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Energie & Management > Finanzierung - Wie der Fachkräftemangel die Branchen beeinflusst - negativ und positiv
Quelle: stock.adobe.com/szymanskim
Finanzierung

Wie der Fachkräftemangel die Branchen beeinflusst - negativ und positiv

Der grassierende Fachkräftemangel hat in allen Branchen, die mit Energie und Bau zu tun haben, seine Spuren hinterlassen. Allerdings gibt es auch positive Effekte zu vermelden.
Allein die Energiewende mag fraglos von vielen Faktoren abhängig sein. Am Ende einer langen Reihe von Notwendigkeiten stehen jedoch zigtausende Fachleute, die vom PV-Modul über Stromleitungen bis zum Windrad die Hardware aufbauen, anschließen und zu funktionierenden Systemen integrieren. Jede fehlende Person stellt dementsprechend einen Mangel dar, der sich zunächst einmal negativ auswirkt.

Aktuell etwa fehlen allein im Bereich der Ingenieure rund 151.000 Fachkräfte. Noch schlimmer sieht es bei den Handwerksberufen aus. 2022 wurden in sämtlichen Ausbildungsberufen lediglich gut 466.000 neue Verträge abgeschlossen. Im gesamten Handwerk gab es am 1. Januar 2022 jedoch nur 356.000 Auszubildende. Um den Mangel als greifbare Zahl auszurücken: Allein bei den Bauelektrikern kommen derzeit auf 100 offene Stellen nur etwa 29 fertig ausgebildete Bewerber.

Wird sich diese Situation in absehbarer Zeit ändern? Wenn, dann nur bei denjenigen Berufen, die einen Universitätsabschluss bedingen: 2021 erreichte die Studienanfängerquote ein neues Rekordhoch mit 55,8 Prozent des Geburtsjahrgangs; Tendenz weiterhin ungebrochen. Damit kommen automatisch weniger Jugendliche für herkömmliche duale Ausbildungen infrage. Dadurch ergibt sich ein Trickle-Down-Effekt, der sich in absehbarer Zeit kaum ändern wird.

Speziell, was das Handwerk anbelangt, sind die Folgen für die Branchen und den Wirtschaftsstandort Deutschland deshalb vielschichtig – allerdings teils sogar positiv.

Wartezeiten und Preissteigerungen

Handwerk ist letzten Endes ebenfalls nur eine marktwirtschaftlich gehandelte Dienstleistung. Steigt die Nachfrage stärker als das Angebot, ziehen die Preise an. Durch den „menschlichen Aspekt“ kommen überdies noch längere Wartezeiten hinzu.

Aktuell sind deshalb die Angebotspreise im Handwerk im Schnitt um 82,3 Prozent gestiegen – im Vorjahr betrug der Anstieg noch „moderate“ 46,2 Prozent. Und im Schnitt müssen Kunden heute elf Wochen auf einen Handwerker warten.

In einigen Regionen werden derzeit bis zu 25 Prozent aller Neubauverträge wieder terminiert – wobei der Handwerkermangel und die dadurch ausgelösten Preissteigerungen nur ein Teil der Herausforderung sind. Eine weitere Rolle spielen die zuletzt wieder gestiegenen Zinsen so wie die allgemein stark angezogene Inflation.

Besserung könnte nur ein Abebben des Bau-Booms bringen. Das jedoch würde im Handwerk wieder die Umsätze schmälern und der Branche eine andere Form von Belastung auferlegen. 

 
Quelle: stock.adobe.com/Flamingo Images

Baumärkte als lachende Dritte

Nicht bei jeder Form von Arbeit können die Auftraggeber es sich leisten, elf Wochen und mehr auf jemanden zu warten, der sie ausführt – und das gilt nicht einmal nur für echte Notfälle wie geplatzte Wasserrohre.

Schon seit sich die Mixtur aus langen Wartezeiten und Preissteigerungen zu einem toxischen Cocktail entwickelte, konnten Baumärkte ihre Umsätze kräftig steigern. Der Grund dafür: Wer irgendwie die Fähigkeiten hat, ist in dieser Lage versucht, selbst zu agieren, statt weitere Wochen mit Warten zu verbringen – und teure Arbeitslöhne bezahlen zu müssen.

