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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
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E&M Vor 20 Jahren

"Regulierung bedeutet Bürokratismus"

Im Juli 2001 sprach E&M-Chefredakteur und Herausgeber Helmut Sendner mit dem damals neuen BGW-Präsidenten Manfred Scholle über den nicht vorhandenen Wettbewerb im Gasmarkt.
Im Jahr 2001 gab es den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft noch nicht. Der wurde erst im Juni 2007 durch den Zusammenschluss der bisherigen vier Lobbyorganisationen der Energie- und Wasserwirtschaft gegründet. Die Interessen der Gas- und Wasserversorger waren bis dahin im Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) gebündelt. Während im Strommarkt sich die Liberalisierung mehr und mehr bemerkbar machte, ließ der Wettbewerb im Gasmarkt viel länger auf sich warten. Dies gab Anlass für viele Interviews und Kommentare in Energie & Management.

E&M: Herr Dr. Scholle, Sie sind Chef der RWE Gas, dem zweit- oder drittgrößten Erdgaslieferanten Deutschlands, und neuer Präsident des BGW: Ergeben sich da in einer Wettbewerbsbranche nicht Konflikte?
 
Scholle: Das sollte man ausschließen, weil man durchaus geübt ist, unterschiedliche Mützen zu tragen. Aus meinem bisherigen Erfahrungsbereich kenne ich die kommunalen Verteilerunternehmen sehr gut und weiß, dass sich viele Interessen von RWE Gas auch im BGW spiegeln, natürlich auch Konflikte.
 
„Viele kleine Stadtwerke haben keine Internetseite“
 
E&M: Pauschal gesagt, ist die Politik mit der Gaswirtschaft unzufrieden: Sind Sie mit der Politik zufrieden?

Scholle: Das ist alles beliebig interpretationswürdig. Objektiv bewertet, kann sich unsere Branche schon sehen lassen. Wir haben uns in der Vergangenheit im harten Wettbewerb gegen andere Energieträger durchgesetzt und wir sind heute, nicht vergleichbar mit der Telekommunikation und der Stromwirtschaft, in einem starken Leitungswettbewerb. Es gibt Regionen, wo eine Gasleitung neben der anderen liegt; es gibt Gasspeicher, die im Wettbewerb stehen, wir haben überall Preiswettbewerb. Die Politik kann also durchaus zufrieden sein.
 
Manfred Scholle (2001)
Bild: E&M/RWE


E&M: Wirtschaftsminister Werner Müller haben Sie das wohl nicht so richtig vermitteln können...

Scholle: So scheint es. Fakt ist aber doch, dass wir gemeinsam mit BDI, VIK und VKU eine Verbändevereinbarung unterschrieben haben, um den Wettbewerb voranzutreiben. Dabei muss man sehen, dass wir neben England das einzige EU-Land mit einer hundertprozentigen Marktöffnung sind.

E&M: Ein Kritikpunkt ist, dass viele Ihrer Mitgliedsunternehmen ihre Netznutzungsentgelte noch nicht veröffentlicht haben.

Scholle: Nach den EU-Regelungen müssen die Geschäftsbedingungen veröffentlicht werden, was unsere Mitgliedsunternehmen im Frühjahr nur zu etwa der Hälfte gemacht hatten. Dabei muss man sehen, dass wir sehr viele kleine Stadtwerke haben, die keine Internetseite haben. Denen haben wir geholfen und sind jetzt in der Situation, dass im Sommer über 90 Prozent der Unternehmen ihre wesentlichen geschäftlichen Bedingungen veröffentlicht haben.

E&M: Es hat Sie die Angst getrieben, dass ein Regulator kommt?

Scholle: Angst ist ein schlechter Motivator. Wir kämpfen für das bessere System, und das ist eben auch nach Meinung der Bundesregierung ein verhandeltes System über die Verbändevereinbarung. Bürokratische Lösungen über Regulierungsbehörden sind sehr schwerfällig und auch teuer.

E&M: Welchen Zeit- und Themenplan haben Sie, um den Wettbewerb noch zu intensivieren und damit auch die Politik zu befriedigen?

