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Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

"Wir können die Energiewende gemeinsam stemmen"

Welche Aufgaben stehen in der nächsten Legislaturperiode an, um die Energiewende voranzubringen? Dazu sprach E&M mit Simon Müller, Direktor Deutschland der Agora Energiewende.

E&M: Was muss in den vor uns liegenden vier Jahren in Deutschland passieren?

Müller: Klimapolitik muss eine völlig neue Priorität bekommen − in der Bundesregierung, aber auch in den Landesregierungen, den Kommunen, in der Wirtschaft, bei den Gewerkschaften und in der Zivilgesellschaft. Denn der Kampf gegen die Klimakrise ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe über alle Politikbereiche hinweg.

E&M: Wie gut passt Ihrer Meinung nach der Koalitionsvertrag zu den anstehenden Aufgaben?

Müller: Das ist unterschiedlich je nach Sektor. Im Strombereich haben wir ein sehr ambitioniertes Ziel: Der Anteil von erneuerbarem Strom im Mix soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Das sind sogar zehn Prozentpunkte mehr als in den Agora-Szenarioanalysen, die wir im Rahmen von ‚Klimaneutrales Deutschland 2045‘ gemacht haben. Es gibt einen breiten Instrumentenmix im Koalitionsvertrag, um dieses Ziel auch zu erreichen. Das sind zum Beispiel Maßnahmen im Bereich Planung, Genehmigung und Infrastrukturausbau.

So soll die Netzplanung nun das Ziel der Klimaneutralität als Grundlage haben − das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel. Zudem werden die Planungsverfahren für den Netzausbau gebündelt und gestrafft. Der Koalitionsvertrag legt außerdem fest, dass zwei Prozent der Landesfläche für Onshore-Wind zur Verfügung gestellt werden muss, was auch unseren Berechnungen entspricht. Jetzt gilt es aber neben der Anhebung der Ausbauzahlen im EEG, diese Flächen auch tatsächlich zu sichern. Und zwar nicht nur für Windkraft an Land, sondern auch zusätzlich für Wind auf See und Photovoltaik.

E&M: Wie sieht es für die anderen Sektoren, Industrie und Gebäude, aus?

Müller: Bei der Industrie gelten die bisherigen Sektorziele, die eine historische Beschleunigung der Klimagasreduktionen verlangen. Der Koalitionsvertrag nennt dafür eine Reihe von Maßnahmen, darunter auch die aus unserer Sicht wichtigen Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference; d. Red.). Zentral ist, dass die dafür notwendigen Fördermittel jetzt gesichert werden, damit die Industrie eine zügige Transformation zur Klimaneutralität einleiten kann. Im Wärmebereich liegt die Latte im Koalitionsvertrag sehr hoch: 50 Prozent klimaneutrale Wärme bis 2030.

Zur Einordnung: Heute sind wir erst bei gut 15 Prozent. Das 50-Prozent-Ziel erreichen wir nur, wenn mit dem angekündigten Sofortprogramm alle Hebel gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden. Das heißt: Wir brauchen eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung, die Fernwärme muss ausgebaut werden und wir müssen eine Sanierungsoffensive auslösen. Dazu gehört auch eine umfassende Novelle des Gebäudeenergiegesetzes.

E&M: Klimaneutralität muss ja auch bei der Heizung Einzug halten, wie sollte das geschehen?

Müller: Es braucht eine klare Ausrichtung der Förderung im Gebäudebereich auf Klimaneutralität. In der Konsequenz bedeutet das, dass ab sofort keine fossilen Heiztechnologien mehr gefördert werden können. So verhindern wir Vorzieheffekte bei Öl- oder Gasheizungen, die ja erst ab 2025 nicht mehr eingebaut werden dürfen. Dies ist besonders wichtig, weil die Ampel-Koalition sich gegen eine Erhöhung des Preispfades für CO2 in den Bereichen Wärme und Verkehr entschieden hat. Sämtliche Bau- und Modernisierungsmaßnahmen müssen jetzt auf Klimaneutralität zielen, mit ausreichenden Fördermitteln für Wärmepumpen und energetische Sanierung.

Simon Müller, Direktor Deutschland der Agora Energiewende
Quelle: Agora

E&M: Wie kann der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert werden ohne EEG-Umlage?

