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Energie & Management > Ukraine-Krise - Streit: Kohle, Gas oder Erneuerbare?
Quelle: Fotolia / JFL Photography
Ukraine-Krise

Streit: Kohle, Gas oder Erneuerbare?

Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine wird die deutsche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen diskutiert. Politiker wollen Kohle- und Kernkraftausstieg deshalb aufschieben.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) stellte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den vorgezogenen Kohleausstieg in Deutschland in Frage. Dadurch würde noch mehr Erdgas benötigt, das zum Großteil aus Russland kommt. Im Rundfunk Berlin-Brandenburg regte er deshalb an, das aus Klimaschutzgründen im Koalitionsvertrag in Erwägung gezogene Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 zu überdenken. Deutschland solle seine Erpressbarkeit durch Russland reduzieren, indem es eine möglichst große Unabhängigkeit in der Energieversorgung erreicht.

Die Ampel-Koalition hatte vereinbart, dass der Ausstieg aus der Kohle in Deutschland „idealerweise“ bis 2030 vorgezogen werden soll. Woidke hatte dafür bereits Bedingungen genannt: Die Stromversorgung müsse ohne Kohle zu 100 % garantiert sein, sie müsse bezahlbar sein, und die Kohlereviere müssten rechtzeitig andere Arbeitsplätze bekommen. Brandenburg und Sachsen sind vom Braunkohleausstieg betroffen. Die Kraftwerke in Brandenburg sollten ursprünglich bis spätestens 2038 vom Netz gehen.

Kein Abrücken vom Klimaschutz

Die Forderungen stießen beim anderen brandenburgischen Koalitionspartner auf Widerstand. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Ricarda Budke hält ein Vorziehen für nötig: "Der Kohleausstieg 2030 ist und bleibt klimapolitisch notwendig", twitterte sie. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) erwartet derzeit keine Defizite bei der Gasversorgung für Industrie und Privathaushalte. Er halte aber „kurzfristig höhere Strom- und Gaspreise“ für möglich.

„Für die Wirtschaft ist die Eskalation des Konflikts eine schlechte Nachricht“, sagte der Sprecher der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Carsten Brönstrup. Bei den Energiepreisen und der Inflation könnte es jetzt weitere Anstiege geben. Man hoffe, dass die Bemühungen um Deeskalation weitergingen und die Spannungen abnähmen, sagt Brönstrup. Die IHK Cottbus befürchtet ihrerseits massive Störungen in den Lieferketten, unter anderem in der Energiewirtschaft, sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Krüger. Russland sei Brandenburgs wichtigster Handelspartner, vor allem für Erdgas- und Erdölimporte. Diese machen fast 98 % aller Einfuhren aus Russland in das Bundesland aus.
 
 
Kernkraftwerke länger betreiben?

Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) forderte, den Atomausstieg hinauszuzögern. „Wenn man die Abhängigkeit von russischen Gasimporten nicht noch weiter erhöhen will, wäre es sinnvoll, die letzten drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres nicht abzuschalten“, sagte er der Stuttgarter Zeitung.

Er wolle aber die grundsätzliche Entscheidung nicht in Frage stellen. Spätestens Ende des Jahres sollen die drei letzten deutschen AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 abgeschaltet werden. Als Ersatz sind neue Gaskraftwerke geplant.

Erneuerbar statt fossil durchstarten

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) erinnerte das Bundeswirtschaftsministerium an das Versprechen, bis 2035 die Stromerzeugung aus fossilen Quellen zu beenden. Der Verband warnte davor, den gesellschaftlichen und politischen Energiewende-Konsens aufzukündigen. „Aus strategischen und klimapolitischen Gründen müssen wir dringend unabhängiger von Energieimporten werden und dafür alle Optionen im eigenen Land nutzen“, appellierte BEE-Präsidentin Simone Peter.

Das sei mit den ausgereiften und über alle Sektoren verfügbaren erneuerbaren Technologien „sauber und bezahlbar dauerhaft zu sichern“. Der BEE habe erst kürzlich in seiner Strommarktstudie gezeigt, wie die Versorgung mit erneuerbaren Energien samt Atomausstieg 2022 und Kohleausstieg 2030 möglich ist.

Klimaneutrale Gase als Rückgrat

„Die dezentral verteilten Wind- und Solaranlagen brauchen ein dezentrales Backup“ heißt es in der Studie. Dafür seien flexibel steuerbare Biogas- und Wasserkraftanlagen, Speicher, Kraft-Wärme-Kopplung sowie Technologien der Sektorenkopplung zu verbinden. „Das bedeutet auch einen steilen Markthochlauf von grünem Wasserstoff“, sagte Peter. Die Planungen müssten nun umgehend gestrafft, die Potenziale von Repowering ausgeschöpft und PV-Bremsklötze beseitigt werden.

