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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Wer Grundversorger wird - ein widersinniges System
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe

Wer Grundversorger wird - ein widersinniges System

Die Pleite der Stadtwerke Bad Belzig müsste auch die Frage neu aufwerfen, wie der Versorger bestimmt wird, der die Kundschaft auffängt. Die jetzige Regelung stärkt Oligopole.
Ein Stadtwerk ist pleite − eine Institution der Versorgungssicherheit für 11.000 Verbrauchende steht infrage und hängt am seidenen Faden des Wohlwollens von Gläubigern, Gesellschafter und brandenburgischer Kommunalaufsicht. Die Schieflage der Stadtwerke Bad Belzig wirft ein Licht auf das System der Grund- und Ersatzversorgung, das den Privatkunden eine sofortige und stetige Strom- und Gasversorgung sichert, egal ob ihr aktueller Vertrieb pleitegeht oder ob sie irgendwo einziehen und einfach so Herd und Heizkessel anwerfen.

Was tat das Stadtwerk des Soleheilbads, das „für professionelle und zuverlässige Services“ stehen will, so dessen Website? Mitte Dezember wirbt der Aufsichtsratschef für den Wechsel zur ebenfalls kommunalen EWP aus dem nahen Potsdam und deutet damit schon den Ausstieg aus dem Stromgeschäft an − was aber nur energiewirtschaftlich Beschlagene herauslesen. Erst fünf Tage nach Jahreswechsel teilt das Stadtwerk jenen der 1.400 Stromkunden und -kundinnen, die geblieben sind, mit, dass es das Stromgeschäft zugeklappt hat. Die Verbrauchenden erfahren in einer Pressemitteilung nicht einmal, dass sie damit in die Ersatzversorgung gefallen sind, geschweige denn durch welchen Grundversorger. In Bad Belzig ist das Eon.

Zumindest war das so bis Ende 2021. Der Verteilnetzbetreiber (VNB) Edis Netz, der zufällig zum Eon-Konzern gehört, hätte bis 30. September veröffentlichen müssen, wen er für 2022 bis 2024 als Grundversorger Strom und Gas benennt, wie fast alle anderen VNB auch, und zwar im Internet „einfach auffindbar“, so das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Stattdessen prangt noch die alte Grundversorgerliste für 2019 bis 2021 auf der Website von Edis Netz. Veraltete Infos für Bad Belzig und weitere gut 800 Stromkonzessionsgebiete. Warum, wurde E&M bis Redaktionsschluss nicht verraten.

Bei Gas hingegen ist und bleibt das Stadtwerk Grundversorger. Und verteuerte den kWh-Preis in der Grund- und Ersatzversorgung mitten im Winter erst um 20 bis 30 % und − nur einen Monat später − kumuliert um 63 bis 94 %. Es gibt seit Kurzem einen separaten Tarif für neue Kundschaft. Split-Tarife werden von Verbraucherzentralen abgemahnt und von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kritisiert.
Klar, die kontinentalen Gasgroßhandelspreise stiegen von Dezember bis Dezember um 549 %. Aber all das bestätigt nur, dass die sichere Versorgung wertlos wird, wenn Kundschaft − hier zudem mit einem höheren Anteil Ärmerer − sich diese nicht mehr leisten kann.

Schwarzwald: Adieu ohne Pleite

Andererseits darf auch Grundversorgern nicht zugemutet werden, dauerhaft zuzuschießen − so Paragraf 36 EnWG. Andernfalls würden sie die Grundversorgung abgeben. Oder gleich den ganzen Energievertrieb. Hierfür gibt es einen Präzedenzfall im Schwarzwald-Dorf Kappelrodeck mit 2.000 Stromanschlüssen: Mit der Begründung, die im Herbst 2021 explosionsartig gestiegenen Beschaffungspreise überforderten ihn, klappte der private Stromgrundversorger Ziegler − ein Elektrofachbetrieb mit Kleinwasserkraftwerk − per Silvester die Versorgung zu.

