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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Warum Stadtwerke PPA entdecken und die Industrie sie braucht
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Warum Stadtwerke PPA entdecken und die Industrie sie braucht

Lange Zeit machten grüne Projektentwickler und Großkonzerne das PPA-Geschäft unter sich aus. Doch einige Kommunalunternehmen sind ebenfalls rührig. Aus verschiedenen Gründen.
Klimaneutralität gilt in Deutschland bis 2045 auch für Industrie und Gewerbe. Doch sie kann schon eher notwendig werden, wenn etwa Zulieferer an Abnehmer gebunden sind, die ehrgeizigere Pläne verfolgen. Dann müssen auch sie ihre Produktion entsprechend schnell umstellen. Beim Bezug grünen Stroms sind direkte Lieferverträge (PPA, Power Purchase Agreements) wegen ihres Bezugs zu konkreten Erzeugungsparks und der Mitlieferung von Herkunftsnachweisen besonders gut zu kommunizieren. Zudem geben ihre langen Laufzeiten im Vergleich zur EEG-Direktvermarktung den Unternehmen Preissicherheit.

Gerade Zulieferer in der Industrie sind von den Net-Zero-Strategien ihrer Hauptkunden abhängig. Beispiel Schneider Electric: Der französische Weltkonzern und Marktführer bei Mittelspannungsanlagen will bis 2030 klimaneutral produzieren. Die eigenen Werke werden derzeit schon auf erneuerbare Energien umgestellt, etwa mit riesigen PV-Anlagen auf den Dächern der Produktionshallen (Scope 1). Doch auch die Komponenten, die in diesen Hallen verbaut werden, müssen klimaneutral produziert sein − das wird also für Zulieferer zur Pflicht (Scope 2). Schneider Electric erwartet von jedem von ihnen die Einhaltung aller 49 ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung).

Nicht jeder wird jedoch die finanziellen Möglichkeiten und schon gar nicht den Platz haben, grüne Energie selbst zu produzieren. Hier helfen nur PPA und andere Lieferverträge für grünen Strom (und natürlich für grüne Prozesswärme), die auf Energiequellen von außerhalb zurückgreifen. Inzwischen ist die Verfügbarkeit grüner Energie der Ansiedlungsgrund Nummer eins für Unternehmen. Auf der Verkäuferseite waren und sind PPA die Domäne von reinen Erneuerbaren-Unternehmen und von großen Energiekonzernen.

Teil einer PPA-Kaskade wird der koreanische Solarmodulhersteller Hanwha Qcells: Projektentwickler Juwi wird einen 8,4-MW-Solarpark im Donnersbergkreis (Rheinland-Pfalz) nach Abschluss der Bauarbeiten an Hanwha Qcells verkaufen, behält aber die technische und kaufmännische Betriebsführung. Vom Spätsommer an gibt Hanwha Qcells den erzeugten Strom an seine Kunden weiter − nicht nur per PPA, sondern auch im Power Contracting sowie in Anlagenpacht- und -kaufmodellen mit Ratenzahlungsoption. Das PV-Projekt wird nicht EEG-gefördert. Die etwa 17.000 Module stammen aus Qcells eigener Produktion. „Durch den Kauf des Solarparks und das geschlossene PPA können wir den generierten sauberen Strom für unseren eigenen Bilanzkreis nutzen und ihn langfristig und kostengünstig unseren privaten wie gewerblichen Endkunden zur Verfügung stellen“, mit diesen Worten erklärt Ivan Nicolas Garcia Hergueta, Head of B2B DES Distributed Energy Solutions bei Qcells, die Beweggründe. 

RWE wiederum nahm im September 2022 auf dem Oosterpolder-Deich im niederländischen Eemshaven an der Emsmündung drei Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 7,5 MW in Betrieb. Verkauft wird der Strom per PPA direkt an ASML, den weltweit größten Anbieter von Lithografie-Systemen für die Halbleiterindustrie. 

Die RWE-Offshore-Windparks „Nordsee Ost“ und „Amrumbank West“ liefern außerdem − nach Auslaufen der EEG-Förderung − von 2025 beziehungsweise 2026 an per PPA Strom an elf deutsche Industriekunden und ein großes Stadtwerk, darunter die Badischen Stahlwerke, Bosch, die Freudenberg-Gruppe, Infraserv Höchst, Mainova Frankfurt am Main, Messer, Schott, Vodafone, Telefonica, Verallia, Wacker und ZF. 