Scholle: Einerseits geht es um die Marktöffnung, und da kann ich als jemand, der den Wettbewerb täglich spürt, nur sagen, dass sich am Markt mehr getan hat als das in den Medien kundgetan wird. Wir haben zahlreiche Anfragen nach Durchleitungen, wir haben Durchleitungsfälle, die systemkonform kontinuierlich zunehmen. Andererseits: Wir sind dabei, die zweite Ergänzungsvereinbarung zur ersten Verbändevereinbarung termingerecht abzuarbeiten. Dabei geht es um die technischen Rahmenbedingungen für den Netzzugang bei Erdgas, die Einrichtung einer Schlichtungsstelle sowie die Ermittlung von Lastprofilen und deren Abrechnung, wo sicherlich noch viele Schularbeiten zu machen sind. Wir lernen doch alle noch, und wir wollen Ende September Eckpunkte für eine Verbändevereinbarung II vorlegen. Dabei möchte ich schon anmerken, dass neben der Frage des Preises und der Kundenzufriedenheit die Versorgungssicherheit im Blick aller Beteiligten sein muss.

E&M: Ende September eine verbesserte Vereinbarung, ist das Ihr Versprechen?

Scholle: Unser Zeitplan ist, Ende September Eckpunkte für eine Verbändevereinbarung II vorzulegen.

E&M: Eine mögliche Versorgungsunsicherheit wird, so unser Eindruck, von Branchenvertretern gerne hergenommen, um Wettbewerbserwartungen zu dämpfen. Wodurch ist denn die Versorgungssicherheit gefährdet?

Scholle: In der Gaswirtschaft müssen von den Gasförderern riesige Summen investiert werden, deshalb gab und gibt es langfristige Take-and-Pay-Verträge. Abnahmegarantien sind eine wichtige Substanz des Gasgeschäftes und müssen deshalb bei allen Mechanismen berücksichtigt werden.

E&M: Interessiert Gazprom, welche Verbändevereinbarung wir haben?

Scholle: Das sicher nicht, aber unverändert wollen alle Förderländer eine Preissicherheit über feste Verträge.

E&M: Geht es ihnen nicht vielmehr um ihre eigene Sicherheit?

Scholle: Natürlich auch darum. Das System der Gaslieferung basiert auf langfristigen Verträgen, auch wenn es in Zukunft mehr kurzfristige Verträge geben wird.
 
„Ich sehe nicht, dass es Hinderungsgründe für den Wettbewerb gibt“
 
E&M: Sie haben mit Recht beklagt, dass nur England und Deutschland ihren Gasmarkt zu hundert Prozent geöffnet haben. Was bedeutet das für die deutsche Gaswirtschaft, was fordern Sie von der Politik in Berlin?

Scholle: Es ist unser Interesse, dass der Markt europaweit aufgemacht wird, und zwar ohne Regulierung. Regulierung bedeutet Bürokratismus, bedeutet riesige Kosten und mangelnde Flexibilität.

E&M: Und die Verbändevereinbarung bedeutet bislang mangelnder Wettbewerb und zu hohe Netznutzungsentgelte. Ihr Verbandsmitglied Wingas klagt, dass es keinen Wettbewerb gebe, weil man beispielsweise durch zu hohe Durchleitungsentgelte auf der regionalen Stufe nicht an Kunden herankomme.

Scholle: Ich glaube nicht, dass die Wingas das so sagt...

E&M: Wir haben es aber so gehört...

Scholle: ...denn es gibt ja einen Leitungswettbewerb, es gibt die Wingas-Leitung, die Ruhrgas-Leitung, die Thyssengas-Leitung, unsere und andere Leitungen. Wir haben in der Verbändevereinbarung gemeinsam Entgeltmodelle formuliert, wir haben Durchleitungsfälle, und so sehe ich nicht, dass es Hinderungsgründe für den Wettbewerb gibt.

E&M: Der Energiechef der Bayer AG hat kürzlich geklagt, dass sich die Gaswirtschaft untereinander sehr gut vertrage, dass es Absprachen gäbe und Wettbewerb nicht stattfindet.

