Gasspeicher Lesum bei Bremen, Quelle: Storengy
Bisher hat die EU den Ausfall der russischen Gaslieferungen global weitgehend ausgeglichen. Inzwischen ist dieses Potential aber weitgehend ausgeschöpft.
Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Danach hat Russland mehrere, langfristige Lieferverträge gebrochen und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund 300 Terrawattsstunden (TWh) weniger Gas geliefert als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Davon konnten 240 TWh durch zusätzliche Importe von Flüssiggas (LNG) ausgeglichen werden. Der Marktanteil von russischem Gas in der EU fiel von 40 % im vergangenen Jahr auf 20 % im ersten Semester 2022.
„Der Ersatz von russischem Gas durch LNG hat die Grenze des vorhandenen Potentials weitgehend erreicht“, heißt es in der Studie. Die LNG-Terminals, die in den nächsten Monaten vor der deutschen Küste in Betrieb gehen sollen, sind dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Die Experten von Bruegel gehen davon aus, dass die EU einen weiteren Rückgang der russischen Gaslieferungen nur durch eine Anpassung der Nachfrage beantworten kann. Im Durchschnitt der Union müsste die Nachfrage in den nächsten zehn Monaten im Vergleich zum Durchschnitt der drei Vorjahre 2019 bis 2021 um 15 % reduziert werden. Je nach Versorgungsgebiet seien die erforderlichen Einschränkungen aber sehr unterschiedlich. In manchen Regionen seien gar keine Einschränkungen notwendig, in den am stärksten betroffenen Gebieten müsse die Nachfrage um mehr als die Hälfte reduziert werden. In Deutschland steht nach den Berechnungen von Bruegel 30 % weniger Gas zur Verfügung.
Die Ursache für die großen Unterschiede ist, dass die Mitgliedsstaaten nicht ausreichend durch Pipelines miteinander verbunden sind. Dadurch entstehen Zonen, in denen sie sich gegenseitig unterstützen können. Zwischen diesen Zonen ist das wegen begrenzter Leitungskapazitäten aber nur eingeschränkt möglich. Hinzu kommt, dass der Gasbedarf im Winter sehr unterschiedlich ist. Bruegel unterscheidet deswegen zehn Gasmärkte: Österreich, Tschechien, die Slowakei und Slowenien (I), Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Kroatien und Serbien (II), Dänemark und Schweden (III), Finnland und das Baltikum (IV), Rumänien und Moldova (V), Frankreich, Spanien und Portugal (VI), sowie die Beneluxstaaten, Deutschland, Polen und Italien.
Bisher kaum Drosselungen in Deutschland und ItalienAm schwierigsten ist die Lage in der Gruppe II, die ihre Nachfrage um rund 50 % reduzieren muss. Noch stärker betroffen ist die Gruppe IV; dort wurde der Verbrauch aber schon um knapp 40 % zurückgefahren, sodass in den nächsten Monaten nur noch 10 bis 15 % eingespart werden müssen. Ähnlich ist die Lage in Polen, das mit 30 % weniger Gas auskommen müsste, seinen Verbrauch aber schon um mehr als 20 % gedrosselt hat. In der Gruppe I wurde dagegen bislang noch gar nicht gespart, obwohl in den nächsten Monaten möglicherweise eine Versorgungslücke von 30 % klafft.
Auch in Deutschland, das mit 30 % weniger Gas rechnen muss, wurde der Verbrauch bislang kaum gedrosselt. Das gilt auch für Italien, wo die Versorgungslücke jedoch mit 15 % nur halb so groß wäre. Die Gruppe VI braucht ihre Versorgung dagegen gar nicht einschränken, auch wenn sie ebenfalls höhere Preise zahlen muss.
Bruegel führt das darauf zurück, dass die Gruppe VI nur schwach mit dem Rest des europäischen Gasmarktes verbunden ist und deswegen kaum anfällig für eine Unterbrechung des russischen Gasflusses.
Einsparungen in Finnland und dem BaltikumIn der Gruppe IV wurden bislang die höchsten Einsparungen erzielt: in Finnland wurde die Nachfrage halbiert, indem die meisten Gaskraftwerke durch Atom- und Kohlestrom ersetzt wurden. Im Baltikum, wo die Preise besonders stark gestiegen sind, ging die Nachfrage am stärksten zurück. Der verbleibende Bedarf wurde durch LNG-Importe über Kleipeda gedeckt. Außerdem wurde ein neuer Interkonnektor zwischen Polen und Litauen in Betrieb genommen, der bislang allerdings überwiegend genutzt wird, um Polen mit Flüssiggas aus Kleipeda zu versorgen. Polen erhält außerdem Gas aus Deutschland und über sein LNG-Terminal (6 TWh pro Monat) in Swinemünde. Damit hat Polen seine Speicher für den kommenden Winter schon gefüllt.
Die Länder der Gruppen I und III sind dagegen von Lieferungen aus Deutschland abhängig und wären von einem Ausfall der russischen Lieferungen in gleicher Weise betroffen. Österreich könnte einen Teil des Schocks durch seine großen Speicher abfedern. Die Gruppe III könnte normalerweise ohne russisches Gas auskommen, aber nicht in diesem Winter, weil die dänische Förderung wegen Wartungsarbeiten im Tyro-Gebiet ausfällt. Deutschland selber würde weiter Gas aus Norwegen und den Niederlanden erhalten sowie Flüssiggas über ein LNG-Terminal im belgischen Zeebrügge. Ãœber den Terminal in Wilhelmshaven könnten zusätzlich 8 TWh pro Monat eingeführt werden – wenn er fertig ist.
Wenn Griechenland und Serbien weiter über die russische Turkstream-Pipeline versorgt werden, könnte Bulgarien Gas aus Griechenland erhalten. Zwischen beiden Ländern gibt es einen neuen Interkonnektor mit einer Kapazität von 2,5 TWh im Monat. Außerdem erhält die Region Flüssiggas über einen Terminal in Kroatien.
In Italien würde sich ein Ausfall russischer Gaslieferungen vor allem im Norden bemerkbar machen, der bislang über Österreich versorgt wird. Insgesamt verfüge Italien aber über eine ganze Reihe von Optionen. So hat die Regierung zusätzliche Lieferungen mit Algerien vereinbart und das Land verfügt über drei LNG-Terminals.
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Informationen auf der Online-Seite der Denkfabrik Bruegel.
Donnerstag, 14.07.2022, 11:41 Uhr
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