An Land sind bei ausgeförderten Windenergieanlagen ein- bis zweijährige PPA üblich gewesen, bis die Stromerlösabschöpfung den Kurzfristmarkt auflöste. Für neue PV-Freiflächenanlagen sind acht bis zehn Jahre üblich, für neue Offshore-Windparks zehn bis 15 Jahre. Die Kunden erhalten je nach Wunsch eine direkte Abnahme („as produced“), eine Fahrplanlieferung mit Windparkprofil („as nominated“) oder die Strukturierung zu einer konstanten Stromliefermenge (Bandlieferung). 
 
Liefert nach Auslaufen der EEG-Förderung grünen PPA-Strom: „Amrumbank West“ von RWE
Quelle: RWE
 
RWE war bei PPA aus alten Windparks Vorreiter: Seit 2019 wurden Strommengen aus den beiden Offshore-Anlagen per PPA an die Deutsche Bahn verkauft. Beide Windparks sorgen seit 2015 rund 60 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste für grünen Strom. Die insgesamt 128 Windturbinen haben eine Leistung von knapp 600 MW. 

„Das große Interesse unserer Kunden an diesen Stromlieferverträgen unterstreicht die Bedeutung von CO2-freiem Strom für die deutsche Industrie. Wir bereiten die Vermarktung weiterer Offshore-Strommengen aus in Entwicklung befindlichen Parks vor“, erklärt Ulf Kerstin, CCO der RWE Supply & Trading.

Stadtwerke kommen auf den Geschmack

Die ersten kommunalen Energieversorger dringen in die PPA-Domäne ein: So gehört mittlerweile die Mannheimer MVV Trading, deren Mutter MVV AG einst die Projektentwickler Juwi und Windwärts aufgekauft und zusammengelegt hatte, in der aktuellen E&M-Direktvermarktungsumfrage fürs Gesamtjahr 2022 zu den sechs Direktvermarktern mit mehr als 1000 MW in der sonstigen (förderfreien) Direktvermarktung inklusive PPA. In der Klasse 200 bis 500 MW finden sich die Stadtwerke München, die Nürnberger N-Ergie und die kommunalwirtschaftliche Kooperation Trianel neben Grünunternehmen wie Naturstrom.

Die Gründe dafür sind neben der Kundennachfrage vielfältig: Die eigene Kommune verlangt von ihren Versorgern den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Klimaneutralität weit vor dem gesetzlichen nationalen Datum 2045 oder dem EU-Netto-Null-Ziel für 2050. Zudem hatten kommunale Versorger immer schon einen unterschiedlich ausgeprägten Wirtschaftsförderungsauftrag inne. Und für Industriekunden ist die Verfügbarkeit von nachhaltig erzeugter Energie inzwischen das Hauptansiedlungskriterium. Die IHK Nord, beheimatet in der windreichsten Gegend Deutschlands, rief eine Ansiedlungskampagne ins Leben: „Come to where the power is!“

Für das kommunalwirtschaftliche PPA-Engagement finden sich einige Beispiele:
Im Verdion Expo Park, einem 46.700 Quadratmeter großen Logistikzentrum auf dem ehemaligen Expo-Gelände, baute die Hannoveraner Enercity im Herbst 2022 die mit knapp 4,7 MW und 11.400 Modulen derzeit größte Dachphotovoltaikanlage in der Region. Die Sparkasse Hannover sichert sich die Hälfte der erwarteten Jahresstromproduktion von 4 Millionen kWh seit 1. Januar 2023. Die Investitionen beliefen sich auf 3,5 Millionen Euro (siehe auch Kurzinterview mit Enercity-Chefin Susanna Zapreva). 

N-Ergie, der Versorger für Nürnberg, hat 2022 im Landkreis Kitzingen zwei Solaranlagen mit 64.000 Modulen und insgesamt 29 MW in Betrieb genommen. 22 MW davon werden nicht gemäß EEG vergütet, sondern per PPA im Rahmen der „sonstigen Direktvermarktung“ mit Herkunftsnachweis vertrieben.

Regionales PPA-Bündnis 

N-Ergie schloss sich im Oktober 2021 mit den Erlanger Stadtwerken (ESTW), Infra Fürth, den Stadtwerken Schwabach und Stein sowie den Gemeindewerken Wendelstein (Kreis Roth) zu „Ökostrom Franken“ zusammen. Ziel ist der weitere Ausbau der Photovoltaik in der Region.