Müller: Es ist ein wichtiger Meilenstein für die Energiewende, dass die EEG-Umlage nicht mehr die Stromrechnung belastet. Auch wir bei Agora Energiewende haben uns seit Jahren dafür eingesetzt. Denn günstiger Strom aus erneuerbaren Quellen ist die Grundlage für ein klimaneutrales Deutschland. Mit der Umstellung der Finanzierung werfen wir den Kostenrucksack der Vergütungen für die EEG-Anlagen aus den Anfangsjahren ab. Die Mittel kommen nun aus den Erlösen des CO2-Preises für Brennstoffe, ergänzt durch Mittel aus dem Bundeshaushalt. Zwar braucht es auch in Zukunft über das EEG Mittel für den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung − auch um Investitionssicherheit zu gewährleisten. Aber Sonnen- und Windstrom ist mittlerweile so günstig geworden, dass die Erlöse vom Strommarkt die Kosten zunehmend decken können. Ergänzend muss die Flexibilität im Stromsystem steigen − das stabilisiert die Markteinnahmen für die Erneuerbaren.

E&M: Was muss am Strommarkt reformiert werden, damit er wirklich fit ist für 100 Prozent erneuerbare Energie?

Müller: Die heute zum Teil negativen Strompreise für Windkraft und Sonnenenergie sind Ausdruck mangelnder Flexibilität im System. Das kommt zum einen daher, dass wir noch zu viele fossile Bestandskraftwerke im Netz haben, die als Systemdienstleister oder Wärmeerzeuger auch in Stunden mit viel erneuerbarem Strom weiterlaufen müssen. Deshalb sollten wir Systemdienstleistungen auf anderen Wegen bereitstellen: über Lastmanagement, Speicher oder die erneuerbaren Anlagen selbst. Die Kraft-Wärme-Kopplung müssen wir innovativer gestalten wie etwa in Dänemark. Dort laufen diese Anlagen nur, wenn sie unbedingt gebraucht werden.

Der andere Grund für negative Strompreise ist, dass wir eine hohe Einspeisung noch nicht optimal verwenden können. Dafür brauchen wir eine flexible Nachfrage. Elektroautos sollten also dann laden, wenn viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Power-to-Heat-Anlagen mit Wärmespeichern können Stromspitzen für die Wärmeversorgung nutzen. Neue Abnehmer können auch Elektrolyseure sein, die aus grünem Strom Wasserstoff machen, der gut gespeichert werden kann. Dann stabilisiert sich der Preis an der Strombörse. Gleichzeitig sinken so die Kosten, die durch das Abregeln von Erneuerbare-Energien-Anlagen und aufgrund von Netzengpässen entstehen − derzeit über eine Milliarde Euro jährlich.

E&M: Wie ist ein früherer Kohleausstieg als 2038 möglich bei weiterhin sicherer Versorgung?

Müller: Erstens brauchen wir mehr erneuerbare Stromerzeugung und die Ampel-Koalition muss alles daransetzen, eine völlig neue Dynamik beim Anlagenbau auszulösen. Zweitens muss der Stromnetzausbau schneller vorangehen, damit die Energie bei den Verbrauchern ankommt. Und drittens benötigen wir flexibel regelbare Kraftwerke für Zeiten mit wenig Sonne und Wind. In einem klimaneutralen System werden diese Kraftwerke mit erneuerbarem Brennstoff, also Wasserstoff aus Ökostrom, betrieben. In einer möglichst kurzen Übergangsphase laufen diese regelbaren Kraftwerke noch mit Erdgas. Es ist aber eine gravierende Fehleinschätzung zu glauben, dass noch einmal zehn goldene Jahre für das fossile Gas anbrechen. Um Investitionsruinen zu vermeiden, müssen Gaskraftwerke von Anfang an darauf ausgelegt sein, auch mit 100 Prozent Wasserstoff zu arbeiten.

