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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Neue Energie für das Leben im Unbegreiflichen
Quelle: E&M/Volker Stephan
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Neue Energie für das Leben im Unbegreiflichen

Die Flut hat in Westdeutschland für verheerende Schäden auch an der Energieinfrastruktur gesorgt. Wie gehen die Betroffenen damit um? Eine Reportage aus dem Ahrtal in Rheinland-Pfalz. 
Als ein Eiswagen an der Schützenstraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler hält, kehrt in einem Eckgebäude binnen weniger Augenblicke Ruhe ein. Stemmhammer und Brecheisen haben Pause. Und mit ihnen zwei Dutzend Frauen und Männer, die ins Freie treten und sich eine süße Ablenkung gönnen. Dass mit Peter Telgmann ein Konditor aus dem westfälischen Werne seine Ware erst über 200 Kilometer nach Rheinland-Pfalz chauffiert und dann auch noch verschenkt, freut hier alle. Wundern tut es niemanden. Denn es ist eine Gabe an Gebende − auch im leidgeplagten Kurort wimmelt es von Freiwilligen, die überall beim Wiederaufbau des vom Julihochwasser massiv zerstörten Ahrtals anpacken.

Ihre Fahrzeuge haben teils Stuttgarter, Soester oder gar Schweizer Kennzeichen. Ihre Arbeit ist anstrengend, schweißtreibend und schmutzig. Ihr Lohn ist die Dankbarkeit der Bevölkerung − und ab und zu ein unerwartetes Eis, eine Frikadelle aus dem Bollerwagen von Menschen aus der Nachbarschaft oder das gespendete Abendessen im Camp am Helfer-Shuttle in der Grafschaft. Kleine Aufmerksamkeiten wie diese geben den täglich mehr als 1.000 Freiwilligen, die Ende August vielfach Putz und Estrich in den von Wasser und Schlamm heimgesuchten Häusern abtragen, etwas Energie zurück.
 
In Bad Neuenahr-Ahrweiler inspizieren EVM-Sprecher Marcelo Peerenboom (l.) und Rohrleitungsbauer Norbert Aufdemkamp eine zerstörte Gasleitung vor dem Kurhaus
Quelle: E&M/Volker Stephan
 
Energie ganz anderen Ausmaßes haben die Fachleute der Versorger und Netzbetreiber dem Tal wieder zuzuführen. „Wir stehen beim Wiederaufbau vor einer Herkulesaufgabe“, sagt Marcelo Peerenboom, Sprecher der Unternehmensgruppe Energieversorgung Mittelrhein (EVM). Auch die Zerstörung an den Leitungen des Gasversorgers zwischen Sinzig, wo die Ahr in den Rhein mündet, und Walporzheim ist umfassend.

„Katastrophal, anders kann man die Auswirkungen nicht nennen“

Peerenboom steht zwischen Geröllhalden und einem denkmalgeschützten Gebäude, bei dem unklar ist, ob Kurhaus und Spielbank von Bad Neuenahr wieder dort einziehen können. Aus einer Grube zerrt gerade ein Bagger unbrauchbar gewordene Gasrohre aus Stahl, deren Isolierung durch Wasser und Erdbewegungen Schaden genommen hat. An ihre Stelle legt ein Bautrupp orangefarbene Kunststoffrohre in die Kurve um den riesigen Schuttberg, der bis zum Hochwasser das Verwaltungsgebäude der Spielbank war. „Katastrophal, anders kann man die Auswirkungen hier im Tal nicht nennen“, sagt Norbert Aufdemkamp, Rohrleitungsbauer der beauftragten Koblenzer Firma Herrmann. Seine Baustelle heute stellt mit vielleicht 50 Metern Länge lediglich einen Bruchteil des auf 112 Kilometern betroffenen EVM-Gasnetzes dar. „Wir verwenden jetzt in der Regel Kunststoff − aus Kostengründen und weil es einfach schneller geht“, sagt Peerenboom.

