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Energie & Management > Gas - Wirtschaft befürchtet Rezession bei Gasembargo
Momentan hat die Einspeicherung Vorfahrt: der Gasspeicher Lesum bei Bremen, Quelle: Storengy
Gas

Wirtschaft befürchtet Rezession bei Gasembargo

Ein kurzfristiger Stopp der russischen Erdgaslieferungen würde zu Einbußen bei der deutschen Wirtschaftsleistung von 12,7 % führen. Das geht aus einer Prognos-Studie hervor.
Die Studie "Folgen einer Lieferunterbrechung russischen Gases für die deutsche Industrie" befasst sich detailliert mit den Auswirkungen eines Embargos auf einzelne Produktionsprozesse und nimmt auch die Folgen für nachgelagerte Branchen unter die Lupe. Erstellt wurde sie vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ("vbw").

Wie Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der VBW, bei der Vorstellung der Untersuchung am 28. Juni erläuterte, würde der Gasbedarf der Industrie bei einem Lieferstopp nicht einmal zur Hälfte gedeckt. Grund sei die vorrangige Befüllung der Gasspeicher und die Versorgung geschützter Kunden. Die Wertschöpfung betroffener Branchen würde um 3,2 % sinken, was einem Verlust von 49 Mrd. Euro entspreche. Hinzu kämen weitere Einbußen durch indirekte Folgen von 9,4 % und 144 Mrd. Euro, da nachgelagerte Branchen ebenso betroffen sind, beispielsweise wenn Stahl für den Automobilbau fehlt.

Rechnerisch sind von einem Gasembargo rund 5,4 Mio. Arbeitsplätze betroffen – was aber nicht heißt, dass diese Stellen sofort wegfallen. "Sollte die Mangellage jedoch länger bestehen, ist auch eine Zunahme der Erwerbslosigkeit kaum zu vermeiden." Deutschland würde in eine tiefe Rezession gleiten.
 
Erdgasverbrauch in Deutschland im Jahr 2021
(zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)
Quelle: vbw

Aus VBW-Sicht muss die effiziente Diversifizierung des Erdgas-Bezugs für eine intakte und starke Wirtschaft weiter vorangetrieben werden: "Die Studienergebnisse verdeutlichen die hohe Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischen Gaslieferungen. Ziel muss die vollständige Unabhängigkeit in möglichst kurzer Zeit sein", betonte Brossardt. Angesichts drohender Engpässe müsse Erdgas gezielt eingesetzt und dort ersetzt werden, wo es sinnvoll möglich ist. Daneben gelte es, die Umsetzung der Energiewende entschieden voranzutreiben. "Mit einem ambitionierten Ausbau aller erneuerbarer Energien dämpfen wir die Strompreise langfristig und können uns von einseitigen Abhängigkeiten im Energiesektor weiter lösen", so Brossardt. Auch forderte er eine massive Beschleunigung des Stromnetzausbaus, insbesondere bei den großen Stromleitungen.

Abhängigkeit dramatisch unterschätzt

Michael Böhme, Partner bei Prognos und Leiter Corporate Solutions, erklärte, die Abhängigkeit von russischem Gas sei in der Vergangenheit dramatisch unterschätzt worden. Allerdings sei sie in den vergangenen Monaten schon deutlich reduziert worden: von 91 Mrd. kWh im vierten Quartal 2021 auf 52 Mrd. kWh im ersten Quartal des laufenden Jahres. Ausgeglichen wurde das von Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Die Deckungslücke für die Industrie insgesamt bei einem Gasembargo beziffert die Studie mit rund 50 %. 
 
Herkunft der vierteljährlichen Gasimporte nach Deutschland
(zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)
Quelle: vbw / Eurostat

Als wichtigste Verbraucher im Industriebereich nannte Böhmer die Grundstoffchemie. Berücksichtigt werden müsse aber auch, in welchem Maße ein Industriezweig vom Gas abhängig ist, oder ob es Alternativen gibt, auf die umgestellt werden kann. An der Spitze steht hier die Glasindustrie, die nahezu ihren gesamten Energiebedarf mit dem Brennstoff deckt. Hier wären demnach auch die Produktionsrückgänge am größten. Ein Minus von 47,8 % ermittelte Prognos bei der Glasherstellung, der Bereich Roheisen / Stahl käme auf 34 %. Auf rund 32 % würden sich die Rückgänge in den Bereichen Keramik / Steine / Erden, in der Nahrungsmittelindustrie und bei der Chemie belaufen. Allerdings wies Böhmer darauf hin, dass die gesamte Volkswirtschaft von einem Gasembargo betroffen wäre, etwa durch das Fehlen von Bauteilen für die nachgelagerte Produktion, aber auch besonders der Dienstleistungssektor.

Das Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat sich ebenfalls mit der Gasversorgung in der Bundesrepublik befasst. Sie sieht Deutschland im internationalen Vergleich als besonders anfällig – sowohl bei den Preisen als auch bei den Engpässen. Bei den Strompreisen bilde man zusammen mit den Niederlanden eine "Hochpreisinsel". Was die Anfälligkeit für ausbleibende Lieferungen angeht, sei man zusammen mit Italien besonders verwundbar. Die USA, Japan und Kanada hätten kaum wirtschaftliche Probleme wegen des Ukraine-Kriegs.

Die Studie "Folgen einer Lieferunterbrechung von russischem Gas für die deutsche Industrie" kann auf der VBW-Internetseite abgerufen werden.