Außerdem muss ihr Geschäftsmodell danach ausgerichtet sein, nur wenige Tausend Stunden im Jahr zu laufen − in den Zeiten, in denen die fluktuierenden erneuerbaren Erzeuger nicht genug Strom liefern können. Für die benötigte Menge und die Standorte dieser Wasserstoffkraftwerke brauchen wir in dieser Legislaturperiode noch eine genaue Analyse; und das Strommarktdesign muss sicherstellen, dass die Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können. Bereits heute gibt es Anreize für die Kraftwerksbetreiber: So steigt der Strompreis in Knappheitszeiten stark an, was dazu beiträgt, auch die Investitionskosten der Anlagen zu decken. Aber zurück zu Ihrer Frage: Dank des regelmäßigen Monitorings der Bundesnetzagentur ist die Versorgung in Deutschland auch mit einem früheren Kohleausstieg sichergestellt.

E&M: Wie kann bei all den anstehenden Investitionen Energie für alle weiter bezahlbar bleiben?

Müller: Die aktuelle Preiskrise ist eine Krise der fossilen Energieträger. Die erneuerbaren Energien sind nach wie vor unschlagbar günstig. Daher ist der Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem eine der besten Maßnahmen, um eine günstige Energieversorgung sicherzustellen. Gemessen am Anteil des verfügbaren Einkommens sind einkommensschwächere Haushalte stärker betroffen von hohen Energiepreisen.

Daher ist es ein guter Schritt, dass durch die Abschaffung der EEG-Umlage beim Strompreis eine Entlastung geschaffen wird. Auch die Rückverteilung der CO2-Einnahmen pro Kopf ist eine wichtige Möglichkeit des sozialen Ausgleichs. Zentral für ein Gelingen der Energiewende ist, dass eine gute Sozialpolitik die Klimapolitik stützt. Die Ausgaben für Klimaneutralität sind keine konsumtiven Ausgaben. Es sind nicht nur Investitionen in unsere Wirtschaft, sondern in unsere Lebensgrundlagen. Eine ganze Reihe von Studien hat bestätigt: Volkswirtschaftlich können wir das als Land locker stemmen − auch mit sozialem Ausgleich. Wir müssen es nur wollen.


Donnerstag, 27.01.2022, 08:50 Uhr
Susanne Harmsen
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe -
Quelle: E&M
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"Wir können die Energiewende gemeinsam stemmen"
Welche Aufgaben stehen in der nächsten Legislaturperiode an, um die Energiewende voranzubringen? Dazu sprach E&M mit Simon Müller, Direktor Deutschland der Agora Energiewende.

E&M: Was muss in den vor uns liegenden vier Jahren in Deutschland passieren?

Müller: Klimapolitik muss eine völlig neue Priorität bekommen − in der Bundesregierung, aber auch in den Landesregierungen, den Kommunen, in der Wirtschaft, bei den Gewerkschaften und in der Zivilgesellschaft. Denn der Kampf gegen die Klimakrise ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe über alle Politikbereiche hinweg.

E&M: Wie gut passt Ihrer Meinung nach der Koalitionsvertrag zu den anstehenden Aufgaben?

Müller: Das ist unterschiedlich je nach Sektor. Im Strombereich haben wir ein sehr ambitioniertes Ziel: Der Anteil von erneuerbarem Strom im Mix soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen. Das sind sogar zehn Prozentpunkte mehr als in den Agora-Szenarioanalysen, die wir im Rahmen von ‚Klimaneutrales Deutschland 2045‘ gemacht haben. Es gibt einen breiten Instrumentenmix im Koalitionsvertrag, um dieses Ziel auch zu erreichen. Das sind zum Beispiel Maßnahmen im Bereich Planung, Genehmigung und Infrastrukturausbau.

So soll die Netzplanung nun das Ziel der Klimaneutralität als Grundlage haben − das ist ein wichtiger Paradigmenwechsel. Zudem werden die Planungsverfahren für den Netzausbau gebündelt und gestrafft. Der Koalitionsvertrag legt außerdem fest, dass zwei Prozent der Landesfläche für Onshore-Wind zur Verfügung gestellt werden muss, was auch unseren Berechnungen entspricht. Jetzt gilt es aber neben der Anhebung der Ausbauzahlen im EEG, diese Flächen auch tatsächlich zu sichern. Und zwar nicht nur für Windkraft an Land, sondern auch zusätzlich für Wind auf See und Photovoltaik.

