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Energie & Management > Recht - Eine OVG-Richterin ein Jahr lang für einen einzigen Fall: Lünen
Quelle: Fotolia / aerogondo
Recht

Eine OVG-Richterin ein Jahr lang für einen einzigen Fall: Lünen

Milliardenprojekt, tausende Aktenseiten, ein Jahr einsame Arbeit – für eine Richterin. Maren Sarnighausen kannte 2022 am OVG Münster nur ein Thema: das Trianel-Kohlekraftwerk Lünen.
Aktenzeichen 8 D 99/13.AK gelöst. Dahinter verbirgt sich mehr als bloß ein beigelegter Rechtsstreit. Das Zuklappen der entsprechenden Aktendeckel im Januar 2023 war vielmehr der Schlussstrich unter einen 15 Jahre schwelenden Rechtsstreit um das Lüner Steinkohle-Kraftwerk der Stadtwerke-Kooperation Trianel. Der Aufwand für Kläger, Beklagte und Gerichte steht stellvertretend für die deutsche Bürokratie, wenn es um Genehmigungen auch energiewirtschaftlicher Infrastruktur geht.

Der Vizepräsident des mit der Sache befassten Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster, Sebastian Beimesche, drückt es so aus: Das Hin und Her um das Kraftwerk sei „ein beredtes Beispiel für lange Verfahrensdauern“ zwischen Planungsbeginn und endgültiger Rechtssicherheit. Maßgebliche Gründe dafür seien komplexe verfahrens- und materiellrechtliche Anforderungen an die Planung, Personalmangel bei den Planungsbehörden und die begrenzte Verfügbarkeit verschiedenster Sachverständiger.

Ein wesentliches Puzzlestück in diesem juristischen Puzzle ist Maren Sarnighausen. Die Richterin am OVG arbeitete dem zuständigen 8. Senat unter Annette Kleinschnittger zu, der die Klage des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen die Genehmigung für das Kraftwerk erneut verhandelte. Erneut, weil der Fall bereits seit 2008 auf dem Tisch des OVG gelegen hatte.

Fall Lünen landet gleich mehrfach in Münster

Nach technischen Anpassungen im Kraftwerk ließ das OVG 2013 letztlich die Betriebsgenehmigung für das Kraftwerk stehen. Der Block ging im Dezember 2014 in Betrieb, der BUND erst recht auf die Barrikaden. Dessen Klage schmetterte das OVG 2016 ab. Doch In der Revision hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil 2019 auf und verwies es nach Münster zurück.

Warum? Die naturschutzrechtliche Herleitung des Münsteraner Urteils tauge nicht für eine rechtskräftige Genehmigung des Kraftwerks, monierte das oberste Berufungsgericht in Leipzig. Das OVG müsse neu nachweisen, dass die umliegenden Ökosysteme – FFH-Gebiete – tatsächlich nur in erträglichem Rahmen unter den schädlichen Emissionen des Lüner Werks leiden. Der Meiler selbst durfte bis zur endgültigen Klärung am Netz bleiben.

Als das OVG den Fall wieder aufnahm, begann Maren Sarnighausen ihre Arbeit. Die Richterin tat im Kalenderjahr 2022 nichts anderes, als den umfangreichen Sachverhalt zu lesen, zu verstehen, rechtlich zu analysieren und für den Senat aufzubereiten. Bei der Jahrespressekonferenz des OVG Anfang März gab die Richterin einen Einblick in ihre Arbeit, für die sie von anderen Verfahren freigestellt worden war.

​Digitaler Zugriff ab Seite 7.000

Ein Jahr umgab sie sich mit den Urteilen der Instanzen, las Klageschrift und Erwiderung, Gutachten, Gegengutachten, 69 „Beiakten“, sämtlich mehrere hundert Seiten stark. Zum Großteil Akten auf Papier wohlgemerkt. Die Unterlagen neueren Datums, die auch elektronisch vorlagen, ließen einen digitalen und damit leichteren Zugriff erst „ab Seite 7.000“ zu, so die Richterin.

Der Kern der Kärrnerarbeit bestand darin, die Belastungsgrenzen der durch die Abgase gefährdeten Ökosysteme zu identifizieren. Da die Gutachten der streitenden Parteien sich widersprachen, benötigte Maren Sarnighausen Hilfe. Ein Gericht allein könne die Expertise in diesen Spezialgebieten nicht erlangen, zumal die Parameter im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung „sehr umstritten sind“, so die Richterin. Die Hilfe holte das OVG sich bei eigens beauftragten Sachverständigen.

