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Energie & Management > Recht - Energiewirtschaft sieht Risiken für die deutsche Energiewende
Quelle: Shutterstock
Recht

Energiewirtschaft sieht Risiken für die deutsche Energiewende

Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat in der deutschen Energiewirtschaft ein überwiegend kritisches Echo hervorgerufen.
Der Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hatte am 2. September das deutsche Regulierungsmodell in letzter Instanz als unvereinbar mit dem europäischen Recht verworfen (wir berichteten). Die Bundesregierung, die bislang durch Verordnungen den Rahmen für die Arbeit der Bundesnetzagentur vorgibt, müsse sich vollständig aus dem Regulierungsgeschäft zurückziehen, so der Tenor des Urteils. Nur so sei gewährleistet, dass kein Unternehmen der Energiewirtschaft beim Marktzugang benachteiligt werde.

Die Bundesnetzagentur hat daraufhin "Anpassungen der Arbeitsweise der Bundesnetzagentur" in Aussicht gestellt. Man werde die Bundesregierung bei der sorgfältigen und zügigen Auswertung des Urteils unterstützen, sagte ihr Präsident, Jochen Homann, in Bonn. Rechtsunsicherheiten in der Übergangsphase würden "so weit wie möglich" reduziert, erklärte Homann weiter: "Wir gewährleisten Rechtssicherheit für die Investitionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele essenziell sind."

Die Bundesnetzagentur will das deutsche Recht zunächst weiter anwenden. Ein "ersatzloses Außerkrafttreten der nationalen Rechtsnormen" würde zu Regulierungslücken und Unsicherheiten für alle Marktbeteiligten führen. Eine unklare Rechtslage würde sich aber nachteilig auf die Investitionsbereitschaft auswirken.

Rechtssicherheit wichtig

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betont in seiner Reaktion die Bedeutung der Rechtssicherheit: "Trotz der festgestellten Verstöße des nationalen Rechts gegen Europarecht bleiben die Verordnungen sowie die Festlegungen der Bundesnetzagentur vorerst gültig." Klar sei aber auch, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae: "Die Regulierungsbehörden erhalten in Zukunft eine größere Verantwortung." Der Gesetzgeber müsse allerdings weiter in der Lage sein, "politische Grundentscheidungen" zu treffen, an denen sich die Behörde orientieren müsse. Ein umfassender Rechtsschutz vor den Gerichten müsse auch gegenüber einer unabhängigeren Regulierungsbehörde gewährleistet sein.
 
 
Daran hat die Anwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) Zweifel. Sie fürchtet, dass der Rechtsschutz für Unternehmen, die von Entscheidungen der Bundesnetzagentur betroffen sind, in Zukunft "gegen null tendiert". Ohne den deutschen, verordnungsrechtlichen Rahmen müssten die Verwaltungsgerichte Entscheidungen der Bundesnetzagentur an den wesentlich allgemeiner formulierten europäischen Vorschriften messen. Die Anwälte plädieren deswegen dafür, das europäische an das deutsche Recht anzupassen.

Der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) geht davon aus, dass der deutsche Gesetzgeber in Zukunft kaum noch Investitionsanreize für die Energiewende schaffen kann. "Für die kommunalen Netzbetreiber bedeutet dies zusätzliche Unsicherheit bezüglich der Planungs- und Investitionssicherheit, die für den weiteren Aus- und Umbau sowie die Digitalisierung der kommunalen Strom- und Gasnetze notwendig sind", sagte VKU-Chef Ingbert Liebing.

BMWi sieht nicht gesamte Regulierung betroffen

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) will das Urteil des EuGH zunächst sorgfältig prüfen. Welche Änderungen am deutschen Energiewirtschaftsgesetz notwendig seien, könne die Regierung noch nicht sagen, heißt es in Berlin. Die Entscheidung der europäischen Richter betreffe jedoch nicht die gesamte Regulierung. Fragen des Netzausbaus oder Ausschreibungen für erneuerbare Energien sind nach Ansicht der Bundesregierung nicht von dem Urteil berührt, weil es sich um national regulierte Bereiche handelt.

Auch in der Bundesnetzagentur geht man davon aus, dass etwa die Planung und Genehmigung von den notwendigen Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) nicht berührt sind. Mehr Unabhängigkeit müsse der Gesetzgeber der Bundesnetzagentur vor allem beim Marktzugang und bei der Festlegung von Netzentgelten gewähren.

Die Grünen im Bundestag sehen in dem Urteil des EuGH gleichwohl eine "juristische Ohrfeige für die Bundesregierung". Ihre energiepolitische Sprecherin Ingrid Nestle bedauert, dass die Politik in Zukunft weniger Einfluss insbesondere auf die Netzentgelte ausüben kann: "Das Urteil schränkt die politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch Bundestag und Bundesregierung ein." Die Energiewende sei eine komplexe Aufgabe. Die Frage der Netzentgelte könne dabei nicht unabhängig von der Modernisierung der Netze oder dem Ausbau der erneuerbaren Energien betrachtet werden. Es bleibe die Aufgabe der Bundesregierung, für eine "Energiewende aus einem Guss" zu sorgen, die kompetent gemanagt und demokratisch kontrolliert werde.