Nun musste der Verteilnetzbetreiber Ü-Werk Mittelbaden außer der Reihe einen neuen Grundversorger für die nächsten drei Jahre „feststellen“ − so will es das EnWG. Die Entscheidung vom Juli 2021, dass das E-Werk Ziegler 2022 bis 2024 Grundversorger bleibt, war für die Tonne. Grundversorger wird, wer in einem Konzessionsgebiet die meisten Haushaltsanschlüsse hat. In Städten gilt ein Marktanteil des Stadtwerks von unter 80 % in diesem Segment, wie bei der Gasag in Berlin, schon als niedrig.

Aber warum handelt der Bund, der seit 1998 mühsam Wettbewerb in die vorherigen Gebietsmonopole gebracht hat, durch die Privilegierung lokaler Marktführer nach dem sogenannten Matthäus-Prinzip, wonach „dem, wer da hat, noch gegeben wird“? Die technische Antwort lautet: Vor 24 Jahren stand der Wettbewerb um Privatkundschaft zwar im Gesetz, aber es gab ihn nicht. Bei Gas war das noch zehn Jahre lang so. Für die Angreifer auf die bisherigen Monopole war es noch zu aufwendig, für relativ kleine Vertriebsmengen konkrete Fern- und Verteilleitungen buchen zu müssen, bei den einen per gelber Post, bei den anderen per Fax, bei wieder anderen per Mail. Die Markteintrittsbarrieren waren zu hoch, heute dagegen sind die Buchungen weitgehend zusammengelegt, standardisiert und digitalisiert.

Der Ex-Monopolist war so der Einzige, der „leistungsfähig“ genug war, jeden Haushalt zu versorgen, finanziell aus der Monopolrendite sowieso, aber vor allem hatte er für sein lokales Reich bereits die Kette an Vorlieferanten- und Netznutzungsverträgen, die dem Wettbewerber fehlten. Der bisherige Monopoltarif wurde für den örtlichen Platzhirsch zum Pflichttarif „Grundversorgung“, gepaart mit der Ersatzversorgung für die ersten drei Monate. Auch wenn gerade die Marktführer davon profitierten, entsprach das dem damaligen Deregulierungshype.

Die Botschaft an die Privatverbrauchenden war implizit: „Wechselt ruhig sofort und häufig! Wenn's schief geht mit den Goldgasern, Teldafaxes, Flexstroms oder Care-Energies (und mit diesen Discountern ging es schief), dann fallt ihr nur in die Ersatzversorgung, von der aus ihr sogar rückwirkend rauskommt, wenn ihr früh genug erneut Schnäppchenjäger spielt.“

Auf Bundesebene nimmt heute kein Privatkundenversorger auch nur annähernd eine marktbeherrschende Stellung ein. Die vier größten − bei Strom Eon, EnBW, Vattenfall und EWE; RWE hatte sein zuletzt unter Innogy firmierendes Segment an Eon verkauft − hatten 2020 zusammen knapp 43 % Marktanteil, so das Kartellamt im jüngsten Monitoringbericht zusammen mit der Netzagentur. 

Warum nicht die Grundversorgung versteigern?

Ihnen und etablierten Stadtwerken den Grundversorgerstatus durch scheinobjektive „Feststellung“ schenken? Wieso keine Vergabe durch die Gemeinde ähnlich wie beim Verteilnetz, allerdings nicht auf 20 Jahre, vielleicht auch nicht auf drei, sondern nur auf eines? Für Auktionen spräche über den Wettbewerbsgedanken hinaus auch in den jetzigen steigenden Märkten einiges:

Bei jedem Vertrieb, der an der Auktion teilnimmt, könnte man davon ausgehen, dass er auch will. In Kappelrodeck tat der Grundversorger alles Mögliche, damit er rechtlich gar nicht mehr dafür in Frage kommt: Er warb dafür, zu dem zweitgrößten Haushaltsversorger, dem kommunalen Energiewerk Ortenau, zu wechseln oder zur Süwag, die schon lange Grundversorger im Ortsteil Waldulm ist. Um den Kundenverlust anzuheizen, erhöhte Ziegler für den letzten Versorgungsmonat den Tarif um durchschnittlich 75 Euro. Propagandistisch trug das Privatunternehmen zudem die Verteuerung über ein ganzes Jahr dick auf, obwohl es doch nach einem Monat aufhörte.

