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In Salzgitter strahlt ein Leuchtturmprojekt der CO2-freien Stahlproduktion. Beim Start werden Forderungen an den Bund nach mehr Tempo beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft laut.
Am Sitz der Salzgitter AG herrscht Aufbruchsstimmung. Der Stahlhersteller ist mit seinen Projektpartnern Avacon und Linde offiziell in die industrielle Wasserstoff-Produktion eingestiegen. Mit dem Betriebsstart des Projekts Windwasserstoff Salzgitter (WindH2) am 11. März öffnet sich einen Spalt breit die Tür zur treibhausgasfreien Zukunft der Stahlproduktion. Bis dahin müssen aber noch schwere andere Tore verschlossen werden: die der Hochöfen, in denen heute hauptsächlich Steinkohle für das energieintensive Stahlkochen in Feuer aufgeht.
Bis 2050 will die Salzgitter AG die Stahlproduktion im Rahmen ihrer Strategie „Salcos“ (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) nahezu vollständig dekarbonisieren, sagte Unternehmensvorstand Heinz Jörg Fuhrmann bei der symbolischen Eröffnung des WindH2-Anlagenkomplexes auf dem Gelände des Hüttenwerks in Salzgitter. Bei der online übertragenen Konferenz vor Vertretern der Bundesregierung, der Landesregierung Niedersachsens und der Medien sagte Fuhrmann, das Projekt sei „so gut wie betriebsbereit“.
Sieben Windturbinen produzieren Grünstrom für zwei Elektrolyse-Anlagen
Sieben Windenergieanlagen (Gesamtleistung 30 MW) auf dem Betriebsgelände sind inzwischen angeschlossen. Zwei Elektroyseeinheiten (je 1,25 MW) von Siemens, die die Salzgitter Flachstahl GmbH installiert hat, produzieren künftig pro Stunde 450 Kubikmeter Wasserstoff. Das Kernstück, die erste Eisenerz-Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage), soll Anfang 2022 in Betrieb gehen. Wasserstoff verwendet die Salzgitter AG heute bereits für Glühprozesse und in den Feuerverzinkungsanlagen.
Auf die Stahlerzeugung entfällt mit etwa 35 Mio. Tonnen CO2 im Jahr knapp ein Drittel der direkten Industrieemissionen in Deutschland. Um den enormen Energiehunger der Branche klimaschonend zu stillen, braucht es nach Ansicht des Salzgitter-AG-Chefs „revolutionäre Entwicklungen“ wie WindH2. Damit unterstreiche der Konzern seine Rolle als „Vorreiter der industriellen Dekarbonisierung“.
In der Anlage erfolgt erstmals die Kopplung von regenerativer Energieerzeugung, Wasserstoffproduktion und dem Herstellen von Stahl. Der Netzbetreiber und Energiedienstleister Avacon, an dem Eon mehrheitlich beteiligt ist, betreibt über die Avacon Natur GmbH die Windturbinen. Sie versorgen die beiden PEM-Elektrolyseanlagen mit der nötigen Energie für die nachhaltige Produktion von Wasserstoff. Er kommt bei der Stahlproduktion im Eisenerzdirektreduktion genannten Verfahren zum Einsatz. Dies macht die Eisenerzgewinnung über Hochöfen überflüssig, weil der Rohstahl mithilfe von Wasserstoff auch über den Zwischenschritt direktreduziertes Eisen (Eisenschwamm) produziert werden kann.
Wasserstoff-Fördertopf der Bundesregierung "massiv überzeichnet"
Die Salzgitter AG steht vor einem strukturellen und teuren Umbruch. An die Stelle von drei Hochöfen treten in den kommenden Jahrzehnten sukzessive Direktreduktionsanlagen und Elektrolichtbogenöfen. Bis 2030 wolle die Salzgitter AG die Emissionen zunächst um 30 % senken, so Fuhrmann. Wasserstoff sei bisher unter Einsatz von „grauem“ Erdgas des Lieferanten Linde verwendet worden, jetzt werde der Wasserstoff allmählich grün.
Von der Bundesregierung, die in Vertretung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Staatssekretär Andreas Feicht nach Salzgitter geschickt hatte, verlangt Heinz Jörg Fuhrmann „dringend politische Richtungsentscheidungen“. Der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft erfordere langfristige Investitionen, schnelleres Handeln und bessere regulatorische Rahmenbedingungen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei von etlichen bürokratischen Hindernissen zu befreien und zu beschleunigen.
Das Zusammentreffen nutzte Fuhrmann auch zur unmittelbaren Werbung für ein anderes großes Wasserstoff-Projekt in Nordwestdeutschland, für das das Projektkonsortium Bundesmittel aus dem ICPEI-Fördertopf für Wasserstofftechnologien und -systeme beantragt hat. Im Projekt „GET H2“ will eine Reihe von Energieunternehmen in Lingen (Niedersachsen) grünen Wasserstoff produzieren, speichern, über die Grenzen der Bundesländer transportieren und industriell nutzbar machen.
Eine Unterstützung für das Sektorkopplungsprojekt konnte Fuhrmann dem Staatssekretär natürlich nicht entlocken. Andreas Feicht wies darauf hin, dass die Bundesregierung sich vor Förderanträgen kaum retten könne. Mit 200 eingereichten Projekten sei der Topf „massiv überzeichnet. Wir könnten 20 Mal so viel Geld ausgeben wie wir zur Verfügung haben.“ Das Wirtschaftsministerium teile aber die Ansicht, dass der Wasserstoff zuerst in die energieintensive Industrie gelangen müsse. Allerdings melden viele andere Bereiche Ansprüche an, etwa die Wärmebranche.
Donnerstag, 11.03.2021, 16:10 Uhr
Volker Stephan
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