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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - MVV ruft nach der Politik
Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren

MVV ruft nach der Politik

Im Dezember 2001 war es an den Strombörsen zu bislang noch nie gesehenen Preissprüngen gekommen. Der Aufschrei darüber hallte Anfang 2002 noch durch den Markt.
Die Preissprünge an der Leipziger Strombörse LPX Mitte Dezember 2001 waren enorm: Der Market-Clearing-Preis war für einzelne gehandelte Stunden-Produkte auf etwa 1.000 Euro pro Megawattstunde geschossen. Teilweise stiegen die Preise um das 50-Fache. Das Phänomen war allerdings nicht nur an der LPX zu beobachten auch die Notierungen an der EEX in Frankfurt oder der Amsterdamer APX schienen außer Rand und Band zu sein.

Schnell machte das Gerücht von Preismanipulationen die Runde. Die Börsenbetreiber sahen sich mit viel haltloser Kritik von Kommentatoren konfrontiert, die außer Acht ließen, dass das Börsenunternehmen selbst nur Betreiber des jeweiligen Handelsplatzes ist und kein Interesse an einem hohen oder niedrigen Preisniveau, sondern lediglich an einem hohen Transaktionsvolumen hat. Es gab allerdings auch Stimmen, die die Wirksamkeit der innerbörslichen Handelsüberwachung und der Börsenaufsicht in den Wirtschaftsministerien des jeweiligen Bundeslandes in Frage stellten und schließlich nach der Politik riefen. Die Erhöhung der Transparenz im Markt und Begrenzung der Marktmacht einzelner Handelsteilnehmer waren Forderungen an die zuständigen Ministerien.

Auch die Mannheimer MVV Energie, ein Großer unter den Kleinen im Energiehandel, meldete sich damals zu Wort und sorgte Anfang 2002 mit einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz für Aufsehen.

E&M-Redakteur Andreas Kögler war damals dabei und fasste die Stimmen und Stimmungen zusammen.
 
In der Debatte um die Strompreisexplosion 2001/2002 spielten Kraftwerksdaten eine entscheidende Rolle
Quelle: Bewag

Rund 85 % der deutschen Erzeugungskapazitäten liegen in den Händen der RWE, Eon, EnBW und HEW. Vor diesem Hintergrund sprach MVV-Chef Roland Hartung bei einer Presskonferenz von einer „Vermachtung“ im Stromhandel. Die MVV wolle keines der genannten Unternehmen öffentlich der Preismanipulation verdächtigen, betonte Hartung. Allerdings seien die Turbulenzen, die die Spitzenpreise an den Strombörsen Mitte Dezember um mehr als 2.500 % nach oben katapultiert haben, nicht mehr mit ökonomischen Argumenten erklärbar, erläuterte Christoph Helle, Leiter des MVV-Bereichs Energiehandel und Energiewirtschaft.

Forderung nach Offenlegung der Kraftwerksdaten

Um eine solche Situation künftig zu verhindern, fordert die MVV klare politische Vorgaben, welche die Transparenz für die Marktteilnehmer erhöhen sollen. Vor allem sei es wichtig, sämtliche Erzeuger zu einer Offenlegung ihrer Kraftwerksdaten zu verpflichten. Damit stünden alle handelsrelevanten Daten sämtlichen Marktteilnehmern zur Verfügung. Diese Forderung sei keineswegs abwegig, argumentierte der norwegische MVV-Händler Einar Westre. In seiner skandinavischen Heimat gebe es im Stromhandel schon seit vielen Jahren eine große Transparenz, die sich bewährt habe. Würden die deutschen Unternehmen nicht begreifen, wie wichtig diese Transparenz sei, wären sie so dumm wie „eine Herde Schafe“, sagte der Norweger. Letztlich gehe es bei der Veröffentlichung der Daten nicht darum, sich das Geschäft kaputt machen zu lassen, betonte Hartung. Aber die Schaffung von Transparenz und die konsequente Trennung von Erzeugung, Netz und Handel seien zwingend für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf dem deutschen Strommarkt.
 
