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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Wirtschaftsweise Grimm: CO2-Preis hoch, Strompreis runter
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Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe

Wirtschaftsweise Grimm: CO2-Preis hoch, Strompreis runter

Veronika Grimm ist eine der „fünf Wirtschaftsweisen“. Im E&M-Interview fordert sie eine Reform des Energiemarktes, vor allem im Bereich Strom. 
 
Eine von fünf der sogenannten Wirtschaftsweisen: Prof. Veronika Grimm
Quelle: LEW / Christina Bleier

E&M: Das Jahresband 2022 Strom an der EEX bewegt sich über der 100-Euro-Marke. Der Gaspreis steigt und auch der CO2-Preis nimmt ungeahnte Höhen. Was sind die Gründe dafür?

Grimm: Der Anstieg des CO2-Preises macht mir erstmals nicht so große Sorgen. Daran, dass der CO2-Preis steigt, sieht man, dass die Klimapolitik greift. Das ist der Mechanismus, den man wollte. Was mir aber Sorgen macht, ist das zögerliche Verhalten der Politik, die Verbraucher zu entlasten. Vor allem bei den Strompreisen haben wir großes Potenzial. Die Gaspreise folgen einer Entwicklung, die man aus Deutschland heraus kaum beeinflussen kann. Allerdings könnte man die Lagerbewirtschaftung verbessern, hier gibt es durchaus Möglichkeiten.

E&M: Wie soll die Entlastung bei den Strompreisen aussehen?

Grimm: Man könnte damit anfangen, die EEG-Umlage abzuschaffen und die Stromsteuer auf ein Minimum zu reduzieren. Dann hätte man schon mal ein Drittel des Strompreises reduziert. Die Politik redet davon, die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen zu wollen. Hier gilt aber: Schneller ist besser.

E&M: Die Einnahmen aus der EEG-Umlage betragen aktuell über 20 Milliarden Euro im Jahr. Wie wollen Sie diese Einnahmeausfälle kompensieren?

Grimm: Wir haben im Sachverständigenrat ein Konzept dazu vorgeschlagen. Es könnten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verwendet werden. Das wird nicht ganz reichen, aber wir haben umfangreiche Subventionen fossiler Energieträger − Stichworte sind unter anderen das Dienstwagenprivileg oder Teile der Pendlerpauschale. Außerdem würde die Senkung des Strompreises Förderbedarfe reduzieren, weil die Sektorenkopplung attraktiver wird. Diese vermiedenen Ausgaben könnte man ebenfalls gegenrechnen.

„Der Emissionshandel muss im Zentrum stehen“

E&M: Wie soll die Politik das erreichen?

Grimm: Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept in der Energie- und Klimapolitik, statt kleinteilig zu fördern und viel Symbolpolitik zu betreiben. Der Emissionshandel muss im Zentrum stehen, perspektivisch sektorenübergreifend und auf europäischer Ebene. Wenn das richtig angegangen wird, hätte man sehr viele Probleme auf einmal abgeräumt. Aber für Politiker ist das eine äußerst undankbare Reform. Sie können bei einer solchen Reformpolitik keine roten Bänder durchschneiden oder schillernde Projekte einweihen. Eine weitreichende Umgestaltung der Abgaben und Umlagen stößt vielmehr fortwährend auf Widerstand bei denjenigen, die Vergünstigungen einbüßen. 

E&M: Die Bundesregierung hat zu Beginn des Jahres einen nationalen CO2-Preis eingeführt. Wie beurteilen Sie das? 

Grimm: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem weil das Mittelfristziel der Bundesregierung mit den EU-Planungen kompatibel ist. Die CO2-Bepreisung soll auf die Bereiche Wärme und Verkehr ausgeweitet und in einem einheitlichen CO2-Handel mit einem sektorenübergreifenden Preis zusammengeführt werden. Wenn in einer Reform zum Beispiel die EEG-Umlage und die Stromsteuer abgeschafft und die CO2-Preise erhöht werden, werden finanzielle Mittel und somit auch realwirtschaftliche Anreize in Höhe von jährlich 50 bis 60 Milliarden Euro verschoben. Das hat massive Auswirkungen. 

E&M: Bei der Einführung des nationalen CO2-Preises kam es zu einem klassischen Kompromiss. Erst steigt der Preis fünf Jahre in festen Bahnen, um dann in ein Handelssystem überzugehen.