Dienstag, 28.06.2022, 15:38 Uhr
Günter Drewnitzky
Energie & Management > Gas - Wirtschaft befürchtet Rezession bei Gasembargo
Momentan hat die Einspeicherung Vorfahrt: der Gasspeicher Lesum bei Bremen, Quelle: Storengy
Gas
Wirtschaft befürchtet Rezession bei Gasembargo
Ein kurzfristiger Stopp der russischen Erdgaslieferungen würde zu Einbußen bei der deutschen Wirtschaftsleistung von 12,7 % führen. Das geht aus einer Prognos-Studie hervor.
Die Studie "Folgen einer Lieferunterbrechung russischen Gases für die deutsche Industrie" befasst sich detailliert mit den Auswirkungen eines Embargos auf einzelne Produktionsprozesse und nimmt auch die Folgen für nachgelagerte Branchen unter die Lupe. Erstellt wurde sie vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ("vbw").

Wie Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der VBW, bei der Vorstellung der Untersuchung am 28. Juni erläuterte, würde der Gasbedarf der Industrie bei einem Lieferstopp nicht einmal zur Hälfte gedeckt. Grund sei die vorrangige Befüllung der Gasspeicher und die Versorgung geschützter Kunden. Die Wertschöpfung betroffener Branchen würde um 3,2 % sinken, was einem Verlust von 49 Mrd. Euro entspreche. Hinzu kämen weitere Einbußen durch indirekte Folgen von 9,4 % und 144 Mrd. Euro, da nachgelagerte Branchen ebenso betroffen sind, beispielsweise wenn Stahl für den Automobilbau fehlt.

Rechnerisch sind von einem Gasembargo rund 5,4 Mio. Arbeitsplätze betroffen – was aber nicht heißt, dass diese Stellen sofort wegfallen. "Sollte die Mangellage jedoch länger bestehen, ist auch eine Zunahme der Erwerbslosigkeit kaum zu vermeiden." Deutschland würde in eine tiefe Rezession gleiten.
 
Erdgasverbrauch in Deutschland im Jahr 2021
(zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken)
Quelle: vbw

Aus VBW-Sicht muss die effiziente Diversifizierung des Erdgas-Bezugs für eine intakte und starke Wirtschaft weiter vorangetrieben werden: "Die Studienergebnisse verdeutlichen die hohe Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von russischen Gaslieferungen. Ziel muss die vollständige Unabhängigkeit in möglichst kurzer Zeit sein", betonte Brossardt. Angesichts drohender Engpässe müsse Erdgas gezielt eingesetzt und dort ersetzt werden, wo es sinnvoll möglich ist. Daneben gelte es, die Umsetzung der Energiewende entschieden voranzutreiben. "Mit einem ambitionierten Ausbau aller erneuerbarer Energien dämpfen wir die Strompreise langfristig und können uns von einseitigen Abhängigkeiten im Energiesektor weiter lösen", so Brossardt. Auch forderte er eine massive Beschleunigung des Stromnetzausbaus, insbesondere bei den großen Stromleitungen.

Abhängigkeit dramatisch unterschätzt

Michael Böhme, Partner bei Prognos und Leiter Corporate Solutions, erklärte, die Abhängigkeit von russischem Gas sei in der Vergangenheit dramatisch unterschätzt worden. Allerdings sei sie in den vergangenen Monaten schon deutlich reduziert worden: von 91 Mrd. kWh im vierten Quartal 2021 auf 52 Mrd. kWh im ersten Quartal des laufenden Jahres. Ausgeglichen wurde das von Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Die Deckungslücke für die Industrie insgesamt bei einem Gasembargo beziffert die Studie mit rund 50 %. 
 
Herkunft der vierteljährlichen Gasimporte nach Deutschland
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Quelle: vbw / Eurostat

Als wichtigste Verbraucher im Industriebereich nannte Böhmer die Grundstoffchemie. Berücksichtigt werden müsse aber auch, in welchem Maße ein Industriezweig vom Gas abhängig ist, oder ob es Alternativen gibt, auf die umgestellt werden kann. An der Spitze steht hier die Glasindustrie, die nahezu ihren gesamten Energiebedarf mit dem Brennstoff deckt. Hier wären demnach auch die Produktionsrückgänge am größten. Ein Minus von 47,8 % ermittelte Prognos bei der Glasherstellung, der Bereich Roheisen / Stahl käme auf 34 %. Auf rund 32 % würden sich die Rückgänge in den Bereichen Keramik / Steine / Erden, in der Nahrungsmittelindustrie und bei der Chemie belaufen. Allerdings wies Böhmer darauf hin, dass die gesamte Volkswirtschaft von einem Gasembargo betroffen wäre, etwa durch das Fehlen von Bauteilen für die nachgelagerte Produktion, aber auch besonders der Dienstleistungssektor.

Das Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat sich ebenfalls mit der Gasversorgung in der Bundesrepublik befasst. Sie sieht Deutschland im internationalen Vergleich als besonders anfällig – sowohl bei den Preisen als auch bei den Engpässen. Bei den Strompreisen bilde man zusammen mit den Niederlanden eine "Hochpreisinsel". Was die Anfälligkeit für ausbleibende Lieferungen angeht, sei man zusammen mit Italien besonders verwundbar. Die USA, Japan und Kanada hätten kaum wirtschaftliche Probleme wegen des Ukraine-Kriegs.

Die Studie "Folgen einer Lieferunterbrechung von russischem Gas für die deutsche Industrie" kann auf der VBW-Internetseite abgerufen werden.

Dienstag, 28.06.2022, 15:38 Uhr
Günter Drewnitzky

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