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Energie & Management > Interview - Verteilnetze fit machen für E-Mobile und Wärmepumpen
Bild: Fotolia, BillionPhotos.com
Interview

Verteilnetze fit machen für E-Mobile und Wärmepumpen

Wie das Engpassmanagement im Verteilnetz gelöst werden könnte, erfragte die Redaktion beim Vorsitzenden der Geschäftsführung der ‎Netze BW, Christoph Müller.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat nach zweijähriger Abstimmung mit der Branche einen Entwurf für das Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz (SteuVerG) vorgelegt. Es sollte Paragraph 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) neu regeln. Danach hätten Verteilnetzbetreiber bei Spitzenlasten einzelne Verbraucher für maximal zwei Stunden herunterregeln können. Kurz vor dem parlamentarischen Verfahren hat Minister Peter Altmaier (CDU) auf Druck der Autoindustrie überraschend das Gesetz zurückgezogen. Damit bleibt die Frage, wie die Verteilnetze stabil bleiben sollen, wenn immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen in den Verteilnetzen gleichzeitig große Energiemengen beanspruchen. Wir fragten den Vorsitzenden der Geschäftsführung der ‎Netze BW, Christoph Müller, was die Rücknahme der Spitzenglättung für die Verteilnetzbetreiber bedeutet.

Müller: Wir werden im Zweifel öfter mal bei unseren Kunden klingeln beziehungsweise klopfen müssen. Das kann der Fall sein, wenn wir mit dem Netzausbau nicht so schnell nachkommen, wenn zum Beispiel der Zuwachs an Heimladestellen für E-Autos oder auch Wärmepumpen in den Haushalten sehr schnell zunimmt. Netzausbau ist dann erste Wahl, aber das braucht mitunter Zeit. Dies hat vielfache Gründe, die in der Regel gar nicht vom Netzbetreiber direkt zu verantworten sind.

Redaktion: Was sind das für Gründe?

Müller: Teilweise möchte die Gemeinde, dass wir noch ein halbes Jahr warten, weil dann auch die Wasserleitung in der Straße erneuert wird und man die Straße nur einmal "aufmachen" möchte. Sehr häufig ist das Thema aber einfach der "Platz". Netzausbau bedeutet in der Regel auch ein weiteres Trafohäuschen zu stellen. In den Innenstädten der großen Städte ist dies eine echte Herausforderung. Selbst in normalen Wohngebieten kann der Platz für ein zusätzliches Trafohäuschen eine Herausforderung sein. Da müssen sich bisweilen das Grünflächenamt, das Tiefbauamt, das Stadtplanungsamt, das Baurechtsamt und weitere kommunale Arbeitsgemeinschaften erst einmal einigen. Und wir haben über 20.000 Ortsnetzstationen.
 
Eng eingebauter Ortsnetztrafo
Bild: Stuttgart Netze

Redaktion: An Ihrem guten Willen zum Netzausbau mangelt es also nicht, wie Autozeitungen vermuteten?

Müller: In der Regulierungspraxis gibt es eine Reihe von Themen, die nicht unbedingt darauf ausgerichtet sind, den Netzausbau zu fördern. Als Stichworte nenne ich hier nur die Eigenkapitalverzinsung, den Effizienzwert oder bestimmte Aspekte der Kostenprüfung. Aber das Geschäftsmodell der Netze BW und ihrer Vorgängerunternehmen besteht seit über 100 Jahren darin, dass die Kunden nach Belieben Strom verbrauchen können. Aus meiner Sicht sollten die Netzbetreiber dieses Geschäftsmodell nicht ändern. Ich glaube, der Kunde will in erster Linie seine Ruhe und seinen Komfort. Ohne das SteuVerG wird er diese Ruhe aber nicht bekommen, fürchte ich.

Redaktion: Der Bundeswirtschaftsminister hat das Gesetz ja zurückgezogen aufgrund der Befürchtung, dass weniger Elektroautos verkauft würden, wenn die Kunden nicht unbegrenzt laden können, sondern vielleicht nur verzögert. Warum ist die Rücknahme kein Dienst am Kunden?

Müller: Richtig ist, dass mit dem SteuVerG der Netzbetreiber vielleicht nur ein zeitweise reduziertes Laden zugelassen hätte, geladen worden wäre auf jeden Fall. Ohne SteuVerG kann aber gar nicht geladen werden. Denn die unterstellte Situation ist ja die eines Netzengpasses, und wenn der nicht ordentlich bewirtschaftet wird, löst die Sicherung an der nächsten Ortsnetzstation aus. Dann fällt der Strom komplett aus. Man wird dann abwarten müssen, bis ein Mitarbeiter des örtlichen Netzbetreibers an die Tür klopft (die Klingel funktioniert ja nicht).

