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Gastbeitrag

"Notfall Gas oder Gasnotfall?"

Was passiert, wenn Russland den Gashahn zudreht? Wie sehen rechtlich die Stufen des Notfallplans Gas aus? Diesen Fragen geht Silke Goldberg* (Kanzlei Herbert Smith Freehills) nach. 
 
Die Möglichkeit, dass Russland den Gashahn zudreht oder umgekehrt die westlichen Staaten kein russisches Gas mehr abnehmen, um höheren Druck auf Moskau auszuüben, steht weiter im Raum. Ob und wie die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa ohne russisches Gas gesichert werden kann, wird seit Wochen diskutiert. Ein Element in dieser Debatte: der Notfallplan Gas, den Bundesminister Robert Habeck (Grüne) Ende März aktiviert hat. 

Der Notfallplan Gas beruht er auf der Gassicherheitsverordnung der EU von 2017. Er differenziert zwischen drei Stufen – der Frühwarnstufe, der Alarmstufe und der Notfallstufe. Die Frühwarnstufe tritt ein, wenn entweder Gasströme an wichtigen Einspeisepunkten ausbleiben oder reduziert werden, die Speicherfüllstände langanhaltend niedrig sind oder wichtige Gasquellen nicht mehr zur Verfügung stehen. In der Alarmstufe werden weitere netz- und marktbasierte Maßnahmen ergänzt. Die Notfallstufe wird insbesondere ausgerufen, wenn eine erhebliche Störung der Gasversorgung eintritt oder sich die Versorgungslage anderweitig erheblich verschlechtert und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt wurden, aber die Gasversorgung gleichwohl nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken. 

Sollte die Notfallstufe ausgerufen werden, werden geschützte Kunden vorrangig versorgt. Es fallen darunter vor allem Haushaltskunden, die Energie überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt oder nicht mehr als 10.000 kWh im Jahr für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke kaufen. Ebenso gehören unter anderem Krankenhäuser, Schulen oder die öffentliche Verwaltung zu den geschützten Kunden. 

Wer in der Notfallstufe nicht mehr mit Gas versorgt wird, hat bei einem Schaden durch Enteignung einen Entschädigungsanspruch. In Fällen, in denen ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, aber keine Enteignung stattgefunden hat – zum Beispiel, wenn die Bundesnetzagentur das Abschalten eines Stromkraftwerkes anordnet –, besteht ein Anspruch auf Härteausgleich. Die Hürde hierfür ist allerdings hoch: Der Betreiber muss belegen, dass seine wirtschaftliche Existenz gefährdet oder vernichtet worden ist. 

Alternativen zum Gas? 

Zwar kann die Bundesnetzagentur anordnen, Erdgas durch Erdöl zu ersetzen. Allerdings ist die Reichweite dieser Maßnahme begrenzt, da technisch nicht alle Gasbedürfnisse durch Öl ersetzt werden können. Die EU-Gasverordnung sieht zudem vor, dass Mitgliedsstaaten Solidarität voneinander einfordern können. Dies ist insbesondere praktikabel, wenn einige wenige Mitgliedstaaten von Gasengpässen betroffen sind, aber genug Gas EU-weit vorhanden ist. 

Allerdings ist Deutschland nicht das einzige EU-Land, das den Notfallplan aktiviert hat. Österreich, Italien und Lettland haben ebenfalls die Frühwarnstufe ihrer Gasnotfallpläne ausgerufen. Da die gegenwärtige Situation die Versorgungssicherheit der gesamten EU betrifft, beobachtet die Gaskoordinierungsgruppe der EU die Lage im Detail.

Langfristig gilt es, Alternativen zu russischem Gas aufzubauen: Hierzu bedarf es einer breit angelegten Strategie, zu der Flüssiggas (LNG), aber auch Wasserstoff vor allem auf Basis erneuerbarer Energien gehören. Derzeit hat Deutschland allerdings noch kein Flüssiggasterminal. Das avisierte Terminal in Wilhelmshaven steht noch in der Planung. Hier käme dann eine Einfuhr von LNG aus anderen EU-Mitgliedstaaten infrage, zum Beispiel den Niederlanden, aber auch Polen. 

Um grünen Wasserstoff in größeren Volumen herstellen zu können, bedarf es noch engagierterer Investitionen in erneuerbare Energien. Hier leistet das Osterpaket der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag. Die darin angekündigten Maßnahmen sollten daher möglichst rasch umgesetzt werden.

