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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Mit Vorsprung im Hintertreffen
Quelle: Fotolia / Oliver Boehmer - bluedesign
E&M Vor 20 Jahren

Mit Vorsprung im Hintertreffen

Im Oktober 2003 zeichnete sich ab, dass Deutschland wichtige Termine bei der Umsetzung der europäischen Emissionshandelsrichtlinie nicht einhalten kann.
Im Herbst vor 20 Jahren zerbrachen sich die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und die Marktteilnehmer über die Umsetzung der EU-Richtlinie zum CO2-Emissionshandel den Kopf. Wie sollen die dazu verpflichteten Anlagen erfasst werden? Wie ist überhaupt "Anlage" definiert? Nach welchem Verfahren sollen Zertifikate an Neuemittenten ausgegeben werden? Viele Fragen und noch keine Antworten damals. Und schließlich stand die Frage im Raum: Wie kann der neue Handelsmarkt liquide werden.
 
Banken könnten den Markt fast aus dem Stand antreiben, dachten damals viele. Aber wollen sie das überhaupt - angesichts unsicherer Rahmenbedingungen, etwa offener Fragen zum Wertpapiercharakter der Zertifikate und zur Genehmigungspflicht des Handels nach dem Kreditwesengesetz und bisher unbekannter Handelspartner? Erst wenn der Markt in Gang gekommen ist, werden die Finanzdienstleister ihre Wartestellung verlassen, war am Ende die einhellige Meinung von Beratern und den Händlern in den Banken selbst.
 
Aber der Markt musste erst einmal geschaffen werden. Den Weg dorthin begleitet damals E&M-Redakteur Fritz Wilhelm.
 
Kein anderes Land sei in der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Emissionshandel so weit wie die Bundesrepublik, ist damals aus dem Bundesumweltministerium (BMU) zu hören. Trotz des Vorsprungs läuft die Bundesregierung hinterher.
 
Bis zum 31. Dezember 2003 sollte das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) in trockenen Tüchern sein. Es wird jedoch nicht fristgerecht möglich sein, die Vorgaben der EU-Richtlinie über ein gemeinschaftliches System zum Handel mit Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in nationale Normen zu gießen. Fachleute vermuten dies schon seit einiger Zeit. Und auch in einer Kabinettvorlage des BMU vom Juni dieses Jahres, die Energie & Management vorliegt, hieß es bereits explizit, angesichts der vielfältigen von Brüssel auferlegten Aufgaben, der Vielzahl der betroffenen Anlagen, der weitreichenden Konsequenzen der nationalen Allokationsentscheidung und einiger erst zum Jahresende 2003 angekündigten Präzisierungen durch die Kommission sei der Zeitplan für die nationale Umsetzung der Richtlinie „äußerst knapp bemessen“.
 
Derzeit wird der Entwurf eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG) aus dem Hause Trittin im Bundeswirtschaftsministerium geprüft. Nachdem immer wieder unterschiedliche Auffassungen beider Ressorts zu grundsätzlichen Fragen an die Öffentlichkeit gelangt sind, kann man davon ausgehen, dass der Abstimmungsprozess nicht ganz reibungslos ablaufen wird.
 
Da das Gesetz mit seinem Bezug zur Luftreinerhaltung nach Artikel 74 Absatz 1 des Grundgesetzes in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und der Länder fällt, ist es auch zustimmungspflichtig. Die Mühle des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens dürfte also ihr Übriges dazu tun, dass die Zeit den Verantwortlichen wie Staub zwischen den Fingern zerrinnt.
 
So könnte die Situation eintreten, dass das TEHG als nationale Rechtsgrundlage für den Allokationsplan noch gar nicht verabschiedet ist, bis dieser zum 31. März 2004 der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt werden muss. Altgediente Ministerialbeamte werden jedoch vermutlich genügend Erfahrung im Termin-Krisenmanagement haben, um so etwas wie beispielsweise einen „vorläufig endgültigen“ Allokationsplan in Brüssel einzureichen, solange im eigenen Land noch nicht alles juristisch einwandfrei festgezurrt ist.

Franzjosef Schafhausen, Leiter der Arbeitsgruppe „Nationales Klimaschutzprogramm, Umwelt und Energie“ beim BMU, wies jüngst bei einem Euroforum-Seminar zum Emissionshandel jedoch ausdrücklich darauf hin, dass Deutschland bei der nationalen Umsetzung den anderen betroffenen Staaten immer noch weit voraus sei. Großbritannien beispielsweise sei derzeit auf einem Stand, den die Bundesrepublik bereits vor vier Monaten erreicht hatte. Nicht ohne Stolz merkte Schafhausen dann auch an, er werde immer wieder „wie ein Honigtopf“ bei Treffen in Brüssel von seinen Kollegen umschwärmt, die Informationen über die Entwicklung in Deutschland gierig aufsögen. Somit stünden aber auch die Chancen sehr gut, deutsche Interessen auf europäischer Ebene weitgehend berücksichtigt zu finden.
 
