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Eine Diskussionsrunde beim diesjährigen Handelsbatt Energie-Gipfel ging der Frage nach, wie künftig Prosumer zur Integration der erneuerbaren Energien ins Stromnetz beitragen können.
Die Nutzung von Flexibilitäten zur Stabilisierung der Stromnetze ist keine einfache Sache. Dabei ist die Technik gar nicht der Knackpunkt, wie im virtuellen Konferenzsaal des Handelsblatt Energie-Gipfels Mitte Januar deutlich wurde. Die spannende Frage ist vielmehr: Wie lassen sich Prosumer motivieren, ihre Anlagen und Geräte für das Engpassmanagement zur Verfügung zu stellen?
„Es geht ums Geld. Punkt“, sagte Holger Schneidewindt. Das sei auch legitim, meinte der Referent für Energierecht bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Schließlich seien die Flexibilitäten der Kunden wertvoll. „Ohne finanzielle Anreize wird es nicht gehen“, ist er überzeugt, auch wenn es durchaus einige Technik- oder Energiewendepioniere gebe, für die Wirtschaftlichkeit nicht die Hauptmotivation ist.
Finanzielle Anreize als Türöffner
Auch Hans Schermeyer kennt solche Enthusiasten und Idealisten, die die Energiewende mit eigenem Engagement vorantreiben wollen, ohne jeden Euro auf die Goldwaage zu legen. Den monetären Aspekt sieht der Product Owner Energy Services bei der Viessmann PV + E-Systeme eher als Türöffner. Seiner Erfahrung nach sind sie oft der Anlass für die Kunden, sich mit der Frage zu beschäftigen, welchen Beitrag die eigenen Anlagen zur Energiewende leisten können. „So bekommen wir überhaupt erst die Gelegenheit, dem Kunden unseren Ansatz zu erklären“, ist Schermeyer überzeugt.
Der Heizungsbauer hat gemeinsam mit dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet Ende vergangenen Jahres das Projekt „Viflex“ gestartet. Die Partner untersuchen dabei, wie Flexibilitätspotenziale von Wärmepumpen für das Engpassmanagement im Stromnetz genutzt werden können.
Als Gegenleistung für das Bereitstellen von Flexibilitäten erhalten die Teilnehmer eine Ermäßigung ihres Strompreises. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kunden einen Tarif in der „ViShare Energy Community“ abgeschlossen haben, die von der Viessmann-Tochtergesellschaft Digital Energy Solutions betrieben wird.
Die Frage nach der Höhe der Vergütung wurde zwar nicht ausführlich diskutiert. Schermeyer geht jedoch davon aus, dass 50 bis 100 Euro nicht reichen werden, „um jemanden hinter dem Ofen hervorzulocken“. Diesen Betrag könne man häufig schon einsparen, wenn man als normaler Stromkunde seinen Anbieter wechsle. „Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, brauchen wir im zweiten Schritt nach dem Ausbau der erneuerbaren Erzeugung jetzt die Integration und die Lastverschiebung“, betonte er.
Dabei sei keine Zeit zu verlieren, mahnte Axel Kießling. „Heute müssen wir anfangen uns zu überlegen, wie die Prozesse aussehen können, um die Flexibilität verfügbar zu machen“, sagte der Head of Strategy & Partnerships, Digital & Flex Development beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet. Gemeinsam mit den Kollegen von Swissgrid und der italienischen Terna hat Tennet die Crowd Balancing Plattform „Equigy“ entwickelt und analysiert nun, wie Millionen von Haushalten in die Lage versetzt werden können, flexible Kapazitäten ihrer E-Autos, Heimspeicher und Wärmepumpen zu vermarkten. „Die europäische Plattform, die wir entwickeln, schafft die technischen Voraussetzungen, damit all diese Geräte zusammenwirken können. Mit ihrer Hilfe können Daten zwischen den Geräten, Marktteilnehmern und Netzbetreibern ausgetauscht werden“, hatte Tennet-CEO Manon van Beek im Frühjahr 2020 bei der Vorstellung des Projekts erklärt. Mittlerweile sind auch 50 Hertz, Alpiq, Engie und Viessmann mit im Boot.
Die Plattform nutzt die Blockchain-Technologie. Dies ermögliche ein hohes Maß an Transparenz unter den Marktteilnehmern und eine sichere Umgebung, in der Millionen einzelner Anlagen automatisiert und mit geringen Transaktionskosten miteinander interagieren können, heißt es in einer Mitteilung der Partner vom April 2020.
Intelligente Messsysteme nicht unbedingt notwendig
Von der Moderatorin nach der idealen Welt im Jahr 2030 gefragt, sagte Kießling mit einem Augenzwinkern, es werde dann einen liquiden Markt für Kleinstflexibilitäten geben, der vollständig über die Equigy-Plattform abgewickelt wird. Ideale Welt hin oder her − ohne Aggregatoren werden Prosumer kaum ihre Kapazitäten vermarkten können. Zu komplex und kleinteilig ist das Geschäft. Intelligente Messsysteme sind nach Schermeyers Überzeugung dafür jedoch nicht unbedingt notwendig. „Wir brauchen den Smart Meter nicht, um Geräte zu Hause zu steuern“, sagte er und verwies auf die unternehmenseigene Lösung, an die bereits eine sechsstellige Zahl von Geräten angebunden sei. Gleichwohl sieht er in der Standardisierung der intelligenten Messsysteme einen großen Vorteil. Denn an der Interoperabilität mangele es noch erheblich. „Wenn wir unsere eigene Gerätelandschaft verlassen, wird es schwer, mit Pool-Pumpen, Wechselrichtern, Speichern oder Ladesäulen anderer Hersteller zu kommunizieren“, so Schermeyer. In der Standardisierung der intelligenten Messsysteme liege deshalb eine große Chance für die Entwicklung des Marktes.
Schneidewindt zeigte sich dagegen skeptisch. Zwar seien die EEG-Novelle und das Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz „von vorne bis hinten“ Smart-Meter-Gesetze. Ob die Technologie letztlich ein Enabler werde oder doch ein Show Stopper, sei jedoch noch nicht abzusehen. Denn derzeit stehen für Prosumer nur der gesetzlich geregelte Einbauzwang und die Kosten der intelligenten Messsysteme fest. Der Nutzen, obwohl der Rollout schon gestartet ist, sei dagegen noch völlig unklar. Noch nicht einmal „die absoluten Basics“ seien in nennenswertem Umfang verfügbar. Dazu zählt er beispielsweise variable Tarife auf Basis der intelligenten Messsysteme. „Das ist verheerend“, meinte der Referent der Verbraucherzentrale. E&M
Donnerstag, 18.02.2021, 08:21 Uhr
Fritz Wilhelm
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