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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
Quelle: Shutterstock / canadastock
E&M Vor 20 Jahren

"Wir machen praktisch die Arbeit für den Staat"

Im Jahr 2002 gab es den BDEW noch nicht und der Verband der Elektrizitätswirtschaft hatte sich gerade eine neue Struktur verpasst.
Vor 20 Jahren vertrat der Verband der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) die Interessen der Stromversorger und erst nach einer Neustrukturierung auch die der Stromnetzbetreiber.

Fast 100 Jahre lang hatten sich die Mitglieder des VDEW, der seinen Sitz in Frankfurt am Main hatte, über monopolistische Bilanzen gefreut. Damit war es 1998 vorbei. Der scharfe Wind der Liberalisierung machte aus Partnern Konkurrenten und stellte den Verband plötzlich vor die Herausforderung, seine eigene Bedeutung neu zu definieren. Das tat er auch vor 20 Jahren und gab sich eine neue Struktur. Die Herausforderung dabei bestand, einerseits gemeinsame Interessen zu vertreten, andererseits aber auch genügend Freiräume für unternehmenseigene Ziele einzelner Mitglieder zu schaffen.

Mit der Eröffnung seiner Berliner Dependance schloss der VDEW diese Umstrukturierung ab und präsentierte sich als Dachverband mit vier Fachverbänden und einem Fachbereich für fast 750 Mitgliedsunternehmen. Die neue Struktur umfasste folgende Fachverbände:

Verband der Großkraftwerksbetreiber (VGB Power Tech), Essen, für den Wertschöpfungsbereich Erzeugung

Verband der Netzbetreiber (VDN) e.V. beim VDEW, Berlin, für den Wertschöpfungsbereich Übertragung/Verteilung

Fachverband für Energie-Marketing und -Anwendung (HEA) e.V. beim VDEW, Frankfurt/M., für den Wertschöpfungsbereich Vertrieb

Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) e.V. beim VDEW, Frankfurt/Main für den Wertschöpfungsbereich Wärme

Für den Wertschöpfungsbereich Handel hatte der VDEW einen eigenen Fachbereich aufgebaut.

Im Frühjahr 2002 sprach die damalige E&M-Korrespondentin Cerstin Gammelin mit Eberhard Meller, dem Hauptgeschäftsführer des VDEW, über die neue Struktur und die sich wandelnden Aufgaben des Verbands. Hier das leicht gekürzte Interview
 
Eberhard Meller (hier ein Bild von 2003) war von 1998 bis Ende 2008 Hauptgeschäftsführer - zunächst des VDEW und nach der Fusion von fünf Einzelverbänden ab 2007 des BDEW
Quelle: VDEW

E&M: Herr Meller, die vergangenen vier Jahre haben viele Veränderungen für den VDEW gebracht. Welche war die Wichtigste?

Meller: Das war die schlagartige Öffnung des Marktes für den Wettbewerb im April 1998. Dieser gewaltige Kraftakt bedeutete eine Kulturrevolution für die Branche. Die Eröffnung des Wettbewerbs ohne Übergangsfristen nach hundert Jahren Monopol, das war heftig. Vereinbarungen und technische Regeln mussten geschaffen werden, es ging manchmal auch chaotisch zu. Und die Kunden, die vorher Abnehmer waren, wurden Könige. 

E&M: Aber die Revolution ist doch eher friedlich für den VDEW verlaufen.

Meller: Keineswegs. Der radikale Umbruch der Branche hatte natürlich auch Folgen für den Verband. Plötzlich hieß es, wir können uns gar nicht mehr zusammensetzen, wir sind ja jetzt Konkurrenten. Hinzu kam, dass der VDEW bereits 1999 seine Satzung änderte und neue Mitglieder wie beispielsweise reine Ökostrom-Anbieter gewinnen konnte. Das brachte natürlich Diskussionen über die Zusammenarbeit von Konkurrenten im Verband.

E&M: Wie haben Sie reagiert?

Meller: Ich habe den Umbruch stark zu spüren bekommen. Ich wurde ja 1998 genau mit Beginn des Wettbewerbes VDEW-Hauptgeschäftsführer in Frankfurt. Zuvor war ich beim BDI in Brüssel. Die heftigen Kontroversen über die Liberalisierung des Binnenmarktes waren mir sehr vertraut.

E&M: Wie kann ein Verband funktionieren, dessen Mitglieder Wettbewerber sind?