Grimm: Das ist schon gut so. Die Erfahrung zeigt, dass wenn ein System etabliert ist, es angeschärft werden kann. Der festgelegte CO2-Preis beim nationalen CO2-Handel könnte schneller steigen oder der Höchstpreis angehoben werden. 

E&M: Es gibt Überlegungen für eine CO2-Grenzausgleichsabgabe auf EU-Ebene. Damit sollen Einfuhren nach Europa mit einem CO2-Zoll belegt werden. Finden Sie das gut?

Grimm: Das ist ein komplexes Thema. Wir müssen uns durchaus Gedanken machen, wie wir bei zunehmend ambitionierter Klimapolitik die Wettbewerbsfähigkeit von heute emissionsintensiven Industrien erhalten und ihnen die Transformation zur klimafreundlichen Produktion ermöglichen. Ein unilaterales Vorgehen der EU ist aber ganz klar nur die zweitbeste Lösung. Selbst wenn die Grenzausgleichsabgabe mit den Bedingungen der Welthandelsorganisation kompatibel wäre, ist trotzdem zu erwarten, dass Handelspartner Vergeltungsmaßnahmen dagegen ergreifen. Deshalb ist die Idee des internationalen Klimaclubs richtig, die von der Bundesregierung kürzlich ins Spiel gebracht wurde, damit Europa zusammen mit wichtigen Handelspartnern eine Klimaallianz bildet und sich koordiniert.
 
E&M: Angela Merkel tritt nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin ab. Was ist Ihr Resümee?

Grimm: Sie ist mit klaren und auch plausiblen Visionen in die Klimapolitik gestartet. Sie hat die Politik dann immer mehr am ‚Machbaren‘ ausgerichtet, also an Gelegenheiten, die sich halt ergeben haben. So war es beim Atomausstieg oder sei es beim Kohleausstieg. Aber das reicht einfach nicht. In der jüngeren Vergangenheit gab es dann Initiativen, die eine Grundlage für das weitere Vorgehen schaffen können. Hervorzuheben ist die Einführung des Emissionshandels, der jetzt im Klimaschutzgesetz verankert wurde. Die Wasserstoffstrategie ist ebenfalls ein guter Aufschlag − vor allem da Deutschland das Thema sektorenübergreifend und global betrachtet. Auch der angesprochene Klimaclub geht in die richtige Richtung. Die globale und auch die industriepolitische Dimension muss einen deutlich größeren Stellenwert in der Energie- und Klimapolitik erhalten.

„Der Kohleausstieg ist nicht wirklich gelungen“

E&M: Was lief falsch?

Grimm: Der Kohleausstieg ist nicht wirklich gelungen in der Umsetzung. Von der Automobilindustrie hat sich Merkel zu lange drängen lassen, die Klimaziele im Verkehr niedrig zu halten. Insgesamt würde ich die Bilanz als gemischt ansehen. Wir brauchen jetzt einen Neuanfang in der Energiepolitik. Die Klimaneutralität lässt sich nicht herbei fördern. 

E&M: Im Monitoringprozess ‚Energie der Zukunft‘ schreiben Sie: ‚Im Wärmemarkt bedarf es einer größeren Verbindlichkeit für die Umsetzung vor Ort.‘ Was heißt das? 

Grimm: Was wir uns dort vorstellen, ist, dass man eine Verbindlichkeit für die kommunale Wärmeplanung vor Ort erzeugt. Einige Kommunen machen das schon. Allerdings läuft das oftmals abgekoppelt von übergeordneten Prozessen auf Landes- oder Bundesebene ab. Eine Möglichkeit könnte sein, dass man eine kommunale Planung institutionell stärker verankert und dass sie verpflichtend wird. Im Moment hängt die Wärmeplanung sehr stark von der Motivation der einzelnen Kommune ab. 
E&M: Wärmepumpe oder grünes Gas im Wärmemarkt?

Grimm: Das hängt von der Substanz des Gebäudes ab. In Altbauten ist es teilweise gar nicht möglich, mit einer Wärmepumpe vernünftig zu heizen. Man sollte von Anfang an ein breites Spektrum an Lösungen entwickeln und sich immer die Frage stellen: ‚Brauchen andere auf der Welt das nicht auch irgendwann?‘ Nicht nur für Lösungen bei der Wärmeerzeugung gilt: Die deutsche Industrie ist exportorientiert. Es ist nicht zielführend, nur auf heimische Bedarfe zu schauen.

