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Energie & Management > Recht - OVG kürt Blockade-Behörde zum Sieger im bizarren Windkraftstreit
Quelle: Shutterstock
Recht

OVG kürt Blockade-Behörde zum Sieger im bizarren Windkraftstreit

Zwei Windkraft-Standorte in Iserlohn (NRW) liegen auf Eis, weil andere Turbinen geplant sind. Die gleichen zwar den Vorgängern, das OVG in Münster kassierte dennoch einen Vorbescheid.
Das Ringen um die Energiewende in Deutschland nimmt teils bizarre Züge an. Ein Windkraftprojekt im märkischen Iserlohn-Letmathe hat mindestens zweieinhalb Jahre Zeit verloren, weil der Projektierer einen ursprünglich ausgewählten Anlagentypen für zwei Standorte nicht durch ähnliche Maschinen ersetzen darf. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster erklärte einen positiven Vorbescheid, der im Juli 2020 für die Ursprungsplanung in der nordrhein-westfälischen Kommune ergangen war, als nichtig für die neuen Turbinen.

Als "sehr formalistische" Betrachtungsweise kommentierte Anwalt Christoph Jahn die Haltung des siebten Senats bereits während der mündlichen Verhandlung. Der Rechtsbeistand des Wiesbadener Projektierers Abo Wind hatte argumentiert, die Auswirkungen der neuen Anlagen auf Natur, Landschaft und Luftfahrt seien ähnlich gering wie im Falle der eigentlich vorgesehenen Turbinen.

Ersatzanlagen etwas kürzer, aber mit höherer Nennleistung

Konkret hatte Abo Wind im Letmather Waldgebiet Schälker Heide zwei Anlagen des Herstellers Senvion aufstellen wollen. Der Typ 148/4.2 erreicht an der Nabe eine Höhe von 165 m, verfügt über einen Rotordurchmesser von 148 m bei einer Nennleistung von 4,2 MW. Senvion ging aber im Herbst 2019 pleite. Abo Wind wich daher auf Ersatzlösungen von Nordex aus. Hier lauten die Kennziffern des Typs N149 5.7 STE: 164 m Nabenhöhe, 149,1 m Rotordurchmesser und Nennleistung 5,7 MW. Für Ute Schulmeister, Leiterin der Planungsabteilung von Abo Wind in NRW, sind die technischen Daten "nahezu identisch". Die Suche nach Ersatz habe das Unternehmen ausdrücklich auf solche Modelle beschränkt, die den Senvion-Modellen am nächsten kamen.

Der Märkische Kreis sah dies anders und verweigerte im September 2020, den positiven Vorbescheid für die beiden Senvion-Anlagen auf die Nordex-Modelle zu übertragen. Daraufhin beschritt Abo Wind den Klageweg. Seit März 2021 lag die Sache beim zuständigen OVG in Münster. Das Gericht folgte in der am 24. Mai zunächst mündlich vorgetragenen Urteilsbegründung nicht der Auffassung, die Anlagen seien deckungsgleich. Nennleistung der stärkeren Anlagen und Drehgeschwindigkeit der Rotoren wichen etwa um 20 % nach oben ab. Das erfordere eine neue Prüfung der Auswirkungen auf Artenschutz und Landschaft. Letztlich bestätigte das OVG die Sichtweise des Landkreises, dass es sich mit den Nordex-Turbinen nunmehr um ein "neues Vorhaben" handele, zumal auch eine weitere, dritte Anlage im inzwischen angelaufenen Voll-Genehmigungsverfahren beantragt sei.

Die gesetzlich geschaffene Möglichkeit, positive Vorbescheide zu erwirken, soll eigentlich ein beschleunigender Faktor im Genehmigungsprozess sein. Besonders kritische Aspekte wie Natur- und Artenschutz oder Schallentwicklung werden losgelöst behandelt, die Ergebnisse der Prüfungen haben dann bindende Wirkung im finalen Genehmigungsverfahren und sind nicht mehr durch weitere Gutachten zu untermauern.