Die Baumärkte selbst unterstützen dieses Denken, indem sie Tipps und Anleitungen zur Isolation von Innenwänden, Kellerschächten und Dachböden veröffentlichen. Sie kreieren Videos, die korrektes Mauern oder Fundamentgießen zeigen und tun auch sonst alles dafür, um noch mehr Menschen dazu zu bringen, selbst zum Werkzeug zu greifen.

Natürlich: Selbst derartig umfassende, laiengerechte Anleitungen können nicht bei jeder Durchführung Normgerechtigkeit garantieren. Allerdings lernen dennoch gerade sehr viele Menschen eine Form von handwerklicher Selbstbestimmung. 

Das Handwerk muss vielleicht nicht befürchten, dass demnächst eine Majorität ihre Dächer selbst deckt oder Baugruben aushebt. Doch gerade das Ausbauhandwerk zwischen Fliesenlegern und Holzmechanikern könnte langfristig durch dieses Selbstbewusstsein vor Herausforderungen stehen.

Gestiegene Mängelzahlen am Bau

Menschen machen Fehler. Selbst wenn es in Deutschland für alle relevanten Tätigkeiten Normen gibt, Konstruktionen umfassend geplant und hinterher abgenommen werden. Einer der größten Verursacher von solchen Fehlern ist und bleibt Zeitdruck.

Hier zeigt sich der Fachkräftemangel besonders stark: Wenn X Handwerker Tätigkeiten durchführen müssen, für die eigentlich Y mehr Kollegen notwendig werden und wenn diese Handwerker aufgrund der Auftragslage andauernd von einem Termin zum nächsten „springen“ müssen, steigt die Fehlerkurve dramatisch an.

Anno 2016 war die Zahl von Schäden im Vergleich zu 2009 bereits um 89 Prozent angestiegen. Der Bauherren Schutzbund ermittelte für 2013 ein Schadensvolumen von 84,5 Millionen Euro, 2017 betrug es bereits rund 90 Millionen. Seitdem hat sich der Trend nicht gewandelt.

Innerhalb der Gewährleistung geht die Mängelbehebung zulasten der verursachenden Unternehmen – und schmälert dementsprechend die Gewinne. Nicht vergessen werden sollten jedoch die weiteren Auswirkungen: Das Vertrauen in die Handwerksqualität kann leiden. Das wiederum könnte die Tendenz nochmals erhöhen, bestimmte Arbeiten in Eigenregie durchzuführen.
 
stock.adobe.com/pressmaster

Interessante Optionen für Neu-Fachkräfte

Fachkräfte mögen zwar per Definition keine eigene Branche sein. Allerdings profitieren sie dennoch auf geradezu paradoxe Weise durch den Mangel ihrer Anzahl. Wer sich heute dazu entschließt, einen Ingenieurs- oder Handwerksberuf zu ergreifen, der darf sich sicher sein, sämtliche Fäden in der Hand zu haben, um die Konditionen bestimmen zu können. 
  • Arbeitgeber,
  • Gehalt,
  • Urlaubstage,
  • Vergünstigungen
das alles kann derzeit jede Fachkraft weitgehend nach ihren eigenen Vorstellungen aushandeln, selbst wenn sie nur eine durchschnittliche Qualifikation vorzuweisen hat. Und wenn ein potenzieller Arbeitgeber nicht mitmacht, gibt es höchstwahrscheinlich sogar in derselben Region mehrere andere, die freudig zuschlagen werden. 

Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, könnte dies durchaus über einen längeren Zeitraum zu einem Attraktivitäts-Revival dieser Berufe führen. Dann, wenn junge Menschen am Ende ihrer Schullaufbahn feststellen, dass beispielsweise Bauhandwerke alles andere als körperlich anstrengende, stressige und schlecht entlohnte Berufe sind.

