- und Versorgungssicherheit im Einklang"

Die im Gerichtssaal anwesende Delegation der Stadtwerke nahm den Rückzug der Truppe mit Genugtuung zur Kenntnis. Der Versorger will die Anlage nun möglichst rasch verwirklichen. Die Einigung zeige, so kommentierte Geschäftsführer Sebastian Jurczyk, „dass sich die Interessen von Landes- und Versorgungssicherheit in Einklang bringen lassen“. Für den Vergleich erklärten die Stadtwerke sich ihrerseits bereit, auf Schadenersatz wegen der Verzögerung, möglicherweise entgangener Einnahmen und höherer Baukosten zu verzichten.

Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) feierte den Erfolg als „Zeitenwende“ im Verhältnis von Bundeswehr und Windkraft, wie Stadtwerke-Rechtsvertreter Oliver Frank unserer Redaktion sagte. Der Fachanwalt stammt aus der Kanzlei Engemann & Partner, die wie die Stadtwerke Mitglied im LEE NRW sind. Nachdem die Erneuerbaren qua Gesetz „im überragenden öffentlichen Interesse“ seien, befänden sie sich jetzt auf Augenhöhe mit Belangen des Militärs. Das hatte nach einer Auflistung des Bundesverbands Wind-Energie (BWE) Ende 2021 bundesweit nahezu 1.000 Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 4.800 MW ausgebremst.

Mit dem geschlossenen Vergleich ist der Kreis Lippe verpflichtet, „unverzüglich“ das seinerzeit gestoppte Genehmigungsverfahren wieder aufzunehmen. Es sind noch Formalien zu klären. Dies ist sofort möglich, weil der Vergleich das Einverständnis aller zuvor in luftverkehrsrechtlichen Fragen gehörten Stellen einschließt. Entsprechend groß war der Auflauf der Verfahrensbeteiligten: Neben den klagenden Stadtwerken Münster waren die Bundeswehr mit ihrem Luftfahrtsamt, die Bezirksregierung als Vertretung des Landes NRW und der beklagte Kreis Lippe vertreten.

Bundeswehr soll künftig Verlegung von Tiefflugkorridoren prüfen

Der Vorsitzende Richter am neu eingerichteten „Windkraft-Senat“, Hans-Joachim Hüwelmeier, zeigte sich „überrascht und erfreut“ über den Vergleich. Er hatte sich darauf eingestellt, mit seinem Senat in der Sache Recht sprechen zu müssen. Doch schon früh wurde deutlich, dass die Bundeswehr wenig Stichhaltiges vorzubringen hatte.

Im Einzelnen: Die geplante Windturbine soll zwar in einem Tiefflugkorridor von Hubschraubern entstehen, die von den Stützpunkten Faßberg und Bückeburg (beides Niedersachsen) aus den Truppenübungsplatz Senne/Augustdorf (NRW) ansteuern. Allerdings ist sie in einer kleinen Windkraft-Vorrangzone vorgesehen, gegen die die Bundeswehr bei der entsprechenden Aufstellung des Flächennutzungsplans nichts Wesentliches einzuwenden hatte.

Dieser Punkt hätte in einem Urteil schweres Gewicht haben können: Denn den Planungsbehörden sind die Flugkorridore nicht bekannt, ihre Streckenführung ist geheim. Es wäre also in FNP-Verfahren, bei denen das Militär gehört wird, unabdingbar, die Planenden von Windkraftzonen frühzeitig in Kenntnis zu setzen. Zudem liegt direkt nebenan, auf dem Gebiet der Stadt Lage, eine weitere Konzentrationszone, von deren vier Windturbinen drei ebenfalls im Flugkorridor stehen.

Auch war der Argumentation der Truppenvertreter nicht zu entnehmen, dass eine konkrete Gefahr durch die neue Windturbine entstehen würde. Schließlich hatten die Uniformierten sich offenbar auch nicht ansatzweise mit dem Vorschlag der Stadtwerke auseinander gesetzt, den Flugkorridor einige Hundert Meter nach Osten zu verschieben. Ein Bundeswehr-Vertreter räumte ein, dass vor einer Verlegung von Korridoren inzwischen in umfangreichem Maße Träger öffentlicher Belange zu beteiligen seien. „Darauf möchten wir möglichst verzichten.“ Stattdessen solle ein „heranrückendes Bauwerk“ Rücksicht nehmen.

Diese Haltung wird vermutlich keine Zukunft mehr haben. Denn Verfassungsrichter Hans-Joachim Hüwelmeier schrieb der Bundeswehr mit einer Protokollnotiz zum Vergleich ins Stammbuch, sich künftig doch besser „grundsätzlich mit Verlegungsmöglichkeiten von Tiefflugstrecken auseinander zu setzen“. Zwar hat dieser Hinweis keine bindende Kraft. Es zeigt aber die Position des OVG, künftig in jedem vergleichbaren Einzelfall kritisch nachhaken zu wollen. Die Bundeswehr-Seite kommentierte, eine Klärung in dieser Frage sei im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen.

Im Fall Lemgo jedenfalls, so der Richter, dürfte aufgrund der Sachlage „eine vertiefte Prüfung angezeigt sein“. Stadtwerke-Rechtsanwalt Oliver Frank konnte sich eine Spitze nicht verkneifen: Dieses geringfügige Verlegen des Korridors wäre möglich gewesen, „ohne die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu gefährden“. Nach dem Vergleich ist das Verschieben über Lemgo zumindest überflüssig.

Donnerstag, 11.05.2023, 16:38 Uhr
Volker Stephan

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