 
Anwalt Jost Eder: „Hohe Hürden für die Unzumutbarkeit der Grundversorgung“
Quelle: BBH

Denn dass Ziegler die Belieferung einfach so einstellen durfte, das ist rechtlich umstritten. Die Landesenergieaufsicht sieht das so. Aber Jost Eder, Partner bei der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH), pocht darauf, „Unzumutbarkeit“ setze voraus, dass die verlangte Handlung nach allen denkbaren Gesichtspunkten zu Verlusten führt. Zwar waren die Großhandelsnotierungen explodiert, aber Ziegler hätte es wenigstens probieren müssen, die Endpreise auf ein wirtschaftliches Niveau anzuheben, so Eder. Ein VNB, der wie Eder denkt, hätte Ziegler womöglich zur Weiterversorgung gezwungen und Ziegler hätte sich juristisch dagegen gewehrt. So hätte es jahrelang keinen sicheren Grundversorger gegeben.

Als Grundversorger bestimmte dann das Ü-Werk Mittelbaden binnen zwölf Tagen den zweitgrößten Vertrieb im Ort, das Energiewerk Ortenau. Was, wenn auch dieses nicht gewollt hätte? Und der drittgrößte auch nicht? Genau das befürchtete man dem Vernehmen nach in Lahr, Kappelrodeck und Stuttgart und stimmte die „Feststellung“ vorsorglich mit dem Energiewerk ab. Wenn aber alles abgestimmt werden muss, wo bleibt dann die objektive Feststellung? In einer Auktion hingegen bietet nur, der will.

Ein Gegenargument wäre, dass dann die kapitalstärksten Vertriebe (oder gar Big Data) auf Einkaufstour gingen und damit die Grundversorgung letztlich verteuerten, so ähnlich wie bei den Mobilfunkfrequenzen. Dies könnte man aber mit einer Rückwärtsauktion verhindern: Wer die geringsten Endpreise garantiert, bekommt den Zuschlag. Gleichzeitig müsste jeder Bieter angemessene Liquidität nachweisen.

​Kostenlose Infos für Wettbewerber

Dann bräuchte man auch nicht mehr die ohnehin nur brüchig eingehaltene Vorschrift, dass die Tarife veröffentlicht werden müssen. Sie nützt nämlich vor allem den von Discounterprovisionen abhängigen Vergleichsportalen. Diese crawlen ständig im Internet die Entwicklung der Grundversorgungspreise und bekommen so auf Kosten derer, die sie angreifen, eine Preis-Benchmark, die ihre Provisionsgeber unterbieten müssen, um Vertriebserfolg zu haben. Gleichzeitig gewinnen sie ein flächendeckendes propagandistisches Werkzeug, um unter Beifall der Publikumsmedien die etwas teurere Grundversorgung als „die“ Energiepreise an den Pranger zu stellen, obwohl bei Strom nur noch 25 % und bei Gas nur noch 17 % der Kundschaft darin steckt. Fun Fact: Nicht nur in Bad Belzig sind zurzeit alle Wettbewerber des Grundversorgers Eon wesentlich teurer.

 
Die Grundversorgung muss auf den Prüfstand, meint Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft
Quelle: BNE/Jan Pauls

Was, wenn niemand böte? Dann hätte die Gemeinde halt keinen Grundversorger mehr. Oder man schafft die Grundversorgung ganz ab. Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE), antwortet E&M, das Modell müsse „auf den Prüfstand kommen“. Nur die Ersatzversorgung auf Zeit habe „die wichtige Absicherungsfunktion, wenn ein Versorger nicht mehr liefern kann oder es zu Verzögerungen kommt“. Das Bundeskartellamt dagegen kann „keine bewertende oder einordnende Position (...) zur Verfügung stellen“, so ein Sprecher.

