Die Badenova verfolgt einen ambitionierten Masterplan bei Strom, Wärme und Wasserstoff. Sie will Speerspitze der Energiewende sein.
Der äußerste Südwesten Deutschlands ist eine besondere Region. „Sie ist für ihre Nachhaltigkeit bekannt“, sagt Hans-Martin Hellebrand. Nachhaltigkeit im sonnenverwöhnten Breisgau bedeutet viel Photovoltaik, mittlerweile auch eine grüne Wasserstoffwirtschaft und in der Stadt Freiburg die Ziellinie für die kommunale Klimaneutralität im Jahr 2035. Der Vorstand der Badenova könnte sogar den Sportclub in der Fußball-Bundesliga gemeint haben mit seinen gerade einmal fünf Trainern in den letzten 33 Jahren, während sich beispielsweise beim Hamburger Sportverein in diesem Zeitraum 35 Fußballlehrer die Klinke in die Hand gaben.
Hellebrand lässt keinen Zweifel daran, dass die Badenova ihrer Rolle in ihrem Marktgebiet, das von Baden-Baden bis ins Dreiländereck und von der Grenze zu Frankreich bis in den Schwarzwald reicht, gerecht werden will. Nur auf sich verändernde politische Rahmenbedingungen und Entwicklungen im Markt zu reagieren, sei nicht die Sache des regionalen Versorgungsunternehmens, das die ambitionierten Klimaziele des Landes Baden-Württemberg und der Kernkommune Freiburg sich zu eigen gemacht hat. Als „Speerspitze der Energie- und Wärmewende“ sieht Hellebrand die Badenova.
Studienergebnisse vermitteln trübe Stimmung Mit weit weniger Elan und viel mehr Vorbehalten scheint eine ganze Reihe von Kollegen aus der Branche die Aufgaben anzugehen. Zwar ist die Stadtwerkestudie 2024, die von der Beratungsgesellschaft EY zusammen mit dem BDEW erstellt wurde, mit „Wärmeplanung − Chance für Stadtwerke und Kommune“ überschrieben. Dahinter haben die Autoren sogar ein Ausrufezeichen gesetzt. Trotz allgemein guter Geschäfte 2023 spiegeln die meisten Kapitel aber eher eine trübe Stimmung wider. Wenig zu spüren von Aufbruchstimmung. Bedenkenträger stechen hervor. Blickten 2022 noch 60 Prozent der Befragten voller Optimismus nach vorn, erwarten aktuell nur noch 37 Prozent eine gute oder sogar sehr gute Entwicklung ihres Geschäfts. Lediglich im Jahr 2008, als die Finanzkrise weltweit sowohl Groß- als auch Kleinunternehmen schwer zusetzte, hatte sich ähnlich großer Pessimismus unter den Stadtwerkechefs breitgemacht.
Die Notwendigkeit, die bisherigen jährlichen Investitionen zu vervierfachen und gleichzeitig einem steigenden Kostendruck standzuhalten, löst bei den Verantwortlichen der kommunalen und regionalen Energieversorger offensichtlich zunehmend Besorgnis aus. „Die kommenden zwei bis drei Jahre werden entscheiden, ob die Stadtwerke − gemeinsam mit Kommunen, Ländern und Bund − Antworten auf dieses Dilemma zwischen Zukunftsinvestitionen und anhaltendem Kostendruck finden“, schreiben die Autoren in der 90-seitigen Analyse.
Die Badenova hat dafür einen Masterplan entworfen. Im Geschäftsbericht 2023 wird er als „Fixpunkt“ bezeichnet und als Grundlage des gesamten Handelns sowohl im Hinblick auf die ökologische als auch die ökonomische und soziale Verantwortung des Unternehmens. Drei Szenarien bilden ab, wie bis 2040 das Klimaneutralitätsziel in Baden-Württemberg unterstützt werden kann. Über eine Zielverfehlung, die mit zwei Szenarien „2050“ ebenfalls berücksichtigt ist, haben sich Hellebrand und seine Mitarbeiter zwar Gedanken gemacht. Eine Option sei diese allerdings ganz und gar nicht, wie er betont.
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Badenova-Vorstand Hans-Martin Hellebrand Quelle: Badenova |
Die wesentliche Säule des Masterplans ist die Elektrifizierung, die auch zur Vergrünung des Wärmesektors beitragen soll. Mehr regenerative Erzeugung und mehr flexible Verbraucher − damit rückt natürlich das Verteilnetz in den Fokus. Nach Schätzungen der Badenova wird sich die Last im Netzgebiet bis 2045 gegenüber 2022 um das Vierfache auf 1.030 MW erhöhen. Bis 2037 wird der Faktor immerhin 3,5 betragen. Damit sind die Weichen für einen massiven Ausbau des Stromnetzes gestellt. Andere Technologien, etwa die Tiefengeothermie, sollen die Wärmewende flankieren.