„Schnell“ hat in diesen ersten Wochen nach der Katastrophe eine andere Bedeutung erhalten. Gemeint ist häufig „so schnell wie möglich“. Die verschiedenen Versorger arbeiten unter Hochdruck daran, einen Zustand nach und nach zu beenden, der für viele Menschen unvorstellbar ist: in den eigenen vier Wänden, so sie denn noch vorhanden und bewohnbar sind, ohne fließendes Wasser zu sein, ohne Strom und Wärme. Doch es dauert. Die EVM muss allein 16 zerstörte Leitungen ersetzen, die die Ahr über- oder unterquerten, dazu Ortsnetzstationen, Gasdruckregel- und Messanlagen. Für den Übergang weicht die EVM mit dem Bau einer Hochdrucktrasse in die Weinberge aus, um entlang der Bundesstraße 266 bis zum nächsten intakten Anschlusspunkt im Neuenahrer Stadtteil Lohrsdorf zu gelangen.

Hinzu kommt zeitraubende Feinarbeit an den Gasanschlüssen von 6.000 Haushalten. Diese Leitungen müssen einzeln geöffnet und überprüft werden. „In Walporzheim war es beim Auftrennen der Anschlüsse, als wären unsere Mitarbeiter auf eine Wasserader gestoßen“, sagt Peerenboom. Wasser gehört allerdings genauso wenig in eine Gasleitung wie Sedimente und Geröll, dies alles ist aber zum Beispiel durch herausgerissene Heizungen in viele Rohre gelangt. „Im schlimmsten Fall müssen wir 6.000-mal spülen und trockenlegen, bevor wir in den nächsten Wochen oder Monaten wieder Gas durch die Leitungen schicken können“, so Peerenboom.

Wenig Hoffnung auf einen warmen Winter für alle

Auch wenn der Gasversorger die Anzahl der eigenen Mitarbeitenden im Flutgebiet auf täglich 60 verdreifacht hat, „benötigen wir dafür Hilfe“. Er ist dankbar für die Angebote vieler Unternehmen und Versorger aus ganz Deutschland, auf deren Kräfte er jetzt zurückgreifen könne. Er bildet mit ihnen Kolonnen, die die Anschlüsse im betroffenen Gebiet nach Planquadraten abarbeiten. Weil es dennoch stückchenweise vorangeht, „kann ich nicht allen Bürgern die Hoffnung auf einen warmen Winter machen“, sagt Peerenboom. Die Gasversorgung werde nicht bis Ende des Jahres überall wiederhergestellt sein. Er empfiehlt für den Übergang den technisch unproblematischen Umstieg auf Flüssiggas, die Beratungsangebote der EVM dazu sind inzwischen angelaufen.

Wer das Ahrtal flussaufwärts fährt, erkennt auf besonders erschütternde Weise, wie schutzlos der Mensch den Naturgewalten ausgeliefert sein kann. In den eng an den Hängen liegenden Dörfern hatten Gebäude, Brücken, Straßen und Gleise den Wassermassen nichts entgegenzusetzen. In Mayschoß muss Netzplanungsingenieur Benedikt Eulgem nur wenige Hundert Meter pendeln, um die Fortschritte sowohl der provisorischen Hilfen als auch der Dauerlösungen in der Stromversorgung zu begutachten. Oberhalb des hoch und sicher gelegenen Weinhauses Michaelishof arbeitet ein kleiner Bagger sich bereits durch die Weinberge Richtung Tal vor. Er schaufelt das kleine Bett frei, in das der Netzbetreiber Westnetz bald eine neue 10.000-Volt-Mittelspannungsleitung legen wird. Sie kommt über die Kuppe aus dem knapp drei Kilometer entfernten Kalenborn und soll Hochwassern trotzen können.
 
Wer das Ahrtal flussaufwärts fährt, erkennt, wie schutzlos der Mensch den Naturgewalten ausgeliefert sein kann
Quelle: Volker Stephan
 
Unten im Weindorf trifft der Westnetz-Ingenieur auf Kollegen, die entlang der notdürftig hergerichteten Bundesstraße 267 die ortsausgangs gelegenen Wohnhäuser über Baustromverteiler mit Elektrizität versorgen. Heiner Kieren ist neben Heiko Schäfer einer der Arbeit-unter-Spannung-Monteure von Westnetz, die „den Menschen einfach nur helfen wollen, schnell wieder an Strom zu kommen“. Die provisorisch aufgestellten Aggregate sind so lange nötig, bis ein Niederspannungskabel neu gezogen ist. „Wir lernen aus den Ereignissen“, sagt Eulgem, „und versuchen, Stromleitungen nicht mehr entlang der Ahr zu legen.“

