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Energie & Management > Wärmenetz -  Windstrom für die Heizung
Bild: Fotolia.com, fefufoto
Wärmenetz

Windstrom für die Heizung

Im brandenburgischen Nechlin ist die Wärmewende fast vollbracht. Die Technik ist einfach und übertragbar. Doch die Politik blockiert die Windstromnutzung für die Wärmeerzeugung.
Ein großer Traktor pest mit einem vollen Getreideanhänger durch das kleine Lübbenow. Es ist Erntezeit im weitläufigen Brandenburgischen, der Weizen auf den umliegenden Großfeldern wird gedroschen. Die Störche, die auf einem alten Fachwerkturm im Dorfkern ein Nest bewohnen, lassen sich davon nicht beirren. Die neue Generation versucht in zaghaften Sinkflügen flügge zu werden. Am Horizont dreht eine Multimegawatt-Windenergieanlage gemächlich im Nordwestwind.

Der PS-starke Traktor heizt auch an der unscheinbaren Gemeindeverwaltung Uckerland vorbei, die für ungefähr 3.000 Einwohner zuständig ist. In dem Gebäude befindet sich das Büro des Bürgermeisters. Es ist im ersten Stock unterm Ziegeldach.Über eine Treppe und einen mit Teppichboden ausgelegten Flur, vorbei an ockerfarbigem Mobiliar, erreicht der Besucher die bescheidene Stube. Ein Mitarbeiter teilt mit, dass Bürgermeister Matthias Schilling schon zum Ortsteil Nechlin unterwegs sei.

Neben einem Ständer mit Broschüren und Flyern liegt das „Amtsblatt für die Gemeinde Uckerland“. Dort ist zu lesen: „Der Wärmespeicher in Nechlin weckt bundesweit Interesse“. Zur Überschrift ist ein Foto abgedruckt, das die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, neben dem Bürgermeister und dem Ehepaar Jörg und Ute Müller vor einem unspektakulären Gebäudeensemble zeigt.

Etwas abseits der Hauptstraße von Nechlin, einem Straßendorf mit nicht mehr als 120 Einwohnern, steht das Gebäude, vor dem sich Baerbock ablichten ließ. Es ist ein grün gestrichener, runder Wärmespeicher mit einem Volumen von 1.000 Kubikmetern, in dem Wasser auf maximal 93 Grad Celsius erwärmt wird. Davor befindet sich ein gläserner Technikraum, in dem Windstrom durch Heizstäbe geleitet und Wasser erwärmt wird, das je nach Bedarf entweder direkt ins Nahwärmenetz eingespeist oder in den zylinderartigen Speicher weitergeleitet wird. Marktübliche Regeltechnik steuert die Wärmeerzeugung und -verteilung. Dazu gibt es noch eine kleine Trafostation, die den Windstrom vom ein paar Hundert Meter entfernten Windpark umspannt. Das war es − so einfach kann Wärmewende aussehen.
 
Herzstück der Nechliner „Windwärmeversorgung“: der Wärmespeicher
Bild: Dierk Jensen

Bürgermeister Matthias Schilling und Jörg Müller, Chef des Ökoenergieunternehmens Enertrag AG, sind auf dem mit Stauden neu bepflanzten Grundstück vor dem Wärmespeicher im Gespräch. Ihre Unterhaltung ist vertraut. Kein Wunder, kennen sich die beiden Lokalmatadore doch seit vielen Jahren. Während der hauptamtliche Politiker (SPD) seit Langem versucht, seine Bürger für den Aufbruch in eine neue (Energie-)Zeit mitzunehmen, wohnt der andere, seines Zeichens Physiker, schon seit den 1990er-Jahren in dem beschaulichen Ort.