Bereits nach den Vorfällen an den Strombörsen im Dezember hatte sich die MVV nach eigenen Angaben an das Bundeskartellamt in Bonn gewandt, um eine Untersuchung durch die Behörde anzustrengen. Bislang gebe es nur Informationsgespräche mit den Wettbewerbshütern. Das weitere Vorgehen sei nun Sache des Kartellamts und der Verbände. Auf die Frage, ob die MVV mit gutem Beispiel voranginge und die eigenen Erzeugungsdaten veröffentlichen würde, wollte niemand beim Mannheimer Unternehmen offen antworten. „Wir möchten keinen Kreuzzug starten. Bevor nicht vom Gesetzgeber dies verpflichtend verlangt wird, werden wir uns nicht der Konkurrenz ausliefern“, sagte ein MVV-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, am Rande der Pressekonferenz.
 
Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück
 
Die indirekt beschuldigten Konzerne wiesen den Vorwurf der Preistreiberei zurück oder verweigerten eine Stellungnahme. Gert Maichel, Vorstandsvorsitzender der RWE Power AG in Essen, machte deutlich, dass es vor allem wegen der Kältewelle im Dezember zu den Preisspitzen gekommen war. Sein Unternehmen habe keinesfalls den Markt manipuliert. Allenfalls hätten einige unerfahrene Händler den Überblick verloren.
 
Auch von den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und deren Handelstochter Nordic Powerhouse wurden Vermutungen über eine Preisbeeinflussung zurückgewiesen. Wie ein HEW-Sprecher erklärte, habe der deutsche Stromhandelsmarkt Ende des vergangenen Jahres sehr unter der Enron-Krise gelitten. Durch den Ausfall des amerikanischen Handelsriesen habe Liquidität gefehlt und in Verbindung mit den niedrigen Temperaturen sei es zu einem Preishoch an den Börsen gekommen.
 
EnBW in Karlsruhe ließ verlauten, die Forderung nach einer politischen Aufsichtsinstanz sei ein Schritt zurück und würde den Wettbewerb nicht voranbringen. Zudem erschließe sich der Sinn und Zweck einer Offenlegung der Kraftwerkszustände nicht.
Gänzlich ohne offizielle Äußerung blieb die Eon Energie AG. Dort wollte man „nichts über etwas sagen, was andere gesagt haben“. Die deutsche Nummer 2 im Stromgeschäft hält sich bedeckt und kocht weiter ihr eigenes Süppchen.
 
Unterm Strich bleibt die Diskussion um den Stromhandel an sich. Aus dem Markt hört man immer wieder die Meinung, der börsliche Handel stecke noch in den Kinderschuhen, einige Unternehmen hätten die Marktmechanismen noch nicht verstanden oder die Strombörsen selbst seien noch nicht reif.
 
Bei den Netzzugangsentgelten versagt die Selbstregulierung
 
Dass die MVV mit ihrer Förderung nach politischen Konsequenzen ihre eigenen Verluste aus dem Preisdebakel relativieren möchte, halten einige Marktteilnehmer für wahrscheinlich. Mitunter drängt sich bei Gesprächen mit Chefhändlern der großen deutschen Handelsteilnehmer der Eindruck auf, diese halten viele Unternehmen, die in der ersten Liga des Stromhandels mitspielen wollen, noch für Amateure.
 
Aber woher kommt dann die funktionstüchtige Transparenz im skandinavischen Markt? MVV-Händler Einar Westre wurde auf der Pressekonferenz in Mannheim nicht müde zu betonen, wie wichtige Transparenz für den Wettbewerb sei. Das von der norwegischen Strombörse Nordpool praktizierte Modell des Handelsplatzes und Informationsdrehscheibe habe sich bewährt. Vor einigen Jahren habe es bei Nordpool eine vergleichbare Preisexplosion gegeben. Daraufhin hätten nsich die Marktteilnehmer im skandinavischen Raum geeinigt, sämtliche Kraftwerkszustände, Verbrauchsdaten und Netzkapazitäten über die Börse zu veröffentlichen. Diese Maßnahme habe der Preistreiberei einen Riegel vorgeschoben, sagte Westre und verwies auf die Gespräche mit dem Bundeskartellamt.
 
Dass die Wettbewerbshüter entschlossen reagieren können, zeigt sich an den eingeleiteten Verfahren gegen mehrere Unternehmen wegen überhöhter Netzzugangsentgelte. Bei diesem Punkt sind sich auch die Marktteilnehmer einig: Hier greift die Selbstregulierung offensichtlich nicht, so dass ein staatlicher Eingriff notwendig ist.