Mittwoch, 16.02.2022, 09:02 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Wer Grundversorger wird - ein widersinniges System
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe
Wer Grundversorger wird - ein widersinniges System
Die Pleite der Stadtwerke Bad Belzig müsste auch die Frage neu aufwerfen, wie der Versorger bestimmt wird, der die Kundschaft auffängt. Die jetzige Regelung stärkt Oligopole.
Ein Stadtwerk ist pleite − eine Institution der Versorgungssicherheit für 11.000 Verbrauchende steht infrage und hängt am seidenen Faden des Wohlwollens von Gläubigern, Gesellschafter und brandenburgischer Kommunalaufsicht. Die Schieflage der Stadtwerke Bad Belzig wirft ein Licht auf das System der Grund- und Ersatzversorgung, das den Privatkunden eine sofortige und stetige Strom- und Gasversorgung sichert, egal ob ihr aktueller Vertrieb pleitegeht oder ob sie irgendwo einziehen und einfach so Herd und Heizkessel anwerfen.

Was tat das Stadtwerk des Soleheilbads, das „für professionelle und zuverlässige Services“ stehen will, so dessen Website? Mitte Dezember wirbt der Aufsichtsratschef für den Wechsel zur ebenfalls kommunalen EWP aus dem nahen Potsdam und deutet damit schon den Ausstieg aus dem Stromgeschäft an − was aber nur energiewirtschaftlich Beschlagene herauslesen. Erst fünf Tage nach Jahreswechsel teilt das Stadtwerk jenen der 1.400 Stromkunden und -kundinnen, die geblieben sind, mit, dass es das Stromgeschäft zugeklappt hat. Die Verbrauchenden erfahren in einer Pressemitteilung nicht einmal, dass sie damit in die Ersatzversorgung gefallen sind, geschweige denn durch welchen Grundversorger. In Bad Belzig ist das Eon.

Zumindest war das so bis Ende 2021. Der Verteilnetzbetreiber (VNB) Edis Netz, der zufällig zum Eon-Konzern gehört, hätte bis 30. September veröffentlichen müssen, wen er für 2022 bis 2024 als Grundversorger Strom und Gas benennt, wie fast alle anderen VNB auch, und zwar im Internet „einfach auffindbar“, so das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Stattdessen prangt noch die alte Grundversorgerliste für 2019 bis 2021 auf der Website von Edis Netz. Veraltete Infos für Bad Belzig und weitere gut 800 Stromkonzessionsgebiete. Warum, wurde E&M bis Redaktionsschluss nicht verraten.

Bei Gas hingegen ist und bleibt das Stadtwerk Grundversorger. Und verteuerte den kWh-Preis in der Grund- und Ersatzversorgung mitten im Winter erst um 20 bis 30 % und − nur einen Monat später − kumuliert um 63 bis 94 %. Es gibt seit Kurzem einen separaten Tarif für neue Kundschaft. Split-Tarife werden von Verbraucherzentralen abgemahnt und von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kritisiert.
Klar, die kontinentalen Gasgroßhandelspreise stiegen von Dezember bis Dezember um 549 %. Aber all das bestätigt nur, dass die sichere Versorgung wertlos wird, wenn Kundschaft − hier zudem mit einem höheren Anteil Ärmerer − sich diese nicht mehr leisten kann.

Schwarzwald: Adieu ohne Pleite

Andererseits darf auch Grundversorgern nicht zugemutet werden, dauerhaft zuzuschießen − so Paragraf 36 EnWG. Andernfalls würden sie die Grundversorgung abgeben. Oder gleich den ganzen Energievertrieb. Hierfür gibt es einen Präzedenzfall im Schwarzwald-Dorf Kappelrodeck mit 2.000 Stromanschlüssen: Mit der Begründung, die im Herbst 2021 explosionsartig gestiegenen Beschaffungspreise überforderten ihn, klappte der private Stromgrundversorger Ziegler − ein Elektrofachbetrieb mit Kleinwasserkraftwerk − per Silvester die Versorgung zu.