Damals, in der Nachwendezeit, gründete er hier das Unternehmen Enertrag, das sich anfänglich auf das Projektieren von Windenergievorhaben konzentrierte. Dies offenbar mit großem Erfolg, denn heute bietet die Enertrag AG, die im 15 Kilometer entfernt liegenden Dauerthal in einem gläsernen Neubau ihren Hauptsitz hat, mehr als 700 Menschen Arbeit. Ein Ende des Firmenwachstums ist dabei nicht zu erkennen, nicht nur in der Windenergie ist man inzwischen aktiv, sondern auch in den Bereichen Photovoltaik, Energiedienstleistungen und im Wasserstoffsegment − sowohl national wie international.

„Dass du damals nach Dauerthal gegangen bist, bedauere ich immer noch“, flachst Schilling über potenziell gut bezahlte Arbeitsplätze, die im Nachbarort entstanden sind. Ganz abgesehen von der entgangenen Gewerbesteuer. Aber Schwamm drüber, der Firmengründer und seine Frau engagieren sich seit vielen Jahren für ihren Wohnort. Sie haben beispielsweise Geld in die Hand genommen, um die historische Bausubstanz, zu der auch eine alte Kornbrennerei gehört, zu erhalten und neu zu beleben. Hinzu kommt ihr Bestreben, eine klimafreundliche, ja, klimaneutrale Wärmeversorgung zu etablieren.

Der ganz lange Weg zur Windwärmeversorgung

Viele technische Varianten haben sie dazu in den vergangenen Jahrzehnten schon ausprobiert. „Es hat angefangen mit einem Dachs-Motor. Den haben wir 1996 im Keller des alten Kornspeichers installiert, der heute nach aufwendiger Restaurierung als Cafe und Event-Location genutzt wird“, erinnert sich Müller schmunzelnd. „Damals wurde er noch mit Rapsdiesel angetrieben.“ Später wurden auch Rapsöl und Pellets eingesetzt, aber auch diese Brennstoffe blieben für das damals schon angedachte dörfliche Wärmenetz letztlich nur kurze Episoden.
 
Motoren der Nechliner Wärmewende: Bürgermeister Matthias Schilling im Gespräch mit Enertrag-Chef Jörg Müller
Bild: Dierk Jensen

Es sollten aber noch Jahre ins Land gehen, bevor 2011 ein Vertrag zwischen der Enertrag AG und dem Dorf Nechlin über eine Nahwärmeversorgung abgeschlossen wurde. Und zwar nicht auf Basis von Bioenergie, sondern eben von Windstrom vom benachbarten Windpark, pardon „Windfeld“, wie Müller zu sagen pflegt. Und es sollte fast noch ein weiteres Jahrzehnt verstreichen, bis dieses in vielerlei Hinsicht als Pionierleistung zu bezeichnende Power-to-Heat-Projekt im März 2020 offiziell endlich in Betrieb ging.

Es brauchte eben Jahre der Planung und letztlich auch die Teilnahme am Bundesförderprogramm (SINTEG), bei dem kontraproduktive Umlagen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wegfielen, die den Bau eines zentralen Windwärmespeichers mit dazugehörigem Wärmenetz zu den einzelnen Häusern wirtschaftlich machten. „Wir haben rund 100 Windenergieanlagen auf unseren Gemeindeflächen stehen, das finden längst nicht alle Bürger toll. Daher erbringt unsere Wärmeversorgung nicht nur einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz, sondern trägt ebenso zu einer größeren Akzeptanz bei, weil wir damit neue lokale Wertschöpfung generieren und die Bürger in Nechlin direkt davon profitieren“, unterstreicht Schilling.