Freitag, 3.09.2021, 14:15 Uhr
Tom Weingärtner
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Energiewirtschaft sieht Risiken für die deutsche Energiewende
Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes hat in der deutschen Energiewirtschaft ein überwiegend kritisches Echo hervorgerufen.
Der Europäischen Gerichtshofes (EuGH) hatte am 2. September das deutsche Regulierungsmodell in letzter Instanz als unvereinbar mit dem europäischen Recht verworfen (wir berichteten). Die Bundesregierung, die bislang durch Verordnungen den Rahmen für die Arbeit der Bundesnetzagentur vorgibt, müsse sich vollständig aus dem Regulierungsgeschäft zurückziehen, so der Tenor des Urteils. Nur so sei gewährleistet, dass kein Unternehmen der Energiewirtschaft beim Marktzugang benachteiligt werde.

Die Bundesnetzagentur hat daraufhin "Anpassungen der Arbeitsweise der Bundesnetzagentur" in Aussicht gestellt. Man werde die Bundesregierung bei der sorgfältigen und zügigen Auswertung des Urteils unterstützen, sagte ihr Präsident, Jochen Homann, in Bonn. Rechtsunsicherheiten in der Übergangsphase würden "so weit wie möglich" reduziert, erklärte Homann weiter: "Wir gewährleisten Rechtssicherheit für die Investitionen, die zur Erreichung der Klimaschutzziele essenziell sind."

Die Bundesnetzagentur will das deutsche Recht zunächst weiter anwenden. Ein "ersatzloses Außerkrafttreten der nationalen Rechtsnormen" würde zu Regulierungslücken und Unsicherheiten für alle Marktbeteiligten führen. Eine unklare Rechtslage würde sich aber nachteilig auf die Investitionsbereitschaft auswirken.

Rechtssicherheit wichtig

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betont in seiner Reaktion die Bedeutung der Rechtssicherheit: "Trotz der festgestellten Verstöße des nationalen Rechts gegen Europarecht bleiben die Verordnungen sowie die Festlegungen der Bundesnetzagentur vorerst gültig." Klar sei aber auch, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae: "Die Regulierungsbehörden erhalten in Zukunft eine größere Verantwortung." Der Gesetzgeber müsse allerdings weiter in der Lage sein, "politische Grundentscheidungen" zu treffen, an denen sich die Behörde orientieren müsse. Ein umfassender Rechtsschutz vor den Gerichten müsse auch gegenüber einer unabhängigeren Regulierungsbehörde gewährleistet sein.
 
 
Daran hat die Anwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) Zweifel. Sie fürchtet, dass der Rechtsschutz für Unternehmen, die von Entscheidungen der Bundesnetzagentur betroffen sind, in Zukunft "gegen null tendiert". Ohne den deutschen, verordnungsrechtlichen Rahmen müssten die Verwaltungsgerichte Entscheidungen der Bundesnetzagentur an den wesentlich allgemeiner formulierten europäischen Vorschriften messen. Die Anwälte plädieren deswegen dafür, das europäische an das deutsche Recht anzupassen.

Der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) geht davon aus, dass der deutsche Gesetzgeber in Zukunft kaum noch Investitionsanreize für die Energiewende schaffen kann. "Für die kommunalen Netzbetreiber bedeutet dies zusätzliche Unsicherheit bezüglich der Planungs- und Investitionssicherheit, die für den weiteren Aus- und Umbau sowie die Digitalisierung der kommunalen Strom- und Gasnetze notwendig sind", sagte VKU-Chef Ingbert Liebing.

BMWi sieht nicht gesamte Regulierung betroffen

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) will das Urteil des EuGH zunächst sorgfältig prüfen. Welche Änderungen am deutschen Energiewirtschaftsgesetz notwendig seien, könne die Regierung noch nicht sagen, heißt es in Berlin. Die Entscheidung der europäischen Richter betreffe jedoch nicht die gesamte Regulierung. Fragen des Netzausbaus oder Ausschreibungen für erneuerbare Energien sind nach Ansicht der Bundesregierung nicht von dem Urteil berührt, weil es sich um national regulierte Bereiche handelt.

Auch in der Bundesnetzagentur geht man davon aus, dass etwa die Planung und Genehmigung von den notwendigen Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) nicht berührt sind. Mehr Unabhängigkeit müsse der Gesetzgeber der Bundesnetzagentur vor allem beim Marktzugang und bei der Festlegung von Netzentgelten gewähren.

Die Grünen im Bundestag sehen in dem Urteil des EuGH gleichwohl eine "juristische Ohrfeige für die Bundesregierung". Ihre energiepolitische Sprecherin Ingrid Nestle bedauert, dass die Politik in Zukunft weniger Einfluss insbesondere auf die Netzentgelte ausüben kann: "Das Urteil schränkt die politischen Gestaltungsmöglichkeiten durch Bundestag und Bundesregierung ein." Die Energiewende sei eine komplexe Aufgabe. Die Frage der Netzentgelte könne dabei nicht unabhängig von der Modernisierung der Netze oder dem Ausbau der erneuerbaren Energien betrachtet werden. Es bleibe die Aufgabe der Bundesregierung, für eine "Energiewende aus einem Guss" zu sorgen, die kompetent gemanagt und demokratisch kontrolliert werde.

Freitag, 3.09.2021, 14:15 Uhr
Tom Weingärtner

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