Enormer Schub für die Digitalisierung

Die derzeitige Lage ist nicht zuletzt insofern einzigartig in der Menschheitsgeschichte, da es erstmalig eine echte Alternative dazu gibt, irgendwie zu versuchen, Fachkräfte zu beschaffen – denn die Digitalisierung hat allein in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren enorme Fortschritte gemacht.

2015 schon konnte ein australischer Roboter-Prototyp binnen 48 Stunden den Rohbau eines Hauses im Alleingang hochmauern – mit einer im Vergleich zu menschlichen Maurern beeindruckenden Schlagzahl von 1.000 Steinen pro Stunde.

Die seitdem vergangenen sieben Jahre sind in der Digitalisierung ein extrem langer Zeitraum. Zahlreiche anderen Systeme wurden seitdem entwickelt, so manches ist mittlerweile serienreif oder steht kurz davor. Zudem sinken die Kosten für derart leistungsfähige Systemtechnik beinahe monatlich.

Roboter, die mauern, an Windrädern für Wartungsarbeiten hochklettern, Wände verputzen, die hochflexibel schweißen können, Elektrokabel verlegen oder Stromleitungen reparieren können. All das ist keine Zukunftsmusik mehr und hat Folgen: 
  • In vielen Branchen und Betrieben wird dadurch der Fachkräftemangel etwas weniger drängend. 
  • Aufgrund der wegfallenden oder wenigstens reduzierten Lohnkosten können Projekte günstiger kalkuliert werden. 
  • Bauprojekte können in kürzeren Zeiträumen durchgeführt werden.
  • Bau und Energie werden für die Tech-Branche interessanter, wodurch sich neue Verflechtungen ergeben.
  • Die Arbeiten werden weniger anstrengend und gefahrvoll, was ihre Attraktivität für neue Fachkräfte steigern kann.
Aktuell stehen wir sozusagen auf der Schwelle dieses Zeitalters. In den kommenden Jahren wird digitale Technik hier einen breiten und tiefen Einzug halten – und dabei so manche Branche binnen kürzester Zeit stark verändern.
 
Quelle: Astock.adobe.com/Media Whale Stock

Gesunkene Staatsausgaben

Deutschland hat ein umfassendes Sozialsystem. Im Prinzip darf jeder, der keinem Beruf nachgeht (aus welchen Gründen auch immer) darauf bauen, durch staatliche Leistungen aufgefangen zu werden.

Die Kehrseite der Medaille: Jeder, der nicht arbeitet, stellt für die Staatskassen eine Belastung dar. Er benötigt monatlich eine Summe X, die nicht für andere Stellen zur Verfügung steht. Das gilt selbst unter dem Eindruck des Arbeitslosengeldes 1, das von jedem Angestellten durch seine Beiträge selbst eingezahlt wird.

Wie stark der Fachkräftemangel die öffentlichen Kassen entlastet, lässt sich konkret beziffern:
  • 2005 beliefen sich die Kosten der Arbeitslosigkeit auf 87,7 Milliarden Euro.
  • 2020 war diese Summe auf 62,8 Milliarden abgesunken. 
Naturgemäß stellte die Pandemie hierbei einen besonderen Störfaktor dar, der die Einsparungen der zurückliegenden Jahre herb reduzierte. Am insgesamten Trend ändert das jedoch nichts.

Zumal es noch einen Nebeneffekt gibt: Jede Fachkraft in Arbeit spart nicht nur dem Staat Geld durch die nicht notwendigen Leistungen, sie sorgt überdies für ein erhöhtes Steueraufkommen durch (Lohn-)Steuerzahlungen und die Möglichkeit, durch das im Vergleich höhere Gehalt mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu injizieren.

Zusammengefasst: Ungeahnt breite Auswirkung

Fachkräftemangel schmerzt ohne Frage jedes Unternehmen und jede Branche, die davon betroffen sind. Und langfristig schadet er zudem dem Standort Deutschland insgesamt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mangel an qualifizierten Leuten auch in der Bau- und Energiebranche durchaus positive Effekte entwickeln kann.
 

