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Berater

"Marktkompetenz im Haus zu haben ist essenziell"

Der langfristige Strompreis steigt seit fast einem Jahr. Die Gründe dafür und was nun zu tun ist, weiß Sabine Siebald von Fichtner Management Consulting im Gespräch mit E&M.
Das Kalenderjahr Strom an den Großhandelsmärkten ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nach dem Einbruch im Zuge des ersten Lockdowns im März vergangenen Jahres kennt der Strompreis nur eine Richtung: nach oben. Für Handelsexpertin Sabine Siebald von Fichtner Management Consulting ist das keine Überraschung. „Meine Erfahrung zeigt, dass Trends im Strommarkt in der Regel länger dauern“, sagt sie und kann das begründen. Einiges hat mit der vorgegebenen Strategie für die Beschaffer zu tun, das andere mit Psychologie.

„Steigende Preise haben etwas mit Erwartungen zu tun. Jeder versucht sich einzudecken. Das steigert wiederum die Nachfrage und treibt somit den Preis nach oben.“ Gleiches gelte für die andere Richtung. Wenn der Preis sinkt, warten die Marktteilnehmer ab, die Nachfrage geht zurück, ebenso der Preis. „So sind mittlerweile auch die Beschaffungsstrategien in den Unternehmen ausgelegt“, sagt Siebald. Kaufen bei steigenden Preisen, warten bei sinkenden Preisen.

Der Corona-Schock währte nur kurz

Auch der kurzzeitige Absturz des Strompreises während des ersten Lockdowns war nachvollziehbar. „Ja, wir hatten einen Kurzzeitschock durch Corona. Der erste Lockdown brachte große Unsicherheit, auch für den Strommarkt“, meint die Beraterin. Aber Preisschocks träten immer wieder auf − aus ganz unterschiedlichen Gründen. „Dann sackt der Preis beispielsweise um fünf Euro ab, erholt sich typischerweise aber relativ fix wieder.“ Das war auch im März 2020 so.

Die Bildung des Strompreises an den Börsen ist mittlerweile stark abhängig vom CO2-Preis. Die Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken müssen den CO2-Ausstoß über Zertifikate abgelten, die Kosten dafür werden in den Strompreis einkalkuliert. Der CO2-Preis an den europäischen Börsen erreichte in den vergangenen Monaten ebenfalls neue Höchststände. Auch hier haben laut Siebald die Erwartungen der Marktteilnehmer einen großen Einfluss auf die Preisbildung.

Beim CO2-Preis kommt dabei der Komponente „Politik“ eine erhebliche Rolle zu. Die Gesellschaft hat den Anspruch formuliert, nachhaltiger zu werden. Auf EU-Ebene wurde die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kohleverstromung getroffen, weltweit haben es sich Unternehmen auf die Fahnen geschrieben, nachhaltiger zu werden. Die Politik will diesen Anspruch umsetzen und setzt dabei auf den CO2-Handel.

Siebald: „Das heißt, auch der CO2-Preis ist von Erwartungen getrieben.“ Die Akteure gehen davon aus, dass CO2-Zertifikate ein immer knapper werdendes Gut werden. Viele Marktteilnehmer erwarten, dass die Politik den CO2-Preis in Zukunft noch stärker als Steuerungsinstrument nutzen wird, man erkennt keinen Grund für eine Trendumkehr. Händler, aus der Branche und vermutlich auch branchenfremde, setzen auf weiter steigende Preise, kaufen Zertifikate und treiben den Preis.

Eine andere Komponente ist der Einfluss der erneuerbaren Energien auf den Strompreis. Früher seien die Strompreise in der Regel nachfrageinduziert gewesen, so Siebald. Das bedeutete, bei einer hohen Nachfrage waren auch die Preise hoch. Durch die erneuerbaren Energien hat sich das verändert. Das zeigen die niedrigen Strompreise am frühen Nachmittag, die sogenannte „Badewanne“, und die Tatsache, dass bei hohem Windaufkommen im kurzfristigen Bereich mittlerweile regelmäßig negative Strompreise auftreten. Die Volatilität bei der Erzeugung und somit bei der Preisbildung am kurzfristigen Spotmarkt wird weiter zunehmen. Die Preisstruktur am Kurzfristmarkt wird vorwiegend durch PV und Windproduktion geprägt.