Nun musste der Verteilnetzbetreiber Ü-Werk Mittelbaden außer der Reihe einen neuen Grundversorger für die nächsten drei Jahre „feststellen“ − so will es das EnWG. Die Entscheidung vom Juli 2021, dass das E-Werk Ziegler 2022 bis 2024 Grundversorger bleibt, war für die Tonne. Grundversorger wird, wer in einem Konzessionsgebiet die meisten Haushaltsanschlüsse hat. In Städten gilt ein Marktanteil des Stadtwerks von unter 80 % in diesem Segment, wie bei der Gasag in Berlin, schon als niedrig.

Aber warum handelt der Bund, der seit 1998 mühsam Wettbewerb in die vorherigen Gebietsmonopole gebracht hat, durch die Privilegierung lokaler Marktführer nach dem sogenannten Matthäus-Prinzip, wonach „dem, wer da hat, noch gegeben wird“? Die technische Antwort lautet: Vor 24 Jahren stand der Wettbewerb um Privatkundschaft zwar im Gesetz, aber es gab ihn nicht. Bei Gas war das noch zehn Jahre lang so. Für die Angreifer auf die bisherigen Monopole war es noch zu aufwendig, für relativ kleine Vertriebsmengen konkrete Fern- und Verteilleitungen buchen zu müssen, bei den einen per gelber Post, bei den anderen per Fax, bei wieder anderen per Mail. Die Markteintrittsbarrieren waren zu hoch, heute dagegen sind die Buchungen weitgehend zusammengelegt, standardisiert und digitalisiert.

Der Ex-Monopolist war so der Einzige, der „leistungsfähig“ genug war, jeden Haushalt zu versorgen, finanziell aus der Monopolrendite sowieso, aber vor allem hatte er für sein lokales Reich bereits die Kette an Vorlieferanten- und Netznutzungsverträgen, die dem Wettbewerber fehlten. Der bisherige Monopoltarif wurde für den örtlichen Platzhirsch zum Pflichttarif „Grundversorgung“, gepaart mit der Ersatzversorgung für die ersten drei Monate. Auch wenn gerade die Marktführer davon profitierten, entsprach das dem damaligen Deregulierungshype.

Die Botschaft an die Privatverbrauchenden war implizit: „Wechselt ruhig sofort und häufig! Wenn's schief geht mit den Goldgasern, Teldafaxes, Flexstroms oder Care-Energies (und mit diesen Discountern ging es schief), dann fallt ihr nur in die Ersatzversorgung, von der aus ihr sogar rückwirkend rauskommt, wenn ihr früh genug erneut Schnäppchenjäger spielt.“

Auf Bundesebene nimmt heute kein Privatkundenversorger auch nur annähernd eine marktbeherrschende Stellung ein. Die vier größten − bei Strom Eon, EnBW, Vattenfall und EWE; RWE hatte sein zuletzt unter Innogy firmierendes Segment an Eon verkauft − hatten 2020 zusammen knapp 43 % Marktanteil, so das Kartellamt im jüngsten Monitoringbericht zusammen mit der Netzagentur. 

Warum nicht die Grundversorgung versteigern?

Ihnen und etablierten Stadtwerken den Grundversorgerstatus durch scheinobjektive „Feststellung“ schenken? Wieso keine Vergabe durch die Gemeinde ähnlich wie beim Verteilnetz, allerdings nicht auf 20 Jahre, vielleicht auch nicht auf drei, sondern nur auf eines? Für Auktionen spräche über den Wettbewerbsgedanken hinaus auch in den jetzigen steigenden Märkten einiges:

Bei jedem Vertrieb, der an der Auktion teilnimmt, könnte man davon ausgehen, dass er auch will. In Kappelrodeck tat der Grundversorger alles Mögliche, damit er rechtlich gar nicht mehr dafür in Frage kommt: Er warb dafür, zu dem zweitgrößten Haushaltsversorger, dem kommunalen Energiewerk Ortenau, zu wechseln oder zur Süwag, die schon lange Grundversorger im Ortsteil Waldulm ist. Um den Kundenverlust anzuheizen, erhöhte Ziegler für den letzten Versorgungsmonat den Tarif um durchschnittlich 75 Euro. Propagandistisch trug das Privatunternehmen zudem die Verteuerung über ein ganzes Jahr dick auf, obwohl es doch nach einem Monat aufhörte.

