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Energie & Management > Politik - Kernkraft spaltet die Koalition
Quelle: Shutterstock / canadastock
Politik

Kernkraft spaltet die Koalition

Nach dem Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber geht der Streit über den Einsatz der Atomkraft in die nächste Runde.
Die Ãœbertragungsnetzbetreiber waren in ihrer Risikoanalyse des deutschen Elektrizitätsmarktes für den kommenden Winter zu dem Ergebnis gekommen, dass „krisenhafte Situationen“ zwar nicht wahrscheinlich, aber stundenweise auch nicht ausgeschlossen seien (wir berichteten). Sie empfehlen, alle drei Atomkraftwerke, die noch Strom erzeugen, vorerst am Netz zu belassen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte auf dieser Grundlage entschieden, das Kernkraftwerk Emsland Ende des Jahres wie geplant vom Netz zu nehmen. Die beiden AKW in Süddeutschland, Isar 2 und Neckarwestheim sollen bis zum Frühjahr 2023 als Notreserve betriebsbereit gehalten werden, aber nicht für den normalen Lastenausgleich zur Verfügung stehen.

Diese Entscheidung ist in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend auf Kritik gestoßen. Unterstützung fand Habeck nur bei Grünen und Sozialdemokraten. Die beiden grünen Franktionsvorsitzenden, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, verwiesen auf die angespannte Lage auf dem Elektrizitätsmarkt, betonten jedoch, die Fraktion werde den Vorschlag intensiv diskutieren. Parteichef Omid Nouripour hält es zwar für eine „Zumutung“, dass nicht alle drei Meiler am 1. Januar abgeschaltet werden, die Nutzung als Reserve sei aber „unvermeidbar“. Am Atomausstieg ändere das nichts. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Entscheidung Habecks für richtig:“Oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit im kommenden Winter.“

FDP: Jede verfügbare Kilowattstunde ermöglichen

Nach Ansicht des stellvertretenen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Matthias Miersch, zeigt der Stresstest: “Atom ist nicht die von vielen gewünschte Generallösung.“ Die umweltpolitische Sprecherin der SPD im baden-württembergischen Landtag, Gabi Rolland, betonte, dass es sich nicht um eine Laufzeitverlängerung handele: “Es müssten gewaltige, wochenlange Versorgungslücken entstehen, damit sich das Hochfahren überhaupt lohnt.“

Unzufrieden mit der Entscheidung des Wirtschafts- und Klimaministers ist vor allem die FDP. Ihr Stellvertretender Bundesvorsitzende, Johannes Vogel, sagte: “Es ist eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen.“ Die FDP setze sich weiter für den Betrieb aller drei AKW ein, die noch am Netz seien.

Oppositionsführer Friedrich Merz hält die Entscheidung des grünen Ministers für nicht nachvollziehbar: “Deutschland steuert auf eine massive Energieversorgungskrise zu“, sagte Merz im Deutschlandfunk, die durch diese „völlig absurde Entscheidung“ der Regierung weiter verschärft werde. Er appellierte an den Bundeskanzler, „diesen Irrsinn zu beenden“. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder forderte SPD und FDP auf, Habecks Entscheidung nicht zuzustimmen.

Die Sprecher der Union im Europaparlament, Angelika Niebler und Daniel Caspary, kritisierten, Hebeck sei die grüne Ideologie wichtiger als das Wohl der Bürger. Darüber schüttelten „unsere Partner in Europa nur den Kopf“. Der Abgeordnete Peter Liese warf Habeck mangelnde Solidarität vor, denn die Entscheidung, die letzten Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, „verteuert den Strom auch bei unseren Nachbarn und führt dazu, dass wir gemeinsam einen noch härteren Winter haben“.

