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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Lieferketten im Stresstest
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Lieferketten im Stresstest

Pandemie und Ukraine-Krieg sind nicht die einzigen Faktoren, die die globalen Lieferketten belasten. Wie Energieunternehmen und Verbände reagieren.
„Der Markt ist in vielen Bereichen einfach leergefegt“, sagt Christoph Ledl, „und Deutschland ist halt nur ein Mosaiksteinchen von vielen Akteuren auf den Weltmärkten.“ Der Einkaufsleiter der Stadtwerke München (SWM) klingt nicht einmal resigniert, als er das sagt. Dass es in vielen Produktgruppen und auf allen Stufen der globalen Lieferketten zu Schwierigkeiten kommt, damit haben sie sich in München abgefunden. Und Strategien entwickelt, den Problemen zu begegnen.

Die Weltmärkte im Energiesektor stehen unter Druck. Ein Grund: der Strukturwandel mit dem großen Ziel der Dekarbonisierung. Um das globale Netto-Null-Emissionsszenario bis 2050 zu verwirklichen, rechnet die Internationale Energieagentur IEA in ihrem aktuellen Report „Energy Technology Perspectives 2023“ vor, müsste sich allein die globale Produktion von Elektroautos bis 2030 versechsfachen. Und damit auch die Batteriezellenproduktion, für die unter anderem Graphit, Silikon, Lithium, Nickel, Kobalt, Kupfer und Mangan benötigt werden.

Rohstoffe, die auch für die Produktion von Windturbinen und Solarpaneelen benötigt werden, die aber in nennenswertem Umfang nur wenige Ländern fördern. So findet 70 Prozent der weltweiten Kobaltförderung in der Demokratischen Republik Kongo statt, 90 Prozent der globalen Lithiumförderung verteilen sich auf gerade einmal drei Länder. Hinzu kommt: Auch in der Fertigung finden 70 Prozent der globalen Massenproduktion von Windturbinen und Solarpanelen, Batterien, Elektrolyseuren und Wärmepumpen in nur drei Ländern statt − angeführt von China.

Lieferzeiten, Preissteigerungen, weniger Wettbewerb

Dass solche Konstellationen problematisch sind, haben nicht zuletzt Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg eindringlich gezeigt. Eine Ballung an jedwedem Punkt einer Lieferkette, schreibt die IEA, macht die gesamte Kette anfällig für Störungen:

durch politische oder unternehmerische Entscheidungen, durch Naturkatastrophen oder technisches Versagen. So trifft eine enorm gestiegene Nachfrage derzeit in vielen Bereichen auf eine begrenzte Zahl von Anbietern, die häufig nur eingeschränkt lieferfähig sind. Christoph Ledl merkt dies besonders im Fall von Solarpaneelen und Wallboxen. „Die sind gerade sehr schwer am Markt zu haben, sodass wir Verzögerungen in unseren Ausbauoffensiven haben. Wir bekommen das Material, aber wir und somit auch der Endkunde müssen länger warten.“

Mit rund 4.000 Lieferanten arbeiten die Münchner Stadtwerke zusammen, die meisten davon, so Ledl, stammen aus Deutschland oder dem nahen europäischen Ausland. Die Vorketten dieser Partner seien durch Pandemie und Krieg teilweise massiv beeinflusst.

Mit Folgen für die Stadtwerke: Rund 200 Kilometer Rohre und Leitungen verlegen die Münchner pro Jahr, erzählt Andreas Mattivi, Leiter Planung und Bau bei den SWM. Hinzu kommt die Erneuerung von Umspannwerken. Und dann bauen die SWM derzeit auch noch Europas größte Fernkältezentrale: „Wenn da Verzögerungen aufgrund fehlender Materialien oder Vorleistungen dazukommen, wird ein Projekt finanziell sehr schnell unübersichtlich. Deshalb ist ein professionelles Projektmanagement unabdingbar, um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern.“