Fokus auf etwa 15 Kommunen Wärmwende bedeutet für die Badenova allerdings nicht nur, den bestehenden Wärmeabsatz von rund 300 Millionen kWh pro Jahr, der aktuell etwa zu einem Viertel aus erneuerbaren Energien stammt, zu vergrünen, sondern ihn auch deutlich zu steigern. Auf rund 1 Milliarde kWh jährlich soll er bis 2035 ansteigen. Transformation und Ausbau heißt die Maxime, die aber selbst für ein Unternehmen wie die Badenova mit ihren knapp 1.600 Beschäftigten, 1,7 Milliarden Euro Umsatz und 57 Millionen Euro Gewinn nicht ohne Weiteres umzusetzen ist. „Deshalb werden wir uns im Wärmegeschäft auf rund 15 Kommunen in unserem Marktgebiet fokussieren“, erklärt Hellebrand. Die übrigen Städte und Gemeinden sollen jedoch nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen bleiben. „Mit ihnen müssen wir etwa genossenschaftliche Strukturen andenken“, so der Badenova-Vorstand, der allerdings klarstellt, dass eine Wärmewende im gesamten Gebiet, finanziert auf die eigene Bilanz, nicht darstellbar ist. Denn der Investitionsbedarf für die nächsten Jahre reicht weit über den Strom- und Wärmesektor hinaus. Das Gasnetz soll zwar nicht ausgebaut werden, allerdings als „Brücke“ in die Zukunft erhalten bleiben. Und um gleich bei den Molekülen zu bleiben: Über die Brücke soll jedoch en gros später kein Wasserstoff transportiert werden.
Sprüche wie „Wasserstoff ist das neue Erdgas und wird jede Heizung befeuern“ wird man von Vertretern der Badenova nicht hören. „Dieses Thema haben wir für uns schon aussortiert“, betont der Chef. Die Wasserstoffökonomie will er in der Region aber durchaus voranbringen. Eine Reihe von Kooperationen sind dafür schon angebahnt und auch realisiert. Der Papierhersteller Köhler in Kehl oder die Badischen Stahlwerke haben Bedarf signalisiert. Ab 2035 sollen beide einen Leitungsanschluss für Wasserstoff haben. Die Netz-Tochter der Badenova hat bereits mit den Planungen für eine 15 Kilometer lange Leitung von der Übergabestation der Terranets BW bis nach Kehl begonnen.
„Matchmaker“ nennt Hellebrand die Funktion, in der er den Versorger künftig sieht. Er soll ein maßgeblicher Player im Wasserstoffmarkt werden, jedoch nicht Großelektrolyseure oder Speicher betreiben, sondern vorrangig Angebot und Nachfrage zusammenbringen und für die notwendige Infrastruktur sorgen. Im Vergleich zu den Investitionen ins Stromnetz und in den Umbau der Wärmeversorgung, die bis 2050 knapp 2 Milliarden Euro ausmachen werden, mutet der prognostizierte Kapitalbedarf für das Wasserstoffkernnetz von etwa 200 Millionen Euro in der südbadischen Region fast wie eine homöopathische Dosis an.
Für die nächsten 25 Jahre veranschlagt die Badenova für die Energie- und Wärmewende circa 4 Milliarden Euro an Gesamtinvestitionen. Der Weg dorthin bedeutet im Durchschnitt etwa eine Verdopplung der bisherigen jährlichen Summe von rund 100 auf 200 Millionen Euro.
„Würden wir glauben, das alles fremdfinanzieren zu können, könnten wir schon am Start abbrechen“, sagt Hellebrand. Eine gehörige Portion zusätzliches Eigenkapital − es dürfte sich etwa um eine Verdreifachung der gegenwärtigen Eigenkapitalbasis handeln − sei notwendig, um überhaupt mit den Banken über Kredite sprechen zu können. Ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag ist deshalb als Mittel aus Thesaurierung und Eigenkapitalerhöhung veranschlagt.
Während sich bei vielen kommunalen Unternehmen die Führungsebene und die Gesellschafter beim Thema Thesaurierung abkämpfen, sind die Eigentümer der Badenova bereits darauf eingestellt, keine Vollausschüttung der Gewinne zu erhalten. „Wir haben schon seit ein paar Jahren ein Thesaurierungsschema etabliert, das dafür sorgt, dass Gewinne für Investitionen herangezogen werden können“, sagt Hellebrand und verweist auf das „homogene“ Verständnis der „ganz und gar nicht homogenen Gruppe der Anteilseigner“ für die Finanzierungsbelange des Unternehmens. Denn im Gegensatz zu vielen Stadtwerken hat die Badenova nicht nur einen Eigentümer, sondern 100 Städte und Gemeinden plus die Thüga als Gesellschafter. Ihnen allen sei klar, was zum Erreichen der Klimaziele notwendig ist.
Allerdings seien angesichts sehr unterschiedlicher Haushaltslagen und Finanzierungsspielräume
nicht alle gleichermaßen in der Lage, auf eine Ausschüttung zu verzichten. Dennoch: Es liegen konkrete Zahlen auf dem Tisch, über die man konkret diskutieren kann. Außerdem lässt sich die Finanzierung mit der Energie- und Wärmewende gut in einen kausalen Zusammenhang bringen, der auch klammen Stadtkämmerern und Bürgermeistern einleuchtet: Wenn es keine Eigenkapitalerhöhung gibt, werden nicht 4 Milliarden Euro investiert werden können, dann wird der Ausbau der Erneuerbaren und der Netze hinter den Planungen zurückbleiben und die Klimaziele rücken in weite Ferne.