E&M: Wie sieht es für die anderen Sektoren, Industrie und Gebäude, aus?

Müller: Bei der Industrie gelten die bisherigen Sektorziele, die eine historische Beschleunigung der Klimagasreduktionen verlangen. Der Koalitionsvertrag nennt dafür eine Reihe von Maßnahmen, darunter auch die aus unserer Sicht wichtigen Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference; d. Red.). Zentral ist, dass die dafür notwendigen Fördermittel jetzt gesichert werden, damit die Industrie eine zügige Transformation zur Klimaneutralität einleiten kann. Im Wärmebereich liegt die Latte im Koalitionsvertrag sehr hoch: 50 Prozent klimaneutrale Wärme bis 2030.

Zur Einordnung: Heute sind wir erst bei gut 15 Prozent. Das 50-Prozent-Ziel erreichen wir nur, wenn mit dem angekündigten Sofortprogramm alle Hebel gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden. Das heißt: Wir brauchen eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung, die Fernwärme muss ausgebaut werden und wir müssen eine Sanierungsoffensive auslösen. Dazu gehört auch eine umfassende Novelle des Gebäudeenergiegesetzes.

E&M: Klimaneutralität muss ja auch bei der Heizung Einzug halten, wie sollte das geschehen?

Müller: Es braucht eine klare Ausrichtung der Förderung im Gebäudebereich auf Klimaneutralität. In der Konsequenz bedeutet das, dass ab sofort keine fossilen Heiztechnologien mehr gefördert werden können. So verhindern wir Vorzieheffekte bei Öl- oder Gasheizungen, die ja erst ab 2025 nicht mehr eingebaut werden dürfen. Dies ist besonders wichtig, weil die Ampel-Koalition sich gegen eine Erhöhung des Preispfades für CO2 in den Bereichen Wärme und Verkehr entschieden hat. Sämtliche Bau- und Modernisierungsmaßnahmen müssen jetzt auf Klimaneutralität zielen, mit ausreichenden Fördermitteln für Wärmepumpen und energetische Sanierung.

Simon Müller, Direktor Deutschland der Agora Energiewende
Quelle: Agora

E&M: Wie kann der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert werden ohne EEG-Umlage?

Müller: Es ist ein wichtiger Meilenstein für die Energiewende, dass die EEG-Umlage nicht mehr die Stromrechnung belastet. Auch wir bei Agora Energiewende haben uns seit Jahren dafür eingesetzt. Denn günstiger Strom aus erneuerbaren Quellen ist die Grundlage für ein klimaneutrales Deutschland. Mit der Umstellung der Finanzierung werfen wir den Kostenrucksack der Vergütungen für die EEG-Anlagen aus den Anfangsjahren ab. Die Mittel kommen nun aus den Erlösen des CO2-Preises für Brennstoffe, ergänzt durch Mittel aus dem Bundeshaushalt. Zwar braucht es auch in Zukunft über das EEG Mittel für den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung − auch um Investitionssicherheit zu gewährleisten. Aber Sonnen- und Windstrom ist mittlerweile so günstig geworden, dass die Erlöse vom Strommarkt die Kosten zunehmend decken können. Ergänzend muss die Flexibilität im Stromsystem steigen − das stabilisiert die Markteinnahmen für die Erneuerbaren.

E&M: Was muss am Strommarkt reformiert werden, damit er wirklich fit ist für 100 Prozent erneuerbare Energie?

Müller: Die heute zum Teil negativen Strompreise für Windkraft und Sonnenenergie sind Ausdruck mangelnder Flexibilität im System. Das kommt zum einen daher, dass wir noch zu viele fossile Bestandskraftwerke im Netz haben, die als Systemdienstleister oder Wärmeerzeuger auch in Stunden mit viel erneuerbarem Strom weiterlaufen müssen. Deshalb sollten wir Systemdienstleistungen auf anderen Wegen bereitstellen: über Lastmanagement, Speicher oder die erneuerbaren Anlagen selbst. Die Kraft-Wärme-Kopplung müssen wir innovativer gestalten wie etwa in Dänemark. Dort laufen diese Anlagen nur, wenn sie unbedingt gebraucht werden.