Meller: Auf dem Markt schenken sich die Mitglieder nichts. Aber sie brauchen einen funktionierenden Verband für die Vertretung ihrer politischen Interessen. Auch technische Probleme lassen sich besser gemeinsam angehen als allein. Am Anfang löste der Umbruch viel Verunsicherung aus.

E&M: Jetzt fühlen sich ihre Mitglieder wieder sicher?

Meller: Früher fühlten sich die Stromunternehmen im Verband wie eine große Familie. Jetzt sind sie Wettbewerber in einem Branchenverband. Die Unternehmen haben sich geändert. Große Konzerne gliederten entlang der Wertschöpfungskette Unternehmensteile aus. Eigene Gesellschaften für Erzeugung, Verteilung, Marketing, Handel und Vertrieb wurden gegründet. Mittlere Unternehmen ziehen jetzt ebenso nach wie die kleineren, die sich beispielsweise mit Kooperationen neu ausrichten. Da gibt es viele neue Themen und Anforderungen, da brauchen die Mitglieder den Verband. Der VDEW bietet auch eine Art Schutzschild für Unternehmen vor der Politik. Gerade in den Zeiten der Verunsicherung, des Wandels sind Verbände wichtig.

E&M: Wie hat sich der Verband gewandelt?

Meller: Da wir als Spitzenverband für alle Unternehmen arbeiten, mussten wir flexibel reagieren. Wir haben Benchmarking bei anderen Branchenverbänden, beispielsweise ZVEI und VCI, betrieben. Und wir haben die Verbandsaufgaben neu sortiert. Früher war der VDEW als Verband der Monopolunternehmen mit viel mehr Mitarbeitern für alle Themen allumfassend zuständig. Genau wie die Mitglieder müssen wir uns heute auf unsere Kernfunktionen besinnen. Reine Verkaufs- oder Vertriebsfragen beispielsweise sind keine Verbandsthemen. Das ist bei anderen Verbänden seit Jahren so. Keiner diskutiert, wie Opel oder VW Marktanteile erwirtschaften.

E&M: Die jetzige Verbandstruktur gleicht einer Holding mit einzelnen Business-Units.

Meller: Teilweise, nur in Grundelementen. Es geht um Rationalisierung. Deswegen musste der VDEW bei der Umorientierung kräftig sparen. Wir setzen auf Kosteneffizienz und Synergien. Für bestimmte Fachaufgaben gründen wir keine neuen Verbände, sondern schließen uns mit bereits existierenden zusammen. Ein Beispiel ist der Verband der Netzbetreiber beim VDEW. Er entstand aus dem VDEW-Bereich Netze und der Deutschen Verbundgesellschaft in Heidelberg und hat seinen Sitz in Berlin. Dagegen muss der Dachverband strategisch für die gesamte Branche sprechen und als Kompetenzzentrum bestimmte Querschnittsfunktionen koordinieren. Nicht jeder Fachverband braucht eine juristische oder kaufmännische Abteilung. Auch Lobbying in Berlin oder Brüssel kann man besser gemeinsam betreiben.

E&M: Dominieren dann die Branchenriesen die kleineren Energieversorger?

Meller: VDEW hat rund 15 Lenkungsausschüsse. Darunter gibt es Projektgruppen. Und da passen wir auf, dass die Zusammensetzung stimmt. Denn ein Vorteil unseres Verbandes besteht darin, dass wir die gesamte Branche repräsentieren, lokale und kommunale Unternehmen ebenso wie regionale und überregionale. Und das schätzt auch die Politik: Wirtschaftsminister Werner Müller lässt uns beispielsweise gemeinsame Positionen erarbeiten. Wir machen dann praktisch die Arbeit für den Staat. So war und ist das bei der Verbändevereinbarung über den Zugang zu den Stromnetzen. Ende 2001 wurde mit der „Verbändevereinbarung II plus“ bereits die zweite Fortschreibung seit 1998 verwirklicht. Wenn die Politik das allein machen wollte, würde sie viel mehr Leute und wohl auch viel mehr Zeit benötigen.

E&M: Sie sagen, Sie bündeln die Interessen Ihrer Mitglieder. Sind diese überhaupt konsensfähig?

Meller: In vielen wichtigen Bereichen gelingt ein Konsens. Das zeigte Ende vergangenen Jahres die „Verbändevereinbarung II plus“ oder der mühsam errungene Kompromiss zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz. Insgesamt ist der Wille, gemeinsam zu sprechen, inzwischen deutlich überwiegend.
 