Samstag, 10.09.2022, 17:58 Uhr
Redaktion
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Wie der Fachkräftemangel die Branchen beeinflusst - negativ und positiv
Der grassierende Fachkräftemangel hat in allen Branchen, die mit Energie und Bau zu tun haben, seine Spuren hinterlassen. Allerdings gibt es auch positive Effekte zu vermelden.
Allein die Energiewende mag fraglos von vielen Faktoren abhängig sein. Am Ende einer langen Reihe von Notwendigkeiten stehen jedoch zigtausende Fachleute, die vom PV-Modul über Stromleitungen bis zum Windrad die Hardware aufbauen, anschließen und zu funktionierenden Systemen integrieren. Jede fehlende Person stellt dementsprechend einen Mangel dar, der sich zunächst einmal negativ auswirkt.

Aktuell etwa fehlen allein im Bereich der Ingenieure rund 151.000 Fachkräfte. Noch schlimmer sieht es bei den Handwerksberufen aus. 2022 wurden in sämtlichen Ausbildungsberufen lediglich gut 466.000 neue Verträge abgeschlossen. Im gesamten Handwerk gab es am 1. Januar 2022 jedoch nur 356.000 Auszubildende. Um den Mangel als greifbare Zahl auszurücken: Allein bei den Bauelektrikern kommen derzeit auf 100 offene Stellen nur etwa 29 fertig ausgebildete Bewerber.

Wird sich diese Situation in absehbarer Zeit ändern? Wenn, dann nur bei denjenigen Berufen, die einen Universitätsabschluss bedingen: 2021 erreichte die Studienanfängerquote ein neues Rekordhoch mit 55,8 Prozent des Geburtsjahrgangs; Tendenz weiterhin ungebrochen. Damit kommen automatisch weniger Jugendliche für herkömmliche duale Ausbildungen infrage. Dadurch ergibt sich ein Trickle-Down-Effekt, der sich in absehbarer Zeit kaum ändern wird.

Speziell, was das Handwerk anbelangt, sind die Folgen für die Branchen und den Wirtschaftsstandort Deutschland deshalb vielschichtig – allerdings teils sogar positiv.

Wartezeiten und Preissteigerungen

Handwerk ist letzten Endes ebenfalls nur eine marktwirtschaftlich gehandelte Dienstleistung. Steigt die Nachfrage stärker als das Angebot, ziehen die Preise an. Durch den „menschlichen Aspekt“ kommen überdies noch längere Wartezeiten hinzu.

Aktuell sind deshalb die Angebotspreise im Handwerk im Schnitt um 82,3 Prozent gestiegen – im Vorjahr betrug der Anstieg noch „moderate“ 46,2 Prozent. Und im Schnitt müssen Kunden heute elf Wochen auf einen Handwerker warten.

In einigen Regionen werden derzeit bis zu 25 Prozent aller Neubauverträge wieder terminiert – wobei der Handwerkermangel und die dadurch ausgelösten Preissteigerungen nur ein Teil der Herausforderung sind. Eine weitere Rolle spielen die zuletzt wieder gestiegenen Zinsen so wie die allgemein stark angezogene Inflation.

Besserung könnte nur ein Abebben des Bau-Booms bringen. Das jedoch würde im Handwerk wieder die Umsätze schmälern und der Branche eine andere Form von Belastung auferlegen. 

 
Quelle: stock.adobe.com/Flamingo Images

Baumärkte als lachende Dritte

Nicht bei jeder Form von Arbeit können die Auftraggeber es sich leisten, elf Wochen und mehr auf jemanden zu warten, der sie ausführt – und das gilt nicht einmal nur für echte Notfälle wie geplatzte Wasserrohre.

Schon seit sich die Mixtur aus langen Wartezeiten und Preissteigerungen zu einem toxischen Cocktail entwickelte, konnten Baumärkte ihre Umsätze kräftig steigern. Der Grund dafür: Wer irgendwie die Fähigkeiten hat, ist in dieser Lage versucht, selbst zu agieren, statt weitere Wochen mit Warten zu verbringen – und teure Arbeitslöhne bezahlen zu müssen.