Fremdkapital wird quasi zum Eigenkapital Was ohne konkrete Datengrundlage wie ein Totschlagargument klingen könnte, ist nach Hellebrands Überzeugung dennoch eine gute Grundlage für gute Kompromisse bei der Eigenkapitalbereitstellung, an denen er keinerlei Zweifel hat.
Denn für die Bereitstellung des Eigenkapitals haben die Verantwortlichen der Badenova noch einen besonderen Ansatz ins Auge gefasst, der in Form eines Hybridkapitals die Bilanz des Unternehmens schont und eine Verwässerung der Gesellschafteranteile und der Stimmrechte, etwa durch die Aufnahme neuer Anteilseigner, vermeidet. Es handelt sich um ein sogenanntes Gesellschafterdarlehen mit Rangrücktritt. Dies werde gerade in den Gremien intensiv diskutiert.
„Die Kommune gibt im Grunde Fremdkapital, das durch den Rangrücktritt in den Augen der Bank quasi zum Eigenkapital wird“, erläutert Hellbrand. Das komplexe, aber in anderen Branchen durchaus verbreitete Finanzierungsinstrument wirkt wie ein Forderungsverzicht, von dem das Signal an die Banken ausgeht, wenn die Kommunen im Rang nach hinten rücken, könne man sich als Bank mit relativ geringem Risiko mit Fremdkapital engagieren.
Die Stabilität der Anteilseignerstruktur bleibt gewahrt. Es sind allerdings einige Kommunen nötig, die vorausgehen und das Darlehen gewähren. Nicht alle können das, nicht alle wollen das. Darüber macht sich Hellebrand keine Illusionen, hat aber keine Sorge, dass sich alle wegducken. Sorgen hat er andere.
„Kapital ist ein scheues Reh“, zitiert der Badenova-Vorstand keinen Geringeren als Karl Marx. Dieser wollte zwar den Zusammenhang zwischen Investitionen und Steuererhöhungen beschreiben. Der Spruch lässt sich jedoch genauso auf ein Anliegen beziehen, das nicht nur Hellebrand, sondern den meisten seiner Kollegen in der Energiewirtschaft unter den Nägeln brennt. Politische Stabilität und klare regulatorische Rahmenbedingungen sind unabdingbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Im Moment fehlt es daran. Doch der Badenova-Vorstand lässt sich nicht beirren. „Wir wollen die Zukunft gestalten“, betont er.
Und was ist mit dem Beitrag der Endkunden zur Energiewende? Der ist in der Finanzierung schon einkalkuliert. Das Asset-Light-Geschäft, wie Hellebrand es nennt, das nicht den Aufbau und Betrieb der Netze und Erzeugungsanlagen, sondern die Vermarktung von zukunftsfähigen Dienstleistungen im Fokus hat, spiele eine wichtige Rolle. Schließlich sei der wirtschaftliche Erfolg die Garantie für die Erlös- und Gewinnerzielung und die Basis für Kredite. Das B2C-Geschäft etwa rund um das Heimenergiemanagement oder im B2B-Bereich die Vermarktung von IT-Dienstleistungen sind in seinen Augen vielversprechende und schon bewährte Modelle.
Die vor wenigen Wochen erfolgte Beteiligung am Datenanalytik-Spezialisten Mondas zahlt beispielsweise auf diese Strategie ein. Sie gibt der Badenova die Möglichkeit, die Überwachung von Erzeugungsanlagen und Wärmenetzen als Software-as-a-Service sowohl Dritten anzubieten als auch zur Optimierung der eigenen Assets zu nutzen. Denn davon ist Hellebrand ebenfalls überzeugt: Die Effizienzpotenziale einerseits und andererseits die Skalierungspotenziale durch die Digitalisierung sind längst noch nicht ausgeschöpft. Angesichts der anstehenden Herkulesaufgaben kein Potenzial, auf das man verzichten könne.
- Erdgas: Netzabsatz 13.234,80 Mio. kWh
- Erdgasnetz: Länge 8.275,1 km
- Strom: Netzabsatz 1.473,1 Mio. kWh
- Stromnetz: Länge 6.712,1 km, davon Niederspannung: 3.645,1 km
- Wärme: Netzabsatz 293,4 Mio. kWh
- Wärmenetz: Trassenlänge 156,6 km
- Wasser: Netzabsatz 20,4 Mio. m3
- Wassernetz: Länge 1.378,5 km
- Umsatzerlöse: 1.696,2 Mio. Euro
- Bilanzgewinn: 57,4 Mio. Euro
- Investitionen: 119,3 Mio. Euro
* inkl. Tochtergesellschaften; laut Geschäftsbericht 2023
Mittwoch, 4.12.2024, 14:37 Uhr
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