E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Netznutzungs-Verordnung in der Pipeline
Quelle: Fotolia.com / Tom Bayer
E&M Vor 20 Jahren

Netznutzungs-Verordnung in der Pipeline

Zu Beginn des Jahres 2003 wurde heftig über eine staatliche Regulierung der Netznutzung debattiert.
Vor 20 Jahren legte Ende Februar das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) ein Papier vor, nach dem der Zugang zu den Netzen künftig durch eine staatliche Verordnung reguliert werden sollte. E&M-Redakteurin Cerstin Gammelin berichtete Mitte März 2003 ausführlich in der Energie & Management darüber.

Der Vorschlag ist Teil einer Vereinbarung mit dem Bundesumweltministerium (BMU) im Rahmen der von Minister Jürgen Trittin geplanten Novelle des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG). Nach monatelangem Streit um die Belastungen der energieintensiven Industrie durch das EEG hatte ein Kompromisspapier aus dem Umweltministerium Mitte Februar noch einmal Schwung in die Verhandlungen gebracht: Danach würde Umweltminister Jürgen Trittin einer Härtefallklausel als Einzelfallregelung zustimmen, wenn das BMWA im Gegenzug ein Maßnahmenpaket zur Intensivierung des Wettbewerbs auf dem Energiemarkt auf den Weg bringe. Am 6. März, so drängten die Vertreter aus dem BMWA, sollten beide Ministerien ein gemeinsames Papier unterzeichnen, jedenfalls rechtzeitig vor der für 7. März angekündigten Großveranstaltung der industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie in nordrhein-Westfalen.

Offiziell teilte das BMWA Ende Februar mit, es stehe in engem Kontakt mit den Kartellbehörden des Bundes und der Länder und werde „geeignete Vorschläge für eine Verbesserung der Netzzugangsregeln und der Wettbewerbsaufsicht“ unterbreiten. „Kern der Prüfung ist die transparente und diskriminierungsfreie Ausgestaltung der Netzzugangsbedingungen sowie die Höhe der Netznutzungsentgelte einschließlich der Kosten für Regelenergie“. Nach vorläufigen Informationen aus dem Wirtschaftsministerium soll die Netzzugangsverordnung kurzfristig in Kraft treten, möglicherweise als Anhang zum Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Das EnWG ist bereits vom Bundestag verabschiedet und steht auf der Tagesordnung der Bundesratssitzung am 14. März.

Darüber hinaus will das Wirtschaftsministerium noch in diesem Jahr mit der Umsetzung der neuen Binnenmarktrichtlinie für Strom und Gas beginnen. „Diese wird in jedem Fall auf eine weitere Stärkung der staatlichen Wettbewerbsaufsicht über die leitungsgebundene Energieversorgung zielen“, heißt es in einer Mitteilung vom 25. Februar.

Seit Herbst des vergangenen Jahres schwelte der Streit um die Novellierung des EEG aus dem Jahr 2000. Jürgen Trittin, der seit Beginn dieser Legislaturperiode für den Ausbau der erneuerbaren Energien zuständig ist, kündigte an, den Umbau der deutschen Energieversorgung in Richtung dezentrale Erzeugung zügig voranzutreiben. Der Anteil des „grünen“ Stroms soll laut Koalitionsvereinbarung bis 2010 von derzeit 8 auf 12,5 % der bundesdeutschen Stromerzeugung erhöht werden. Entsprechend erhöhen sich auch die Vergütungszahlungen nach EEG an die Erzeuger: 2,2 Mrd. Euro in 2002, und voraussichtlich 2,75 Mrd. Euro in 2003 werden vom BMWA prognostiziert.