Die Baumärkte selbst unterstützen dieses Denken, indem sie Tipps und Anleitungen zur Isolation von Innenwänden, Kellerschächten und Dachböden veröffentlichen. Sie kreieren Videos, die korrektes Mauern oder Fundamentgießen zeigen und tun auch sonst alles dafür, um noch mehr Menschen dazu zu bringen, selbst zum Werkzeug zu greifen.

Natürlich: Selbst derartig umfassende, laiengerechte Anleitungen können nicht bei jeder Durchführung Normgerechtigkeit garantieren. Allerdings lernen dennoch gerade sehr viele Menschen eine Form von handwerklicher Selbstbestimmung. 

Das Handwerk muss vielleicht nicht befürchten, dass demnächst eine Majorität ihre Dächer selbst deckt oder Baugruben aushebt. Doch gerade das Ausbauhandwerk zwischen Fliesenlegern und Holzmechanikern könnte langfristig durch dieses Selbstbewusstsein vor Herausforderungen stehen.

Gestiegene Mängelzahlen am Bau

Menschen machen Fehler. Selbst wenn es in Deutschland für alle relevanten Tätigkeiten Normen gibt, Konstruktionen umfassend geplant und hinterher abgenommen werden. Einer der größten Verursacher von solchen Fehlern ist und bleibt Zeitdruck.

Hier zeigt sich der Fachkräftemangel besonders stark: Wenn X Handwerker Tätigkeiten durchführen müssen, für die eigentlich Y mehr Kollegen notwendig werden und wenn diese Handwerker aufgrund der Auftragslage andauernd von einem Termin zum nächsten „springen“ müssen, steigt die Fehlerkurve dramatisch an.

Anno 2016 war die Zahl von Schäden im Vergleich zu 2009 bereits um 89 Prozent angestiegen. Der Bauherren Schutzbund ermittelte für 2013 ein Schadensvolumen von 84,5 Millionen Euro, 2017 betrug es bereits rund 90 Millionen. Seitdem hat sich der Trend nicht gewandelt.

Innerhalb der Gewährleistung geht die Mängelbehebung zulasten der verursachenden Unternehmen – und schmälert dementsprechend die Gewinne. Nicht vergessen werden sollten jedoch die weiteren Auswirkungen: Das Vertrauen in die Handwerksqualität kann leiden. Das wiederum könnte die Tendenz nochmals erhöhen, bestimmte Arbeiten in Eigenregie durchzuführen.
 
stock.adobe.com/pressmaster

Interessante Optionen für Neu-Fachkräfte

Fachkräfte mögen zwar per Definition keine eigene Branche sein. Allerdings profitieren sie dennoch auf geradezu paradoxe Weise durch den Mangel ihrer Anzahl. Wer sich heute dazu entschließt, einen Ingenieurs- oder Handwerksberuf zu ergreifen, der darf sich sicher sein, sämtliche Fäden in der Hand zu haben, um die Konditionen bestimmen zu können. 
  • Arbeitgeber,
  • Gehalt,
  • Urlaubstage,
  • Vergünstigungen
das alles kann derzeit jede Fachkraft weitgehend nach ihren eigenen Vorstellungen aushandeln, selbst wenn sie nur eine durchschnittliche Qualifikation vorzuweisen hat. Und wenn ein potenzieller Arbeitgeber nicht mitmacht, gibt es höchstwahrscheinlich sogar in derselben Region mehrere andere, die freudig zuschlagen werden. 

Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, könnte dies durchaus über einen längeren Zeitraum zu einem Attraktivitäts-Revival dieser Berufe führen. Dann, wenn junge Menschen am Ende ihrer Schullaufbahn feststellen, dass beispielsweise Bauhandwerke alles andere als körperlich anstrengende, stressige und schlecht entlohnte Berufe sind.