Eine erste Anlage ging mit 6,2 MW in Röthlein (Kreis Schweinfurt) ans Netz. Abnehmer sind die vereinten Stadtwerke selbst. Sie machen also ihre eigenen PPA als Erzeuger von und Abnehmer für Grünstrom. Eines der erklärten Ziele: Die Stadtwerke sichern sich den Zugriff auf immer stärker nachgefragte regionale und zertifizierte CO2-freie Strommengen.

„Industrie hat Interesse an Grünstromzertifikaten und Preisstabilität“ 

Interview mit Frederik Faißt, Senior-Experte Projektfinanzierung und Vermarktung bei Juwi
 
Frederik Faißt ist Senior-Experte Projektfinanzierung und Vermarktung bei Juwi Quelle: Juwi

E&M: Herr Faißt, seit wann geht Ihr Unternehmen PPA ein?

Faißt: In Deutschland setzen wir seit 2020 PPA-Projekte um. Hier machten vor allem PV-Projekte den Anfang, da sie einen geringer anzulegenden Wert gegenüber dem Börsenstrompreis hatten. In unseren Auslandsmärkten haben wir zum Teil schon deutlich früher mit der Strukturierung von PPA angefangen, da es dort keine vergleichbaren EEG-Vergütungsstrukturen gab. Zu nennen sind hier vor allem die Märkte USA, Italien und Griechenland. 

E&M: Welche Überlegungen führten Sie zum Einsatz von PPA? 

Faißt: Seinerzeit waren es vor allem wirtschaftliche Überlegungen, da der Börsenstrompreis oberhalb des EEG-Vergütungstarifs lag. Zudem konnten über Vergütungsstrukturen außerhalb des EEG Projekte auf förderfreien Flächen umgesetzt werden. Hinzu kommt − Stichwort ‚Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette‘ − der Bedarf nach Grünstromzertifikaten. 

E&M: Was sind die zugrunde liegenden Energietechnologien? 

Faißt: Den Auftakt haben, wie schon gesagt, PV-Projekte gemacht. Das Juwi-Projekt in Schmölln (Thüringen; d. Red.) war 2021 das erste Windprojekt, das mit PPA ausgestattet war. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit, die ja von enormen Preissteigerungen geprägt war, haben PPA im Windbereich die Wirtschaftlichkeit vieler Projekte erst ermöglicht. 

E&M: Hat Ihr Unternehmen dafür das komplette Know-how im Haus oder arbeiten Sie auch mit Dritten zusammen? 

Faißt: Hier zahlt sich die Zugehörigkeit von Juwi zum MVV-Verbund voll aus. Wir haben intern ein starkes Know-how bei der Strukturierung von PPA. Über die MVV Trading decken wir auch den energiewirtschaftlichen Teil einschließlich Energiehandel ab, sodass wir in der Gruppe im Bereich grüne Stromlieferung komplett aufgestellt sind, um Kundenwünsche abbilden zu können. 

E&M: Entwickeln Sie die technische Seite der PPA selbst? 

Faißt: Ja, wir entwickeln diese mit den Kollegen im Konzernverbund.

E&M: Welche sind aus Ihrer Sicht jene Kundengruppen, die aktuell auf PPA setzen? 

Faißt: Wir verspüren ein zunehmendes Interesse vonseiten der Industrie im Hinblick auf Grünstromzertifikate und Preisstabilität. 

E&M: Wann kommt aus Ihrer Sicht ein Projekt für PPA infrage? 

Faißt: Ganz allgemein gesprochen: Grundsätzlich bewerten wir alle unsere Projekte im Hinblick auf mögliche PPA-Strukturen. Ob diese dann zum Einsatz kommen können, hängt maßgeblich von der projektspezifischen Situation sowie den erzielbaren Strompreisen zum geplanten Inbetriebnahmezeitpunkt ab. Die Herausforderung ist die Verbindlichkeit in der Planung mit Stromvermarktungsverträgen und den zugrunde liegenden Strompreisen, schließlich müssen ab dem Lieferzeitraum die vereinbarten Strommengen fließen. Ist das PPA-Projekt bis dahin nicht am Netz, müssen die Strommengen anderweitig organisiert werden, was bei hohen Börsenstrompreisen teuer werden kann.
 