BUND prüft juristische Schritte

Noch empörter äußerten sich manche Umweltverbände. Die Bereithaltung der beiden AKW in Süddeutschland verhindere die Energiewende, sagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Es sei „unverantwortlich“ das damit verbundene Sicherheitsrisiko einzugehen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) prüft jetzt, ob er die Abschaltung auch der beiden süddeutschen Atommeiler juristisch erzwingen kann. Der Stresstest habe gezeigt, dass sie keinen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisteten, sagte BUND-Chef Olaf Bandt: „Wir haben keine Versorgungslücke sondern eine nicht hinnehmbare Sicherheitslücke.“ Durch ein Ein- und Abschalten der beiden Reaktoren würden die Anlagen zusätzlich belastet, was die Risiken weiter erhöhe.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisierte, dass die beiden AKW in Süddeutschland nur in Reserve gehalten werden sollen: „Die Kraftwerke sollten laufen und nicht nur in Bereitschaft sein, wie es aktuell geplant ist – denn nur dann gibt es einen senkenden Effekt auf die Strompreise“, sagte Grimm der Funke Mediengruppe. Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken die drei AKW weitere fünf Jahre am Netz zu lassen.

Die Energieberater-Firma Enervis hat die Konsequenzen von Habecks Entscheidung untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass im Stromsektor mehr Gas verbraucht werden muss und die Abhängigkeit Deutschlands von Stromimporten aus den Nachbarländern steigt. Blieben die drei Reaktoren in den ersten Monaten des kommenden Jahres am Netz, würden 4 Mio. MWh Gas nicht gebraucht, auf das ganze Jahr 2023 gerechnet wären es sogar 14 Mio. MWh (wir berichteten)

Der Betreiber des AKW Neckarwestheim, EnBW, forderte die Bundesregierung auf, schnellstmöglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Weiterbetrieb nach dem 31. Dezember 2022 zu schaffen. EnBW werde dann in Absprache mit der Regierung prüfen, unter welchen Bedingungen die Betriebsbereitschaft über das Jahresende hinaus aufrechterhalten werden könne.

Dienstag, 6.09.2022, 16:42 Uhr
Tom Weingärtner
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Quelle: Shutterstock / canadastock
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Kernkraft spaltet die Koalition
Nach dem Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber geht der Streit über den Einsatz der Atomkraft in die nächste Runde.
Die Ãœbertragungsnetzbetreiber waren in ihrer Risikoanalyse des deutschen Elektrizitätsmarktes für den kommenden Winter zu dem Ergebnis gekommen, dass „krisenhafte Situationen“ zwar nicht wahrscheinlich, aber stundenweise auch nicht ausgeschlossen seien (wir berichteten). Sie empfehlen, alle drei Atomkraftwerke, die noch Strom erzeugen, vorerst am Netz zu belassen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte auf dieser Grundlage entschieden, das Kernkraftwerk Emsland Ende des Jahres wie geplant vom Netz zu nehmen. Die beiden AKW in Süddeutschland, Isar 2 und Neckarwestheim sollen bis zum Frühjahr 2023 als Notreserve betriebsbereit gehalten werden, aber nicht für den normalen Lastenausgleich zur Verfügung stehen.

Diese Entscheidung ist in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend auf Kritik gestoßen. Unterstützung fand Habeck nur bei Grünen und Sozialdemokraten. Die beiden grünen Franktionsvorsitzenden, Britta Haßelmann und Katharina Dröge, verwiesen auf die angespannte Lage auf dem Elektrizitätsmarkt, betonten jedoch, die Fraktion werde den Vorschlag intensiv diskutieren. Parteichef Omid Nouripour hält es zwar für eine „Zumutung“, dass nicht alle drei Meiler am 1. Januar abgeschaltet werden, die Nutzung als Reserve sei aber „unvermeidbar“. Am Atomausstieg ändere das nichts. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Entscheidung Habecks für richtig:“Oberste Priorität hat die Versorgungssicherheit im kommenden Winter.“

