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Kritiker sehen kleine und mittelständische Unternehmen überfordert mit der Kontrolle ihrer gesamten Lieferkette. Der Aufbau resilienterer Wertschöpfungsketten werde so behindert.
Vor der Abstimmung im Europäischen Parlament zum Lieferkettengesetz am 1.Juni üben die Lobbyverbände der Unternehmen nochmal Druck auf die EU-Volksvertretung aus, die Sorgfaltspflichten zu entschärfen. Zur Debatte steht ein Entwurf, wonach Unternehmen in ihren Lieferketten darauf achten müssten, dass es nicht zu Kinderarbeit, Sklaverei, Ausbeutung von Arbeitskräften, Umweltverschmutzung und Verlust der biologischen Vielfalt kommt. Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht sollen demnach mit Strafen von bis zu 5 Prozent des Unternehmensumsatzes geahndet werden.
Doch ein strenges EU-Lieferkettengesetz könnte am Votum der EVP-Fraktion, in der vor allem die deutschen CDU/CSU-Abgeordneten mehr Rücksicht für den Mittelstand fordern, scheitern. Während SPD und Grüne im EU-Parlament für schärfere Sorgfaltspflichten plädieren, wollen rechtsgerichtete Fraktionen und die CDU/CSU das Gesetz eher ausbremsen. Ihre Ablehnung wird insbesondere von der Skepsis mehrerer Branchenverbände getragen. So forderten am Mittwoch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH), die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie der deutsche Maschinenherstellerverband VDMA Änderungen am europäischen Lieferkettengesetz.
"Übers Ziel hinausgeschossen"
"Nur da, wo ein tatsächliches Risiko besteht, sollen alle Pflichten auch in der Lieferkette gelten. Allerdings müssen diese zwingend auch für Kleinstbetriebe handhabbar sein", erklärte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke. Grundsätzlich müsse das Haftungsrisiko für den Auftraggeber beschränkt werden, wenn dieser eine angemessene Risikobewertung vorgenommen habe. "Es ist Zeit, die Notbremse zu ziehen. Denn der Vorschlag der EU-Kommission für das europäische Lieferkettengesetz sowie der Berichtsentwurf des europäischen Parlaments (Wolters-Bericht) schießen nach wie vor weit über das Ziel hinaus und erweisen auch dem globalen Menschenrechtsschutz einen Bärendienst", sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.
Mittelständische Firmen könnten nicht alle Stufen ihrer Lieferketten in fernen Ländern kontrollieren, führte der VDMA-Chef aus. Nach Ansicht des DIHK-Präsidenten Peter Adrian belastet das EU-Lieferkettengesetz Unternehmen unverhältnismäßig. „Die Achtung der Menschenrechte und der Schutz der Umwelt sind auch für die Wirtschaft wichtige Anliegen, die uns mit der Politik verbinden. Der EU-Richtlinienvorschlag gefährdet allerdings gerade den Aufbau alternativer und resilienterer Wertschöpfungsketten in der Welt", sagte Adrian.
Befürworter erwarten mehr Fairness und Klarheit
Verbraucherschutzverbände und Menschenrechtsorganisationen warnten hingegen vor einer Verwässerung des Lieferkettengesetzes im EU-Parlament. "Eine Regulierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten sorgt für mehr Fairness und bringt für Verbraucher Klarheit bei ihren Kaufentscheidungen", sagte Michaela Schröder, Geschäftsbereichsleiterin Verbraucherpolitik des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Germanwatch forderte die deutschen Europaabgeordneten der EVP dazu auf, dem Lieferkettengesetz zuzustimmen. "Den vorliegenden Kompromissvorschlag hat auch der deutsche EVP-Politiker Axel Voss mitverhandelt und deutlich die EVP-Handschrift hinterlassen. Er enthält aus der Perspektive von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstößen bereits starke Abschwächungen", sagte Cornelia Heydenreich von Germanwatch.
Auch der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken und der Linken-Abgeordnete Helmut Scholz appellierten an die Unionspolitiker im EU-Parlament, für den vorliegenden Entwurf des Rechtsausschusses zu stimmen. Die EVP wolle jegliche Verantwortung für Menschenrechts- und Umweltverletzungen verhindern, kritisierte Wölken. "Europa muss zeigen, dass wir es ernst meinen mit Menschen- und Arbeitnehmerrechten. Heuchelei und faule Kompromisse untergraben unsere Glaubwürdigkeit in der Welt", sagte Scholz.
Mittwoch, 31.05.2023, 14:36 Uhr
Ali Ulucay
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