„PPA erfüllen ein Kundenbedürfnis“ 
Interview mit Susanna Zapreva, CEO bei Enercity 

E&M: Frau Zapreva, seit wann und warum nutzen Sie PPA? 
Zapreva: Enercity vertreibt seit mehr als drei Jahren Strom mittels Power Purchase Agreement. Wir erfüllen damit ein Kundenbedürfnis. Prinzipiell ist PPA für alle Kundengruppen geeignet. Aktuell sind es vorrangig sehr große Unternehmen wie die Großindustrie, Krankenhäuser oder Flughäfen, die gezielt danach fragen. Gründe sind meistens die CO2-Reduktion oder Kostenabsicherung. 
E&M: Welche Energietechnologien kommen bei Enercity dafür zum Einsatz? 
Zapreva: Windenergie in Kombination mit Photovoltaik ergibt in der Regel den optimalen Mix zur maximalen Bedarfsdeckung bei unseren Kunden. Enercity verfügt dafür über das komplette Know-how − von der Erzeugung über den Energiehandel und den Zugang zur Börse bis hin zum Bilanzkreis- und Portfoliomanagement. 
E&M: Entwickeln Sie die technische Seite der PPA selbst? 
Zapreva: Ja, die Energiemengen aus verschiedenen Quellen werden einer Lieferstelle physisch oder bilanziell zugeordnet. Das Bedarfslastprofil des Kunden wird möglichst maximal aus Wind- und PV-Strom gespeist. Der Reststrombedarf wird aus verschiedenen Qualitäten wie Ökostrom aus Wasserkraft bedient. 
 
Enercity-Chefin Susanna Zapreva
Quelle: Enercity/Christian Kerber
 
 

Ackerfraß“ PV?

Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern sind bisher die bevorzugten Bundesländer für PV-Freiflächenanlagen, die ohne Förderung über PPA finanziert werden. Mit Flächennutzungsproblemen. Deswegen ist diese Entwicklung auch nicht widerspruchsfrei. PV verbraucht Fläche. Paragraf 1a Absatz 2 des Baugesetzbuchs, der einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden verlangt, gilt auch hier. „Dies betrifft in Bezug auf Solarfreiflächenanlagen insbesondere den Umgang mit Bodenaushub während der Bauphase (Kabelkanäle, Fundamente usw.), die Anlage von Fahrtwegen und den Erosionsschutz“, so das Umweltbundesamt (UBA). Häufig ist Ackerland betroffen:
  • In Mecklenburg-Vorpommern dürfen Landwirtschaftsflächen normalerweise nur 110 Meter beiderseits von Autobahnen, Bundesstraßen und Schienenwegen für PV-Freiflächenanlagen genutzt werden. Doch das Land erlaubt Solarparks auch auf anderen landwirtschaftlich genutzten Flächen. 
  • Brandenburg ist mit 28.000 PV-Standorten einer der Spitzenreiter. Auch hier wird Acker zu PV umgewandelt. Die bisherige Strategie, vorrangig Brachen und altes Militärgelände zu nutzen, wurde aufgrund der großen Nachfrage aufgegeben. 
  • Ähnliches gilt in Bayern und Baden-Württemberg, allerdings mit einer Begrenzung auf 100 Hektar je Projekt. Der Bayerische Bauernverband (BBV) will dennoch PV vorrangig aufs Dach bringen, um diesen „Ackerfraß“ zu verhindern. 
Denn die Interessen sind durchaus gemischt − mit einem Übergewicht aufseiten der PV-Befürworter. Der ökonomische Hintergrund (neben dem ökologischen der Ausbaupfade): Pachterlöse aus PV-Flächenanlagen sind mitunter auf ein und derselben Fläche bis zu zehnmal höher als die aus landwirtschaftlicher Nutzung. Und das in der Regel auf 20 Jahre. Befürworter finden sich also auch unter den Landwirten − neben Kommunen, Bürgern und Umweltschützern und natürlich den Projektierern und Betreibern. 
Es gibt dennoch Landwirte, die ihre Äcker bedroht sehen, auch wenn der Boden nicht dauerhaft versiegelt wird. Für eine landwirtschaftliche Nutzung ist er mit einer herkömmlichen Solaranlage nicht geeignet. Agri-PV soll beide Welten vereinen. Doch die gibt es bisher nur rudimentär in Forschungsprojekten. Die Kosten pro Kilowatt sind dreimal höher, etwa durch die Aufständerung der PV-Module, um noch Sonneneinstrahlung, Niederschlag und Traktordurchfahrten auf den darunterliegenden Flächen zu ermöglichen.
Auch Tourismusvertreter sehen in einigen Gegenden ihre Potenziale bedroht. Sie und andere sprechen vor allem von einer „Verschandelung der Landschaft“. Der Gegenwind ist da. 