Enormer Schub für die Digitalisierung

Die derzeitige Lage ist nicht zuletzt insofern einzigartig in der Menschheitsgeschichte, da es erstmalig eine echte Alternative dazu gibt, irgendwie zu versuchen, Fachkräfte zu beschaffen – denn die Digitalisierung hat allein in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren enorme Fortschritte gemacht.

2015 schon konnte ein australischer Roboter-Prototyp binnen 48 Stunden den Rohbau eines Hauses im Alleingang hochmauern – mit einer im Vergleich zu menschlichen Maurern beeindruckenden Schlagzahl von 1.000 Steinen pro Stunde.

Die seitdem vergangenen sieben Jahre sind in der Digitalisierung ein extrem langer Zeitraum. Zahlreiche anderen Systeme wurden seitdem entwickelt, so manches ist mittlerweile serienreif oder steht kurz davor. Zudem sinken die Kosten für derart leistungsfähige Systemtechnik beinahe monatlich.

Roboter, die mauern, an Windrädern für Wartungsarbeiten hochklettern, Wände verputzen, die hochflexibel schweißen können, Elektrokabel verlegen oder Stromleitungen reparieren können. All das ist keine Zukunftsmusik mehr und hat Folgen: 
  • In vielen Branchen und Betrieben wird dadurch der Fachkräftemangel etwas weniger drängend. 
  • Aufgrund der wegfallenden oder wenigstens reduzierten Lohnkosten können Projekte günstiger kalkuliert werden. 
  • Bauprojekte können in kürzeren Zeiträumen durchgeführt werden.
  • Bau und Energie werden für die Tech-Branche interessanter, wodurch sich neue Verflechtungen ergeben.
  • Die Arbeiten werden weniger anstrengend und gefahrvoll, was ihre Attraktivität für neue Fachkräfte steigern kann.
Aktuell stehen wir sozusagen auf der Schwelle dieses Zeitalters. In den kommenden Jahren wird digitale Technik hier einen breiten und tiefen Einzug halten – und dabei so manche Branche binnen kürzester Zeit stark verändern.
 
Quelle: Astock.adobe.com/Media Whale Stock

Gesunkene Staatsausgaben

Deutschland hat ein umfassendes Sozialsystem. Im Prinzip darf jeder, der keinem Beruf nachgeht (aus welchen Gründen auch immer) darauf bauen, durch staatliche Leistungen aufgefangen zu werden.

Die Kehrseite der Medaille: Jeder, der nicht arbeitet, stellt für die Staatskassen eine Belastung dar. Er benötigt monatlich eine Summe X, die nicht für andere Stellen zur Verfügung steht. Das gilt selbst unter dem Eindruck des Arbeitslosengeldes 1, das von jedem Angestellten durch seine Beiträge selbst eingezahlt wird.

Wie stark der Fachkräftemangel die öffentlichen Kassen entlastet, lässt sich konkret beziffern:
  • 2005 beliefen sich die Kosten der Arbeitslosigkeit auf 87,7 Milliarden Euro.
  • 2020 war diese Summe auf 62,8 Milliarden abgesunken. 
Naturgemäß stellte die Pandemie hierbei einen besonderen Störfaktor dar, der die Einsparungen der zurückliegenden Jahre herb reduzierte. Am insgesamten Trend ändert das jedoch nichts.

Zumal es noch einen Nebeneffekt gibt: Jede Fachkraft in Arbeit spart nicht nur dem Staat Geld durch die nicht notwendigen Leistungen, sie sorgt überdies für ein erhöhtes Steueraufkommen durch (Lohn-)Steuerzahlungen und die Möglichkeit, durch das im Vergleich höhere Gehalt mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu injizieren.

Zusammengefasst: Ungeahnt breite Auswirkung

Fachkräftemangel schmerzt ohne Frage jedes Unternehmen und jede Branche, die davon betroffen sind. Und langfristig schadet er zudem dem Standort Deutschland insgesamt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Mangel an qualifizierten Leuten auch in der Bau- und Energiebranche durchaus positive Effekte entwickeln kann.
 

Samstag, 10.09.2022, 17:58 Uhr
Redaktion

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