Die energieintensive Industrie protestierte heftig gegen die befürchtete steigende Belastung aus der EEG-Vergütung. Der Boom beim Wind verursache eine zunehmende EEG-Belastung, warnte Alfred Richmann im November 2002 auf einem Kongress seines Verbandes in Berlin. Der Geschäftsführer des Verbandes der industriellen Kraftwirtschaft (VIK) sah die Existenz der Stahl- und Aluminiumhütten Deutschlands durch die - seiner Meinung nach subventionierten - Arbeitsplätze bei den erneuerbaren Energien massiv bedroht. Um die Aluminium-, Stahl- und Chemiebetriebe in Deutschland zu halten, sollten diese per Zahlungsobergrenze von weiteren finanziellen Lasten befreit werden.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement sicherte den Unternehmen seine Unterstützung für die Einführung einer Härtefallklausel zu – und bereitete einen entsprechenden Anhang an die Novelle des EnWG vor. Eine solche Regelung wurde jedoch von Trittin abgelehnt. Begründung: Die „pauschal behaupteten Preisbelastungen“ der Aluminiumindustrie entsprächen nicht den tatsächlichen durch das EEG verursachten Mehrkosten. Betrachte man die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien volkswirtschaftlich, führe das EEG nach Berechnungen des Umweltbundesamtes im Saldo sogar zu Kosteneinsparungen in beträchtlicher Höhe, erklärte der Minister. Es sei darüber hinaus unvernünftig, die Kosten der Energiewende ausschließlich Privathaushalten und kleinen Betrieben aufzuerlegen. Bereits heute zahlten Tarifkunden rund ein Viertel mehr als die Industrie.

Nach Berechnungen des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) zahlten bundesdeutsche Stromverbraucher 2002 in Folge des EEG insgesamt etwa 1,7 Mrd. Euro oder 0,36 Cent je kWh zuzüglich zum Strompreis. Während sich für einen Durchschnittshaushalt mit 3 000 kWh Jahresverbrauch der Obolus für den Ausbau der erneuerbaren Energien mit 10,80 Euro pro Jahr durchaus in Grenzen hält, nimmt er beispielsweise bei der Trimet Aluminium AG in Essen, die 2 500 GWh Energie für ihre Jahresproduktion benötigt, ganz andere Dimensionen an. Von 4 auf 9,4 Mio. Euro seien die Belastungen durch das EEG zwischen 2001 und 2002 angestiegen; sie machten bereits 3,5 % des Umsatzes aus, rechnet das Unternehmen vor. Im Umweltministerium ist man dennoch gegen eine Sonderbehandlung der Aluminiumindustrie, die auch in anderen Ländern, in denen es kein EEG und keine damit verbundenen finanziellen Belastungen gibt, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die Sonderbehandlung würde nur die Agonie der Branche verlängern.

Auch Juristen treibt die Forderung nach einer pauschalen Härtefallklausel für die energieintensive Industrie Sorgenfalten auf die Stirn. Es stehe im „Dunstkreis des Möglichen“, dass die Europäische Kommission das EEG mit einer solchen Klausel als unerlaubte Subvention deklarieren und ein Beihilfeverfahren einleiten könnte, sagte Jens-Peter Schneider, Professor für Europarecht der Uni Osnabrück Mitte Februar in Berlin. Eine Härtefallklausel gilt aber auch als verfassungsrechtlich problematisch. „Wenn die Großverbraucher immer wieder Bündel von Ausnahmen erhalten und die privaten Haushalte alle Lasten tragen müssen, wird der Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verletzt“, gab Dr. Axel Berg, Jurist und Energieexperte der SPD-Bundestagsfraktion, zu bedenken.

Zum Sturm gegen eine pauschale Bevorzugung der Industrie rief auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) auf. Die Bundesregierung gefährde damit leichtfertig die Zukunft, sagte BEE-Präsident Johannes Lackmann im Februar in Berlin und prophezeite bereits das Ende der Energiewende, sollte die Industrie die EEG-Vergütungen nicht mehr bezahlen wollen. Dieses Debakel liege aber offensichtlich im Interesse der Energiekonzerne, die die Finanzierung und das EEG am liebsten ganz abschaffen würden, sagte Lackmann.