Samstag, 19.03.2022, 16:48 Uhr
Cerstin Gammelin und Fritz Wilhelm
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Quelle: Shutterstock / canadastock
E&M Vor 20 Jahren
"Wir machen praktisch die Arbeit für den Staat"
Im Jahr 2002 gab es den BDEW noch nicht und der Verband der Elektrizitätswirtschaft hatte sich gerade eine neue Struktur verpasst.
Vor 20 Jahren vertrat der Verband der Deutschen Elektrizitätswirtschaft (VDEW) die Interessen der Stromversorger und erst nach einer Neustrukturierung auch die der Stromnetzbetreiber.

Fast 100 Jahre lang hatten sich die Mitglieder des VDEW, der seinen Sitz in Frankfurt am Main hatte, über monopolistische Bilanzen gefreut. Damit war es 1998 vorbei. Der scharfe Wind der Liberalisierung machte aus Partnern Konkurrenten und stellte den Verband plötzlich vor die Herausforderung, seine eigene Bedeutung neu zu definieren. Das tat er auch vor 20 Jahren und gab sich eine neue Struktur. Die Herausforderung dabei bestand, einerseits gemeinsame Interessen zu vertreten, andererseits aber auch genügend Freiräume für unternehmenseigene Ziele einzelner Mitglieder zu schaffen.

Mit der Eröffnung seiner Berliner Dependance schloss der VDEW diese Umstrukturierung ab und präsentierte sich als Dachverband mit vier Fachverbänden und einem Fachbereich für fast 750 Mitgliedsunternehmen. Die neue Struktur umfasste folgende Fachverbände:

Verband der Großkraftwerksbetreiber (VGB Power Tech), Essen, für den Wertschöpfungsbereich Erzeugung

Verband der Netzbetreiber (VDN) e.V. beim VDEW, Berlin, für den Wertschöpfungsbereich Übertragung/Verteilung

Fachverband für Energie-Marketing und -Anwendung (HEA) e.V. beim VDEW, Frankfurt/M., für den Wertschöpfungsbereich Vertrieb

Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) e.V. beim VDEW, Frankfurt/Main für den Wertschöpfungsbereich Wärme

Für den Wertschöpfungsbereich Handel hatte der VDEW einen eigenen Fachbereich aufgebaut.

Im Frühjahr 2002 sprach die damalige E&M-Korrespondentin Cerstin Gammelin mit Eberhard Meller, dem Hauptgeschäftsführer des VDEW, über die neue Struktur und die sich wandelnden Aufgaben des Verbands. Hier das leicht gekürzte Interview
 
Eberhard Meller (hier ein Bild von 2003) war von 1998 bis Ende 2008 Hauptgeschäftsführer - zunächst des VDEW und nach der Fusion von fünf Einzelverbänden ab 2007 des BDEW
Quelle: VDEW

E&M: Herr Meller, die vergangenen vier Jahre haben viele Veränderungen für den VDEW gebracht. Welche war die Wichtigste?

Meller: Das war die schlagartige Öffnung des Marktes für den Wettbewerb im April 1998. Dieser gewaltige Kraftakt bedeutete eine Kulturrevolution für die Branche. Die Eröffnung des Wettbewerbs ohne Übergangsfristen nach hundert Jahren Monopol, das war heftig. Vereinbarungen und technische Regeln mussten geschaffen werden, es ging manchmal auch chaotisch zu. Und die Kunden, die vorher Abnehmer waren, wurden Könige. 

E&M: Aber die Revolution ist doch eher friedlich für den VDEW verlaufen.

Meller: Keineswegs. Der radikale Umbruch der Branche hatte natürlich auch Folgen für den Verband. Plötzlich hieß es, wir können uns gar nicht mehr zusammensetzen, wir sind ja jetzt Konkurrenten. Hinzu kam, dass der VDEW bereits 1999 seine Satzung änderte und neue Mitglieder wie beispielsweise reine Ökostrom-Anbieter gewinnen konnte. Das brachte natürlich Diskussionen über die Zusammenarbeit von Konkurrenten im Verband.

E&M: Wie haben Sie reagiert?

Meller: Ich habe den Umbruch stark zu spüren bekommen. Ich wurde ja 1998 genau mit Beginn des Wettbewerbes VDEW-Hauptgeschäftsführer in Frankfurt. Zuvor war ich beim BDI in Brüssel. Die heftigen Kontroversen über die Liberalisierung des Binnenmarktes waren mir sehr vertraut.

E&M: Wie kann ein Verband funktionieren, dessen Mitglieder Wettbewerber sind?