 

Samstag, 12.02.2022, 13:47 Uhr
Andreas Kögler und Fritz Wilhelm
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Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren
MVV ruft nach der Politik
Im Dezember 2001 war es an den Strombörsen zu bislang noch nie gesehenen Preissprüngen gekommen. Der Aufschrei darüber hallte Anfang 2002 noch durch den Markt.
Die Preissprünge an der Leipziger Strombörse LPX Mitte Dezember 2001 waren enorm: Der Market-Clearing-Preis war für einzelne gehandelte Stunden-Produkte auf etwa 1.000 Euro pro Megawattstunde geschossen. Teilweise stiegen die Preise um das 50-Fache. Das Phänomen war allerdings nicht nur an der LPX zu beobachten auch die Notierungen an der EEX in Frankfurt oder der Amsterdamer APX schienen außer Rand und Band zu sein.

Schnell machte das Gerücht von Preismanipulationen die Runde. Die Börsenbetreiber sahen sich mit viel haltloser Kritik von Kommentatoren konfrontiert, die außer Acht ließen, dass das Börsenunternehmen selbst nur Betreiber des jeweiligen Handelsplatzes ist und kein Interesse an einem hohen oder niedrigen Preisniveau, sondern lediglich an einem hohen Transaktionsvolumen hat. Es gab allerdings auch Stimmen, die die Wirksamkeit der innerbörslichen Handelsüberwachung und der Börsenaufsicht in den Wirtschaftsministerien des jeweiligen Bundeslandes in Frage stellten und schließlich nach der Politik riefen. Die Erhöhung der Transparenz im Markt und Begrenzung der Marktmacht einzelner Handelsteilnehmer waren Forderungen an die zuständigen Ministerien.

Auch die Mannheimer MVV Energie, ein Großer unter den Kleinen im Energiehandel, meldete sich damals zu Wort und sorgte Anfang 2002 mit einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz für Aufsehen.

E&M-Redakteur Andreas Kögler war damals dabei und fasste die Stimmen und Stimmungen zusammen.
 
In der Debatte um die Strompreisexplosion 2001/2002 spielten Kraftwerksdaten eine entscheidende Rolle
Quelle: Bewag

Rund 85 % der deutschen Erzeugungskapazitäten liegen in den Händen der RWE, Eon, EnBW und HEW. Vor diesem Hintergrund sprach MVV-Chef Roland Hartung bei einer Presskonferenz von einer „Vermachtung“ im Stromhandel. Die MVV wolle keines der genannten Unternehmen öffentlich der Preismanipulation verdächtigen, betonte Hartung. Allerdings seien die Turbulenzen, die die Spitzenpreise an den Strombörsen Mitte Dezember um mehr als 2.500 % nach oben katapultiert haben, nicht mehr mit ökonomischen Argumenten erklärbar, erläuterte Christoph Helle, Leiter des MVV-Bereichs Energiehandel und Energiewirtschaft.

Forderung nach Offenlegung der Kraftwerksdaten

Um eine solche Situation künftig zu verhindern, fordert die MVV klare politische Vorgaben, welche die Transparenz für die Marktteilnehmer erhöhen sollen. Vor allem sei es wichtig, sämtliche Erzeuger zu einer Offenlegung ihrer Kraftwerksdaten zu verpflichten. Damit stünden alle handelsrelevanten Daten sämtlichen Marktteilnehmern zur Verfügung. Diese Forderung sei keineswegs abwegig, argumentierte der norwegische MVV-Händler Einar Westre. In seiner skandinavischen Heimat gebe es im Stromhandel schon seit vielen Jahren eine große Transparenz, die sich bewährt habe. Würden die deutschen Unternehmen nicht begreifen, wie wichtig diese Transparenz sei, wären sie so dumm wie „eine Herde Schafe“, sagte der Norweger. Letztlich gehe es bei der Veröffentlichung der Daten nicht darum, sich das Geschäft kaputt machen zu lassen, betonte Hartung. Aber die Schaffung von Transparenz und die konsequente Trennung von Erzeugung, Netz und Handel seien zwingend für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf dem deutschen Strommarkt.
 