E&M: Sie betonen die Rolle von Wasserstoff in der Energiewende. Andere Fachleute lehnen den Rohstoff als Champagner der Energiewende ab. Wer hat recht?

Grimm: Weltweit gibt es viele Länder, in denen die Wasserstoffproduktion sehr günstig ist. Nehmen Sie als Beispiel Island mit der Geothermie, Kanada mit Wasserkraft oder Australien mit Wind- und Sonnenenergie. Eine Wasserkraftanlage produziert über 8.000 Stunden Strom im Jahr für die Elektrolyse, ein Windrad in unseren Breiten vielleicht um die 3.000 Stunden jährlich. Das bedeutet, ich importiere von dort den Wasserstoff, der hierzulande mit zwei bis drei Windrädern produziert werden müsste. Der Strom wird in den Exportregionen vor Ort nicht unbedingt nachgefragt und kann daher sehr billig sein. Es kann also günstiger sein, den Wasserstoff aus Island zu verwenden, als den Strom hierzulande zu hiesigen Strompreisen. Und deutsche Firmen werden beim Aufbau der Wertschöpfungsketten ihre Expertise einbringen − das schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
 

Zur Person: Veronika Grimm

Prof. Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg und Direktorin des Laboratory for Experimental Research Nuremberg (LERN). Sie leitet zudem den Forschungsbereich Energiemarktdesign am Energie Campus Nürnberg. Seit 2020 gehört Grimm dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an, auch bekannt unter der Bezeichnung „fünf Wirtschaftsweisen“. Sie ist unter anderem Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung und sitzt in der Expertenkommission des Bundeswirtschaftsministeriums zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“. Das Gespräch mit Veronika Grimm fand in Augsburg am Rande einer Feier des Energieversorgers LEW zu dessen 120-jährigen Bestehen statt.
 

Dienstag, 23.11.2021, 09:07 Uhr
Stefan Sagmeister
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Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe
Wirtschaftsweise Grimm: CO2-Preis hoch, Strompreis runter
Veronika Grimm ist eine der „fünf Wirtschaftsweisen“. Im E&M-Interview fordert sie eine Reform des Energiemarktes, vor allem im Bereich Strom. 
 
Eine von fünf der sogenannten Wirtschaftsweisen: Prof. Veronika Grimm
Quelle: LEW / Christina Bleier

E&M: Das Jahresband 2022 Strom an der EEX bewegt sich über der 100-Euro-Marke. Der Gaspreis steigt und auch der CO2-Preis nimmt ungeahnte Höhen. Was sind die Gründe dafür?

Grimm: Der Anstieg des CO2-Preises macht mir erstmals nicht so große Sorgen. Daran, dass der CO2-Preis steigt, sieht man, dass die Klimapolitik greift. Das ist der Mechanismus, den man wollte. Was mir aber Sorgen macht, ist das zögerliche Verhalten der Politik, die Verbraucher zu entlasten. Vor allem bei den Strompreisen haben wir großes Potenzial. Die Gaspreise folgen einer Entwicklung, die man aus Deutschland heraus kaum beeinflussen kann. Allerdings könnte man die Lagerbewirtschaftung verbessern, hier gibt es durchaus Möglichkeiten.

E&M: Wie soll die Entlastung bei den Strompreisen aussehen?

Grimm: Man könnte damit anfangen, die EEG-Umlage abzuschaffen und die Stromsteuer auf ein Minimum zu reduzieren. Dann hätte man schon mal ein Drittel des Strompreises reduziert. Die Politik redet davon, die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen zu wollen. Hier gilt aber: Schneller ist besser.

E&M: Die Einnahmen aus der EEG-Umlage betragen aktuell über 20 Milliarden Euro im Jahr. Wie wollen Sie diese Einnahmeausfälle kompensieren?

Grimm: Wir haben im Sachverständigenrat ein Konzept dazu vorgeschlagen. Es könnten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung verwendet werden. Das wird nicht ganz reichen, aber wir haben umfangreiche Subventionen fossiler Energieträger − Stichworte sind unter anderen das Dienstwagenprivileg oder Teile der Pendlerpauschale. Außerdem würde die Senkung des Strompreises Förderbedarfe reduzieren, weil die Sektorenkopplung attraktiver wird. Diese vermiedenen Ausgaben könnte man ebenfalls gegenrechnen.