Für dritte Turbine hofft Projektierer auf neue NRW-Koalition

Im Lichte der OVG-Entscheidung sei es im Nachhinein nicht zielführend gewesen, so Ute Schulmeister, Zeit für den Vorbescheid und die anschließende Klage zu investieren. So betrachtet, hätte das volle Genehmigungsverfahren ausgereicht. Hier ist aber unsicher, ob Windkraftanlagen die Auflagen gegenüber sensiblen Tierarten und Landschaft erfüllen. Schulmeister fürchtet nun, zwei der drei Iserlohner Anlagen nicht vor 2024 realisieren zu können. Die ersten Planungen für das Gebiet reichen bis ins Jahr 2014 zurück.

Auf der dritten Anlage lastet im Übrigen noch die Hypothek der Restriktionspolitik aus der vergangenen Legislaturperiode. Die schwarz-gelbe Koalition hatte nach Amtsübernahme 2017 die Abstandsregelung für Windkraftanlagen zur Wohnbebauung verschärft und auf mindestens 1.000 m festgelegt. Die dritte Anlage fällt unter diese Bestimmung. Abo Wind hofft – wie viele andere Windkraftbefürworter –, dass die mögliche neue Koalition aus CDU und Grünen die seinerzeit von der FDP vorangetriebene Regelung abschafft.

​Konfliktträchtiger Standort

Frei von Konflikten waren die Flächen im Waldgebiet "Schälker Heide" übrigens nie. Die Kommune hatte das Gebiet nicht in ihrer Vorrangzonenplanung vorgesehen. Der Weg war erst frei, nachdem Abo Wind vor Gericht erfolgreich gegen den Flächennutzungsplan vorgegangen war.

Dadurch machten sich die Windkraftprojektierer natürlich nicht nur Freunde innerhalb der Amtsstuben von Stadt und Märkischem Kreis. Dass der Wechsel des Anlagentyps und eine dritte Windturbine zusätzlich ins Genehmigungsverfahren kamen, mag dem einen oder der anderen in den Verwaltungen ein willkommener Anlass zur Revanche gewesen sein. Der Streit vor dem OVG zeigt jedenfalls, wie sehr Parteien bereit sind, die Möglichkeiten des Rechts auszuschöpfen – auch auf Kosten der Energiewende.

Dienstag, 24.05.2022, 16:10 Uhr
Volker Stephan
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OVG kürt Blockade-Behörde zum Sieger im bizarren Windkraftstreit
Zwei Windkraft-Standorte in Iserlohn (NRW) liegen auf Eis, weil andere Turbinen geplant sind. Die gleichen zwar den Vorgängern, das OVG in Münster kassierte dennoch einen Vorbescheid.
Das Ringen um die Energiewende in Deutschland nimmt teils bizarre Züge an. Ein Windkraftprojekt im märkischen Iserlohn-Letmathe hat mindestens zweieinhalb Jahre Zeit verloren, weil der Projektierer einen ursprünglich ausgewählten Anlagentypen für zwei Standorte nicht durch ähnliche Maschinen ersetzen darf. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster erklärte einen positiven Vorbescheid, der im Juli 2020 für die Ursprungsplanung in der nordrhein-westfälischen Kommune ergangen war, als nichtig für die neuen Turbinen.

Als "sehr formalistische" Betrachtungsweise kommentierte Anwalt Christoph Jahn die Haltung des siebten Senats bereits während der mündlichen Verhandlung. Der Rechtsbeistand des Wiesbadener Projektierers Abo Wind hatte argumentiert, die Auswirkungen der neuen Anlagen auf Natur, Landschaft und Luftfahrt seien ähnlich gering wie im Falle der eigentlich vorgesehenen Turbinen.

Ersatzanlagen etwas kürzer, aber mit höherer Nennleistung

Konkret hatte Abo Wind im Letmather Waldgebiet Schälker Heide zwei Anlagen des Herstellers Senvion aufstellen wollen. Der Typ 148/4.2 erreicht an der Nabe eine Höhe von 165 m, verfügt über einen Rotordurchmesser von 148 m bei einer Nennleistung von 4,2 MW. Senvion ging aber im Herbst 2019 pleite. Abo Wind wich daher auf Ersatzlösungen von Nordex aus. Hier lauten die Kennziffern des Typs N149 5.7 STE: 164 m Nabenhöhe, 149,1 m Rotordurchmesser und Nennleistung 5,7 MW. Für Ute Schulmeister, Leiterin der Planungsabteilung von Abo Wind in NRW, sind die technischen Daten "nahezu identisch". Die Suche nach Ersatz habe das Unternehmen ausdrücklich auf solche Modelle beschränkt, die den Senvion-Modellen am nächsten kamen.

