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Energie & Management > Stadtwerke -
Quelle: E&M
Stadtwerke

"Letztlich entscheidend ist der politische Wille"

Ein Stadtwerk kann die Entwicklung einer Smart City maßgeblich vorantreiben und dabei gleichzeitig seine strategische Position in der Kommune stärken, wie Jürgen Germies erläutert.
E&M: Herr Germies, in Ihrem Smart-City-Ranking kommt keine Kommune über eine Digitalisierungsquote von 50 Prozent. Sind 100 Prozent überhaupt realistisch?
Germies: Man muss den Weg zur Smart City als Prozess sehen, der aber nicht einfach irgendwann einmal beendet sein wird. Wenn wir uns heute die Ausprägung der Smart City in einigen Kommunen anschauen, dann hätten wir vor fünf oder gar zehn Jahren nach den damaligen Maßstäben eventuell eine deutlich höhere Digitalisierungsquote attestiert. Aber die technische Entwicklung geht weiter und die Aufgaben, sowohl in technisch-ökonomischer Hinsicht als auch in gesellschaftlicher Hinsicht, entwickeln sich. Deshalb müssen wir bei den Beurteilungskriterien nachjustieren und die Bewertung ständig anpassen. Einen finalen Status „100 Prozent Smart City“ wird es daher wohl kaum jemals geben.
E&M: Was zieht derzeit die Bewertung nach unten?
Germies: Die Energiewende steckt in vielen Kommunen noch in den Kinderschuhen, die E-Mobilität und vernetzte Mobilität sind noch in einem frühen Stadium, vom Glasfaserausbau ist vielerorts kaum etwas zu sehen oder er geht nur langsam voran – bei all diesen Themen ist die Umsetzung noch sehr weit von 100 Prozent entfernt.
E&M: Es gab Zeiten, da galt der Glasfaserausbau als das Zukunftsthema für Stadtwerke. Dann war es um ihn wieder eine Zeit lang ruhig. Jetzt scheint er wieder unverzichtbar zu sein.
 
Der 5G-Standard braucht unbedingt eine Glasfaseranbindung
 
Germies: Viele strategischen Entscheidungen im Umfeld von Stadtwerken werden von der Politik immer noch aus dem Bauch heraus getroffen. Ich würde aber jedem Stadtwerk raten, sich intensiv mit dem Thema Glasfaser zu beschäftigen. Zu jeder strategischen Positionierung für die kommenden Jahre gehört nach meiner Meinung eine eindeutige Aussage hierzu. Dafür ist eine fundierte Entscheidungsgrundlage unverzichtbar.
E&M: Würden Sie nur zum Ausbau raten oder auch dazu, Produkte und Dienstleistungen anzubieten?
Germies: Wer sich nur als Dark-Fibre-Anbieter (Dark Fibre bedeutet, man vermietet Glasfaserleitungen, auf denen noch kein Signal geschaltet ist; Anm. d. Red.) sieht, vergibt die Chance, sich neue zukunftsfähige Erlösquellen zu erschließen. Produkte, wie Telekommunikation, Internet und Fernsehen könnten das sein, oder W-Lan-Dienste oder auch die Anbindung von Mobilfunksendemasten. Denn der 5G-Standard braucht unbedingt eine Glasfaseranbindung der Sendeanlagen, um das Datenaufkommen in der notwendigen Geschwindigkeit bewältigen zu können. Außerdem werden wir sicherlich in der Zukunft mehr und mehr datengetriebene Geschäftsmodelle sehen, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Es ist also eine Investition in die Zukunft.
E&M: Aber Glasfaser können auch andere Telekommunikationsunternehmen verlegen und die entsprechenden Dienste anbieten.
Germies: Natürlich. Aber es geht bei der Smart City auch um Daseinsvorsorge, um digitale Daseinsvorsorge, um die Attraktivität der Kommune als Wohn- und Arbeitsort und um übergeordnete Ziele, wie eine intelligente Energieversorgung und Nachhaltigkeit. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, wenn Kommunen private Telekom-Anbieter mit dem Glasfaserausbau beauftragen. Wer verdient dann das Geld und wer finanziert künftig Daseinsvorsorge? Werden dann wirklich alle Stadtteile und Stadtviertel mit Glasfaser versorgt oder nur die Gegenden, in denen Erlöse aus entsprechenden Produkten zu erwarten sind? Was passiert mit Gegenden, in denen der Ausbau unwirtschaftlich ist? Das sind Fragen, die sich ein Bürgermeister stellen muss. Wenn sich jemand nur die Rosinen herauspickt, wird es nichts mit der Smart City. Es müsste aber auch im Interesse der Stadtwerke liegen, sich als Enabler der Smart City zu positionieren und die eigene strategische Position in der Kommune zu stärken.
E&M: Sehen Sie die Gefahr, dass die Stadtwerke sonst der Bedeutungslosigkeit anheimfallen?
Germies: Das nicht, aber das traditionelle Energiegeschäft wird auf absehbare Zeit nicht mehr tragfähig sein. Deshalb sind neue Geschäftsmodelle wichtig – letztlich auch, um die häufig defizitären Bereiche der Daseinsvorsorge, wie ÖPNV und Schwimmbäder, weiter finanzieren zu können. Das muss man alles bei der künftigen strategischen Ausrichtung berücksichtigen.
 