„Der Emissionshandel muss im Zentrum stehen“

E&M: Wie soll die Politik das erreichen?

Grimm: Wir brauchen ein schlüssiges Gesamtkonzept in der Energie- und Klimapolitik, statt kleinteilig zu fördern und viel Symbolpolitik zu betreiben. Der Emissionshandel muss im Zentrum stehen, perspektivisch sektorenübergreifend und auf europäischer Ebene. Wenn das richtig angegangen wird, hätte man sehr viele Probleme auf einmal abgeräumt. Aber für Politiker ist das eine äußerst undankbare Reform. Sie können bei einer solchen Reformpolitik keine roten Bänder durchschneiden oder schillernde Projekte einweihen. Eine weitreichende Umgestaltung der Abgaben und Umlagen stößt vielmehr fortwährend auf Widerstand bei denjenigen, die Vergünstigungen einbüßen. 

E&M: Die Bundesregierung hat zu Beginn des Jahres einen nationalen CO2-Preis eingeführt. Wie beurteilen Sie das? 

Grimm: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vor allem weil das Mittelfristziel der Bundesregierung mit den EU-Planungen kompatibel ist. Die CO2-Bepreisung soll auf die Bereiche Wärme und Verkehr ausgeweitet und in einem einheitlichen CO2-Handel mit einem sektorenübergreifenden Preis zusammengeführt werden. Wenn in einer Reform zum Beispiel die EEG-Umlage und die Stromsteuer abgeschafft und die CO2-Preise erhöht werden, werden finanzielle Mittel und somit auch realwirtschaftliche Anreize in Höhe von jährlich 50 bis 60 Milliarden Euro verschoben. Das hat massive Auswirkungen. 

E&M: Bei der Einführung des nationalen CO2-Preises kam es zu einem klassischen Kompromiss. Erst steigt der Preis fünf Jahre in festen Bahnen, um dann in ein Handelssystem überzugehen.

Grimm: Das ist schon gut so. Die Erfahrung zeigt, dass wenn ein System etabliert ist, es angeschärft werden kann. Der festgelegte CO2-Preis beim nationalen CO2-Handel könnte schneller steigen oder der Höchstpreis angehoben werden. 

E&M: Es gibt Überlegungen für eine CO2-Grenzausgleichsabgabe auf EU-Ebene. Damit sollen Einfuhren nach Europa mit einem CO2-Zoll belegt werden. Finden Sie das gut?

Grimm: Das ist ein komplexes Thema. Wir müssen uns durchaus Gedanken machen, wie wir bei zunehmend ambitionierter Klimapolitik die Wettbewerbsfähigkeit von heute emissionsintensiven Industrien erhalten und ihnen die Transformation zur klimafreundlichen Produktion ermöglichen. Ein unilaterales Vorgehen der EU ist aber ganz klar nur die zweitbeste Lösung. Selbst wenn die Grenzausgleichsabgabe mit den Bedingungen der Welthandelsorganisation kompatibel wäre, ist trotzdem zu erwarten, dass Handelspartner Vergeltungsmaßnahmen dagegen ergreifen. Deshalb ist die Idee des internationalen Klimaclubs richtig, die von der Bundesregierung kürzlich ins Spiel gebracht wurde, damit Europa zusammen mit wichtigen Handelspartnern eine Klimaallianz bildet und sich koordiniert.
 
E&M: Angela Merkel tritt nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin ab. Was ist Ihr Resümee?

Grimm: Sie ist mit klaren und auch plausiblen Visionen in die Klimapolitik gestartet. Sie hat die Politik dann immer mehr am ‚Machbaren‘ ausgerichtet, also an Gelegenheiten, die sich halt ergeben haben. So war es beim Atomausstieg oder sei es beim Kohleausstieg. Aber das reicht einfach nicht. In der jüngeren Vergangenheit gab es dann Initiativen, die eine Grundlage für das weitere Vorgehen schaffen können. Hervorzuheben ist die Einführung des Emissionshandels, der jetzt im Klimaschutzgesetz verankert wurde. Die Wasserstoffstrategie ist ebenfalls ein guter Aufschlag − vor allem da Deutschland das Thema sektorenübergreifend und global betrachtet. Auch der angesprochene Klimaclub geht in die richtige Richtung. Die globale und auch die industriepolitische Dimension muss einen deutlich größeren Stellenwert in der Energie- und Klimapolitik erhalten.