Westnetz sucht für das Erdkabel vielmehr nach einem Weg, der sich hinter den Gebäuden behutsam in die etwas höheren Abschnitte der Weinberge graben lässt.
Zurück an der Baugrube vor dem Kurhaus Bad Neuenahr. An ihr lässt sich erkennen, was noch wichtig ist: eine gute Absprache und Kooperation der jeweils zuständigen Versorger, deren Erdleitungen nebeneinander liegen. In Bad Neuenahr-Ahrweiler arbeiten die Ahrtal-Werke (Strom), fast zu gleichen Anteilen Tochter der Stadt und der Stadtwerke Schwäbisch-Hall, EVM (Gas) und die städtischen Wasserwerke parallel. Bad Neuenahr-Ahrweiler mit seinen 28.000 Menschen ist das Netzgebiet der Ahrtal-Werke. „Wir verzeichnen einen immensen Schaden“, sagt Ahrtal-Werke-Geschäftsführer Dominik Neswadba. Neben 100 Stationen im Mittel- und Niederspannungsbereich hat das Hochwasser auch etwa 12.000 Hausanschlüsse in Mitleidenschaft gezogen.

Auch hier gehen die Arbeiten voran, der Versorgungsgrad liegt bei 90 %. Es koste allerdings Zeit, wenn eine Wohnung zeitweise verlassen und für die Mitarbeitenden dadurch nicht zu betreten sei, so Neswadba. Dann könne sein Unternehmen zunächst nicht prüfen, ob der Hausanschluss unter Wasser gestanden hat und eine Gefahr von ihm ausgeht. Das könne dazu führen, dass vor einem Haus bereits ein provisorischer Anschlusskasten steht, das unmittelbare Nachbargebäude dagegen noch nicht über Strom verfügt. „Wir verstehen die Unruhe der Menschen, die Strom brauchen, müssen aber manchmal die Zusammenhänge erklären“, sagt Neswadba.

Schäden in Millionenhöhe auch beim Versorger selbst

Wie es ohne Strom ist, haben die Ahrtal-Stadtwerke an eigenen Immobilien erfahren. Die erst 2020 bezogene Unternehmenszentrale im alten Wasserwerk am Dahlienweg, zuvor aufwendig saniert, aufgestockt und erweitert, stand bis ins Erdgeschoss unter Wasser. Der Versorger kann folglich seine Kunden nicht wie üblich empfangen. Auch die EVM hat ihr frisch eingerichtetes Kundenzentrum in der Ortsmitte zurück in die Netzstation am Stadtrand verlegen müssen. Bei den Ahrtal-Werken allerdings hat es auch die Erzeugungskapazitäten getroffen. Das Blockheizkraftwerk am Stammsitz ist ausgefallen, das im Bau befindliche zweite BHKW an der Kreuzstraße wird nicht wie geplant im Herbst in Betrieb gehen können, aber voraussichtlich noch vor Silvester. Auf einen zweistelligen Millionenbetrag schätzt Neswadba den Schaden für sein Unternehmen.

Geld, so hoffen Privatleute wie Energieversorger im Ahrtal, soll nach dem von der Bundesregierung genehmigten Wiederaufbaufonds für alle vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Deutschland nicht zum Problem werden. Geld, glaubt Westnetz-Monteur Heiner Kiesen, könne den Betroffenen kurzfristig aber nur indirekt weiterhelfen. „Für den Wiederaufbau des Ahrtals braucht es vor allem Handwerker, und das noch über Jahre.“ Die Hilfsbereitschaft von Fachunternehmen aus ganz Deutschland sei dabei „ein wichtiges Signal“, so Dominik Neswadba. Wie Neswadba stellt Marcelo Peerenboom die allgemein große Solidarität heraus. Dazu unterstütze die EVM auch unternehmensintern 16 von den Zerstörungen betroffene Kollegen mit einer Spendenaktion. 