Der Mitarbeiter wird die Sicherung neu schalten und mit Glück haben einige Haushalte aufgrund des "Miniblackouts" ihr Ladekabel aus der Wallbox gezogen. Dann hält die Sicherung eine Zeitlang, nämlich genau so lange, bis wieder zu viele E-Fahrzeuge gleichzeitig laden wollen. Vielleicht löst die Sicherung aber auch sofort wieder aus. In diesem Fall wird unser Mitarbeiter alle Häuser an dem betroffenen Netzstrang ablaufen, überall klopfen und bitten, größere Stromverbraucher abzustellen. Und das kann dann am nächsten Abend so weitergehen.

Redaktion: Was macht der Verteilnetzbetreiber in solchen Gebieten?
 
 
Müller: Neuen Kunden in so einem überlasteten Netzgebiet müsste der Betreiber dann die Wallbox verweigern, bis das Netz ausgebaut werden konnte. Vielleicht ist der Ärger der Netzkunden – darüber oder über wiederholte Stromausfälle – ein gutes Mittel, damit sich der Platz für die neue Ortsnetzstation schneller findet. Sicher scheint mir nur: Mit einem SteuVerG wäre die Lage nicht nur weniger ärgerlich, sondern auch deutlich entspannter als ohne SteuVerG.

Redaktion: Gibt es denn keine Alternative zum hinterher hinkenden Netzausbau?

Müller: Eigentlich ist es ganz einfach: Der Gesetzgeber muss den Verteilnetzbetreibern die wirtschaftliche Möglichkeit für einen zukunftsgerichteten, vorausschauenden Netzausbau geben und ihn dann auch einfordern. Damit werden die Regelungen des Entwurfs des SteuVerG das, was sie sein sollten: Ein Regelwerk für den Fall, dass sich die zuständigen Ämter mal nicht einigen können, wo das nächste Trafohäuschen denn nun stehen soll. Wenn die Digitalisierung der Energiewirtschaft fortgeschritten ist, das heißt, die Ausstattung mit Sensoren und intelligenten Messsystemen deutlich vorangekommen ist, dann kann und sollte man noch einmal über neue Ansätze nachdenken. Aber an einer aktive Engpassbewirtschaftung wird man vorläufig nicht vorbeikommen, wenn man das Problem eines nicht nachkommenden Netzausbaus lösen will.
 
Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung der Netze BW
Bild: Netze BW, Andreas Martin

Freitag, 19.02.2021, 14:44 Uhr
Susanne Harmsen
Energie & Management > Interview - Verteilnetze fit machen für E-Mobile und Wärmepumpen
Bild: Fotolia, BillionPhotos.com
Interview
Verteilnetze fit machen für E-Mobile und Wärmepumpen
Wie das Engpassmanagement im Verteilnetz gelöst werden könnte, erfragte die Redaktion beim Vorsitzenden der Geschäftsführung der ‎Netze BW, Christoph Müller.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat nach zweijähriger Abstimmung mit der Branche einen Entwurf für das Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz (SteuVerG) vorgelegt. Es sollte Paragraph 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) neu regeln. Danach hätten Verteilnetzbetreiber bei Spitzenlasten einzelne Verbraucher für maximal zwei Stunden herunterregeln können. Kurz vor dem parlamentarischen Verfahren hat Minister Peter Altmaier (CDU) auf Druck der Autoindustrie überraschend das Gesetz zurückgezogen. Damit bleibt die Frage, wie die Verteilnetze stabil bleiben sollen, wenn immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen in den Verteilnetzen gleichzeitig große Energiemengen beanspruchen. Wir fragten den Vorsitzenden der Geschäftsführung der ‎Netze BW, Christoph Müller, was die Rücknahme der Spitzenglättung für die Verteilnetzbetreiber bedeutet.

Müller: Wir werden im Zweifel öfter mal bei unseren Kunden klingeln beziehungsweise klopfen müssen. Das kann der Fall sein, wenn wir mit dem Netzausbau nicht so schnell nachkommen, wenn zum Beispiel der Zuwachs an Heimladestellen für E-Autos oder auch Wärmepumpen in den Haushalten sehr schnell zunimmt. Netzausbau ist dann erste Wahl, aber das braucht mitunter Zeit. Dies hat vielfache Gründe, die in der Regel gar nicht vom Netzbetreiber direkt zu verantworten sind.

Redaktion: Was sind das für Gründe?

Müller: Teilweise möchte die Gemeinde, dass wir noch ein halbes Jahr warten, weil dann auch die Wasserleitung in der Straße erneuert wird und man die Straße nur einmal "aufmachen" möchte. Sehr häufig ist das Thema aber einfach der "Platz". Netzausbau bedeutet in der Regel auch ein weiteres Trafohäuschen zu stellen. In den Innenstädten der großen Städte ist dies eine echte Herausforderung. Selbst in normalen Wohngebieten kann der Platz für ein zusätzliches Trafohäuschen eine Herausforderung sein. Da müssen sich bisweilen das Grünflächenamt, das Tiefbauamt, das Stadtplanungsamt, das Baurechtsamt und weitere kommunale Arbeitsgemeinschaften erst einmal einigen. Und wir haben über 20.000 Ortsnetzstationen.
 