*Silke Goldberg, Partnerin der Kanzlei Herbert Smith Freehills, London und Düsseldorf
 
Silke Goldberg
Quelle: Herbert Smith Freehills

Montag, 11.04.2022, 10:48 Uhr
Redaktion
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Was passiert, wenn Russland den Gashahn zudreht? Wie sehen rechtlich die Stufen des Notfallplans Gas aus? Diesen Fragen geht Silke Goldberg* (Kanzlei Herbert Smith Freehills) nach. 
 
Die Möglichkeit, dass Russland den Gashahn zudreht oder umgekehrt die westlichen Staaten kein russisches Gas mehr abnehmen, um höheren Druck auf Moskau auszuüben, steht weiter im Raum. Ob und wie die Versorgungssicherheit in Deutschland und Europa ohne russisches Gas gesichert werden kann, wird seit Wochen diskutiert. Ein Element in dieser Debatte: der Notfallplan Gas, den Bundesminister Robert Habeck (Grüne) Ende März aktiviert hat. 

Der Notfallplan Gas beruht er auf der Gassicherheitsverordnung der EU von 2017. Er differenziert zwischen drei Stufen – der Frühwarnstufe, der Alarmstufe und der Notfallstufe. Die Frühwarnstufe tritt ein, wenn entweder Gasströme an wichtigen Einspeisepunkten ausbleiben oder reduziert werden, die Speicherfüllstände langanhaltend niedrig sind oder wichtige Gasquellen nicht mehr zur Verfügung stehen. In der Alarmstufe werden weitere netz- und marktbasierte Maßnahmen ergänzt. Die Notfallstufe wird insbesondere ausgerufen, wenn eine erhebliche Störung der Gasversorgung eintritt oder sich die Versorgungslage anderweitig erheblich verschlechtert und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt wurden, aber die Gasversorgung gleichwohl nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken. 

Sollte die Notfallstufe ausgerufen werden, werden geschützte Kunden vorrangig versorgt. Es fallen darunter vor allem Haushaltskunden, die Energie überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt oder nicht mehr als 10.000 kWh im Jahr für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke kaufen. Ebenso gehören unter anderem Krankenhäuser, Schulen oder die öffentliche Verwaltung zu den geschützten Kunden. 

Wer in der Notfallstufe nicht mehr mit Gas versorgt wird, hat bei einem Schaden durch Enteignung einen Entschädigungsanspruch. In Fällen, in denen ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist, aber keine Enteignung stattgefunden hat – zum Beispiel, wenn die Bundesnetzagentur das Abschalten eines Stromkraftwerkes anordnet –, besteht ein Anspruch auf Härteausgleich. Die Hürde hierfür ist allerdings hoch: Der Betreiber muss belegen, dass seine wirtschaftliche Existenz gefährdet oder vernichtet worden ist. 

Alternativen zum Gas? 

Zwar kann die Bundesnetzagentur anordnen, Erdgas durch Erdöl zu ersetzen. Allerdings ist die Reichweite dieser Maßnahme begrenzt, da technisch nicht alle Gasbedürfnisse durch Öl ersetzt werden können. Die EU-Gasverordnung sieht zudem vor, dass Mitgliedsstaaten Solidarität voneinander einfordern können. Dies ist insbesondere praktikabel, wenn einige wenige Mitgliedstaaten von Gasengpässen betroffen sind, aber genug Gas EU-weit vorhanden ist. 

Allerdings ist Deutschland nicht das einzige EU-Land, das den Notfallplan aktiviert hat. Österreich, Italien und Lettland haben ebenfalls die Frühwarnstufe ihrer Gasnotfallpläne ausgerufen. Da die gegenwärtige Situation die Versorgungssicherheit der gesamten EU betrifft, beobachtet die Gaskoordinierungsgruppe der EU die Lage im Detail.

Langfristig gilt es, Alternativen zu russischem Gas aufzubauen: Hierzu bedarf es einer breit angelegten Strategie, zu der Flüssiggas (LNG), aber auch Wasserstoff vor allem auf Basis erneuerbarer Energien gehören. Derzeit hat Deutschland allerdings noch kein Flüssiggasterminal. Das avisierte Terminal in Wilhelmshaven steht noch in der Planung. Hier käme dann eine Einfuhr von LNG aus anderen EU-Mitgliedstaaten infrage, zum Beispiel den Niederlanden, aber auch Polen. 

Um grünen Wasserstoff in größeren Volumen herstellen zu können, bedarf es noch engagierterer Investitionen in erneuerbare Energien. Hier leistet das Osterpaket der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag. Die darin angekündigten Maßnahmen sollten daher möglichst rasch umgesetzt werden.

*Silke Goldberg, Partnerin der Kanzlei Herbert Smith Freehills, London und Düsseldorf
 
Silke Goldberg
Quelle: Herbert Smith Freehills

Montag, 11.04.2022, 10:48 Uhr
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