Thomas Pütz, einer der Organisatoren des Helfer-Shuttles im Ahrtal, schickt derweil weiter handwerkliche Laien wie Fachleute zu den Menschen, die um Hilfe bitten. Mehr als 1.000 Tag für Tag, Zehntausende stellten sich bereits in den Dienst der guten Sache. Er hofft, dass der Strom der Freiwilligen nicht versiegt. „Wir könnten das Zehnfache an Leuten gebrauchen.“

Donnerstag, 26.08.2021, 09:03 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Neue Energie für das Leben im Unbegreiflichen
Quelle: E&M/Volker Stephan
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Neue Energie für das Leben im Unbegreiflichen
Die Flut hat in Westdeutschland für verheerende Schäden auch an der Energieinfrastruktur gesorgt. Wie gehen die Betroffenen damit um? Eine Reportage aus dem Ahrtal in Rheinland-Pfalz. 
Als ein Eiswagen an der Schützenstraße in Bad Neuenahr-Ahrweiler hält, kehrt in einem Eckgebäude binnen weniger Augenblicke Ruhe ein. Stemmhammer und Brecheisen haben Pause. Und mit ihnen zwei Dutzend Frauen und Männer, die ins Freie treten und sich eine süße Ablenkung gönnen. Dass mit Peter Telgmann ein Konditor aus dem westfälischen Werne seine Ware erst über 200 Kilometer nach Rheinland-Pfalz chauffiert und dann auch noch verschenkt, freut hier alle. Wundern tut es niemanden. Denn es ist eine Gabe an Gebende − auch im leidgeplagten Kurort wimmelt es von Freiwilligen, die überall beim Wiederaufbau des vom Julihochwasser massiv zerstörten Ahrtals anpacken.

Ihre Fahrzeuge haben teils Stuttgarter, Soester oder gar Schweizer Kennzeichen. Ihre Arbeit ist anstrengend, schweißtreibend und schmutzig. Ihr Lohn ist die Dankbarkeit der Bevölkerung − und ab und zu ein unerwartetes Eis, eine Frikadelle aus dem Bollerwagen von Menschen aus der Nachbarschaft oder das gespendete Abendessen im Camp am Helfer-Shuttle in der Grafschaft. Kleine Aufmerksamkeiten wie diese geben den täglich mehr als 1.000 Freiwilligen, die Ende August vielfach Putz und Estrich in den von Wasser und Schlamm heimgesuchten Häusern abtragen, etwas Energie zurück.
 
In Bad Neuenahr-Ahrweiler inspizieren EVM-Sprecher Marcelo Peerenboom (l.) und Rohrleitungsbauer Norbert Aufdemkamp eine zerstörte Gasleitung vor dem Kurhaus
Quelle: E&M/Volker Stephan
 
Energie ganz anderen Ausmaßes haben die Fachleute der Versorger und Netzbetreiber dem Tal wieder zuzuführen. „Wir stehen beim Wiederaufbau vor einer Herkulesaufgabe“, sagt Marcelo Peerenboom, Sprecher der Unternehmensgruppe Energieversorgung Mittelrhein (EVM). Auch die Zerstörung an den Leitungen des Gasversorgers zwischen Sinzig, wo die Ahr in den Rhein mündet, und Walporzheim ist umfassend.

„Katastrophal, anders kann man die Auswirkungen nicht nennen“

Peerenboom steht zwischen Geröllhalden und einem denkmalgeschützten Gebäude, bei dem unklar ist, ob Kurhaus und Spielbank von Bad Neuenahr wieder dort einziehen können. Aus einer Grube zerrt gerade ein Bagger unbrauchbar gewordene Gasrohre aus Stahl, deren Isolierung durch Wasser und Erdbewegungen Schaden genommen hat. An ihre Stelle legt ein Bautrupp orangefarbene Kunststoffrohre in die Kurve um den riesigen Schuttberg, der bis zum Hochwasser das Verwaltungsgebäude der Spielbank war. „Katastrophal, anders kann man die Auswirkungen hier im Tal nicht nennen“, sagt Norbert Aufdemkamp, Rohrleitungsbauer der beauftragten Koblenzer Firma Herrmann. Seine Baustelle heute stellt mit vielleicht 50 Metern Länge lediglich einen Bruchteil des auf 112 Kilometern betroffenen EVM-Gasnetzes dar. „Wir verwenden jetzt in der Regel Kunststoff − aus Kostengründen und weil es einfach schneller geht“, sagt Peerenboom.