Gleichzeitig sei Flexibilität anzureizen. Allein beim Biogas lasse sich – ohne Ausweitung des Energiepflanzenanbaus – die Produktion von aktuell 95 Mrd. kWh auf 234 Mrd. kWh pro Jahr erhöhen. Werde das technische Biogas-Potenzial vollständig zur Methanproduktion genutzt, könnten laut BEE Biogasanlagen sogar bis zu 450 Mrd. kWh klimafreundliches Methan liefern. Voraussetzung sei ein Rollout von Elektrolyseuren an Biogasanlagen.
 

Enervis-Studie

Hohe Gaspreise machen auch Strom teuer
 
Die Energieökonomen von Enervis Energy Advisors haben die Strompreisentwicklung am deutschen Großhandelsmarkt bis 2030 unter verschiedenen Gesichtspunkten unter dem Eindruck der neuen russisch-ukrainischen Krise modelliert. „Unsere Prognosen zeigen, dass wir, bei langfristig hohen Gas- und CO2-Preisen auf dem Stand heutiger Notierungen, ein anhaltend hohes Strompreisniveau sehen werden“, erklärte Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarkt-Experte der Enervis aus Berlin.

Gegenüber einer Referenz, in der bislang von einem Gaspreisrückgang bis 2030 auf 25 Euro/MWh ausgegangen wurde, verdoppelten sich die Strom-Spotmarktnotierungen während des Zieljahres auf etwa 140 bis 160 Euro/MWh.

Vor dem Hintergrund der Importabhängigkeit von russischem Erdgas hat das Unternehmen auch ein Szenario mit hohem Gaspreis bei gleichzeitigem Weiterbetrieb der noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke und deutlich verzögertem Kohleausstieg betrachtet. Hier fällt der Preisanstieg gegenüber der Referenz etwas schwächer aus, die Jahresdurchschnitte am Spot liegen jedoch in allen Prognosejahren teils immer noch deutlich über 110 Euro/MWh. Die CO2-Minderungsziele für 2030 werden in keinem der beiden Szenarien erreicht.

Der Erdgasverbrauch im Strommarkt ist in den Szenarien deutlich geringer als in der Referenz. Man sehe in beiden Szenerien einen Rückgang des Gasbedarfs im Strommarkt in der Größenordnung von jährlich bis zu 40 %, so Schlossarczyk. (gdr)

Freitag, 25.02.2022, 14:24 Uhr
Susanne Harmsen
Energie & Management > Ukraine-Krise - Streit: Kohle, Gas oder Erneuerbare?
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Ukraine-Krise
Streit: Kohle, Gas oder Erneuerbare?
Durch Russlands Krieg gegen die Ukraine wird die deutsche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen diskutiert. Politiker wollen Kohle- und Kernkraftausstieg deshalb aufschieben.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) stellte nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den vorgezogenen Kohleausstieg in Deutschland in Frage. Dadurch würde noch mehr Erdgas benötigt, das zum Großteil aus Russland kommt. Im Rundfunk Berlin-Brandenburg regte er deshalb an, das aus Klimaschutzgründen im Koalitionsvertrag in Erwägung gezogene Vorziehen des Kohleausstiegs auf 2030 zu überdenken. Deutschland solle seine Erpressbarkeit durch Russland reduzieren, indem es eine möglichst große Unabhängigkeit in der Energieversorgung erreicht.

Die Ampel-Koalition hatte vereinbart, dass der Ausstieg aus der Kohle in Deutschland „idealerweise“ bis 2030 vorgezogen werden soll. Woidke hatte dafür bereits Bedingungen genannt: Die Stromversorgung müsse ohne Kohle zu 100 % garantiert sein, sie müsse bezahlbar sein, und die Kohlereviere müssten rechtzeitig andere Arbeitsplätze bekommen. Brandenburg und Sachsen sind vom Braunkohleausstieg betroffen. Die Kraftwerke in Brandenburg sollten ursprünglich bis spätestens 2038 vom Netz gehen.

Kein Abrücken vom Klimaschutz

Die Forderungen stießen beim anderen brandenburgischen Koalitionspartner auf Widerstand. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Ricarda Budke hält ein Vorziehen für nötig: "Der Kohleausstieg 2030 ist und bleibt klimapolitisch notwendig", twitterte sie. Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) erwartet derzeit keine Defizite bei der Gasversorgung für Industrie und Privathaushalte. Er halte aber „kurzfristig höhere Strom- und Gaspreise“ für möglich.

„Für die Wirtschaft ist die Eskalation des Konflikts eine schlechte Nachricht“, sagte der Sprecher der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Carsten Brönstrup. Bei den Energiepreisen und der Inflation könnte es jetzt weitere Anstiege geben. Man hoffe, dass die Bemühungen um Deeskalation weitergingen und die Spannungen abnähmen, sagt Brönstrup. Die IHK Cottbus befürchtet ihrerseits massive Störungen in den Lieferketten, unter anderem in der Energiewirtschaft, sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Krüger. Russland sei Brandenburgs wichtigster Handelspartner, vor allem für Erdgas- und Erdölimporte. Diese machen fast 98 % aller Einfuhren aus Russland in das Bundesland aus.
 