Es sei rational, dass sich die Unternehmen gegen kurzzeitige Preisextreme ebenso wie gegen mögliche Preistrends auf dem Markt absichern. „Es gibt eine hohe Risikoaversion“, so Siebald. Am Terminmarkt würde deshalb auch mittelfristig die höheren Preise akzeptiert. Die Unternehmen erwarten nicht, „dass sie im nächsten Jahr wieder unten sind“.

Die Arbeit des Dienstleisters verstehen und beurteilen

Was sollen Stadtwerke nun machen? Prinzipiell befürwortet Siebald, wenn sich Stadtwerke aktiv um die Beschaffung ihrer Commodities kümmern. „Marktkompetenz im Haus zu haben ist nach meiner Auffassung essenziell, auch weil am Ende ich als Unternehmen das Gesicht zum Kunden bin.“ Die Beurteilung und Einschätzung sieht der Kunde beim Versorger − auch, wenn dieser bei gewissen Aufgaben auf spezialisierte externe Dienstleister zurückgreift. Jedoch müssen die Verantwortlichen im Stadtwerk auch die Arbeit des Dienstleisters verstehen und beurteilen können.

Die Einbindung von Dienstleistern kann für eine Aufgabe mit wenig Differenzierungsmöglichkeit gegenüber dem Kunden und hohen Skaleneffekten grundsätzlich sinnvoll sein. Denn nicht alle Kompetenzen für Handel und Beschaffung können im Hause vereinigt sein, Standardaufgaben verschlingen wertvolle Mitarbeiterkapazitäten, die erforderliche IT-Ausstattung ist teuer und muss kontinuierlich an neue Anforderungen angepasst werden. „Es ist daher anzuraten, es in die Hände von denen zu geben, die Skaleneffekte erzielen können.“ Der Markt sei dabei vielfältig und nicht alle Dienstleistungen seien mit einem großen Preisschild versehen. Man könne sich unter anderem bei Handelsplattformen wie Trianel, Südweststrom oder Syneco bedienen.

Was Handel und Beschaffung mittelfristig verändern wird, ist die Digitalisierung. Der automatisierte Handel, kurz Algotrading, ist auf dem Vormarsch; vor allem beim Handel im kurzfristigen Bereich ist er schon zum wichtigen Faktor geworden. „Bei der Vermarktung von Erzeugung im Intradayhandel und besonders, wenn 24/7 gehandelt wird, ist Algotrading bereits heute beinahe Standard, um die Händler von Routineaufgaben zu entlasten“, bestätigt Siebald.

Algotrading sei gut geeignet, wenn die dahinterstehenden Algorithmen Muster abarbeiten − „beispielsweise ob die Prognose des Erzeugungsfahrplans noch passt, wenn gerade große Wolken über meinen PV-Parks aufziehen“. Gleichwohl sollte ein Unternehmen, das kein Energiehändler ist, beim Stichwort Digitalisierung eher nicht an Algotrading denken. Auch hier spricht vieles dafür, diese Aufgabe an einen Partner mit großen „Datenmengen“ zu geben.

Was Siebald generell empfiehlt − und das gilt nicht nur für Handel und Beschaffung −, ist, auch in turbulenten Zeiten an der festgelegten Strategie festzuhalten. „Es ist meistens vorteilhaft, sich an den Plan zu halten, den man in einer ruhigen Minute zusammen mit kompetenten Sparringspartnern entwickelt hat.“ Natürlich dürfen Strategien nicht in Stein gemeißelt sein. Es müsse immer wieder geprüft werden, ob die Grundannahmen von damals noch in die Welt von heute passen.