„Schnell“ hat in diesen ersten Wochen nach der Katastrophe eine andere Bedeutung erhalten. Gemeint ist häufig „so schnell wie möglich“. Die verschiedenen Versorger arbeiten unter Hochdruck daran, einen Zustand nach und nach zu beenden, der für viele Menschen unvorstellbar ist: in den eigenen vier Wänden, so sie denn noch vorhanden und bewohnbar sind, ohne fließendes Wasser zu sein, ohne Strom und Wärme. Doch es dauert. Die EVM muss allein 16 zerstörte Leitungen ersetzen, die die Ahr über- oder unterquerten, dazu Ortsnetzstationen, Gasdruckregel- und Messanlagen. Für den Übergang weicht die EVM mit dem Bau einer Hochdrucktrasse in die Weinberge aus, um entlang der Bundesstraße 266 bis zum nächsten intakten Anschlusspunkt im Neuenahrer Stadtteil Lohrsdorf zu gelangen.

Hinzu kommt zeitraubende Feinarbeit an den Gasanschlüssen von 6.000 Haushalten. Diese Leitungen müssen einzeln geöffnet und überprüft werden. „In Walporzheim war es beim Auftrennen der Anschlüsse, als wären unsere Mitarbeiter auf eine Wasserader gestoßen“, sagt Peerenboom. Wasser gehört allerdings genauso wenig in eine Gasleitung wie Sedimente und Geröll, dies alles ist aber zum Beispiel durch herausgerissene Heizungen in viele Rohre gelangt. „Im schlimmsten Fall müssen wir 6.000-mal spülen und trockenlegen, bevor wir in den nächsten Wochen oder Monaten wieder Gas durch die Leitungen schicken können“, so Peerenboom.

Wenig Hoffnung auf einen warmen Winter für alle

Auch wenn der Gasversorger die Anzahl der eigenen Mitarbeitenden im Flutgebiet auf täglich 60 verdreifacht hat, „benötigen wir dafür Hilfe“. Er ist dankbar für die Angebote vieler Unternehmen und Versorger aus ganz Deutschland, auf deren Kräfte er jetzt zurückgreifen könne. Er bildet mit ihnen Kolonnen, die die Anschlüsse im betroffenen Gebiet nach Planquadraten abarbeiten. Weil es dennoch stückchenweise vorangeht, „kann ich nicht allen Bürgern die Hoffnung auf einen warmen Winter machen“, sagt Peerenboom. Die Gasversorgung werde nicht bis Ende des Jahres überall wiederhergestellt sein. Er empfiehlt für den Übergang den technisch unproblematischen Umstieg auf Flüssiggas, die Beratungsangebote der EVM dazu sind inzwischen angelaufen.

Wer das Ahrtal flussaufwärts fährt, erkennt auf besonders erschütternde Weise, wie schutzlos der Mensch den Naturgewalten ausgeliefert sein kann. In den eng an den Hängen liegenden Dörfern hatten Gebäude, Brücken, Straßen und Gleise den Wassermassen nichts entgegenzusetzen. In Mayschoß muss Netzplanungsingenieur Benedikt Eulgem nur wenige Hundert Meter pendeln, um die Fortschritte sowohl der provisorischen Hilfen als auch der Dauerlösungen in der Stromversorgung zu begutachten. Oberhalb des hoch und sicher gelegenen Weinhauses Michaelishof arbeitet ein kleiner Bagger sich bereits durch die Weinberge Richtung Tal vor. Er schaufelt das kleine Bett frei, in das der Netzbetreiber Westnetz bald eine neue 10.000-Volt-Mittelspannungsleitung legen wird. Sie kommt über die Kuppe aus dem knapp drei Kilometer entfernten Kalenborn und soll Hochwassern trotzen können.
 
Wer das Ahrtal flussaufwärts fährt, erkennt, wie schutzlos der Mensch den Naturgewalten ausgeliefert sein kann
Quelle: Volker Stephan
 
Unten im Weindorf trifft der Westnetz-Ingenieur auf Kollegen, die entlang der notdürftig hergerichteten Bundesstraße 267 die ortsausgangs gelegenen Wohnhäuser über Baustromverteiler mit Elektrizität versorgen. Heiner Kieren ist neben Heiko Schäfer einer der Arbeit-unter-Spannung-Monteure von Westnetz, die „den Menschen einfach nur helfen wollen, schnell wieder an Strom zu kommen“. Die provisorisch aufgestellten Aggregate sind so lange nötig, bis ein Niederspannungskabel neu gezogen ist. „Wir lernen aus den Ereignissen“, sagt Eulgem, „und versuchen, Stromleitungen nicht mehr entlang der Ahr zu legen.“