 
Anwalt Jost Eder: „Hohe Hürden für die Unzumutbarkeit der Grundversorgung“
Quelle: BBH

Denn dass Ziegler die Belieferung einfach so einstellen durfte, das ist rechtlich umstritten. Die Landesenergieaufsicht sieht das so. Aber Jost Eder, Partner bei der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH), pocht darauf, „Unzumutbarkeit“ setze voraus, dass die verlangte Handlung nach allen denkbaren Gesichtspunkten zu Verlusten führt. Zwar waren die Großhandelsnotierungen explodiert, aber Ziegler hätte es wenigstens probieren müssen, die Endpreise auf ein wirtschaftliches Niveau anzuheben, so Eder. Ein VNB, der wie Eder denkt, hätte Ziegler womöglich zur Weiterversorgung gezwungen und Ziegler hätte sich juristisch dagegen gewehrt. So hätte es jahrelang keinen sicheren Grundversorger gegeben.

Als Grundversorger bestimmte dann das Ü-Werk Mittelbaden binnen zwölf Tagen den zweitgrößten Vertrieb im Ort, das Energiewerk Ortenau. Was, wenn auch dieses nicht gewollt hätte? Und der drittgrößte auch nicht? Genau das befürchtete man dem Vernehmen nach in Lahr, Kappelrodeck und Stuttgart und stimmte die „Feststellung“ vorsorglich mit dem Energiewerk ab. Wenn aber alles abgestimmt werden muss, wo bleibt dann die objektive Feststellung? In einer Auktion hingegen bietet nur, der will.

Ein Gegenargument wäre, dass dann die kapitalstärksten Vertriebe (oder gar Big Data) auf Einkaufstour gingen und damit die Grundversorgung letztlich verteuerten, so ähnlich wie bei den Mobilfunkfrequenzen. Dies könnte man aber mit einer Rückwärtsauktion verhindern: Wer die geringsten Endpreise garantiert, bekommt den Zuschlag. Gleichzeitig müsste jeder Bieter angemessene Liquidität nachweisen.

​Kostenlose Infos für Wettbewerber

Dann bräuchte man auch nicht mehr die ohnehin nur brüchig eingehaltene Vorschrift, dass die Tarife veröffentlicht werden müssen. Sie nützt nämlich vor allem den von Discounterprovisionen abhängigen Vergleichsportalen. Diese crawlen ständig im Internet die Entwicklung der Grundversorgungspreise und bekommen so auf Kosten derer, die sie angreifen, eine Preis-Benchmark, die ihre Provisionsgeber unterbieten müssen, um Vertriebserfolg zu haben. Gleichzeitig gewinnen sie ein flächendeckendes propagandistisches Werkzeug, um unter Beifall der Publikumsmedien die etwas teurere Grundversorgung als „die“ Energiepreise an den Pranger zu stellen, obwohl bei Strom nur noch 25 % und bei Gas nur noch 17 % der Kundschaft darin steckt. Fun Fact: Nicht nur in Bad Belzig sind zurzeit alle Wettbewerber des Grundversorgers Eon wesentlich teurer.

 
Die Grundversorgung muss auf den Prüfstand, meint Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft
Quelle: BNE/Jan Pauls

Was, wenn niemand böte? Dann hätte die Gemeinde halt keinen Grundversorger mehr. Oder man schafft die Grundversorgung ganz ab. Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft (BNE), antwortet E&M, das Modell müsse „auf den Prüfstand kommen“. Nur die Ersatzversorgung auf Zeit habe „die wichtige Absicherungsfunktion, wenn ein Versorger nicht mehr liefern kann oder es zu Verzögerungen kommt“. Das Bundeskartellamt dagegen kann „keine bewertende oder einordnende Position (...) zur Verfügung stellen“, so ein Sprecher.

Mittwoch, 16.02.2022, 09:02 Uhr
Georg Eble

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