 
Kernkraftwerke länger betreiben?

Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) forderte, den Atomausstieg hinauszuzögern. „Wenn man die Abhängigkeit von russischen Gasimporten nicht noch weiter erhöhen will, wäre es sinnvoll, die letzten drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Deutschland Ende des Jahres nicht abzuschalten“, sagte er der Stuttgarter Zeitung.

Er wolle aber die grundsätzliche Entscheidung nicht in Frage stellen. Spätestens Ende des Jahres sollen die drei letzten deutschen AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 abgeschaltet werden. Als Ersatz sind neue Gaskraftwerke geplant.

Erneuerbar statt fossil durchstarten

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) erinnerte das Bundeswirtschaftsministerium an das Versprechen, bis 2035 die Stromerzeugung aus fossilen Quellen zu beenden. Der Verband warnte davor, den gesellschaftlichen und politischen Energiewende-Konsens aufzukündigen. „Aus strategischen und klimapolitischen Gründen müssen wir dringend unabhängiger von Energieimporten werden und dafür alle Optionen im eigenen Land nutzen“, appellierte BEE-Präsidentin Simone Peter.

Das sei mit den ausgereiften und über alle Sektoren verfügbaren erneuerbaren Technologien „sauber und bezahlbar dauerhaft zu sichern“. Der BEE habe erst kürzlich in seiner Strommarktstudie gezeigt, wie die Versorgung mit erneuerbaren Energien samt Atomausstieg 2022 und Kohleausstieg 2030 möglich ist.

Klimaneutrale Gase als Rückgrat

„Die dezentral verteilten Wind- und Solaranlagen brauchen ein dezentrales Backup“ heißt es in der Studie. Dafür seien flexibel steuerbare Biogas- und Wasserkraftanlagen, Speicher, Kraft-Wärme-Kopplung sowie Technologien der Sektorenkopplung zu verbinden. „Das bedeutet auch einen steilen Markthochlauf von grünem Wasserstoff“, sagte Peter. Die Planungen müssten nun umgehend gestrafft, die Potenziale von Repowering ausgeschöpft und PV-Bremsklötze beseitigt werden.

Gleichzeitig sei Flexibilität anzureizen. Allein beim Biogas lasse sich – ohne Ausweitung des Energiepflanzenanbaus – die Produktion von aktuell 95 Mrd. kWh auf 234 Mrd. kWh pro Jahr erhöhen. Werde das technische Biogas-Potenzial vollständig zur Methanproduktion genutzt, könnten laut BEE Biogasanlagen sogar bis zu 450 Mrd. kWh klimafreundliches Methan liefern. Voraussetzung sei ein Rollout von Elektrolyseuren an Biogasanlagen.
 

Enervis-Studie

Hohe Gaspreise machen auch Strom teuer
 
Die Energieökonomen von Enervis Energy Advisors haben die Strompreisentwicklung am deutschen Großhandelsmarkt bis 2030 unter verschiedenen Gesichtspunkten unter dem Eindruck der neuen russisch-ukrainischen Krise modelliert. „Unsere Prognosen zeigen, dass wir, bei langfristig hohen Gas- und CO2-Preisen auf dem Stand heutiger Notierungen, ein anhaltend hohes Strompreisniveau sehen werden“, erklärte Mirko Schlossarczyk, Partner und Strommarkt-Experte der Enervis aus Berlin.

Gegenüber einer Referenz, in der bislang von einem Gaspreisrückgang bis 2030 auf 25 Euro/MWh ausgegangen wurde, verdoppelten sich die Strom-Spotmarktnotierungen während des Zieljahres auf etwa 140 bis 160 Euro/MWh.

Vor dem Hintergrund der Importabhängigkeit von russischem Erdgas hat das Unternehmen auch ein Szenario mit hohem Gaspreis bei gleichzeitigem Weiterbetrieb der noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke und deutlich verzögertem Kohleausstieg betrachtet. Hier fällt der Preisanstieg gegenüber der Referenz etwas schwächer aus, die Jahresdurchschnitte am Spot liegen jedoch in allen Prognosejahren teils immer noch deutlich über 110 Euro/MWh. Die CO2-Minderungsziele für 2030 werden in keinem der beiden Szenarien erreicht.

Der Erdgasverbrauch im Strommarkt ist in den Szenarien deutlich geringer als in der Referenz. Man sehe in beiden Szenerien einen Rückgang des Gasbedarfs im Strommarkt in der Größenordnung von jährlich bis zu 40 %, so Schlossarczyk. (gdr)

Freitag, 25.02.2022, 14:24 Uhr
Susanne Harmsen

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