Mittwoch, 22.02.2023, 13:59 Uhr
Cerstin Gammelin
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Netznutzungs-Verordnung in der Pipeline
Quelle: Fotolia.com / Tom Bayer
E&M Vor 20 Jahren
Netznutzungs-Verordnung in der Pipeline
Zu Beginn des Jahres 2003 wurde heftig über eine staatliche Regulierung der Netznutzung debattiert.
Vor 20 Jahren legte Ende Februar das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) ein Papier vor, nach dem der Zugang zu den Netzen künftig durch eine staatliche Verordnung reguliert werden sollte. E&M-Redakteurin Cerstin Gammelin berichtete Mitte März 2003 ausführlich in der Energie & Management darüber.

Der Vorschlag ist Teil einer Vereinbarung mit dem Bundesumweltministerium (BMU) im Rahmen der von Minister Jürgen Trittin geplanten Novelle des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG). Nach monatelangem Streit um die Belastungen der energieintensiven Industrie durch das EEG hatte ein Kompromisspapier aus dem Umweltministerium Mitte Februar noch einmal Schwung in die Verhandlungen gebracht: Danach würde Umweltminister Jürgen Trittin einer Härtefallklausel als Einzelfallregelung zustimmen, wenn das BMWA im Gegenzug ein Maßnahmenpaket zur Intensivierung des Wettbewerbs auf dem Energiemarkt auf den Weg bringe. Am 6. März, so drängten die Vertreter aus dem BMWA, sollten beide Ministerien ein gemeinsames Papier unterzeichnen, jedenfalls rechtzeitig vor der für 7. März angekündigten Großveranstaltung der industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie in nordrhein-Westfalen.

Offiziell teilte das BMWA Ende Februar mit, es stehe in engem Kontakt mit den Kartellbehörden des Bundes und der Länder und werde „geeignete Vorschläge für eine Verbesserung der Netzzugangsregeln und der Wettbewerbsaufsicht“ unterbreiten. „Kern der Prüfung ist die transparente und diskriminierungsfreie Ausgestaltung der Netzzugangsbedingungen sowie die Höhe der Netznutzungsentgelte einschließlich der Kosten für Regelenergie“. Nach vorläufigen Informationen aus dem Wirtschaftsministerium soll die Netzzugangsverordnung kurzfristig in Kraft treten, möglicherweise als Anhang zum Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Das EnWG ist bereits vom Bundestag verabschiedet und steht auf der Tagesordnung der Bundesratssitzung am 14. März.

Darüber hinaus will das Wirtschaftsministerium noch in diesem Jahr mit der Umsetzung der neuen Binnenmarktrichtlinie für Strom und Gas beginnen. „Diese wird in jedem Fall auf eine weitere Stärkung der staatlichen Wettbewerbsaufsicht über die leitungsgebundene Energieversorgung zielen“, heißt es in einer Mitteilung vom 25. Februar.

Seit Herbst des vergangenen Jahres schwelte der Streit um die Novellierung des EEG aus dem Jahr 2000. Jürgen Trittin, der seit Beginn dieser Legislaturperiode für den Ausbau der erneuerbaren Energien zuständig ist, kündigte an, den Umbau der deutschen Energieversorgung in Richtung dezentrale Erzeugung zügig voranzutreiben. Der Anteil des „grünen“ Stroms soll laut Koalitionsvereinbarung bis 2010 von derzeit 8 auf 12,5 % der bundesdeutschen Stromerzeugung erhöht werden. Entsprechend erhöhen sich auch die Vergütungszahlungen nach EEG an die Erzeuger: 2,2 Mrd. Euro in 2002, und voraussichtlich 2,75 Mrd. Euro in 2003 werden vom BMWA prognostiziert.