Bereits nach den Vorfällen an den Strombörsen im Dezember hatte sich die MVV nach eigenen Angaben an das Bundeskartellamt in Bonn gewandt, um eine Untersuchung durch die Behörde anzustrengen. Bislang gebe es nur Informationsgespräche mit den Wettbewerbshütern. Das weitere Vorgehen sei nun Sache des Kartellamts und der Verbände. Auf die Frage, ob die MVV mit gutem Beispiel voranginge und die eigenen Erzeugungsdaten veröffentlichen würde, wollte niemand beim Mannheimer Unternehmen offen antworten. „Wir möchten keinen Kreuzzug starten. Bevor nicht vom Gesetzgeber dies verpflichtend verlangt wird, werden wir uns nicht der Konkurrenz ausliefern“, sagte ein MVV-Vertreter, der nicht namentlich genannt werden wollte, am Rande der Pressekonferenz.
 
Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück
 
Die indirekt beschuldigten Konzerne wiesen den Vorwurf der Preistreiberei zurück oder verweigerten eine Stellungnahme. Gert Maichel, Vorstandsvorsitzender der RWE Power AG in Essen, machte deutlich, dass es vor allem wegen der Kältewelle im Dezember zu den Preisspitzen gekommen war. Sein Unternehmen habe keinesfalls den Markt manipuliert. Allenfalls hätten einige unerfahrene Händler den Überblick verloren.
 
Auch von den Hamburgischen Electricitäts-Werken (HEW) und deren Handelstochter Nordic Powerhouse wurden Vermutungen über eine Preisbeeinflussung zurückgewiesen. Wie ein HEW-Sprecher erklärte, habe der deutsche Stromhandelsmarkt Ende des vergangenen Jahres sehr unter der Enron-Krise gelitten. Durch den Ausfall des amerikanischen Handelsriesen habe Liquidität gefehlt und in Verbindung mit den niedrigen Temperaturen sei es zu einem Preishoch an den Börsen gekommen.
 
EnBW in Karlsruhe ließ verlauten, die Forderung nach einer politischen Aufsichtsinstanz sei ein Schritt zurück und würde den Wettbewerb nicht voranbringen. Zudem erschließe sich der Sinn und Zweck einer Offenlegung der Kraftwerkszustände nicht.
Gänzlich ohne offizielle Äußerung blieb die Eon Energie AG. Dort wollte man „nichts über etwas sagen, was andere gesagt haben“. Die deutsche Nummer 2 im Stromgeschäft hält sich bedeckt und kocht weiter ihr eigenes Süppchen.
 
Unterm Strich bleibt die Diskussion um den Stromhandel an sich. Aus dem Markt hört man immer wieder die Meinung, der börsliche Handel stecke noch in den Kinderschuhen, einige Unternehmen hätten die Marktmechanismen noch nicht verstanden oder die Strombörsen selbst seien noch nicht reif.
 
Bei den Netzzugangsentgelten versagt die Selbstregulierung
 
Dass die MVV mit ihrer Förderung nach politischen Konsequenzen ihre eigenen Verluste aus dem Preisdebakel relativieren möchte, halten einige Marktteilnehmer für wahrscheinlich. Mitunter drängt sich bei Gesprächen mit Chefhändlern der großen deutschen Handelsteilnehmer der Eindruck auf, diese halten viele Unternehmen, die in der ersten Liga des Stromhandels mitspielen wollen, noch für Amateure.
 
Aber woher kommt dann die funktionstüchtige Transparenz im skandinavischen Markt? MVV-Händler Einar Westre wurde auf der Pressekonferenz in Mannheim nicht müde zu betonen, wie wichtige Transparenz für den Wettbewerb sei. Das von der norwegischen Strombörse Nordpool praktizierte Modell des Handelsplatzes und Informationsdrehscheibe habe sich bewährt. Vor einigen Jahren habe es bei Nordpool eine vergleichbare Preisexplosion gegeben. Daraufhin hätten nsich die Marktteilnehmer im skandinavischen Raum geeinigt, sämtliche Kraftwerkszustände, Verbrauchsdaten und Netzkapazitäten über die Börse zu veröffentlichen. Diese Maßnahme habe der Preistreiberei einen Riegel vorgeschoben, sagte Westre und verwies auf die Gespräche mit dem Bundeskartellamt.
 
Dass die Wettbewerbshüter entschlossen reagieren können, zeigt sich an den eingeleiteten Verfahren gegen mehrere Unternehmen wegen überhöhter Netzzugangsentgelte. Bei diesem Punkt sind sich auch die Marktteilnehmer einig: Hier greift die Selbstregulierung offensichtlich nicht, so dass ein staatlicher Eingriff notwendig ist.

 

Samstag, 12.02.2022, 13:47 Uhr
Andreas Kögler und Fritz Wilhelm

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