Meller: Auf dem Markt schenken sich die Mitglieder nichts. Aber sie brauchen einen funktionierenden Verband für die Vertretung ihrer politischen Interessen. Auch technische Probleme lassen sich besser gemeinsam angehen als allein. Am Anfang löste der Umbruch viel Verunsicherung aus.

E&M: Jetzt fühlen sich ihre Mitglieder wieder sicher?

Meller: Früher fühlten sich die Stromunternehmen im Verband wie eine große Familie. Jetzt sind sie Wettbewerber in einem Branchenverband. Die Unternehmen haben sich geändert. Große Konzerne gliederten entlang der Wertschöpfungskette Unternehmensteile aus. Eigene Gesellschaften für Erzeugung, Verteilung, Marketing, Handel und Vertrieb wurden gegründet. Mittlere Unternehmen ziehen jetzt ebenso nach wie die kleineren, die sich beispielsweise mit Kooperationen neu ausrichten. Da gibt es viele neue Themen und Anforderungen, da brauchen die Mitglieder den Verband. Der VDEW bietet auch eine Art Schutzschild für Unternehmen vor der Politik. Gerade in den Zeiten der Verunsicherung, des Wandels sind Verbände wichtig.

E&M: Wie hat sich der Verband gewandelt?

Meller: Da wir als Spitzenverband für alle Unternehmen arbeiten, mussten wir flexibel reagieren. Wir haben Benchmarking bei anderen Branchenverbänden, beispielsweise ZVEI und VCI, betrieben. Und wir haben die Verbandsaufgaben neu sortiert. Früher war der VDEW als Verband der Monopolunternehmen mit viel mehr Mitarbeitern für alle Themen allumfassend zuständig. Genau wie die Mitglieder müssen wir uns heute auf unsere Kernfunktionen besinnen. Reine Verkaufs- oder Vertriebsfragen beispielsweise sind keine Verbandsthemen. Das ist bei anderen Verbänden seit Jahren so. Keiner diskutiert, wie Opel oder VW Marktanteile erwirtschaften.

E&M: Die jetzige Verbandstruktur gleicht einer Holding mit einzelnen Business-Units.

Meller: Teilweise, nur in Grundelementen. Es geht um Rationalisierung. Deswegen musste der VDEW bei der Umorientierung kräftig sparen. Wir setzen auf Kosteneffizienz und Synergien. Für bestimmte Fachaufgaben gründen wir keine neuen Verbände, sondern schließen uns mit bereits existierenden zusammen. Ein Beispiel ist der Verband der Netzbetreiber beim VDEW. Er entstand aus dem VDEW-Bereich Netze und der Deutschen Verbundgesellschaft in Heidelberg und hat seinen Sitz in Berlin. Dagegen muss der Dachverband strategisch für die gesamte Branche sprechen und als Kompetenzzentrum bestimmte Querschnittsfunktionen koordinieren. Nicht jeder Fachverband braucht eine juristische oder kaufmännische Abteilung. Auch Lobbying in Berlin oder Brüssel kann man besser gemeinsam betreiben.

E&M: Dominieren dann die Branchenriesen die kleineren Energieversorger?

Meller: VDEW hat rund 15 Lenkungsausschüsse. Darunter gibt es Projektgruppen. Und da passen wir auf, dass die Zusammensetzung stimmt. Denn ein Vorteil unseres Verbandes besteht darin, dass wir die gesamte Branche repräsentieren, lokale und kommunale Unternehmen ebenso wie regionale und überregionale. Und das schätzt auch die Politik: Wirtschaftsminister Werner Müller lässt uns beispielsweise gemeinsame Positionen erarbeiten. Wir machen dann praktisch die Arbeit für den Staat. So war und ist das bei der Verbändevereinbarung über den Zugang zu den Stromnetzen. Ende 2001 wurde mit der „Verbändevereinbarung II plus“ bereits die zweite Fortschreibung seit 1998 verwirklicht. Wenn die Politik das allein machen wollte, würde sie viel mehr Leute und wohl auch viel mehr Zeit benötigen.

E&M: Sie sagen, Sie bündeln die Interessen Ihrer Mitglieder. Sind diese überhaupt konsensfähig?

Meller: In vielen wichtigen Bereichen gelingt ein Konsens. Das zeigte Ende vergangenen Jahres die „Verbändevereinbarung II plus“ oder der mühsam errungene Kompromiss zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz. Insgesamt ist der Wille, gemeinsam zu sprechen, inzwischen deutlich überwiegend.
 

Samstag, 19.03.2022, 16:48 Uhr
Cerstin Gammelin und Fritz Wilhelm

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