Eine Smart City braucht ein Gesamtkonzept
 
E&M: Sind Stadtwerke die prädestinierten Treiber der Smart City?
Germies: Letztlich entscheidend ist der politische Wille. Bürgermeister und Landräte sind ja häufig die Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke und haben einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Stadtwerkestrategie. Erneuerbare Energie, Energieeffizienz, Mobilität und die Themen Glasfaser und Lorawan sind aus meiner Sicht aber auf jeden Fall Themen, die die Stadtwerke vorantreiben können und auch sollten. Darüber können sie ihre künftige Rolle definieren.
E&M: Dann sind ja schon fast alle Smart-City-Themen abgedeckt.
Germies: Das nicht – eine Smart City umfasst sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche, so unter anderem auch den Gesundheitssektor, die öffentliche Verwaltung, den Tourismus. Eines darf man daher auch nicht vergessen: Eine Smart City braucht ein Gesamtkonzept und eine entsprechende Infrastruktur. Sektoren müssen miteinander vernetzt und verzahnt werden. Da müssen oft sehr dicke Bretter gebohrt werden. Das sind meist sehr große, komplexe Projekte. Eine Handvoll Straßenlaternen, die mitlaufendes Licht erzeugen oder einen Ladepunkt für E-Autos integriert haben, das macht noch keine Smart City. Wir mussten feststellen, dass in der Praxis solche Beispiele eher kommunikativer Selbstzweck der Stadtspitze sind und in vielen Fällen nicht einmal den erklärten Nutzwert haben.
E&M: Haben sich die Stadtwerke, die in Ihrem Ranking vorne liegen, als besonders aktiv und als Treiber der Smart City gezeigt?
Germies: Das muss man differenziert betrachten. Denn Hamburg wäre nicht ganz vorne dabei, wenn es nicht die Stadtwerke Norderstedt gäbe, die im eigenen Stadtgebiet zu 100 Prozent das Glasfasernetz ausgebaut haben und Hamburg gleich mitversorgen. Und auch das W-Lan-Netz in den U-Bahnen gäbe es wohl nicht in Hamburg. Gleichzeitig sieht man am Beispiel Frankfurt, dass eine Kommune weit hinterherhinkt, wenn es keinen aktiven lokalen Treiber wie die Stadtwerke gibt. Dort wurde bisher sehr viel diskutiert und es wurde viel geplant. Aber bei der Umsetzung hapert es sehr. Grundsätzlich gilt aber: Ein aktives Stadtwerk und aktive Stakeholder zu haben, ist ein ganz zentraler Faktor beim Aufbau einer Smart City.

 
Jürgen Germies, geshäftsführender Partner von Haselhorst Associates
Quelle: Haselhorst Associates


Störer 1: „Es müssen oft sehr dicke Bretter gebohrt werden“
Störer 2: Neue Geschäftsmodelle, um die defizitären Bereiche der Daseinsvorsorge weiter finanzieren zu können
 

Zur Person

Jürgen Germies ist Geschäftsführender Partner bei der Unternehmensberatung Haselhorst Associates in Starnberg. Dort ist der Diplom-Kaufmann unter anderem für den Geschäftsbereich Energieversorgung und kommunale Unternehmen verantwortlich. Er war an der Entwicklung der Plattform „Digitale Energiewelt“ der Deutschen Energie-Agentur (Dena) beteiligt, berät Kommunen im Thema Smart City und kommunale Unternehmen zum Glasfaserausbau.
 