Derweil wird hierzulande mit Hochdruck auf allen Ebenen an der Entwicklung des nationalen Allokationsplans gearbeitet. Auf höchster Stufe diskutiert eine „hochrangige Arbeitsgruppe“ über Detailfragen. Neben den beiden Staatssekretären Baake und Adamowitsch aus dem Bundesumwelt- bzw. –wirtschaftsministerium gehören diesem Gremium noch 26 Unternehmens- und Verbandsvorstände an.

Umweltverbände, die sich mit Pressemitteilungen zu Wort gemeldet und beklagt hatten, wenn die Wirtschaft alleine über den Klimaschutz berate, werde „der Bock zum Gärtner gemacht“, sollen nach Auskunft des BMU allerdings nicht zu den Gesprächen hinzugezogen werden.
 
Über einige wesentliche Punkte brauchen sich die Herren nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. So zum Beispiel: Grundlage der Erstallokation von Emissionsrechten ist die Minderungszusage Deutschlands von 21 Prozent im Rahmen des EU-Burden-Sharings, die auf nationaler Ebene durch die Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft (KWK-Vereinbarung) – die entsprechenden Branchen sind vom Emissionshandel betroffen – konkretisiert wird. Hier stehen 45 Mio. Tonnen CO2-Reduktion bis 2010 gegenüber 1998 im Raum.

Als Basisperiode wird der Zeitraum zwischen 2000 und 2002 herangezogen. Die Zuteilung der Emissionszertifikate erfolgt sowohl für die Handelsperiode 2005 bis 2008 als auch für den Zeitraum 2008 bis 2012 kostenlos. In der zweiten Periode könnten neben das sogenannte Grandfathering zusätzlich auch noch Benchmark-Kriterien treten. Early Actions werden berücksichtigt. Allerdings sollen die dafür notwendigen Zertifikate nach dem Willen des BMU grundsätzlich aus dem Gesamttopf der jeweiligen Branche geschöpft werden. Hinsichtlich der Emissionsgenehmigungen und der Berichterstattung über die Emissionen werden die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) als Grundlage dienen.
 
Parallel zur Entwicklung des Allokationsplans sowie des TEHG und der dazugehörenden Rechtsverordnungen läuft derzeit die Erfassung der Emissionsdaten durch die Landes-Immissionsschutzbehörden, die dort auf Plausibilität geprüft und dann an das BMU gemeldet werden. Trotz der Zahl von etwa 6.000 betroffenen Anlagen soll dieser Prozess pünktlich Ende Dezember abgeschlossen sein und das Mengengerüst für die Zertifikatezuteilung dann stehen.
 

Freitag, 6.10.2023, 17:16 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Mit Vorsprung im Hintertreffen
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E&M Vor 20 Jahren
Mit Vorsprung im Hintertreffen
Im Oktober 2003 zeichnete sich ab, dass Deutschland wichtige Termine bei der Umsetzung der europäischen Emissionshandelsrichtlinie nicht einhalten kann.
Im Herbst vor 20 Jahren zerbrachen sich die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und die Marktteilnehmer über die Umsetzung der EU-Richtlinie zum CO2-Emissionshandel den Kopf. Wie sollen die dazu verpflichteten Anlagen erfasst werden? Wie ist überhaupt "Anlage" definiert? Nach welchem Verfahren sollen Zertifikate an Neuemittenten ausgegeben werden? Viele Fragen und noch keine Antworten damals. Und schließlich stand die Frage im Raum: Wie kann der neue Handelsmarkt liquide werden.
 
Banken könnten den Markt fast aus dem Stand antreiben, dachten damals viele. Aber wollen sie das überhaupt - angesichts unsicherer Rahmenbedingungen, etwa offener Fragen zum Wertpapiercharakter der Zertifikate und zur Genehmigungspflicht des Handels nach dem Kreditwesengesetz und bisher unbekannter Handelspartner? Erst wenn der Markt in Gang gekommen ist, werden die Finanzdienstleister ihre Wartestellung verlassen, war am Ende die einhellige Meinung von Beratern und den Händlern in den Banken selbst.
 
Aber der Markt musste erst einmal geschaffen werden. Den Weg dorthin begleitet damals E&M-Redakteur Fritz Wilhelm.
 
Kein anderes Land sei in der Umsetzung der EU-Richtlinie zum Emissionshandel so weit wie die Bundesrepublik, ist damals aus dem Bundesumweltministerium (BMU) zu hören. Trotz des Vorsprungs läuft die Bundesregierung hinterher.
 
Bis zum 31. Dezember 2003 sollte das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) in trockenen Tüchern sein. Es wird jedoch nicht fristgerecht möglich sein, die Vorgaben der EU-Richtlinie über ein gemeinschaftliches System zum Handel mit Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in nationale Normen zu gießen. Fachleute vermuten dies schon seit einiger Zeit. Und auch in einer Kabinettvorlage des BMU vom Juni dieses Jahres, die Energie & Management vorliegt, hieß es bereits explizit, angesichts der vielfältigen von Brüssel auferlegten Aufgaben, der Vielzahl der betroffenen Anlagen, der weitreichenden Konsequenzen der nationalen Allokationsentscheidung und einiger erst zum Jahresende 2003 angekündigten Präzisierungen durch die Kommission sei der Zeitplan für die nationale Umsetzung der Richtlinie „äußerst knapp bemessen“.
 
