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Ein Riese wächst. RWE spricht von einem "sehr guten Start" ins Geschäftsjahr 2022. Im ersten Quartal verdoppelte der Essener Energiekonzern seinen Nettogewinn. Das ist mehr als gedacht.
Während die Unruhe auf dem Energiemarkt seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine allerorten mit den Händen greifbar ist, setzt der Energiekonzern RWE einen positiven Kontrapunkt. Mit über die Maßen guten Ergebnissen schlossen die Essener das erste Geschäftsquartal ab. Der Reingewinn hat sich mehr als verdoppelt – von 340 auf 735 Mio. Euro. Und auch alle anderen Kennzahlen – etwa das bereinigte Vorsteuerergebnis (Ebitda) mit 1,46 Mrd. Euro nach zuvor 883 Mio. Euro – weisen nach oben.
Mit einer Ausnahme. Weil der mittlerweile abgeschaltete Atomkraftwerksblock Gundremmingen C als Cashcow seit Jahresende 2021 ausfällt und auch drei Braunkohle-Blöcke außer Dienst sind, sank der Beitrag der Kohle-Kernkraft-Sparte vor Steuern (Ebitda) von 328 Mio. auf 207 Mio. Euro. RWE ist dieses Ergebnis nicht ganz unlieb, poliert das Unternehmen doch seit einigen Jahren kräftig seinen Ruf als Energiewende-Motor. Entsprechend spricht der Konzern seit Längerem über Kohle und Atom fast verschämt von Geschäften "außerhalb des Kerngeschäfts".
Schmuddelkinder Kohle und Atom erstmals Schlusslicht
Tatsächlich waren die schwarzen Schafe unter den Energieträgern bis Jahresende noch der ertragreichste Zweig bei RWE. Nun liegen alle anderen Sparten des "Kerngeschäfts" erstmals im Ergebnis besser, angeführt von RWEs liebstem Kind, dem Erneuerbaren-Segment. Allerdings spalten die Essener die Geschäfte hier auf, in Offshore-Wind (Ebitda: 420 Mio. statt 297 Mio. Euro), Onshore-Wind mit Solar (318 Mio. statt -119 Mio. Euro) und Wasser / Biomasse / Gas (263 Mio. statt 213 Mio. Euro). Im Energiehandel erwirtschaftete RWE 297 Mio. Euro, im Vorjahresquartal waren es noch 189 Mio. Euro.
Für RWE-Finanzvorstand Michael Müller ist das Ergebnis Bestätigung der "Growing Green"-Strategie, dem Wandel zum Ökoenergie-Konzern. Die Erwartungen an das gesamte Geschäftsjahr mit mindestens 1,3 Mrd. Euro Reingewinn und einer Dividendenausschüttung in Höhe von 90 Ct je Aktie hält RWE aufrecht. Weil das Unternehmen im Geld schwimmt, lässt sich munter weiter in die Erneuerbaren investieren. Mehr als den Vorjahreswert von 3,7 Mrd. Euro will RWE im laufenden Jahr in neue Projekte stecken, dazu zählen auch die Beteiligung am Aufbau der LNG-Infrastruktur mit Terminals und zwei gecharterten Transportschiffen sowie der Hochlauf der grünen Wasserstoffwirtschaft.
Der bedeutende Anteil des Erneuerbaren-Geschäfts am ersten Vierteljahr lässt sich an einer um 20 % gewachsenen Ökostrommenge aus eigener Produktion ablesen. Der Sprung ergibt sich aus guten Windbedingungen und neu ans Netz gegangenen Windparks: Triton Knoll vor der britischen Küste, dazu Großanlagen an Land wie El Algodon Alto in Texas (200 MW) sowie Projekte in Frankreich und Deutschland.
Damit holen die Erneuerbaren konzernintern auf, sie stellen inzwischen fast ein Drittel der Erzeugungskapazitäten. RWE beeilt sich, die anderen 70 % in ein gutes Licht zu rücken, und teilt mit, rund 90 % der gesamten Investitionssumme für 2022 würden "den Vorgaben der EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen entsprechen". Brüssel hatte auf Druck Frankreichs auch Kernkraft den Nachhaltigkeitsstempel aufgedrückt. RWE betreibt bis Jahresende noch das Kernkraftwerk Emsland im niedersächsischen Lingen.
850 Mio. Euro Verlust mit russischer Kohle "neutral" bilanziert
Mit Blick auf den von Wladimir Putin angezettelten Krieg und die Unklarheit über russische Energieimporte gab sich Michael Müller betont gelassen. Weil Großbritannien frühzeitig Geschäfte mit Russland unterband, musste auch der auf der Insel tätige Konzern die Kohleabnahme von Russland im März einstellen. 850 Mio. Euro schreiben die Essener dadurch ab, sie schieben es aufgrund "regulatorischer Eingriffe" von außen in das "neutrale Ergebnis". So habe der Posten "keinen Einfluss auf das Ergebnis", so Michael Müller.
Auch für ein mögliches Gasembargo sieht sich der Finanzvorstand RWE weitgehend gerüstet. Bis 2023 laufende Abnahmeverträge mit russischen Lieferanten habe das Unternehmen zum Großteil "ruhend gestellt" und damit die vereinbarte Abnahmemenge von 15 Mrd. auf 4 Mrd. kWh reduziert. Dass dadurch weitere Abschreibungen nötig werden könnten, diesen Eindruck wollte Müller nicht aufkommen lassen. RWE habe als Weiterverkäufer von Gas dazu "Gegenpositionen" aufgebaut und das "kommerzielle Risiko" auf eben 4 Mrd. kWh senken können.
Ob das Unternehmen dem Druck des Kreml nachkommt und im Zahlungsverkehr auch ein Rubel-Konto bei der Gazprom-Bank eröffnet hat, wollte der Finanzvorstand nicht kommentieren. Er warte dazu eine Sprachregelung der Bundesregierung ab. Die Auswirkungen auf die Füllstände eigener Gasspeicher hält Müller ebenso für beherrschbar. RWE vermarkte seine Speicher am Markt und buche Kapazitäten für eigene Reserven.
Donnerstag, 12.05.2022, 14:17 Uhr
Volker Stephan
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