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Der Vorschlag der EU-Kommission, die Nutzung der Atomenergie und von Erdgas unter bestimmten Bedingungen als "nachhaltig" einzustufen, ist in der deutschen Bevölkerung umstritten.
Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstitutes Ipsos erwarten 29 % der Befragten von der Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass weder die Atomenergie noch Erdgas als "grüne" Energiequelle eingestuft werden. Nach Ansicht einer fast genauso großen Gruppe (26 %) sollte Deutschland dem Vorschlag der Kommission zustimmen. Etwa ebenso viele Befragte wollen nur eine der beiden Technologien: Erdgas oder Kernkraft als nachhaltig klassifizieren.
17 % der Deutschen halten die Einstufung von Erdgas als "grün" für unproblematisch, lehnen das für die Atomkraft aber ab. 8 % sehen umgekehrt kein Problem bei der Nutzung von Nuklearanlagen, sprechen sich aber gegen den Einsatz von Erdgas aus.
Keine klare Präferenz zu erkennen
Der Sozialforscher Johannes Kaiser, der die Untersuchung durchgeführt hat, sieht auf europäischer Ebene eine vergleichbare Konstellation: "Auch dort haben sich verschiedene Lager zu diesem Thema gebildet. Auf der einen Seite steht Emmanuel Macron, der die Unterstützung der Atomkraft als Rückenwind im französischen Präsidentschaftswahlkampf nutzen möchte. Auf der anderen Seite befinden sich Länder wie Österreich, die sich vehement gegen die Atomkraft stemmen. Keines der Lager hat jedoch die nötige Zweidrittel-Mehrheit, um den Vorschlag der Kommission zu verändern." Die Bundesregierung trage mit ihrer angekündigten Enthaltung der Tatsache Rechnung, dass in der deutschen Bevölkerung keine klare Präferenz zu erkennen sei.
Erwartungsgemäß gibt es große Unterschiede bei der Bewertung des Brüsseler Vorschlages zwischen den eher links orientierten und den liberalkonservativen Wählerinnen und Wählern. So lehnen ihn 56 % der grünen Wähler und 49 % der Anhänger der Linken ab. Von den SPD-Wählern sind es nur noch 30 %. Von den Wählern der AfD, der FDP, von CSU und CDU stehen dem Vorschlag der Kommission weniger als ein Viertel ablehnend gegenüber. Bei diesen Parteien überwiegt die Unterstützung, allerdings nur leicht.
Zur Verlängerung der Konsultationsfrist aufgefordert
Inzwischen haben die Vorsitzende des Währungsausschusses im Europäischen Parlament, Irene Tinagli, und der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin, die Kommission aufgefordert, die am 21. Januar auslaufende Konsultationsfrist zu verlängern. Eine Mehrheit der mit der Taxonomie befassten Abgeordneten erwarten darüber hinaus, dass die interessierten Parteien angesichts der Bedeutung des Vorschlags in einem geordneten Verfahren die Möglichkeit zur Stellungnahme erhielten. In dem Schreiben, das die Kommission noch nicht beantwortet hat, wird außerdem kritisiert, dass dem Entwurf keine Folgenabschätzung beigefügt sei.
Allerdings liegt dem Parlament noch kein förmlicher Vorschlag der Kommission vor. Das Europäische Parlament könnte einen solchen Vorschlag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ablehnen und die Kommission auffordern, einen neuen Vorschlag zu unterbreiten. Eine solche Mehrheit zeichnet sich im Augenblick aber nicht ab.
Donnerstag, 20.01.2022, 15:52 Uhr
Tom Weingärtner
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