Die energieintensive Industrie protestierte heftig gegen die befürchtete steigende Belastung aus der EEG-Vergütung. Der Boom beim Wind verursache eine zunehmende EEG-Belastung, warnte Alfred Richmann im November 2002 auf einem Kongress seines Verbandes in Berlin. Der Geschäftsführer des Verbandes der industriellen Kraftwirtschaft (VIK) sah die Existenz der Stahl- und Aluminiumhütten Deutschlands durch die - seiner Meinung nach subventionierten - Arbeitsplätze bei den erneuerbaren Energien massiv bedroht. Um die Aluminium-, Stahl- und Chemiebetriebe in Deutschland zu halten, sollten diese per Zahlungsobergrenze von weiteren finanziellen Lasten befreit werden.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement sicherte den Unternehmen seine Unterstützung für die Einführung einer Härtefallklausel zu – und bereitete einen entsprechenden Anhang an die Novelle des EnWG vor. Eine solche Regelung wurde jedoch von Trittin abgelehnt. Begründung: Die „pauschal behaupteten Preisbelastungen“ der Aluminiumindustrie entsprächen nicht den tatsächlichen durch das EEG verursachten Mehrkosten. Betrachte man die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien volkswirtschaftlich, führe das EEG nach Berechnungen des Umweltbundesamtes im Saldo sogar zu Kosteneinsparungen in beträchtlicher Höhe, erklärte der Minister. Es sei darüber hinaus unvernünftig, die Kosten der Energiewende ausschließlich Privathaushalten und kleinen Betrieben aufzuerlegen. Bereits heute zahlten Tarifkunden rund ein Viertel mehr als die Industrie.

Nach Berechnungen des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) zahlten bundesdeutsche Stromverbraucher 2002 in Folge des EEG insgesamt etwa 1,7 Mrd. Euro oder 0,36 Cent je kWh zuzüglich zum Strompreis. Während sich für einen Durchschnittshaushalt mit 3 000 kWh Jahresverbrauch der Obolus für den Ausbau der erneuerbaren Energien mit 10,80 Euro pro Jahr durchaus in Grenzen hält, nimmt er beispielsweise bei der Trimet Aluminium AG in Essen, die 2 500 GWh Energie für ihre Jahresproduktion benötigt, ganz andere Dimensionen an. Von 4 auf 9,4 Mio. Euro seien die Belastungen durch das EEG zwischen 2001 und 2002 angestiegen; sie machten bereits 3,5 % des Umsatzes aus, rechnet das Unternehmen vor. Im Umweltministerium ist man dennoch gegen eine Sonderbehandlung der Aluminiumindustrie, die auch in anderen Ländern, in denen es kein EEG und keine damit verbundenen finanziellen Belastungen gibt, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die Sonderbehandlung würde nur die Agonie der Branche verlängern.

Auch Juristen treibt die Forderung nach einer pauschalen Härtefallklausel für die energieintensive Industrie Sorgenfalten auf die Stirn. Es stehe im „Dunstkreis des Möglichen“, dass die Europäische Kommission das EEG mit einer solchen Klausel als unerlaubte Subvention deklarieren und ein Beihilfeverfahren einleiten könnte, sagte Jens-Peter Schneider, Professor für Europarecht der Uni Osnabrück Mitte Februar in Berlin. Eine Härtefallklausel gilt aber auch als verfassungsrechtlich problematisch. „Wenn die Großverbraucher immer wieder Bündel von Ausnahmen erhalten und die privaten Haushalte alle Lasten tragen müssen, wird der Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz verletzt“, gab Dr. Axel Berg, Jurist und Energieexperte der SPD-Bundestagsfraktion, zu bedenken.

Zum Sturm gegen eine pauschale Bevorzugung der Industrie rief auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) auf. Die Bundesregierung gefährde damit leichtfertig die Zukunft, sagte BEE-Präsident Johannes Lackmann im Februar in Berlin und prophezeite bereits das Ende der Energiewende, sollte die Industrie die EEG-Vergütungen nicht mehr bezahlen wollen. Dieses Debakel liege aber offensichtlich im Interesse der Energiekonzerne, die die Finanzierung und das EEG am liebsten ganz abschaffen würden, sagte Lackmann.

Mittwoch, 22.02.2023, 13:59 Uhr
Cerstin Gammelin

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.