Donnerstag, 27.04.2023, 08:59 Uhr
Frank Urbansky
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Warum Stadtwerke PPA entdecken und die Industrie sie braucht
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Warum Stadtwerke PPA entdecken und die Industrie sie braucht
Lange Zeit machten grüne Projektentwickler und Großkonzerne das PPA-Geschäft unter sich aus. Doch einige Kommunalunternehmen sind ebenfalls rührig. Aus verschiedenen Gründen.
Klimaneutralität gilt in Deutschland bis 2045 auch für Industrie und Gewerbe. Doch sie kann schon eher notwendig werden, wenn etwa Zulieferer an Abnehmer gebunden sind, die ehrgeizigere Pläne verfolgen. Dann müssen auch sie ihre Produktion entsprechend schnell umstellen. Beim Bezug grünen Stroms sind direkte Lieferverträge (PPA, Power Purchase Agreements) wegen ihres Bezugs zu konkreten Erzeugungsparks und der Mitlieferung von Herkunftsnachweisen besonders gut zu kommunizieren. Zudem geben ihre langen Laufzeiten im Vergleich zur EEG-Direktvermarktung den Unternehmen Preissicherheit.

Gerade Zulieferer in der Industrie sind von den Net-Zero-Strategien ihrer Hauptkunden abhängig. Beispiel Schneider Electric: Der französische Weltkonzern und Marktführer bei Mittelspannungsanlagen will bis 2030 klimaneutral produzieren. Die eigenen Werke werden derzeit schon auf erneuerbare Energien umgestellt, etwa mit riesigen PV-Anlagen auf den Dächern der Produktionshallen (Scope 1). Doch auch die Komponenten, die in diesen Hallen verbaut werden, müssen klimaneutral produziert sein − das wird also für Zulieferer zur Pflicht (Scope 2). Schneider Electric erwartet von jedem von ihnen die Einhaltung aller 49 ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung).

Nicht jeder wird jedoch die finanziellen Möglichkeiten und schon gar nicht den Platz haben, grüne Energie selbst zu produzieren. Hier helfen nur PPA und andere Lieferverträge für grünen Strom (und natürlich für grüne Prozesswärme), die auf Energiequellen von außerhalb zurückgreifen. Inzwischen ist die Verfügbarkeit grüner Energie der Ansiedlungsgrund Nummer eins für Unternehmen. Auf der Verkäuferseite waren und sind PPA die Domäne von reinen Erneuerbaren-Unternehmen und von großen Energiekonzernen.

Teil einer PPA-Kaskade wird der koreanische Solarmodulhersteller Hanwha Qcells: Projektentwickler Juwi wird einen 8,4-MW-Solarpark im Donnersbergkreis (Rheinland-Pfalz) nach Abschluss der Bauarbeiten an Hanwha Qcells verkaufen, behält aber die technische und kaufmännische Betriebsführung. Vom Spätsommer an gibt Hanwha Qcells den erzeugten Strom an seine Kunden weiter − nicht nur per PPA, sondern auch im Power Contracting sowie in Anlagenpacht- und -kaufmodellen mit Ratenzahlungsoption. Das PV-Projekt wird nicht EEG-gefördert. Die etwa 17.000 Module stammen aus Qcells eigener Produktion. „Durch den Kauf des Solarparks und das geschlossene PPA können wir den generierten sauberen Strom für unseren eigenen Bilanzkreis nutzen und ihn langfristig und kostengünstig unseren privaten wie gewerblichen Endkunden zur Verfügung stellen“, mit diesen Worten erklärt Ivan Nicolas Garcia Hergueta, Head of B2B DES Distributed Energy Solutions bei Qcells, die Beweggründe. 

RWE wiederum nahm im September 2022 auf dem Oosterpolder-Deich im niederländischen Eemshaven an der Emsmündung drei Windkraftanlagen mit einer installierten Gesamtleistung von 7,5 MW in Betrieb. Verkauft wird der Strom per PPA direkt an ASML, den weltweit größten Anbieter von Lithografie-Systemen für die Halbleiterindustrie. 

Die RWE-Offshore-Windparks „Nordsee Ost“ und „Amrumbank West“ liefern außerdem − nach Auslaufen der EEG-Förderung − von 2025 beziehungsweise 2026 an per PPA Strom an elf deutsche Industriekunden und ein großes Stadtwerk, darunter die Badischen Stahlwerke, Bosch, die Freudenberg-Gruppe, Infraserv Höchst, Mainova Frankfurt am Main, Messer, Schott, Vodafone, Telefonica, Verallia, Wacker und ZF. 