Allerdings war es auch in Nechlin nicht einfach, alle Bürger von der lokalen Wärmewende zu begeistern. Die Befürworter, darunter federführend der frühere Ortsbürgermeister Hartmut Trester, mussten ziemlich viel Überzeugungsarbeit leisten, damit sich am Ende (fast) alle am neuen Wärmenetz, das von der Kommune mit Fördermitteln gebaut wurde und heute kommunales Eigentum ist, anschließen ließen. Tatsächlich zählt man nur noch vier Ölheizungen. „Den Bürger kann man oft nur über den Geldbeutel überzeugen“, seufzt Trester. Aber es gelang trotzdem, nicht zuletzt weil die Verantwortlichen den Kunden vertraglich zusicherten, die Wärme aus Windstrom immer 10 % unter dem aktuellen Preis für Heizöl zu liefern. Der lokale Versorger dafür ist das Unternehmen Wärme für Nechlin GmbH & Co. KG, in dem Jörg Müller die Fäden zusammenhält und das für die Nutzung des kommunalen Wärmenetzes, das ungefähr einen Meter unter der Erdoberfläche verlegt worden ist, ein Pachtentgelt in vierstelliger Höhe an die Gemeinde entrichtet.
 
Idylle in der Gemeinde Uckerland, zu der auch Nechlin gehört: Störche gehören zum Ortsbild
Bild. Dierk Jensen

„Sehen Sie, durch diese simplen Heizstäbe fließt der heruntergespannte Strom und erwärmt das Wasser“, erklärt Jörg Müller vor einem Monitor stehend, „das hat mit einem Tauchsieder nichts zu tun, hier siedet rein gar nichts.“ Er betont die Einfachheit der technischen Konzeption. Keine Pumpen, keine verschiedenen Aggregatzustände, darin liege die Stärke des Wärmekonzepts. „So unkompliziert, wie es hier im Dorf funktioniert, kann ich mir den Einsatz von überschüssigem Windstrom für die Wärmeversorgung an ganz vielen Orten im norddeutschen Raum vorstellen. Damit könnten schon heute viele Haushalte und Kommunen günstig und CO2-frei heizen. Es gibt eine echte Alternative zu den alten CO2-Schleudern, die Kohle, Öl und Gas verbrennen“, freut sich Müller.

700.000 kWh abgeregelter Windstrom werden für Nahwärme genutzt
 
Die Abregelungsquote für den Windpark bei Nechlin mit 30 MW installierter Leistung beträgt derzeit 5 %, sodass in der Vergangenheit etwa 3,5 Mio. kWh ungenutzt blieben. Der berechnete Wärmebedarf für das ganze Dorf liegt dagegen „nur“ bei 700.000 kWh. „Ein Wahnsinn, wenn man diese vorhandenen Ressourcen nicht nutzt“, stellt Bürgermeister Schilling fest. Daher hofft er sehr, dass die rechtliche Ausnahmeregelung, die das lokale Wärmevorhaben als Teil des WindNode-Netzwerks und des SINTEG-Programms erfährt, auch noch über den März 2021 hinausreichen wird. Ansonsten würde die lokale Wärme schnell in wirtschaftliche Schieflage geraten.

Weshalb Jörg Müller von der Politik kompromisslos einfordert: „Nur durch rechtliche Änderungen im EEG und bei der Stromsteuer können Millionen Menschen Zugang zu günstiger und CO2-freier Wärme bekommen. Es ist absurd, dass auf Windwärme ein Vielfaches an staatlich verursachten Abgaben zu zahlen ist und daher die Energie bisher ungenutzt verpufft.“ Da falle die ab kommendem Jahr eingeführte CO2-Steuer nicht wirklich ins Gewicht, kritisiert Müller, „bei einer Besteuerung von 50 Euro pro Tonne emittiertem Kohlendioxid bringt dies, bezogen auf eine fossil erzeugte Kilowattstunde, eine Verteuerung von nur einem Cent“.

Aber so leicht geben die Uckerländer ihre Avantgarderolle in Sachen Windwärme nicht auf. „Wir werden einfach so weitermachen. Da muss uns schon jemand verklagen, wenn er uns das verbieten will“, gibt sich Müller selbstbewusst. Die Jungstörche aus Lübbenow werden bis dahin längst das Fliegen erlernt haben.