Westnetz sucht für das Erdkabel vielmehr nach einem Weg, der sich hinter den Gebäuden behutsam in die etwas höheren Abschnitte der Weinberge graben lässt.
Zurück an der Baugrube vor dem Kurhaus Bad Neuenahr. An ihr lässt sich erkennen, was noch wichtig ist: eine gute Absprache und Kooperation der jeweils zuständigen Versorger, deren Erdleitungen nebeneinander liegen. In Bad Neuenahr-Ahrweiler arbeiten die Ahrtal-Werke (Strom), fast zu gleichen Anteilen Tochter der Stadt und der Stadtwerke Schwäbisch-Hall, EVM (Gas) und die städtischen Wasserwerke parallel. Bad Neuenahr-Ahrweiler mit seinen 28.000 Menschen ist das Netzgebiet der Ahrtal-Werke. „Wir verzeichnen einen immensen Schaden“, sagt Ahrtal-Werke-Geschäftsführer Dominik Neswadba. Neben 100 Stationen im Mittel- und Niederspannungsbereich hat das Hochwasser auch etwa 12.000 Hausanschlüsse in Mitleidenschaft gezogen.

Auch hier gehen die Arbeiten voran, der Versorgungsgrad liegt bei 90 %. Es koste allerdings Zeit, wenn eine Wohnung zeitweise verlassen und für die Mitarbeitenden dadurch nicht zu betreten sei, so Neswadba. Dann könne sein Unternehmen zunächst nicht prüfen, ob der Hausanschluss unter Wasser gestanden hat und eine Gefahr von ihm ausgeht. Das könne dazu führen, dass vor einem Haus bereits ein provisorischer Anschlusskasten steht, das unmittelbare Nachbargebäude dagegen noch nicht über Strom verfügt. „Wir verstehen die Unruhe der Menschen, die Strom brauchen, müssen aber manchmal die Zusammenhänge erklären“, sagt Neswadba.

Schäden in Millionenhöhe auch beim Versorger selbst

Wie es ohne Strom ist, haben die Ahrtal-Stadtwerke an eigenen Immobilien erfahren. Die erst 2020 bezogene Unternehmenszentrale im alten Wasserwerk am Dahlienweg, zuvor aufwendig saniert, aufgestockt und erweitert, stand bis ins Erdgeschoss unter Wasser. Der Versorger kann folglich seine Kunden nicht wie üblich empfangen. Auch die EVM hat ihr frisch eingerichtetes Kundenzentrum in der Ortsmitte zurück in die Netzstation am Stadtrand verlegen müssen. Bei den Ahrtal-Werken allerdings hat es auch die Erzeugungskapazitäten getroffen. Das Blockheizkraftwerk am Stammsitz ist ausgefallen, das im Bau befindliche zweite BHKW an der Kreuzstraße wird nicht wie geplant im Herbst in Betrieb gehen können, aber voraussichtlich noch vor Silvester. Auf einen zweistelligen Millionenbetrag schätzt Neswadba den Schaden für sein Unternehmen.

Geld, so hoffen Privatleute wie Energieversorger im Ahrtal, soll nach dem von der Bundesregierung genehmigten Wiederaufbaufonds für alle vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Deutschland nicht zum Problem werden. Geld, glaubt Westnetz-Monteur Heiner Kiesen, könne den Betroffenen kurzfristig aber nur indirekt weiterhelfen. „Für den Wiederaufbau des Ahrtals braucht es vor allem Handwerker, und das noch über Jahre.“ Die Hilfsbereitschaft von Fachunternehmen aus ganz Deutschland sei dabei „ein wichtiges Signal“, so Dominik Neswadba. Wie Neswadba stellt Marcelo Peerenboom die allgemein große Solidarität heraus. Dazu unterstütze die EVM auch unternehmensintern 16 von den Zerstörungen betroffene Kollegen mit einer Spendenaktion. 

Thomas Pütz, einer der Organisatoren des Helfer-Shuttles im Ahrtal, schickt derweil weiter handwerkliche Laien wie Fachleute zu den Menschen, die um Hilfe bitten. Mehr als 1.000 Tag für Tag, Zehntausende stellten sich bereits in den Dienst der guten Sache. Er hofft, dass der Strom der Freiwilligen nicht versiegt. „Wir könnten das Zehnfache an Leuten gebrauchen.“

Donnerstag, 26.08.2021, 09:03 Uhr
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