
In ihrer Bewerbungsrede bemühte sich die bisherige Bundesverteidigungsministerin vor allem um die Stimmen der Grünen und der
Sozialdemokraten. Von den ersten wählte sie am Ende keiner, wenn man deren Erklärungen glauben darf, und von den letzten nur
ein Teil. Ob das Auswirkungen auf die Umsetzung ihrer Ankündigungen hat, bleibt abzuwarten. Im legislativen Alltagsgeschäft
muss sich die neue Kommission ihre Mehrheiten voraussichtlich woanders suchen.
Entscheidend für die Ablehnung der Grünen, Linken und Sozialdemokraten war, dass die Zusagen VdL's in der Klimapolitik zu
vage waren oder, wie es der grüne Abgeordnete Sven Giegold formulierte: „Auf dem Deal steht zwar grün drauf, aber es ist wenig
grüner Inhalt drin.“ Das mag aus der Sicht grüner Klimaträume richtig sein, tatsächlich würde die EU ihren klimapolitischen
Kurs erheblich verschärfen, wenn alles, was die künftige Kommissionspräsidentin angekündigt hat, in fünf Jahren im Gesetzblatt
der EU stehen würde.
So will von der Leyen das zentrale Klimaziel der EU (die Senkung der CO2-Emissionen im Verhältnis zu 1990) bis 2030 von 40
% in zwei Schritten auf 50 % „oder sogar 55 %“ verbessern. „Die EU wird in den internationalen Verhandlungen für anspruchsvollere
Klimaziele der großen Volkswirtschaften eine Führungsrolle übernehmen“, sagte sie vor dem Parlament in Straßburg. Spätestens
2021 sollen sie ihre Klimaziele anheben.
In den 100 ersten Tagen an der Spitze der Kommission will die deutsche CDU-Politikerin einen Vorschlag vorlegen, mit dem die
EU das Ziel der „Klimaneutralität“ bis 2050 verbindlich festlegt. Mit einem „nachhaltigen europäischen Investitionsplan“ und
der Umwandlung der Europäischen Investitionsbank in eine „Klimabank“ will VdL in den nächsten zehn Jahren 1 000 Mrd. Euro für den Klimaschutz mobilisieren.
Alle Wirtschaftszweige müssten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, verlangt sie: „Emissionen müssen so teuer sein, dass
wir unser Verhalten ändern.“ Ein „Klimapakt“ von Kommunen, Regionen, Zivilgesellschaft, Industrie und Bildungseinrichtungen
soll dafür sorgen, dass die Leute damit auch klarkommen.
CO2-Ausgleichsabgabe an den Außengrenzen
Und damit die Unternehmen international nicht ins Hintertreffen geraten, soll an den Außengrenzen der Union eine Ausgleichsabgabe
auf die CO2-Intensität von Importen erhoben werden. Damit es dabei nicht zu sozialen oder regionalen Schieflagen kommt, will
VdL einen neuen Fonds aufgelegen. Der „Just Transition Fund“ soll jene unterstützen, auf die man in der Klimapolitik keine
Rücksicht mehr nehmen will. Das sind Forderungen, die die Grünen und viele Linke seit Jahren vortragen. Die konservative Mehrheit
konnten sie bislang nicht überzeugen.
Die künftige Kommissionspräsidentin ist mit ihrem „green deal“ weiter gegangen als alle ihre Vorgänger und – entscheidend
– weiter als ihre Parteifreunde in der EVP. Das weckt den Verdacht, dass ihr am Ende die politische Rückendeckung fehlen könnte,
um Zusagen einzuhalten.
Denn praktische Wirkung werden ihre Vorschläge erst entfalten, wenn sie im Parlament und im Ministerrat mit Mehrheit beschlossen
werden. Solche Mehrheiten sind nicht in Sicht. Erst Ende Juni ist es den Regierungschefs nicht gelungen, sich darauf zu verständigen,
dass die EU ab 2050 netto ohne CO2-Emissionen wirtschaften soll.
Ihre Ankündigung, alle CO2-Emissionen kostenpflichtig zu machen, wird ebenfalls auf Widerstand treffen. Eine CO2-Steuer müsste
von den Finanzministern einstimmig beschlossen werden, das ist so gut wie aussichtslos. VdL will deswegen den Emissionshandel
(ETS) ausdehnen. Zunächst sollen die Airlines alle Emissionsrechte, die sie brauchen, ersteigern. Dann sollen auch Schiffe
in das ETS einbezogen werden. Später auch die Gebäudewirtschaft und der Verkehr. Viele Regierungen fürchten sich allerdings
vor den sozialen Folgen solcher Maßnahmen und verweisen auf die französischen Gelbwesten. Der angekündigte „Klimapakt“ wird
außer neuen Gremien und klimaschädlicher Reisetätigkeit nichts bringen, weil die EU in diesem Bereich über keine Kompetenzen
verfügt.
Die von der gewählten Kommissionspräsidentin angekündigte Grenzausgleichsabgabe soll die europäische Industrie vor Konkurrenten
schützen, die keinen klimapolitischen Belastungen ausgesetzt sind. Diese Idee ist nicht neu und wird auch in Brüssel immer
wieder diskutiert. Die Kommission selbst hält sie bislang aber für unvereinbar mit den Regeln der WTO. Daran ändert die Wahl
von der Leyens nichts, auch wenn sie vorgibt zu glauben, dass eine WTO-kompatible Grenzausgleichsabgabe möglich ist.
In Brüssel sieht man die WTO heute zwar nüchterner als früher. Fast alle Reformen, die man dort für nötig hält, konnten bislang
nicht umgesetzt werden. Wichtige WTO-Mitglieder wie die USA oder China scheren sich kaum noch um die Regeln des Welthandels.
Insofern könnte die EU ihrer Furcht vor dem Klimawandel höhere Priorität einräumen. Von der Leyen hat allerdings das Bekenntnis
der Europäer zu einer „regelbasierten Weltwirtschaftsordnung“ in ihrer Rede in Straßburg ausdrücklich bekräftigt. Eine Grenzausgleichsabgabe
würde ihre Glaubwürdigkeit an dieser Stelle beschädigen.
Zweifelhaft ist auch, ob von der Leyen ihre finanziellen Zusagen wird einlösen können. Zwar sind 100 Mrd. Euro pro Jahr für
die Energiewende und den Klimaschutz etwa das, was man bereits jetzt in Brüssel für notwendig hält. Wo Geld in dieser Größenordnung
herkommen soll, ist aber nicht erkennbar.
In ihrem Finanzrahmen bäckt die Kommission deutlich kleinere Klima-Brötchen und daran wird die neue Kommissionspräsidentin
nur noch wenig ändern können. Die Verhandlungen darüber werden jetzt von den Mitgliedsstaaten geführt. Sie müssen den neuen
Finanzrahmen (2021-17) einstimmig verabschieden.
Mittwoch, 17.07.2019, 08:28 Uhr