Montag, 4.01.2021, 08:42 Uhr
Dierk Jensen
Energie & Management > Wärmenetz -  Windstrom für die Heizung
Bild: Fotolia.com, fefufoto
Wärmenetz
Windstrom für die Heizung
Im brandenburgischen Nechlin ist die Wärmewende fast vollbracht. Die Technik ist einfach und übertragbar. Doch die Politik blockiert die Windstromnutzung für die Wärmeerzeugung.
Ein großer Traktor pest mit einem vollen Getreideanhänger durch das kleine Lübbenow. Es ist Erntezeit im weitläufigen Brandenburgischen, der Weizen auf den umliegenden Großfeldern wird gedroschen. Die Störche, die auf einem alten Fachwerkturm im Dorfkern ein Nest bewohnen, lassen sich davon nicht beirren. Die neue Generation versucht in zaghaften Sinkflügen flügge zu werden. Am Horizont dreht eine Multimegawatt-Windenergieanlage gemächlich im Nordwestwind.

Der PS-starke Traktor heizt auch an der unscheinbaren Gemeindeverwaltung Uckerland vorbei, die für ungefähr 3.000 Einwohner zuständig ist. In dem Gebäude befindet sich das Büro des Bürgermeisters. Es ist im ersten Stock unterm Ziegeldach.Über eine Treppe und einen mit Teppichboden ausgelegten Flur, vorbei an ockerfarbigem Mobiliar, erreicht der Besucher die bescheidene Stube. Ein Mitarbeiter teilt mit, dass Bürgermeister Matthias Schilling schon zum Ortsteil Nechlin unterwegs sei.

Neben einem Ständer mit Broschüren und Flyern liegt das „Amtsblatt für die Gemeinde Uckerland“. Dort ist zu lesen: „Der Wärmespeicher in Nechlin weckt bundesweit Interesse“. Zur Überschrift ist ein Foto abgedruckt, das die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, neben dem Bürgermeister und dem Ehepaar Jörg und Ute Müller vor einem unspektakulären Gebäudeensemble zeigt.

Etwas abseits der Hauptstraße von Nechlin, einem Straßendorf mit nicht mehr als 120 Einwohnern, steht das Gebäude, vor dem sich Baerbock ablichten ließ. Es ist ein grün gestrichener, runder Wärmespeicher mit einem Volumen von 1.000 Kubikmetern, in dem Wasser auf maximal 93 Grad Celsius erwärmt wird. Davor befindet sich ein gläserner Technikraum, in dem Windstrom durch Heizstäbe geleitet und Wasser erwärmt wird, das je nach Bedarf entweder direkt ins Nahwärmenetz eingespeist oder in den zylinderartigen Speicher weitergeleitet wird. Marktübliche Regeltechnik steuert die Wärmeerzeugung und -verteilung. Dazu gibt es noch eine kleine Trafostation, die den Windstrom vom ein paar Hundert Meter entfernten Windpark umspannt. Das war es − so einfach kann Wärmewende aussehen.
 
Herzstück der Nechliner „Windwärmeversorgung“: der Wärmespeicher
Bild: Dierk Jensen

Bürgermeister Matthias Schilling und Jörg Müller, Chef des Ökoenergieunternehmens Enertrag AG, sind auf dem mit Stauden neu bepflanzten Grundstück vor dem Wärmespeicher im Gespräch. Ihre Unterhaltung ist vertraut. Kein Wunder, kennen sich die beiden Lokalmatadore doch seit vielen Jahren. Während der hauptamtliche Politiker (SPD) seit Langem versucht, seine Bürger für den Aufbruch in eine neue (Energie-)Zeit mitzunehmen, wohnt der andere, seines Zeichens Physiker, schon seit den 1990er-Jahren in dem beschaulichen Ort.