Scholle: Mehr als fünfzig Durchleitungen sagen etwas anderes. Und der Chefeinkäufer von Bayer hat auch gesagt, dass er nicht mit Preisreduzierungen rechnet wie beim Strom. Für mein Unternehmen kann ich sagen, dass wir mit großen Kunden in schwierigen Preisverhandlungen sind und den Wettbewerb intensiv spüren. Auch kleine Gasmengen am Markt erzeugen einen virtuellen Wettbewerb, der uns unter Druck setzt, insofern kann ich dem Bayer-Mann so nicht zustimmen.

E&M: Der Ex-Ruhrgas-Chef Friedrich Späth hat gesagt, er lehnt eine Regulierung ab, es sei denn, es wäre eine vernünftige. Gibt es für den BGW-Präsidenten eine vernünftige Regulierung?

Scholle: Die kann ich mir zurzeit nicht vorstellen, vor allem nicht bei uns in Deutschland mit über 700 Unternehmen mit einem eigenen Leitungsnetz. Regulierung schränkt die unternehmerische Freiheit ein, und was zu wenig gesehen wird: Ein Regulator ist immer Partei.

E&M: Das soll er auch sein: Partei für den Kunden.

Scholle: Das ist schon richtig, aber gerade im Gasbereich muss auch die Versorgungssicherheit gesehen werden.

E&M: Der RWE Gas-Chef Scholle wird nicht gern spekulieren, um wie viel Prozent die Gaspreise im Wettbewerb noch sinken werden: Was sagt der BGW-Präsident, unabhängig von der Ölpreisbindung?

Scholle: Sie haben es schon gesagt, der Gaspreis hängt am Ölpreis; und natürlich hängt er auch vom Angebot und der weltweit wachsenden Nachfrage ab. Es ist ausgesprochen schwierig, weitergehende Prognosen zu machen. Wir können nur so viel sagen: Der Wettbewerbsdruck und damit der Druck auf die Preise wird zunehmen.

E&M: Und die Ölpreisabhängigkeit soll bleiben?

Scholle: Sie erscheint mir als richtige Messlatte für langfristige Verträge. Mein und auch andere Unternehmen bieten aber auch Festpreise für ein, zwei oder drei Jahre an.
 
„Die Fusionsdiskussion ist beendet“
 
E&M: Zu Monopolzeiten waren Verbände wie der BGW auch Organisationen zur Veranstaltung von Kaffeekränzchen. Heute sind mehr Dienstleistungen gefragt als in der Vergangenheit, haben Sie da neue Ideen entwickelt oder machen Sie einfach weiter wie bisher?

Scholle: Nein, um Gottes Willen. Der BGW ist gerade in der jetzigen Zeit sehr gefordert allein durch die Verbändevereinbarung, aber es geht auch um so grundsätzliche Dinge wie die Klimaschutzerklärung der Gaswirtschaft und das Erdgasauto, das wir am Markt durchsetzen wollen. Es geht weiter darum, das umweltfreundliche Produkt Gas noch stärker in den Vordergrund zu schieben, zum Beispiel über die Brennstoffzelle oder den gasbetriebenen Wäschetrockner. Der BGW ist politisch gut positioniert, er ist nicht dogmatisch verkrustet, sondern in Wahrung der Interessen seiner Mitglieder dialogfähig. Unsere Strukturen sind schlank, die Kernkompetenzen den neuen Anforderungen angepasst.

E&M: Damit erübrigt sich die Frage, wann der BGW mit dem DVGW fusioniert?

Scholle: Viele unserer Mitgliedsunternehmen wollten, dass beide Verbände zusammengelegt werden. Ein Gutachten hat aber gezeigt, dass der Zusammenschluss mit einem Wirtschaftsverband Gemeinnützigkeit und Regelsetzungskompetenz ausschließen. Da wir einen funktionsfähigen DVGW brauchen, wurde die Fusionsdiskussion deshalb beendet. Dennoch: Die Zusammenarbeit beider Verbände ist eng und kooperativ.
 