„Der Kohleausstieg ist nicht wirklich gelungen“

E&M: Was lief falsch?

Grimm: Der Kohleausstieg ist nicht wirklich gelungen in der Umsetzung. Von der Automobilindustrie hat sich Merkel zu lange drängen lassen, die Klimaziele im Verkehr niedrig zu halten. Insgesamt würde ich die Bilanz als gemischt ansehen. Wir brauchen jetzt einen Neuanfang in der Energiepolitik. Die Klimaneutralität lässt sich nicht herbei fördern. 

E&M: Im Monitoringprozess ‚Energie der Zukunft‘ schreiben Sie: ‚Im Wärmemarkt bedarf es einer größeren Verbindlichkeit für die Umsetzung vor Ort.‘ Was heißt das? 

Grimm: Was wir uns dort vorstellen, ist, dass man eine Verbindlichkeit für die kommunale Wärmeplanung vor Ort erzeugt. Einige Kommunen machen das schon. Allerdings läuft das oftmals abgekoppelt von übergeordneten Prozessen auf Landes- oder Bundesebene ab. Eine Möglichkeit könnte sein, dass man eine kommunale Planung institutionell stärker verankert und dass sie verpflichtend wird. Im Moment hängt die Wärmeplanung sehr stark von der Motivation der einzelnen Kommune ab. 
E&M: Wärmepumpe oder grünes Gas im Wärmemarkt?

Grimm: Das hängt von der Substanz des Gebäudes ab. In Altbauten ist es teilweise gar nicht möglich, mit einer Wärmepumpe vernünftig zu heizen. Man sollte von Anfang an ein breites Spektrum an Lösungen entwickeln und sich immer die Frage stellen: ‚Brauchen andere auf der Welt das nicht auch irgendwann?‘ Nicht nur für Lösungen bei der Wärmeerzeugung gilt: Die deutsche Industrie ist exportorientiert. Es ist nicht zielführend, nur auf heimische Bedarfe zu schauen.

E&M: Sie betonen die Rolle von Wasserstoff in der Energiewende. Andere Fachleute lehnen den Rohstoff als Champagner der Energiewende ab. Wer hat recht?

Grimm: Weltweit gibt es viele Länder, in denen die Wasserstoffproduktion sehr günstig ist. Nehmen Sie als Beispiel Island mit der Geothermie, Kanada mit Wasserkraft oder Australien mit Wind- und Sonnenenergie. Eine Wasserkraftanlage produziert über 8.000 Stunden Strom im Jahr für die Elektrolyse, ein Windrad in unseren Breiten vielleicht um die 3.000 Stunden jährlich. Das bedeutet, ich importiere von dort den Wasserstoff, der hierzulande mit zwei bis drei Windrädern produziert werden müsste. Der Strom wird in den Exportregionen vor Ort nicht unbedingt nachgefragt und kann daher sehr billig sein. Es kann also günstiger sein, den Wasserstoff aus Island zu verwenden, als den Strom hierzulande zu hiesigen Strompreisen. Und deutsche Firmen werden beim Aufbau der Wertschöpfungsketten ihre Expertise einbringen − das schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze.
 

Zur Person: Veronika Grimm

Prof. Veronika Grimm ist Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg und Direktorin des Laboratory for Experimental Research Nuremberg (LERN). Sie leitet zudem den Forschungsbereich Energiemarktdesign am Energie Campus Nürnberg. Seit 2020 gehört Grimm dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an, auch bekannt unter der Bezeichnung „fünf Wirtschaftsweisen“. Sie ist unter anderem Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung und sitzt in der Expertenkommission des Bundeswirtschaftsministeriums zum Monitoringprozess „Energie der Zukunft“. Das Gespräch mit Veronika Grimm fand in Augsburg am Rande einer Feier des Energieversorgers LEW zu dessen 120-jährigen Bestehen statt.
 

Dienstag, 23.11.2021, 09:07 Uhr
Stefan Sagmeister

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