An Land sind bei ausgeförderten Windenergieanlagen ein- bis zweijährige PPA üblich gewesen, bis die Stromerlösabschöpfung den Kurzfristmarkt auflöste. Für neue PV-Freiflächenanlagen sind acht bis zehn Jahre üblich, für neue Offshore-Windparks zehn bis 15 Jahre. Die Kunden erhalten je nach Wunsch eine direkte Abnahme („as produced“), eine Fahrplanlieferung mit Windparkprofil („as nominated“) oder die Strukturierung zu einer konstanten Stromliefermenge (Bandlieferung). 
 
Liefert nach Auslaufen der EEG-Förderung grünen PPA-Strom: „Amrumbank West“ von RWE
Quelle: RWE
 
RWE war bei PPA aus alten Windparks Vorreiter: Seit 2019 wurden Strommengen aus den beiden Offshore-Anlagen per PPA an die Deutsche Bahn verkauft. Beide Windparks sorgen seit 2015 rund 60 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste für grünen Strom. Die insgesamt 128 Windturbinen haben eine Leistung von knapp 600 MW. 

„Das große Interesse unserer Kunden an diesen Stromlieferverträgen unterstreicht die Bedeutung von CO2-freiem Strom für die deutsche Industrie. Wir bereiten die Vermarktung weiterer Offshore-Strommengen aus in Entwicklung befindlichen Parks vor“, erklärt Ulf Kerstin, CCO der RWE Supply & Trading.

Stadtwerke kommen auf den Geschmack

Die ersten kommunalen Energieversorger dringen in die PPA-Domäne ein: So gehört mittlerweile die Mannheimer MVV Trading, deren Mutter MVV AG einst die Projektentwickler Juwi und Windwärts aufgekauft und zusammengelegt hatte, in der aktuellen E&M-Direktvermarktungsumfrage fürs Gesamtjahr 2022 zu den sechs Direktvermarktern mit mehr als 1000 MW in der sonstigen (förderfreien) Direktvermarktung inklusive PPA. In der Klasse 200 bis 500 MW finden sich die Stadtwerke München, die Nürnberger N-Ergie und die kommunalwirtschaftliche Kooperation Trianel neben Grünunternehmen wie Naturstrom.

Die Gründe dafür sind neben der Kundennachfrage vielfältig: Die eigene Kommune verlangt von ihren Versorgern den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Klimaneutralität weit vor dem gesetzlichen nationalen Datum 2045 oder dem EU-Netto-Null-Ziel für 2050. Zudem hatten kommunale Versorger immer schon einen unterschiedlich ausgeprägten Wirtschaftsförderungsauftrag inne. Und für Industriekunden ist die Verfügbarkeit von nachhaltig erzeugter Energie inzwischen das Hauptansiedlungskriterium. Die IHK Nord, beheimatet in der windreichsten Gegend Deutschlands, rief eine Ansiedlungskampagne ins Leben: „Come to where the power is!“

Für das kommunalwirtschaftliche PPA-Engagement finden sich einige Beispiele:
Im Verdion Expo Park, einem 46.700 Quadratmeter großen Logistikzentrum auf dem ehemaligen Expo-Gelände, baute die Hannoveraner Enercity im Herbst 2022 die mit knapp 4,7 MW und 11.400 Modulen derzeit größte Dachphotovoltaikanlage in der Region. Die Sparkasse Hannover sichert sich die Hälfte der erwarteten Jahresstromproduktion von 4 Millionen kWh seit 1. Januar 2023. Die Investitionen beliefen sich auf 3,5 Millionen Euro (siehe auch Kurzinterview mit Enercity-Chefin Susanna Zapreva). 

N-Ergie, der Versorger für Nürnberg, hat 2022 im Landkreis Kitzingen zwei Solaranlagen mit 64.000 Modulen und insgesamt 29 MW in Betrieb genommen. 22 MW davon werden nicht gemäß EEG vergütet, sondern per PPA im Rahmen der „sonstigen Direktvermarktung“ mit Herkunftsnachweis vertrieben.

Regionales PPA-Bündnis 

N-Ergie schloss sich im Oktober 2021 mit den Erlanger Stadtwerken (ESTW), Infra Fürth, den Stadtwerken Schwabach und Stein sowie den Gemeindewerken Wendelstein (Kreis Roth) zu „Ökostrom Franken“ zusammen. Ziel ist der weitere Ausbau der Photovoltaik in der Region.