Freitag, 11.06.2021, 15:49 Uhr
Helmut Sendner und Fritz Wilhelm
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E&M Vor 20 Jahren
"Regulierung bedeutet Bürokratismus"
Im Juli 2001 sprach E&M-Chefredakteur und Herausgeber Helmut Sendner mit dem damals neuen BGW-Präsidenten Manfred Scholle über den nicht vorhandenen Wettbewerb im Gasmarkt.
Im Jahr 2001 gab es den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft noch nicht. Der wurde erst im Juni 2007 durch den Zusammenschluss der bisherigen vier Lobbyorganisationen der Energie- und Wasserwirtschaft gegründet. Die Interessen der Gas- und Wasserversorger waren bis dahin im Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) gebündelt. Während im Strommarkt sich die Liberalisierung mehr und mehr bemerkbar machte, ließ der Wettbewerb im Gasmarkt viel länger auf sich warten. Dies gab Anlass für viele Interviews und Kommentare in Energie & Management.

E&M: Herr Dr. Scholle, Sie sind Chef der RWE Gas, dem zweit- oder drittgrößten Erdgaslieferanten Deutschlands, und neuer Präsident des BGW: Ergeben sich da in einer Wettbewerbsbranche nicht Konflikte?
 
Scholle: Das sollte man ausschließen, weil man durchaus geübt ist, unterschiedliche Mützen zu tragen. Aus meinem bisherigen Erfahrungsbereich kenne ich die kommunalen Verteilerunternehmen sehr gut und weiß, dass sich viele Interessen von RWE Gas auch im BGW spiegeln, natürlich auch Konflikte.
 
„Viele kleine Stadtwerke haben keine Internetseite“
 
E&M: Pauschal gesagt, ist die Politik mit der Gaswirtschaft unzufrieden: Sind Sie mit der Politik zufrieden?

Scholle: Das ist alles beliebig interpretationswürdig. Objektiv bewertet, kann sich unsere Branche schon sehen lassen. Wir haben uns in der Vergangenheit im harten Wettbewerb gegen andere Energieträger durchgesetzt und wir sind heute, nicht vergleichbar mit der Telekommunikation und der Stromwirtschaft, in einem starken Leitungswettbewerb. Es gibt Regionen, wo eine Gasleitung neben der anderen liegt; es gibt Gasspeicher, die im Wettbewerb stehen, wir haben überall Preiswettbewerb. Die Politik kann also durchaus zufrieden sein.
 
Manfred Scholle (2001)
Bild: E&M/RWE


E&M: Wirtschaftsminister Werner Müller haben Sie das wohl nicht so richtig vermitteln können...

Scholle: So scheint es. Fakt ist aber doch, dass wir gemeinsam mit BDI, VIK und VKU eine Verbändevereinbarung unterschrieben haben, um den Wettbewerb voranzutreiben. Dabei muss man sehen, dass wir neben England das einzige EU-Land mit einer hundertprozentigen Marktöffnung sind.

E&M: Ein Kritikpunkt ist, dass viele Ihrer Mitgliedsunternehmen ihre Netznutzungsentgelte noch nicht veröffentlicht haben.

Scholle: Nach den EU-Regelungen müssen die Geschäftsbedingungen veröffentlicht werden, was unsere Mitgliedsunternehmen im Frühjahr nur zu etwa der Hälfte gemacht hatten. Dabei muss man sehen, dass wir sehr viele kleine Stadtwerke haben, die keine Internetseite haben. Denen haben wir geholfen und sind jetzt in der Situation, dass im Sommer über 90 Prozent der Unternehmen ihre wesentlichen geschäftlichen Bedingungen veröffentlicht haben.

E&M: Es hat Sie die Angst getrieben, dass ein Regulator kommt?

Scholle: Angst ist ein schlechter Motivator. Wir kämpfen für das bessere System, und das ist eben auch nach Meinung der Bundesregierung ein verhandeltes System über die Verbändevereinbarung. Bürokratische Lösungen über Regulierungsbehörden sind sehr schwerfällig und auch teuer.

E&M: Welchen Zeit- und Themenplan haben Sie, um den Wettbewerb noch zu intensivieren und damit auch die Politik zu befriedigen?