Als Beraterin habe sie allerdings genügend sogenannte Notmaßnahmen in Unternehmen gesehen. „Im Nachgang kann ich sagen, dass sich die Abweichung vom Plan selten als vorteilhaft herausgestellt hat.“

 
Sabine Siebald
Bild: Fichtner Consulting


 

Mittwoch, 26.05.2021, 09:31 Uhr
Stefan Sagmeister
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"Marktkompetenz im Haus zu haben ist essenziell"
Der langfristige Strompreis steigt seit fast einem Jahr. Die Gründe dafür und was nun zu tun ist, weiß Sabine Siebald von Fichtner Management Consulting im Gespräch mit E&M.
Das Kalenderjahr Strom an den Großhandelsmärkten ist so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Nach dem Einbruch im Zuge des ersten Lockdowns im März vergangenen Jahres kennt der Strompreis nur eine Richtung: nach oben. Für Handelsexpertin Sabine Siebald von Fichtner Management Consulting ist das keine Überraschung. „Meine Erfahrung zeigt, dass Trends im Strommarkt in der Regel länger dauern“, sagt sie und kann das begründen. Einiges hat mit der vorgegebenen Strategie für die Beschaffer zu tun, das andere mit Psychologie.

„Steigende Preise haben etwas mit Erwartungen zu tun. Jeder versucht sich einzudecken. Das steigert wiederum die Nachfrage und treibt somit den Preis nach oben.“ Gleiches gelte für die andere Richtung. Wenn der Preis sinkt, warten die Marktteilnehmer ab, die Nachfrage geht zurück, ebenso der Preis. „So sind mittlerweile auch die Beschaffungsstrategien in den Unternehmen ausgelegt“, sagt Siebald. Kaufen bei steigenden Preisen, warten bei sinkenden Preisen.

Der Corona-Schock währte nur kurz

Auch der kurzzeitige Absturz des Strompreises während des ersten Lockdowns war nachvollziehbar. „Ja, wir hatten einen Kurzzeitschock durch Corona. Der erste Lockdown brachte große Unsicherheit, auch für den Strommarkt“, meint die Beraterin. Aber Preisschocks träten immer wieder auf − aus ganz unterschiedlichen Gründen. „Dann sackt der Preis beispielsweise um fünf Euro ab, erholt sich typischerweise aber relativ fix wieder.“ Das war auch im März 2020 so.

Die Bildung des Strompreises an den Börsen ist mittlerweile stark abhängig vom CO2-Preis. Die Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken müssen den CO2-Ausstoß über Zertifikate abgelten, die Kosten dafür werden in den Strompreis einkalkuliert. Der CO2-Preis an den europäischen Börsen erreichte in den vergangenen Monaten ebenfalls neue Höchststände. Auch hier haben laut Siebald die Erwartungen der Marktteilnehmer einen großen Einfluss auf die Preisbildung.

Beim CO2-Preis kommt dabei der Komponente „Politik“ eine erhebliche Rolle zu. Die Gesellschaft hat den Anspruch formuliert, nachhaltiger zu werden. Auf EU-Ebene wurde die Entscheidung zum Ausstieg aus der Kohleverstromung getroffen, weltweit haben es sich Unternehmen auf die Fahnen geschrieben, nachhaltiger zu werden. Die Politik will diesen Anspruch umsetzen und setzt dabei auf den CO2-Handel.

Siebald: „Das heißt, auch der CO2-Preis ist von Erwartungen getrieben.“ Die Akteure gehen davon aus, dass CO2-Zertifikate ein immer knapper werdendes Gut werden. Viele Marktteilnehmer erwarten, dass die Politik den CO2-Preis in Zukunft noch stärker als Steuerungsinstrument nutzen wird, man erkennt keinen Grund für eine Trendumkehr. Händler, aus der Branche und vermutlich auch branchenfremde, setzen auf weiter steigende Preise, kaufen Zertifikate und treiben den Preis.

Eine andere Komponente ist der Einfluss der erneuerbaren Energien auf den Strompreis. Früher seien die Strompreise in der Regel nachfrageinduziert gewesen, so Siebald. Das bedeutete, bei einer hohen Nachfrage waren auch die Preise hoch. Durch die erneuerbaren Energien hat sich das verändert. Das zeigen die niedrigen Strompreise am frühen Nachmittag, die sogenannte „Badewanne“, und die Tatsache, dass bei hohem Windaufkommen im kurzfristigen Bereich mittlerweile regelmäßig negative Strompreise auftreten. Die Volatilität bei der Erzeugung und somit bei der Preisbildung am kurzfristigen Spotmarkt wird weiter zunehmen. Die Preisstruktur am Kurzfristmarkt wird vorwiegend durch PV und Windproduktion geprägt.