Damals, in der Nachwendezeit, gründete er hier das Unternehmen Enertrag, das sich anfänglich auf das Projektieren von Windenergievorhaben konzentrierte. Dies offenbar mit großem Erfolg, denn heute bietet die Enertrag AG, die im 15 Kilometer entfernt liegenden Dauerthal in einem gläsernen Neubau ihren Hauptsitz hat, mehr als 700 Menschen Arbeit. Ein Ende des Firmenwachstums ist dabei nicht zu erkennen, nicht nur in der Windenergie ist man inzwischen aktiv, sondern auch in den Bereichen Photovoltaik, Energiedienstleistungen und im Wasserstoffsegment − sowohl national wie international.

„Dass du damals nach Dauerthal gegangen bist, bedauere ich immer noch“, flachst Schilling über potenziell gut bezahlte Arbeitsplätze, die im Nachbarort entstanden sind. Ganz abgesehen von der entgangenen Gewerbesteuer. Aber Schwamm drüber, der Firmengründer und seine Frau engagieren sich seit vielen Jahren für ihren Wohnort. Sie haben beispielsweise Geld in die Hand genommen, um die historische Bausubstanz, zu der auch eine alte Kornbrennerei gehört, zu erhalten und neu zu beleben. Hinzu kommt ihr Bestreben, eine klimafreundliche, ja, klimaneutrale Wärmeversorgung zu etablieren.

Der ganz lange Weg zur Windwärmeversorgung

Viele technische Varianten haben sie dazu in den vergangenen Jahrzehnten schon ausprobiert. „Es hat angefangen mit einem Dachs-Motor. Den haben wir 1996 im Keller des alten Kornspeichers installiert, der heute nach aufwendiger Restaurierung als Cafe und Event-Location genutzt wird“, erinnert sich Müller schmunzelnd. „Damals wurde er noch mit Rapsdiesel angetrieben.“ Später wurden auch Rapsöl und Pellets eingesetzt, aber auch diese Brennstoffe blieben für das damals schon angedachte dörfliche Wärmenetz letztlich nur kurze Episoden.
 
Motoren der Nechliner Wärmewende: Bürgermeister Matthias Schilling im Gespräch mit Enertrag-Chef Jörg Müller
Bild: Dierk Jensen

Es sollten aber noch Jahre ins Land gehen, bevor 2011 ein Vertrag zwischen der Enertrag AG und dem Dorf Nechlin über eine Nahwärmeversorgung abgeschlossen wurde. Und zwar nicht auf Basis von Bioenergie, sondern eben von Windstrom vom benachbarten Windpark, pardon „Windfeld“, wie Müller zu sagen pflegt. Und es sollte fast noch ein weiteres Jahrzehnt verstreichen, bis dieses in vielerlei Hinsicht als Pionierleistung zu bezeichnende Power-to-Heat-Projekt im März 2020 offiziell endlich in Betrieb ging.

Es brauchte eben Jahre der Planung und letztlich auch die Teilnahme am Bundesförderprogramm (SINTEG), bei dem kontraproduktive Umlagen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) wegfielen, die den Bau eines zentralen Windwärmespeichers mit dazugehörigem Wärmenetz zu den einzelnen Häusern wirtschaftlich machten. „Wir haben rund 100 Windenergieanlagen auf unseren Gemeindeflächen stehen, das finden längst nicht alle Bürger toll. Daher erbringt unsere Wärmeversorgung nicht nur einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz, sondern trägt ebenso zu einer größeren Akzeptanz bei, weil wir damit neue lokale Wertschöpfung generieren und die Bürger in Nechlin direkt davon profitieren“, unterstreicht Schilling.