Scholle: Einerseits geht es um die Marktöffnung, und da kann ich als jemand, der den Wettbewerb täglich spürt, nur sagen, dass sich am Markt mehr getan hat als das in den Medien kundgetan wird. Wir haben zahlreiche Anfragen nach Durchleitungen, wir haben Durchleitungsfälle, die systemkonform kontinuierlich zunehmen. Andererseits: Wir sind dabei, die zweite Ergänzungsvereinbarung zur ersten Verbändevereinbarung termingerecht abzuarbeiten. Dabei geht es um die technischen Rahmenbedingungen für den Netzzugang bei Erdgas, die Einrichtung einer Schlichtungsstelle sowie die Ermittlung von Lastprofilen und deren Abrechnung, wo sicherlich noch viele Schularbeiten zu machen sind. Wir lernen doch alle noch, und wir wollen Ende September Eckpunkte für eine Verbändevereinbarung II vorlegen. Dabei möchte ich schon anmerken, dass neben der Frage des Preises und der Kundenzufriedenheit die Versorgungssicherheit im Blick aller Beteiligten sein muss.

E&M: Ende September eine verbesserte Vereinbarung, ist das Ihr Versprechen?

Scholle: Unser Zeitplan ist, Ende September Eckpunkte für eine Verbändevereinbarung II vorzulegen.

E&M: Eine mögliche Versorgungsunsicherheit wird, so unser Eindruck, von Branchenvertretern gerne hergenommen, um Wettbewerbserwartungen zu dämpfen. Wodurch ist denn die Versorgungssicherheit gefährdet?

Scholle: In der Gaswirtschaft müssen von den Gasförderern riesige Summen investiert werden, deshalb gab und gibt es langfristige Take-and-Pay-Verträge. Abnahmegarantien sind eine wichtige Substanz des Gasgeschäftes und müssen deshalb bei allen Mechanismen berücksichtigt werden.

E&M: Interessiert Gazprom, welche Verbändevereinbarung wir haben?

Scholle: Das sicher nicht, aber unverändert wollen alle Förderländer eine Preissicherheit über feste Verträge.

E&M: Geht es ihnen nicht vielmehr um ihre eigene Sicherheit?

Scholle: Natürlich auch darum. Das System der Gaslieferung basiert auf langfristigen Verträgen, auch wenn es in Zukunft mehr kurzfristige Verträge geben wird.
 
„Ich sehe nicht, dass es Hinderungsgründe für den Wettbewerb gibt“
 
E&M: Sie haben mit Recht beklagt, dass nur England und Deutschland ihren Gasmarkt zu hundert Prozent geöffnet haben. Was bedeutet das für die deutsche Gaswirtschaft, was fordern Sie von der Politik in Berlin?

Scholle: Es ist unser Interesse, dass der Markt europaweit aufgemacht wird, und zwar ohne Regulierung. Regulierung bedeutet Bürokratismus, bedeutet riesige Kosten und mangelnde Flexibilität.

E&M: Und die Verbändevereinbarung bedeutet bislang mangelnder Wettbewerb und zu hohe Netznutzungsentgelte. Ihr Verbandsmitglied Wingas klagt, dass es keinen Wettbewerb gebe, weil man beispielsweise durch zu hohe Durchleitungsentgelte auf der regionalen Stufe nicht an Kunden herankomme.

Scholle: Ich glaube nicht, dass die Wingas das so sagt...

E&M: Wir haben es aber so gehört...

Scholle: ...denn es gibt ja einen Leitungswettbewerb, es gibt die Wingas-Leitung, die Ruhrgas-Leitung, die Thyssengas-Leitung, unsere und andere Leitungen. Wir haben in der Verbändevereinbarung gemeinsam Entgeltmodelle formuliert, wir haben Durchleitungsfälle, und so sehe ich nicht, dass es Hinderungsgründe für den Wettbewerb gibt.

E&M: Der Energiechef der Bayer AG hat kürzlich geklagt, dass sich die Gaswirtschaft untereinander sehr gut vertrage, dass es Absprachen gäbe und Wettbewerb nicht stattfindet.