Neben den längeren Lieferzeiten, so Mattivi, beobachte man außerdem den Wegfall von Lieferanten und Preisanstiege bis zu 250 Prozent. „Gleichzeitig gibt es deutlich weniger Interessenten für Ausschreibungen. Zum Teil finden wir nur noch einen Anbieter für spezifische Anlagenklassen. Damit ist eigentlich kein Preiswettbewerb mehr möglich.“ Projektabläufe seien nicht mehr gut planbar, Kundenanforderungen gerecht zu werden sei schwieriger: „Gerade die großen Industriekunden bestellen ja ihre Kundenanschlüsse nicht zehn Jahre im Voraus, sondern haben ein Bauprojekt, das in anderthalb Jahren bezogen werden soll. Bei großen Quartierskonzepten ist das eine echte Herausforderung, weil wir das Material gar nicht so schnell bekommen.“

Die SWM setzen daher auf verstärkte Lagerhaltung, insbesondere bei Kabeln und anderen Materialien, an denen ständig hoher Bedarf besteht. Auch für Vertragspartner stelle man Material zur Verfügung, um die Beschaffung bündeln zu können. Vor allem aber bemühten sie sich darum, Partner langfristig zu binden, so Einkaufsleiter Ledl. Durch verbindliche und langfristige Rahmenverträge und durch Auftragsvergabe im Konvoi. „So können alle Parteien im gesamten Wertschöpfungsstrang auch tatsächlich verbindlich planen, sich ausrichten und organisieren. Das führt schon etwas zu Beruhigung.“

Re-Regionalisierung als Lösung?

Auch der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) berichtet, dass die Unternehmen der Branche auf die Lieferengpässe mit einer Anpassung der Lagerhaltung reagiert hätten. Eine Strategie, die angesichts stark schwankender Preise und begrenzter Liquidität im Mittelstand aber an ihre Grenzen stoße. Langfristig will sich der Verband daher ganz aus der Lieferabhängigkeit vom Ausland lösen. Das Ziel: die Stärkung der solaren Wertschöpfungskette in Europa. Ein Appell, mit dem sich auch europäische Vertreter der Solarindustrie gerade an ihre Regierungen und die Europäische Kommission gewandt haben. „Europa hat derzeit keinerlei Widerstandsfähigkeit gegen Beschaffungskrisen“, schreiben sie, „jede Störung der Lieferketten von PV-Produkten führt zu einem quasi sofortigen Stopp der Installation von Solarenergie in Europa.“ Sie fordern Unterstützung in Form von Subventionen, Vergünstigungen und garantierten, wettbewerbsfähigen Energiepreisen, damit Investitionen in den Aufbau einer lokalen, nachhaltigen Wertschöpfungskette für die Solarindustrie lukrativ werden.

Eine Abkehr von der globalen Arbeitsteilung als Reaktion auf die gegenwärtigen Krisen? Auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hält zwar „im aktuellen Marktumfeld“ internationale Lieferketten weiterhin für notwendig. „Die Industrie ist aber bereit, eine ‚Made-in-Europe-Strategie‘ in der Zukunft zu unterstützten.“ Wichtig sei: Investitionssicherheit, aber auch „EU-weit abgestimmte, möglichst jahres-, länder- und projektscharfe Mengengerüste und Strategien zur Sicherung der Lieferketten von Material und Komponenten“. Für die Versorgung mit kritischen Rohstoffen setzt der VDMA auf internationale Zusammenarbeit mit dem Ziel, Beschränkungen abzubauen und neue Quellen zu erschließen, indem die Handelsdiversifizierung in Lieferketten unterstützt wird.

Die bislang etablierten, weltweiten Lieferketten eingehend zu prüfen, dafür gibt es mit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes gerade noch einen weiteren Grund: 70 Prozent aller Unternehmen sehen sich nach einer aktuellen Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) in Bezug auf ihre Verpflichtung, die Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten entlang der Lieferkette zu gewährleisten, noch mittelmäßig bis schlecht aufgestellt.
Die Stadtwerke München sind in dieser Hinsicht zuversichtlich. Geschäftspartner prüfe man seit Jahren zum Thema Compliance, große Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit erwarte man nicht, so Ledl. Grundsätzlich aber haben die SWM ihre Lieferketten im vergangenen Jahr mithilfe eines Beraters einem „Stresstest“ unterzogen. Ein Ergebnis: Bei betriebskritischen Materialien müsse man eine diversere Versorgungsstrategie verfolgen. „Das werden wir jetzt aufarbeiten“, sagt der Einkaufsleiter.