Es sei rational, dass sich die Unternehmen gegen kurzzeitige Preisextreme ebenso wie gegen mögliche Preistrends auf dem Markt absichern. „Es gibt eine hohe Risikoaversion“, so Siebald. Am Terminmarkt würde deshalb auch mittelfristig die höheren Preise akzeptiert. Die Unternehmen erwarten nicht, „dass sie im nächsten Jahr wieder unten sind“.

Die Arbeit des Dienstleisters verstehen und beurteilen

Was sollen Stadtwerke nun machen? Prinzipiell befürwortet Siebald, wenn sich Stadtwerke aktiv um die Beschaffung ihrer Commodities kümmern. „Marktkompetenz im Haus zu haben ist nach meiner Auffassung essenziell, auch weil am Ende ich als Unternehmen das Gesicht zum Kunden bin.“ Die Beurteilung und Einschätzung sieht der Kunde beim Versorger − auch, wenn dieser bei gewissen Aufgaben auf spezialisierte externe Dienstleister zurückgreift. Jedoch müssen die Verantwortlichen im Stadtwerk auch die Arbeit des Dienstleisters verstehen und beurteilen können.

Die Einbindung von Dienstleistern kann für eine Aufgabe mit wenig Differenzierungsmöglichkeit gegenüber dem Kunden und hohen Skaleneffekten grundsätzlich sinnvoll sein. Denn nicht alle Kompetenzen für Handel und Beschaffung können im Hause vereinigt sein, Standardaufgaben verschlingen wertvolle Mitarbeiterkapazitäten, die erforderliche IT-Ausstattung ist teuer und muss kontinuierlich an neue Anforderungen angepasst werden. „Es ist daher anzuraten, es in die Hände von denen zu geben, die Skaleneffekte erzielen können.“ Der Markt sei dabei vielfältig und nicht alle Dienstleistungen seien mit einem großen Preisschild versehen. Man könne sich unter anderem bei Handelsplattformen wie Trianel, Südweststrom oder Syneco bedienen.

Was Handel und Beschaffung mittelfristig verändern wird, ist die Digitalisierung. Der automatisierte Handel, kurz Algotrading, ist auf dem Vormarsch; vor allem beim Handel im kurzfristigen Bereich ist er schon zum wichtigen Faktor geworden. „Bei der Vermarktung von Erzeugung im Intradayhandel und besonders, wenn 24/7 gehandelt wird, ist Algotrading bereits heute beinahe Standard, um die Händler von Routineaufgaben zu entlasten“, bestätigt Siebald.

Algotrading sei gut geeignet, wenn die dahinterstehenden Algorithmen Muster abarbeiten − „beispielsweise ob die Prognose des Erzeugungsfahrplans noch passt, wenn gerade große Wolken über meinen PV-Parks aufziehen“. Gleichwohl sollte ein Unternehmen, das kein Energiehändler ist, beim Stichwort Digitalisierung eher nicht an Algotrading denken. Auch hier spricht vieles dafür, diese Aufgabe an einen Partner mit großen „Datenmengen“ zu geben.

Was Siebald generell empfiehlt − und das gilt nicht nur für Handel und Beschaffung −, ist, auch in turbulenten Zeiten an der festgelegten Strategie festzuhalten. „Es ist meistens vorteilhaft, sich an den Plan zu halten, den man in einer ruhigen Minute zusammen mit kompetenten Sparringspartnern entwickelt hat.“ Natürlich dürfen Strategien nicht in Stein gemeißelt sein. Es müsse immer wieder geprüft werden, ob die Grundannahmen von damals noch in die Welt von heute passen.

Als Beraterin habe sie allerdings genügend sogenannte Notmaßnahmen in Unternehmen gesehen. „Im Nachgang kann ich sagen, dass sich die Abweichung vom Plan selten als vorteilhaft herausgestellt hat.“

 
Sabine Siebald
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Mittwoch, 26.05.2021, 09:31 Uhr
Stefan Sagmeister

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