Der andere Grund für negative Strompreise ist, dass wir eine hohe Einspeisung noch nicht optimal verwenden können. Dafür brauchen wir eine flexible Nachfrage. Elektroautos sollten also dann laden, wenn viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Power-to-Heat-Anlagen mit Wärmespeichern können Stromspitzen für die Wärmeversorgung nutzen. Neue Abnehmer können auch Elektrolyseure sein, die aus grünem Strom Wasserstoff machen, der gut gespeichert werden kann. Dann stabilisiert sich der Preis an der Strombörse. Gleichzeitig sinken so die Kosten, die durch das Abregeln von Erneuerbare-Energien-Anlagen und aufgrund von Netzengpässen entstehen − derzeit über eine Milliarde Euro jährlich.

E&M: Wie ist ein früherer Kohleausstieg als 2038 möglich bei weiterhin sicherer Versorgung?

Müller: Erstens brauchen wir mehr erneuerbare Stromerzeugung und die Ampel-Koalition muss alles daransetzen, eine völlig neue Dynamik beim Anlagenbau auszulösen. Zweitens muss der Stromnetzausbau schneller vorangehen, damit die Energie bei den Verbrauchern ankommt. Und drittens benötigen wir flexibel regelbare Kraftwerke für Zeiten mit wenig Sonne und Wind. In einem klimaneutralen System werden diese Kraftwerke mit erneuerbarem Brennstoff, also Wasserstoff aus Ökostrom, betrieben. In einer möglichst kurzen Übergangsphase laufen diese regelbaren Kraftwerke noch mit Erdgas. Es ist aber eine gravierende Fehleinschätzung zu glauben, dass noch einmal zehn goldene Jahre für das fossile Gas anbrechen. Um Investitionsruinen zu vermeiden, müssen Gaskraftwerke von Anfang an darauf ausgelegt sein, auch mit 100 Prozent Wasserstoff zu arbeiten.

Außerdem muss ihr Geschäftsmodell danach ausgerichtet sein, nur wenige Tausend Stunden im Jahr zu laufen − in den Zeiten, in denen die fluktuierenden erneuerbaren Erzeuger nicht genug Strom liefern können. Für die benötigte Menge und die Standorte dieser Wasserstoffkraftwerke brauchen wir in dieser Legislaturperiode noch eine genaue Analyse; und das Strommarktdesign muss sicherstellen, dass die Anlagen wirtschaftlich betrieben werden können. Bereits heute gibt es Anreize für die Kraftwerksbetreiber: So steigt der Strompreis in Knappheitszeiten stark an, was dazu beiträgt, auch die Investitionskosten der Anlagen zu decken. Aber zurück zu Ihrer Frage: Dank des regelmäßigen Monitorings der Bundesnetzagentur ist die Versorgung in Deutschland auch mit einem früheren Kohleausstieg sichergestellt.

E&M: Wie kann bei all den anstehenden Investitionen Energie für alle weiter bezahlbar bleiben?

Müller: Die aktuelle Preiskrise ist eine Krise der fossilen Energieträger. Die erneuerbaren Energien sind nach wie vor unschlagbar günstig. Daher ist der Umstieg auf ein erneuerbares Energiesystem eine der besten Maßnahmen, um eine günstige Energieversorgung sicherzustellen. Gemessen am Anteil des verfügbaren Einkommens sind einkommensschwächere Haushalte stärker betroffen von hohen Energiepreisen.

Daher ist es ein guter Schritt, dass durch die Abschaffung der EEG-Umlage beim Strompreis eine Entlastung geschaffen wird. Auch die Rückverteilung der CO2-Einnahmen pro Kopf ist eine wichtige Möglichkeit des sozialen Ausgleichs. Zentral für ein Gelingen der Energiewende ist, dass eine gute Sozialpolitik die Klimapolitik stützt. Die Ausgaben für Klimaneutralität sind keine konsumtiven Ausgaben. Es sind nicht nur Investitionen in unsere Wirtschaft, sondern in unsere Lebensgrundlagen. Eine ganze Reihe von Studien hat bestätigt: Volkswirtschaftlich können wir das als Land locker stemmen − auch mit sozialem Ausgleich. Wir müssen es nur wollen.


Donnerstag, 27.01.2022, 08:50 Uhr
Susanne Harmsen

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