Freitag, 3.02.2023, 08:51 Uhr
Katia Meyer-Tien
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Lieferketten im Stresstest
Quelle: E&M
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Lieferketten im Stresstest
Pandemie und Ukraine-Krieg sind nicht die einzigen Faktoren, die die globalen Lieferketten belasten. Wie Energieunternehmen und Verbände reagieren.
„Der Markt ist in vielen Bereichen einfach leergefegt“, sagt Christoph Ledl, „und Deutschland ist halt nur ein Mosaiksteinchen von vielen Akteuren auf den Weltmärkten.“ Der Einkaufsleiter der Stadtwerke München (SWM) klingt nicht einmal resigniert, als er das sagt. Dass es in vielen Produktgruppen und auf allen Stufen der globalen Lieferketten zu Schwierigkeiten kommt, damit haben sie sich in München abgefunden. Und Strategien entwickelt, den Problemen zu begegnen.

Die Weltmärkte im Energiesektor stehen unter Druck. Ein Grund: der Strukturwandel mit dem großen Ziel der Dekarbonisierung. Um das globale Netto-Null-Emissionsszenario bis 2050 zu verwirklichen, rechnet die Internationale Energieagentur IEA in ihrem aktuellen Report „Energy Technology Perspectives 2023“ vor, müsste sich allein die globale Produktion von Elektroautos bis 2030 versechsfachen. Und damit auch die Batteriezellenproduktion, für die unter anderem Graphit, Silikon, Lithium, Nickel, Kobalt, Kupfer und Mangan benötigt werden.

Rohstoffe, die auch für die Produktion von Windturbinen und Solarpaneelen benötigt werden, die aber in nennenswertem Umfang nur wenige Ländern fördern. So findet 70 Prozent der weltweiten Kobaltförderung in der Demokratischen Republik Kongo statt, 90 Prozent der globalen Lithiumförderung verteilen sich auf gerade einmal drei Länder. Hinzu kommt: Auch in der Fertigung finden 70 Prozent der globalen Massenproduktion von Windturbinen und Solarpanelen, Batterien, Elektrolyseuren und Wärmepumpen in nur drei Ländern statt − angeführt von China.

Lieferzeiten, Preissteigerungen, weniger Wettbewerb

Dass solche Konstellationen problematisch sind, haben nicht zuletzt Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg eindringlich gezeigt. Eine Ballung an jedwedem Punkt einer Lieferkette, schreibt die IEA, macht die gesamte Kette anfällig für Störungen:

durch politische oder unternehmerische Entscheidungen, durch Naturkatastrophen oder technisches Versagen. So trifft eine enorm gestiegene Nachfrage derzeit in vielen Bereichen auf eine begrenzte Zahl von Anbietern, die häufig nur eingeschränkt lieferfähig sind. Christoph Ledl merkt dies besonders im Fall von Solarpaneelen und Wallboxen. „Die sind gerade sehr schwer am Markt zu haben, sodass wir Verzögerungen in unseren Ausbauoffensiven haben. Wir bekommen das Material, aber wir und somit auch der Endkunde müssen länger warten.“

Mit rund 4.000 Lieferanten arbeiten die Münchner Stadtwerke zusammen, die meisten davon, so Ledl, stammen aus Deutschland oder dem nahen europäischen Ausland. Die Vorketten dieser Partner seien durch Pandemie und Krieg teilweise massiv beeinflusst.

Mit Folgen für die Stadtwerke: Rund 200 Kilometer Rohre und Leitungen verlegen die Münchner pro Jahr, erzählt Andreas Mattivi, Leiter Planung und Bau bei den SWM. Hinzu kommt die Erneuerung von Umspannwerken. Und dann bauen die SWM derzeit auch noch Europas größte Fernkältezentrale: „Wenn da Verzögerungen aufgrund fehlender Materialien oder Vorleistungen dazukommen, wird ein Projekt finanziell sehr schnell unübersichtlich. Deshalb ist ein professionelles Projektmanagement unabdingbar, um diese Herausforderungen erfolgreich zu meistern.“