Scholle: Mehr als fünfzig Durchleitungen sagen etwas anderes. Und der Chefeinkäufer von Bayer hat auch gesagt, dass er nicht mit Preisreduzierungen rechnet wie beim Strom. Für mein Unternehmen kann ich sagen, dass wir mit großen Kunden in schwierigen Preisverhandlungen sind und den Wettbewerb intensiv spüren. Auch kleine Gasmengen am Markt erzeugen einen virtuellen Wettbewerb, der uns unter Druck setzt, insofern kann ich dem Bayer-Mann so nicht zustimmen.

E&M: Der Ex-Ruhrgas-Chef Friedrich Späth hat gesagt, er lehnt eine Regulierung ab, es sei denn, es wäre eine vernünftige. Gibt es für den BGW-Präsidenten eine vernünftige Regulierung?

Scholle: Die kann ich mir zurzeit nicht vorstellen, vor allem nicht bei uns in Deutschland mit über 700 Unternehmen mit einem eigenen Leitungsnetz. Regulierung schränkt die unternehmerische Freiheit ein, und was zu wenig gesehen wird: Ein Regulator ist immer Partei.

E&M: Das soll er auch sein: Partei für den Kunden.

Scholle: Das ist schon richtig, aber gerade im Gasbereich muss auch die Versorgungssicherheit gesehen werden.

E&M: Der RWE Gas-Chef Scholle wird nicht gern spekulieren, um wie viel Prozent die Gaspreise im Wettbewerb noch sinken werden: Was sagt der BGW-Präsident, unabhängig von der Ölpreisbindung?

Scholle: Sie haben es schon gesagt, der Gaspreis hängt am Ölpreis; und natürlich hängt er auch vom Angebot und der weltweit wachsenden Nachfrage ab. Es ist ausgesprochen schwierig, weitergehende Prognosen zu machen. Wir können nur so viel sagen: Der Wettbewerbsdruck und damit der Druck auf die Preise wird zunehmen.

E&M: Und die Ölpreisabhängigkeit soll bleiben?

Scholle: Sie erscheint mir als richtige Messlatte für langfristige Verträge. Mein und auch andere Unternehmen bieten aber auch Festpreise für ein, zwei oder drei Jahre an.
 
„Die Fusionsdiskussion ist beendet“
 
E&M: Zu Monopolzeiten waren Verbände wie der BGW auch Organisationen zur Veranstaltung von Kaffeekränzchen. Heute sind mehr Dienstleistungen gefragt als in der Vergangenheit, haben Sie da neue Ideen entwickelt oder machen Sie einfach weiter wie bisher?

Scholle: Nein, um Gottes Willen. Der BGW ist gerade in der jetzigen Zeit sehr gefordert allein durch die Verbändevereinbarung, aber es geht auch um so grundsätzliche Dinge wie die Klimaschutzerklärung der Gaswirtschaft und das Erdgasauto, das wir am Markt durchsetzen wollen. Es geht weiter darum, das umweltfreundliche Produkt Gas noch stärker in den Vordergrund zu schieben, zum Beispiel über die Brennstoffzelle oder den gasbetriebenen Wäschetrockner. Der BGW ist politisch gut positioniert, er ist nicht dogmatisch verkrustet, sondern in Wahrung der Interessen seiner Mitglieder dialogfähig. Unsere Strukturen sind schlank, die Kernkompetenzen den neuen Anforderungen angepasst.

E&M: Damit erübrigt sich die Frage, wann der BGW mit dem DVGW fusioniert?

Scholle: Viele unserer Mitgliedsunternehmen wollten, dass beide Verbände zusammengelegt werden. Ein Gutachten hat aber gezeigt, dass der Zusammenschluss mit einem Wirtschaftsverband Gemeinnützigkeit und Regelsetzungskompetenz ausschließen. Da wir einen funktionsfähigen DVGW brauchen, wurde die Fusionsdiskussion deshalb beendet. Dennoch: Die Zusammenarbeit beider Verbände ist eng und kooperativ.
 

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Helmut Sendner und Fritz Wilhelm

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