 
 

 

Dienstag, 1.03.2022, 08:45 Uhr
Fritz Wilhelm
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Quelle: E&M
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"Letztlich entscheidend ist der politische Wille"
Ein Stadtwerk kann die Entwicklung einer Smart City maßgeblich vorantreiben und dabei gleichzeitig seine strategische Position in der Kommune stärken, wie Jürgen Germies erläutert.
E&M: Herr Germies, in Ihrem Smart-City-Ranking kommt keine Kommune über eine Digitalisierungsquote von 50 Prozent. Sind 100 Prozent überhaupt realistisch?
Germies: Man muss den Weg zur Smart City als Prozess sehen, der aber nicht einfach irgendwann einmal beendet sein wird. Wenn wir uns heute die Ausprägung der Smart City in einigen Kommunen anschauen, dann hätten wir vor fünf oder gar zehn Jahren nach den damaligen Maßstäben eventuell eine deutlich höhere Digitalisierungsquote attestiert. Aber die technische Entwicklung geht weiter und die Aufgaben, sowohl in technisch-ökonomischer Hinsicht als auch in gesellschaftlicher Hinsicht, entwickeln sich. Deshalb müssen wir bei den Beurteilungskriterien nachjustieren und die Bewertung ständig anpassen. Einen finalen Status „100 Prozent Smart City“ wird es daher wohl kaum jemals geben.
E&M: Was zieht derzeit die Bewertung nach unten?
Germies: Die Energiewende steckt in vielen Kommunen noch in den Kinderschuhen, die E-Mobilität und vernetzte Mobilität sind noch in einem frühen Stadium, vom Glasfaserausbau ist vielerorts kaum etwas zu sehen oder er geht nur langsam voran – bei all diesen Themen ist die Umsetzung noch sehr weit von 100 Prozent entfernt.
E&M: Es gab Zeiten, da galt der Glasfaserausbau als das Zukunftsthema für Stadtwerke. Dann war es um ihn wieder eine Zeit lang ruhig. Jetzt scheint er wieder unverzichtbar zu sein.
 
Der 5G-Standard braucht unbedingt eine Glasfaseranbindung
 
Germies: Viele strategischen Entscheidungen im Umfeld von Stadtwerken werden von der Politik immer noch aus dem Bauch heraus getroffen. Ich würde aber jedem Stadtwerk raten, sich intensiv mit dem Thema Glasfaser zu beschäftigen. Zu jeder strategischen Positionierung für die kommenden Jahre gehört nach meiner Meinung eine eindeutige Aussage hierzu. Dafür ist eine fundierte Entscheidungsgrundlage unverzichtbar.
E&M: Würden Sie nur zum Ausbau raten oder auch dazu, Produkte und Dienstleistungen anzubieten?
Germies: Wer sich nur als Dark-Fibre-Anbieter (Dark Fibre bedeutet, man vermietet Glasfaserleitungen, auf denen noch kein Signal geschaltet ist; Anm. d. Red.) sieht, vergibt die Chance, sich neue zukunftsfähige Erlösquellen zu erschließen. Produkte, wie Telekommunikation, Internet und Fernsehen könnten das sein, oder W-Lan-Dienste oder auch die Anbindung von Mobilfunksendemasten. Denn der 5G-Standard braucht unbedingt eine Glasfaseranbindung der Sendeanlagen, um das Datenaufkommen in der notwendigen Geschwindigkeit bewältigen zu können. Außerdem werden wir sicherlich in der Zukunft mehr und mehr datengetriebene Geschäftsmodelle sehen, an die wir jetzt noch gar nicht denken. Es ist also eine Investition in die Zukunft.
E&M: Aber Glasfaser können auch andere Telekommunikationsunternehmen verlegen und die entsprechenden Dienste anbieten.
Germies: Natürlich. Aber es geht bei der Smart City auch um Daseinsvorsorge, um digitale Daseinsvorsorge, um die Attraktivität der Kommune als Wohn- und Arbeitsort und um übergeordnete Ziele, wie eine intelligente Energieversorgung und Nachhaltigkeit. Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, wenn Kommunen private Telekom-Anbieter mit dem Glasfaserausbau beauftragen. Wer verdient dann das Geld und wer finanziert künftig Daseinsvorsorge? Werden dann wirklich alle Stadtteile und Stadtviertel mit Glasfaser versorgt oder nur die Gegenden, in denen Erlöse aus entsprechenden Produkten zu erwarten sind? Was passiert mit Gegenden, in denen der Ausbau unwirtschaftlich ist? Das sind Fragen, die sich ein Bürgermeister stellen muss. Wenn sich jemand nur die Rosinen herauspickt, wird es nichts mit der Smart City. Es müsste aber auch im Interesse der Stadtwerke liegen, sich als Enabler der Smart City zu positionieren und die eigene strategische Position in der Kommune zu stärken.
E&M: Sehen Sie die Gefahr, dass die Stadtwerke sonst der Bedeutungslosigkeit anheimfallen?
Germies: Das nicht, aber das traditionelle Energiegeschäft wird auf absehbare Zeit nicht mehr tragfähig sein. Deshalb sind neue Geschäftsmodelle wichtig – letztlich auch, um die häufig defizitären Bereiche der Daseinsvorsorge, wie ÖPNV und Schwimmbäder, weiter finanzieren zu können. Das muss man alles bei der künftigen strategischen Ausrichtung berücksichtigen.
 