Neben den längeren Lieferzeiten, so Mattivi, beobachte man außerdem den Wegfall von Lieferanten und Preisanstiege bis zu 250 Prozent. „Gleichzeitig gibt es deutlich weniger Interessenten für Ausschreibungen. Zum Teil finden wir nur noch einen Anbieter für spezifische Anlagenklassen. Damit ist eigentlich kein Preiswettbewerb mehr möglich.“ Projektabläufe seien nicht mehr gut planbar, Kundenanforderungen gerecht zu werden sei schwieriger: „Gerade die großen Industriekunden bestellen ja ihre Kundenanschlüsse nicht zehn Jahre im Voraus, sondern haben ein Bauprojekt, das in anderthalb Jahren bezogen werden soll. Bei großen Quartierskonzepten ist das eine echte Herausforderung, weil wir das Material gar nicht so schnell bekommen.“

Die SWM setzen daher auf verstärkte Lagerhaltung, insbesondere bei Kabeln und anderen Materialien, an denen ständig hoher Bedarf besteht. Auch für Vertragspartner stelle man Material zur Verfügung, um die Beschaffung bündeln zu können. Vor allem aber bemühten sie sich darum, Partner langfristig zu binden, so Einkaufsleiter Ledl. Durch verbindliche und langfristige Rahmenverträge und durch Auftragsvergabe im Konvoi. „So können alle Parteien im gesamten Wertschöpfungsstrang auch tatsächlich verbindlich planen, sich ausrichten und organisieren. Das führt schon etwas zu Beruhigung.“

Re-Regionalisierung als Lösung?

Auch der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) berichtet, dass die Unternehmen der Branche auf die Lieferengpässe mit einer Anpassung der Lagerhaltung reagiert hätten. Eine Strategie, die angesichts stark schwankender Preise und begrenzter Liquidität im Mittelstand aber an ihre Grenzen stoße. Langfristig will sich der Verband daher ganz aus der Lieferabhängigkeit vom Ausland lösen. Das Ziel: die Stärkung der solaren Wertschöpfungskette in Europa. Ein Appell, mit dem sich auch europäische Vertreter der Solarindustrie gerade an ihre Regierungen und die Europäische Kommission gewandt haben. „Europa hat derzeit keinerlei Widerstandsfähigkeit gegen Beschaffungskrisen“, schreiben sie, „jede Störung der Lieferketten von PV-Produkten führt zu einem quasi sofortigen Stopp der Installation von Solarenergie in Europa.“ Sie fordern Unterstützung in Form von Subventionen, Vergünstigungen und garantierten, wettbewerbsfähigen Energiepreisen, damit Investitionen in den Aufbau einer lokalen, nachhaltigen Wertschöpfungskette für die Solarindustrie lukrativ werden.

Eine Abkehr von der globalen Arbeitsteilung als Reaktion auf die gegenwärtigen Krisen? Auch der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hält zwar „im aktuellen Marktumfeld“ internationale Lieferketten weiterhin für notwendig. „Die Industrie ist aber bereit, eine ‚Made-in-Europe-Strategie‘ in der Zukunft zu unterstützten.“ Wichtig sei: Investitionssicherheit, aber auch „EU-weit abgestimmte, möglichst jahres-, länder- und projektscharfe Mengengerüste und Strategien zur Sicherung der Lieferketten von Material und Komponenten“. Für die Versorgung mit kritischen Rohstoffen setzt der VDMA auf internationale Zusammenarbeit mit dem Ziel, Beschränkungen abzubauen und neue Quellen zu erschließen, indem die Handelsdiversifizierung in Lieferketten unterstützt wird.

Die bislang etablierten, weltweiten Lieferketten eingehend zu prüfen, dafür gibt es mit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes gerade noch einen weiteren Grund: 70 Prozent aller Unternehmen sehen sich nach einer aktuellen Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) in Bezug auf ihre Verpflichtung, die Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten entlang der Lieferkette zu gewährleisten, noch mittelmäßig bis schlecht aufgestellt.
Die Stadtwerke München sind in dieser Hinsicht zuversichtlich. Geschäftspartner prüfe man seit Jahren zum Thema Compliance, große Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit erwarte man nicht, so Ledl. Grundsätzlich aber haben die SWM ihre Lieferketten im vergangenen Jahr mithilfe eines Beraters einem „Stresstest“ unterzogen. Ein Ergebnis: Bei betriebskritischen Materialien müsse man eine diversere Versorgungsstrategie verfolgen. „Das werden wir jetzt aufarbeiten“, sagt der Einkaufsleiter.

Freitag, 3.02.2023, 08:51 Uhr
Katia Meyer-Tien

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