Derzeit wird der Entwurf eines Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes (TEHG) aus dem Hause Trittin im Bundeswirtschaftsministerium geprüft. Nachdem immer wieder unterschiedliche Auffassungen beider Ressorts zu grundsätzlichen Fragen an die Öffentlichkeit gelangt sind, kann man davon ausgehen, dass der Abstimmungsprozess nicht ganz reibungslos ablaufen wird.
 
Da das Gesetz mit seinem Bezug zur Luftreinerhaltung nach Artikel 74 Absatz 1 des Grundgesetzes in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und der Länder fällt, ist es auch zustimmungspflichtig. Die Mühle des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens dürfte also ihr Übriges dazu tun, dass die Zeit den Verantwortlichen wie Staub zwischen den Fingern zerrinnt.
 
So könnte die Situation eintreten, dass das TEHG als nationale Rechtsgrundlage für den Allokationsplan noch gar nicht verabschiedet ist, bis dieser zum 31. März 2004 der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt werden muss. Altgediente Ministerialbeamte werden jedoch vermutlich genügend Erfahrung im Termin-Krisenmanagement haben, um so etwas wie beispielsweise einen „vorläufig endgültigen“ Allokationsplan in Brüssel einzureichen, solange im eigenen Land noch nicht alles juristisch einwandfrei festgezurrt ist.

Franzjosef Schafhausen, Leiter der Arbeitsgruppe „Nationales Klimaschutzprogramm, Umwelt und Energie“ beim BMU, wies jüngst bei einem Euroforum-Seminar zum Emissionshandel jedoch ausdrücklich darauf hin, dass Deutschland bei der nationalen Umsetzung den anderen betroffenen Staaten immer noch weit voraus sei. Großbritannien beispielsweise sei derzeit auf einem Stand, den die Bundesrepublik bereits vor vier Monaten erreicht hatte. Nicht ohne Stolz merkte Schafhausen dann auch an, er werde immer wieder „wie ein Honigtopf“ bei Treffen in Brüssel von seinen Kollegen umschwärmt, die Informationen über die Entwicklung in Deutschland gierig aufsögen. Somit stünden aber auch die Chancen sehr gut, deutsche Interessen auf europäischer Ebene weitgehend berücksichtigt zu finden.
 
Derweil wird hierzulande mit Hochdruck auf allen Ebenen an der Entwicklung des nationalen Allokationsplans gearbeitet. Auf höchster Stufe diskutiert eine „hochrangige Arbeitsgruppe“ über Detailfragen. Neben den beiden Staatssekretären Baake und Adamowitsch aus dem Bundesumwelt- bzw. –wirtschaftsministerium gehören diesem Gremium noch 26 Unternehmens- und Verbandsvorstände an.

Umweltverbände, die sich mit Pressemitteilungen zu Wort gemeldet und beklagt hatten, wenn die Wirtschaft alleine über den Klimaschutz berate, werde „der Bock zum Gärtner gemacht“, sollen nach Auskunft des BMU allerdings nicht zu den Gesprächen hinzugezogen werden.
 
Über einige wesentliche Punkte brauchen sich die Herren nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. So zum Beispiel: Grundlage der Erstallokation von Emissionsrechten ist die Minderungszusage Deutschlands von 21 Prozent im Rahmen des EU-Burden-Sharings, die auf nationaler Ebene durch die Selbstverpflichtungserklärung der deutschen Wirtschaft (KWK-Vereinbarung) – die entsprechenden Branchen sind vom Emissionshandel betroffen – konkretisiert wird. Hier stehen 45 Mio. Tonnen CO2-Reduktion bis 2010 gegenüber 1998 im Raum.

Als Basisperiode wird der Zeitraum zwischen 2000 und 2002 herangezogen. Die Zuteilung der Emissionszertifikate erfolgt sowohl für die Handelsperiode 2005 bis 2008 als auch für den Zeitraum 2008 bis 2012 kostenlos. In der zweiten Periode könnten neben das sogenannte Grandfathering zusätzlich auch noch Benchmark-Kriterien treten. Early Actions werden berücksichtigt. Allerdings sollen die dafür notwendigen Zertifikate nach dem Willen des BMU grundsätzlich aus dem Gesamttopf der jeweiligen Branche geschöpft werden. Hinsichtlich der Emissionsgenehmigungen und der Berichterstattung über die Emissionen werden die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) als Grundlage dienen.
 
Parallel zur Entwicklung des Allokationsplans sowie des TEHG und der dazugehörenden Rechtsverordnungen läuft derzeit die Erfassung der Emissionsdaten durch die Landes-Immissionsschutzbehörden, die dort auf Plausibilität geprüft und dann an das BMU gemeldet werden. Trotz der Zahl von etwa 6.000 betroffenen Anlagen soll dieser Prozess pünktlich Ende Dezember abgeschlossen sein und das Mengengerüst für die Zertifikatezuteilung dann stehen.
 

Freitag, 6.10.2023, 17:16 Uhr
Fritz Wilhelm

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