Eine Smart City braucht ein Gesamtkonzept
 
E&M: Sind Stadtwerke die prädestinierten Treiber der Smart City?
Germies: Letztlich entscheidend ist der politische Wille. Bürgermeister und Landräte sind ja häufig die Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke und haben einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Stadtwerkestrategie. Erneuerbare Energie, Energieeffizienz, Mobilität und die Themen Glasfaser und Lorawan sind aus meiner Sicht aber auf jeden Fall Themen, die die Stadtwerke vorantreiben können und auch sollten. Darüber können sie ihre künftige Rolle definieren.
E&M: Dann sind ja schon fast alle Smart-City-Themen abgedeckt.
Germies: Das nicht – eine Smart City umfasst sämtliche Lebens- und Arbeitsbereiche, so unter anderem auch den Gesundheitssektor, die öffentliche Verwaltung, den Tourismus. Eines darf man daher auch nicht vergessen: Eine Smart City braucht ein Gesamtkonzept und eine entsprechende Infrastruktur. Sektoren müssen miteinander vernetzt und verzahnt werden. Da müssen oft sehr dicke Bretter gebohrt werden. Das sind meist sehr große, komplexe Projekte. Eine Handvoll Straßenlaternen, die mitlaufendes Licht erzeugen oder einen Ladepunkt für E-Autos integriert haben, das macht noch keine Smart City. Wir mussten feststellen, dass in der Praxis solche Beispiele eher kommunikativer Selbstzweck der Stadtspitze sind und in vielen Fällen nicht einmal den erklärten Nutzwert haben.
E&M: Haben sich die Stadtwerke, die in Ihrem Ranking vorne liegen, als besonders aktiv und als Treiber der Smart City gezeigt?
Germies: Das muss man differenziert betrachten. Denn Hamburg wäre nicht ganz vorne dabei, wenn es nicht die Stadtwerke Norderstedt gäbe, die im eigenen Stadtgebiet zu 100 Prozent das Glasfasernetz ausgebaut haben und Hamburg gleich mitversorgen. Und auch das W-Lan-Netz in den U-Bahnen gäbe es wohl nicht in Hamburg. Gleichzeitig sieht man am Beispiel Frankfurt, dass eine Kommune weit hinterherhinkt, wenn es keinen aktiven lokalen Treiber wie die Stadtwerke gibt. Dort wurde bisher sehr viel diskutiert und es wurde viel geplant. Aber bei der Umsetzung hapert es sehr. Grundsätzlich gilt aber: Ein aktives Stadtwerk und aktive Stakeholder zu haben, ist ein ganz zentraler Faktor beim Aufbau einer Smart City.

 
Jürgen Germies, geshäftsführender Partner von Haselhorst Associates
Quelle: Haselhorst Associates


Störer 1: „Es müssen oft sehr dicke Bretter gebohrt werden“
Störer 2: Neue Geschäftsmodelle, um die defizitären Bereiche der Daseinsvorsorge weiter finanzieren zu können
 

Zur Person

Jürgen Germies ist Geschäftsführender Partner bei der Unternehmensberatung Haselhorst Associates in Starnberg. Dort ist der Diplom-Kaufmann unter anderem für den Geschäftsbereich Energieversorgung und kommunale Unternehmen verantwortlich. Er war an der Entwicklung der Plattform „Digitale Energiewelt“ der Deutschen Energie-Agentur (Dena) beteiligt, berät Kommunen im Thema Smart City und kommunale Unternehmen zum Glasfaserausbau.
 
 
 

 

Dienstag, 1.03.2022, 08:45 Uhr
Fritz Wilhelm

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