Eine erste Anlage ging mit 6,2 MW in Röthlein (Kreis Schweinfurt) ans Netz. Abnehmer sind die vereinten Stadtwerke selbst. Sie machen also ihre eigenen PPA als Erzeuger von und Abnehmer für Grünstrom. Eines der erklärten Ziele: Die Stadtwerke sichern sich den Zugriff auf immer stärker nachgefragte regionale und zertifizierte CO2-freie Strommengen.

„Industrie hat Interesse an Grünstromzertifikaten und Preisstabilität“ 

Interview mit Frederik Faißt, Senior-Experte Projektfinanzierung und Vermarktung bei Juwi
 
Frederik Faißt ist Senior-Experte Projektfinanzierung und Vermarktung bei Juwi Quelle: Juwi

E&M: Herr Faißt, seit wann geht Ihr Unternehmen PPA ein?

Faißt: In Deutschland setzen wir seit 2020 PPA-Projekte um. Hier machten vor allem PV-Projekte den Anfang, da sie einen geringer anzulegenden Wert gegenüber dem Börsenstrompreis hatten. In unseren Auslandsmärkten haben wir zum Teil schon deutlich früher mit der Strukturierung von PPA angefangen, da es dort keine vergleichbaren EEG-Vergütungsstrukturen gab. Zu nennen sind hier vor allem die Märkte USA, Italien und Griechenland. 

E&M: Welche Überlegungen führten Sie zum Einsatz von PPA? 

Faißt: Seinerzeit waren es vor allem wirtschaftliche Überlegungen, da der Börsenstrompreis oberhalb des EEG-Vergütungstarifs lag. Zudem konnten über Vergütungsstrukturen außerhalb des EEG Projekte auf förderfreien Flächen umgesetzt werden. Hinzu kommt − Stichwort ‚Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette‘ − der Bedarf nach Grünstromzertifikaten. 

E&M: Was sind die zugrunde liegenden Energietechnologien? 

Faißt: Den Auftakt haben, wie schon gesagt, PV-Projekte gemacht. Das Juwi-Projekt in Schmölln (Thüringen; d. Red.) war 2021 das erste Windprojekt, das mit PPA ausgestattet war. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit, die ja von enormen Preissteigerungen geprägt war, haben PPA im Windbereich die Wirtschaftlichkeit vieler Projekte erst ermöglicht. 

E&M: Hat Ihr Unternehmen dafür das komplette Know-how im Haus oder arbeiten Sie auch mit Dritten zusammen? 

Faißt: Hier zahlt sich die Zugehörigkeit von Juwi zum MVV-Verbund voll aus. Wir haben intern ein starkes Know-how bei der Strukturierung von PPA. Über die MVV Trading decken wir auch den energiewirtschaftlichen Teil einschließlich Energiehandel ab, sodass wir in der Gruppe im Bereich grüne Stromlieferung komplett aufgestellt sind, um Kundenwünsche abbilden zu können. 

E&M: Entwickeln Sie die technische Seite der PPA selbst? 

Faißt: Ja, wir entwickeln diese mit den Kollegen im Konzernverbund.

E&M: Welche sind aus Ihrer Sicht jene Kundengruppen, die aktuell auf PPA setzen? 

Faißt: Wir verspüren ein zunehmendes Interesse vonseiten der Industrie im Hinblick auf Grünstromzertifikate und Preisstabilität. 

E&M: Wann kommt aus Ihrer Sicht ein Projekt für PPA infrage? 

Faißt: Ganz allgemein gesprochen: Grundsätzlich bewerten wir alle unsere Projekte im Hinblick auf mögliche PPA-Strukturen. Ob diese dann zum Einsatz kommen können, hängt maßgeblich von der projektspezifischen Situation sowie den erzielbaren Strompreisen zum geplanten Inbetriebnahmezeitpunkt ab. Die Herausforderung ist die Verbindlichkeit in der Planung mit Stromvermarktungsverträgen und den zugrunde liegenden Strompreisen, schließlich müssen ab dem Lieferzeitraum die vereinbarten Strommengen fließen. Ist das PPA-Projekt bis dahin nicht am Netz, müssen die Strommengen anderweitig organisiert werden, was bei hohen Börsenstrompreisen teuer werden kann.
 