Der Märkische Kreis sah dies anders und verweigerte im September 2020, den positiven Vorbescheid für die beiden Senvion-Anlagen auf die Nordex-Modelle zu übertragen. Daraufhin beschritt Abo Wind den Klageweg. Seit März 2021 lag die Sache beim zuständigen OVG in Münster. Das Gericht folgte in der am 24. Mai zunächst mündlich vorgetragenen Urteilsbegründung nicht der Auffassung, die Anlagen seien deckungsgleich. Nennleistung der stärkeren Anlagen und Drehgeschwindigkeit der Rotoren wichen etwa um 20 % nach oben ab. Das erfordere eine neue Prüfung der Auswirkungen auf Artenschutz und Landschaft. Letztlich bestätigte das OVG die Sichtweise des Landkreises, dass es sich mit den Nordex-Turbinen nunmehr um ein "neues Vorhaben" handele, zumal auch eine weitere, dritte Anlage im inzwischen angelaufenen Voll-Genehmigungsverfahren beantragt sei.

Die gesetzlich geschaffene Möglichkeit, positive Vorbescheide zu erwirken, soll eigentlich ein beschleunigender Faktor im Genehmigungsprozess sein. Besonders kritische Aspekte wie Natur- und Artenschutz oder Schallentwicklung werden losgelöst behandelt, die Ergebnisse der Prüfungen haben dann bindende Wirkung im finalen Genehmigungsverfahren und sind nicht mehr durch weitere Gutachten zu untermauern.

Für dritte Turbine hofft Projektierer auf neue NRW-Koalition

Im Lichte der OVG-Entscheidung sei es im Nachhinein nicht zielführend gewesen, so Ute Schulmeister, Zeit für den Vorbescheid und die anschließende Klage zu investieren. So betrachtet, hätte das volle Genehmigungsverfahren ausgereicht. Hier ist aber unsicher, ob Windkraftanlagen die Auflagen gegenüber sensiblen Tierarten und Landschaft erfüllen. Schulmeister fürchtet nun, zwei der drei Iserlohner Anlagen nicht vor 2024 realisieren zu können. Die ersten Planungen für das Gebiet reichen bis ins Jahr 2014 zurück.

Auf der dritten Anlage lastet im Übrigen noch die Hypothek der Restriktionspolitik aus der vergangenen Legislaturperiode. Die schwarz-gelbe Koalition hatte nach Amtsübernahme 2017 die Abstandsregelung für Windkraftanlagen zur Wohnbebauung verschärft und auf mindestens 1.000 m festgelegt. Die dritte Anlage fällt unter diese Bestimmung. Abo Wind hofft – wie viele andere Windkraftbefürworter –, dass die mögliche neue Koalition aus CDU und Grünen die seinerzeit von der FDP vorangetriebene Regelung abschafft.

​Konfliktträchtiger Standort

Frei von Konflikten waren die Flächen im Waldgebiet "Schälker Heide" übrigens nie. Die Kommune hatte das Gebiet nicht in ihrer Vorrangzonenplanung vorgesehen. Der Weg war erst frei, nachdem Abo Wind vor Gericht erfolgreich gegen den Flächennutzungsplan vorgegangen war.

Dadurch machten sich die Windkraftprojektierer natürlich nicht nur Freunde innerhalb der Amtsstuben von Stadt und Märkischem Kreis. Dass der Wechsel des Anlagentyps und eine dritte Windturbine zusätzlich ins Genehmigungsverfahren kamen, mag dem einen oder der anderen in den Verwaltungen ein willkommener Anlass zur Revanche gewesen sein. Der Streit vor dem OVG zeigt jedenfalls, wie sehr Parteien bereit sind, die Möglichkeiten des Rechts auszuschöpfen – auch auf Kosten der Energiewende.

Dienstag, 24.05.2022, 16:10 Uhr
Volker Stephan

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