FDP: Jede verfügbare Kilowattstunde ermöglichen

Nach Ansicht des stellvertretenen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Matthias Miersch, zeigt der Stresstest: “Atom ist nicht die von vielen gewünschte Generallösung.“ Die umweltpolitische Sprecherin der SPD im baden-württembergischen Landtag, Gabi Rolland, betonte, dass es sich nicht um eine Laufzeitverlängerung handele: “Es müssten gewaltige, wochenlange Versorgungslücken entstehen, damit sich das Hochfahren überhaupt lohnt.“

Unzufrieden mit der Entscheidung des Wirtschafts- und Klimaministers ist vor allem die FDP. Ihr Stellvertretender Bundesvorsitzende, Johannes Vogel, sagte: “Es ist eine Frage der Vernunft, jetzt jede klimaneutrale Kilowattstunde zu ermöglichen.“ Die FDP setze sich weiter für den Betrieb aller drei AKW ein, die noch am Netz seien.

Oppositionsführer Friedrich Merz hält die Entscheidung des grünen Ministers für nicht nachvollziehbar: “Deutschland steuert auf eine massive Energieversorgungskrise zu“, sagte Merz im Deutschlandfunk, die durch diese „völlig absurde Entscheidung“ der Regierung weiter verschärft werde. Er appellierte an den Bundeskanzler, „diesen Irrsinn zu beenden“. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder forderte SPD und FDP auf, Habecks Entscheidung nicht zuzustimmen.

Die Sprecher der Union im Europaparlament, Angelika Niebler und Daniel Caspary, kritisierten, Hebeck sei die grüne Ideologie wichtiger als das Wohl der Bürger. Darüber schüttelten „unsere Partner in Europa nur den Kopf“. Der Abgeordnete Peter Liese warf Habeck mangelnde Solidarität vor, denn die Entscheidung, die letzten Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, „verteuert den Strom auch bei unseren Nachbarn und führt dazu, dass wir gemeinsam einen noch härteren Winter haben“.

BUND prüft juristische Schritte

Noch empörter äußerten sich manche Umweltverbände. Die Bereithaltung der beiden AKW in Süddeutschland verhindere die Energiewende, sagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Es sei „unverantwortlich“ das damit verbundene Sicherheitsrisiko einzugehen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) prüft jetzt, ob er die Abschaltung auch der beiden süddeutschen Atommeiler juristisch erzwingen kann. Der Stresstest habe gezeigt, dass sie keinen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisteten, sagte BUND-Chef Olaf Bandt: „Wir haben keine Versorgungslücke sondern eine nicht hinnehmbare Sicherheitslücke.“ Durch ein Ein- und Abschalten der beiden Reaktoren würden die Anlagen zusätzlich belastet, was die Risiken weiter erhöhe.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm kritisierte, dass die beiden AKW in Süddeutschland nur in Reserve gehalten werden sollen: „Die Kraftwerke sollten laufen und nicht nur in Bereitschaft sein, wie es aktuell geplant ist – denn nur dann gibt es einen senkenden Effekt auf die Strompreise“, sagte Grimm der Funke Mediengruppe. Die Bundesregierung sollte darüber nachdenken die drei AKW weitere fünf Jahre am Netz zu lassen.

Die Energieberater-Firma Enervis hat die Konsequenzen von Habecks Entscheidung untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass im Stromsektor mehr Gas verbraucht werden muss und die Abhängigkeit Deutschlands von Stromimporten aus den Nachbarländern steigt. Blieben die drei Reaktoren in den ersten Monaten des kommenden Jahres am Netz, würden 4 Mio. MWh Gas nicht gebraucht, auf das ganze Jahr 2023 gerechnet wären es sogar 14 Mio. MWh (wir berichteten)

Der Betreiber des AKW Neckarwestheim, EnBW, forderte die Bundesregierung auf, schnellstmöglich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Weiterbetrieb nach dem 31. Dezember 2022 zu schaffen. EnBW werde dann in Absprache mit der Regierung prüfen, unter welchen Bedingungen die Betriebsbereitschaft über das Jahresende hinaus aufrechterhalten werden könne.

Dienstag, 6.09.2022, 16:42 Uhr
Tom Weingärtner

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