„PPA erfüllen ein Kundenbedürfnis“ 
Interview mit Susanna Zapreva, CEO bei Enercity 

E&M: Frau Zapreva, seit wann und warum nutzen Sie PPA? 
Zapreva: Enercity vertreibt seit mehr als drei Jahren Strom mittels Power Purchase Agreement. Wir erfüllen damit ein Kundenbedürfnis. Prinzipiell ist PPA für alle Kundengruppen geeignet. Aktuell sind es vorrangig sehr große Unternehmen wie die Großindustrie, Krankenhäuser oder Flughäfen, die gezielt danach fragen. Gründe sind meistens die CO2-Reduktion oder Kostenabsicherung. 
E&M: Welche Energietechnologien kommen bei Enercity dafür zum Einsatz? 
Zapreva: Windenergie in Kombination mit Photovoltaik ergibt in der Regel den optimalen Mix zur maximalen Bedarfsdeckung bei unseren Kunden. Enercity verfügt dafür über das komplette Know-how − von der Erzeugung über den Energiehandel und den Zugang zur Börse bis hin zum Bilanzkreis- und Portfoliomanagement. 
E&M: Entwickeln Sie die technische Seite der PPA selbst? 
Zapreva: Ja, die Energiemengen aus verschiedenen Quellen werden einer Lieferstelle physisch oder bilanziell zugeordnet. Das Bedarfslastprofil des Kunden wird möglichst maximal aus Wind- und PV-Strom gespeist. Der Reststrombedarf wird aus verschiedenen Qualitäten wie Ökostrom aus Wasserkraft bedient. 
 
Enercity-Chefin Susanna Zapreva
Quelle: Enercity/Christian Kerber
 
 

Ackerfraß“ PV?

Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern sind bisher die bevorzugten Bundesländer für PV-Freiflächenanlagen, die ohne Förderung über PPA finanziert werden. Mit Flächennutzungsproblemen. Deswegen ist diese Entwicklung auch nicht widerspruchsfrei. PV verbraucht Fläche. Paragraf 1a Absatz 2 des Baugesetzbuchs, der einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden verlangt, gilt auch hier. „Dies betrifft in Bezug auf Solarfreiflächenanlagen insbesondere den Umgang mit Bodenaushub während der Bauphase (Kabelkanäle, Fundamente usw.), die Anlage von Fahrtwegen und den Erosionsschutz“, so das Umweltbundesamt (UBA). Häufig ist Ackerland betroffen:
  • In Mecklenburg-Vorpommern dürfen Landwirtschaftsflächen normalerweise nur 110 Meter beiderseits von Autobahnen, Bundesstraßen und Schienenwegen für PV-Freiflächenanlagen genutzt werden. Doch das Land erlaubt Solarparks auch auf anderen landwirtschaftlich genutzten Flächen. 
  • Brandenburg ist mit 28.000 PV-Standorten einer der Spitzenreiter. Auch hier wird Acker zu PV umgewandelt. Die bisherige Strategie, vorrangig Brachen und altes Militärgelände zu nutzen, wurde aufgrund der großen Nachfrage aufgegeben. 
  • Ähnliches gilt in Bayern und Baden-Württemberg, allerdings mit einer Begrenzung auf 100 Hektar je Projekt. Der Bayerische Bauernverband (BBV) will dennoch PV vorrangig aufs Dach bringen, um diesen „Ackerfraß“ zu verhindern. 
Denn die Interessen sind durchaus gemischt − mit einem Übergewicht aufseiten der PV-Befürworter. Der ökonomische Hintergrund (neben dem ökologischen der Ausbaupfade): Pachterlöse aus PV-Flächenanlagen sind mitunter auf ein und derselben Fläche bis zu zehnmal höher als die aus landwirtschaftlicher Nutzung. Und das in der Regel auf 20 Jahre. Befürworter finden sich also auch unter den Landwirten − neben Kommunen, Bürgern und Umweltschützern und natürlich den Projektierern und Betreibern. 
Es gibt dennoch Landwirte, die ihre Äcker bedroht sehen, auch wenn der Boden nicht dauerhaft versiegelt wird. Für eine landwirtschaftliche Nutzung ist er mit einer herkömmlichen Solaranlage nicht geeignet. Agri-PV soll beide Welten vereinen. Doch die gibt es bisher nur rudimentär in Forschungsprojekten. Die Kosten pro Kilowatt sind dreimal höher, etwa durch die Aufständerung der PV-Module, um noch Sonneneinstrahlung, Niederschlag und Traktordurchfahrten auf den darunterliegenden Flächen zu ermöglichen.
Auch Tourismusvertreter sehen in einigen Gegenden ihre Potenziale bedroht. Sie und andere sprechen vor allem von einer „Verschandelung der Landschaft“. Der Gegenwind ist da. 

Donnerstag, 27.04.2023, 08:59 Uhr
Frank Urbansky

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