Eng eingebauter Ortsnetztrafo
Bild: Stuttgart Netze

Redaktion: An Ihrem guten Willen zum Netzausbau mangelt es also nicht, wie Autozeitungen vermuteten?

Müller: In der Regulierungspraxis gibt es eine Reihe von Themen, die nicht unbedingt darauf ausgerichtet sind, den Netzausbau zu fördern. Als Stichworte nenne ich hier nur die Eigenkapitalverzinsung, den Effizienzwert oder bestimmte Aspekte der Kostenprüfung. Aber das Geschäftsmodell der Netze BW und ihrer Vorgängerunternehmen besteht seit über 100 Jahren darin, dass die Kunden nach Belieben Strom verbrauchen können. Aus meiner Sicht sollten die Netzbetreiber dieses Geschäftsmodell nicht ändern. Ich glaube, der Kunde will in erster Linie seine Ruhe und seinen Komfort. Ohne das SteuVerG wird er diese Ruhe aber nicht bekommen, fürchte ich.

Redaktion: Der Bundeswirtschaftsminister hat das Gesetz ja zurückgezogen aufgrund der Befürchtung, dass weniger Elektroautos verkauft würden, wenn die Kunden nicht unbegrenzt laden können, sondern vielleicht nur verzögert. Warum ist die Rücknahme kein Dienst am Kunden?

Müller: Richtig ist, dass mit dem SteuVerG der Netzbetreiber vielleicht nur ein zeitweise reduziertes Laden zugelassen hätte, geladen worden wäre auf jeden Fall. Ohne SteuVerG kann aber gar nicht geladen werden. Denn die unterstellte Situation ist ja die eines Netzengpasses, und wenn der nicht ordentlich bewirtschaftet wird, löst die Sicherung an der nächsten Ortsnetzstation aus. Dann fällt der Strom komplett aus. Man wird dann abwarten müssen, bis ein Mitarbeiter des örtlichen Netzbetreibers an die Tür klopft (die Klingel funktioniert ja nicht).

Der Mitarbeiter wird die Sicherung neu schalten und mit Glück haben einige Haushalte aufgrund des "Miniblackouts" ihr Ladekabel aus der Wallbox gezogen. Dann hält die Sicherung eine Zeitlang, nämlich genau so lange, bis wieder zu viele E-Fahrzeuge gleichzeitig laden wollen. Vielleicht löst die Sicherung aber auch sofort wieder aus. In diesem Fall wird unser Mitarbeiter alle Häuser an dem betroffenen Netzstrang ablaufen, überall klopfen und bitten, größere Stromverbraucher abzustellen. Und das kann dann am nächsten Abend so weitergehen.

Redaktion: Was macht der Verteilnetzbetreiber in solchen Gebieten?
 
 
Müller: Neuen Kunden in so einem überlasteten Netzgebiet müsste der Betreiber dann die Wallbox verweigern, bis das Netz ausgebaut werden konnte. Vielleicht ist der Ärger der Netzkunden – darüber oder über wiederholte Stromausfälle – ein gutes Mittel, damit sich der Platz für die neue Ortsnetzstation schneller findet. Sicher scheint mir nur: Mit einem SteuVerG wäre die Lage nicht nur weniger ärgerlich, sondern auch deutlich entspannter als ohne SteuVerG.

Redaktion: Gibt es denn keine Alternative zum hinterher hinkenden Netzausbau?

Müller: Eigentlich ist es ganz einfach: Der Gesetzgeber muss den Verteilnetzbetreibern die wirtschaftliche Möglichkeit für einen zukunftsgerichteten, vorausschauenden Netzausbau geben und ihn dann auch einfordern. Damit werden die Regelungen des Entwurfs des SteuVerG das, was sie sein sollten: Ein Regelwerk für den Fall, dass sich die zuständigen Ämter mal nicht einigen können, wo das nächste Trafohäuschen denn nun stehen soll. Wenn die Digitalisierung der Energiewirtschaft fortgeschritten ist, das heißt, die Ausstattung mit Sensoren und intelligenten Messsystemen deutlich vorangekommen ist, dann kann und sollte man noch einmal über neue Ansätze nachdenken. Aber an einer aktive Engpassbewirtschaftung wird man vorläufig nicht vorbeikommen, wenn man das Problem eines nicht nachkommenden Netzausbaus lösen will.
 
Christoph Müller, Vorsitzender der Geschäftsführung der Netze BW
Bild: Netze BW, Andreas Martin

Freitag, 19.02.2021, 14:44 Uhr
Susanne Harmsen

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