Allerdings war es auch in Nechlin nicht einfach, alle Bürger von der lokalen Wärmewende zu begeistern. Die Befürworter, darunter federführend der frühere Ortsbürgermeister Hartmut Trester, mussten ziemlich viel Überzeugungsarbeit leisten, damit sich am Ende (fast) alle am neuen Wärmenetz, das von der Kommune mit Fördermitteln gebaut wurde und heute kommunales Eigentum ist, anschließen ließen. Tatsächlich zählt man nur noch vier Ölheizungen. „Den Bürger kann man oft nur über den Geldbeutel überzeugen“, seufzt Trester. Aber es gelang trotzdem, nicht zuletzt weil die Verantwortlichen den Kunden vertraglich zusicherten, die Wärme aus Windstrom immer 10 % unter dem aktuellen Preis für Heizöl zu liefern. Der lokale Versorger dafür ist das Unternehmen Wärme für Nechlin GmbH & Co. KG, in dem Jörg Müller die Fäden zusammenhält und das für die Nutzung des kommunalen Wärmenetzes, das ungefähr einen Meter unter der Erdoberfläche verlegt worden ist, ein Pachtentgelt in vierstelliger Höhe an die Gemeinde entrichtet.
 
Idylle in der Gemeinde Uckerland, zu der auch Nechlin gehört: Störche gehören zum Ortsbild
Bild. Dierk Jensen

„Sehen Sie, durch diese simplen Heizstäbe fließt der heruntergespannte Strom und erwärmt das Wasser“, erklärt Jörg Müller vor einem Monitor stehend, „das hat mit einem Tauchsieder nichts zu tun, hier siedet rein gar nichts.“ Er betont die Einfachheit der technischen Konzeption. Keine Pumpen, keine verschiedenen Aggregatzustände, darin liege die Stärke des Wärmekonzepts. „So unkompliziert, wie es hier im Dorf funktioniert, kann ich mir den Einsatz von überschüssigem Windstrom für die Wärmeversorgung an ganz vielen Orten im norddeutschen Raum vorstellen. Damit könnten schon heute viele Haushalte und Kommunen günstig und CO2-frei heizen. Es gibt eine echte Alternative zu den alten CO2-Schleudern, die Kohle, Öl und Gas verbrennen“, freut sich Müller.

700.000 kWh abgeregelter Windstrom werden für Nahwärme genutzt
 
Die Abregelungsquote für den Windpark bei Nechlin mit 30 MW installierter Leistung beträgt derzeit 5 %, sodass in der Vergangenheit etwa 3,5 Mio. kWh ungenutzt blieben. Der berechnete Wärmebedarf für das ganze Dorf liegt dagegen „nur“ bei 700.000 kWh. „Ein Wahnsinn, wenn man diese vorhandenen Ressourcen nicht nutzt“, stellt Bürgermeister Schilling fest. Daher hofft er sehr, dass die rechtliche Ausnahmeregelung, die das lokale Wärmevorhaben als Teil des WindNode-Netzwerks und des SINTEG-Programms erfährt, auch noch über den März 2021 hinausreichen wird. Ansonsten würde die lokale Wärme schnell in wirtschaftliche Schieflage geraten.

Weshalb Jörg Müller von der Politik kompromisslos einfordert: „Nur durch rechtliche Änderungen im EEG und bei der Stromsteuer können Millionen Menschen Zugang zu günstiger und CO2-freier Wärme bekommen. Es ist absurd, dass auf Windwärme ein Vielfaches an staatlich verursachten Abgaben zu zahlen ist und daher die Energie bisher ungenutzt verpufft.“ Da falle die ab kommendem Jahr eingeführte CO2-Steuer nicht wirklich ins Gewicht, kritisiert Müller, „bei einer Besteuerung von 50 Euro pro Tonne emittiertem Kohlendioxid bringt dies, bezogen auf eine fossil erzeugte Kilowattstunde, eine Verteuerung von nur einem Cent“.

Aber so leicht geben die Uckerländer ihre Avantgarderolle in Sachen Windwärme nicht auf. „Wir werden einfach so weitermachen. Da muss uns schon jemand verklagen, wenn er uns das verbieten will“, gibt sich Müller selbstbewusst. Die Jungstörche aus Lübbenow werden bis dahin längst das Fliegen erlernt haben.

Montag, 4.01.2021, 08:42 Uhr
Dierk Jensen

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