Als der Schweiß des Aktenstudiums und der Sachverständigen-Zuarbeit getrocknet war, bat das OVG BUND und Trianel zu Erörterungsterminen. Dort präsentierten die Fachleute ihre Auffassung, dass die technischen Nachbesserungen am Kohlekraftwerk tatsächlich im erforderlichen Umfang zu „weniger Dreck in der Luft“ (Sarnighausen) führten. Folge: Mit den Schadstoffwerten waren auch die Erfolgsaussichten der BUND-Klage signifikant gesunken. Der Umweltschutzverband zog sie schließlich zurück. Aktendeckel zu, diesmal für immer.

Die Erledigung der Hauptsache, so Sarnighausens Fazit, sei nicht „ohne die extreme Vorbereitung und Beweiserhebung durch die Sachverständigen möglich“ gewesen. Letztere fallen aber nicht vom Himmel, sodass das OVG auch hier Geduld aufbringen musste.

Bald zwei Jahre ohne OVG-Präsident

Dass Münster eine Richterin von allen anderen Aufgaben abziehen konnte, ist zudem keine Selbstverständlichkeit. Für OVG-Vizepräsident Beimesche ein willkommener Punkt, eine angemessene Personalausstattung der Gerichte anzumahnen. Sie sei „ein wesentlicher Faktor“, um Verfahren zu beschleunigen. Süffisant fügte er hinzu, dass das OVG selbst seit Juni 2021 auf einen neuen Präsidenten warte. Dass die Landesregierung hier noch keine Abhilfe geschaffen hat, darüber sei er zunehmend „unzufrieden“.

Freitag, 3.03.2023, 09:42 Uhr
Volker Stephan
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Eine OVG-Richterin ein Jahr lang für einen einzigen Fall: Lünen
Milliardenprojekt, tausende Aktenseiten, ein Jahr einsame Arbeit – für eine Richterin. Maren Sarnighausen kannte 2022 am OVG Münster nur ein Thema: das Trianel-Kohlekraftwerk Lünen.
Aktenzeichen 8 D 99/13.AK gelöst. Dahinter verbirgt sich mehr als bloß ein beigelegter Rechtsstreit. Das Zuklappen der entsprechenden Aktendeckel im Januar 2023 war vielmehr der Schlussstrich unter einen 15 Jahre schwelenden Rechtsstreit um das Lüner Steinkohle-Kraftwerk der Stadtwerke-Kooperation Trianel. Der Aufwand für Kläger, Beklagte und Gerichte steht stellvertretend für die deutsche Bürokratie, wenn es um Genehmigungen auch energiewirtschaftlicher Infrastruktur geht.

Der Vizepräsident des mit der Sache befassten Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster, Sebastian Beimesche, drückt es so aus: Das Hin und Her um das Kraftwerk sei „ein beredtes Beispiel für lange Verfahrensdauern“ zwischen Planungsbeginn und endgültiger Rechtssicherheit. Maßgebliche Gründe dafür seien komplexe verfahrens- und materiellrechtliche Anforderungen an die Planung, Personalmangel bei den Planungsbehörden und die begrenzte Verfügbarkeit verschiedenster Sachverständiger.

Ein wesentliches Puzzlestück in diesem juristischen Puzzle ist Maren Sarnighausen. Die Richterin am OVG arbeitete dem zuständigen 8. Senat unter Annette Kleinschnittger zu, der die Klage des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen die Genehmigung für das Kraftwerk erneut verhandelte. Erneut, weil der Fall bereits seit 2008 auf dem Tisch des OVG gelegen hatte.

Fall Lünen landet gleich mehrfach in Münster

Nach technischen Anpassungen im Kraftwerk ließ das OVG 2013 letztlich die Betriebsgenehmigung für das Kraftwerk stehen. Der Block ging im Dezember 2014 in Betrieb, der BUND erst recht auf die Barrikaden. Dessen Klage schmetterte das OVG 2016 ab. Doch In der Revision hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil 2019 auf und verwies es nach Münster zurück.

Warum? Die naturschutzrechtliche Herleitung des Münsteraner Urteils tauge nicht für eine rechtskräftige Genehmigung des Kraftwerks, monierte das oberste Berufungsgericht in Leipzig. Das OVG müsse neu nachweisen, dass die umliegenden Ökosysteme – FFH-Gebiete – tatsächlich nur in erträglichem Rahmen unter den schädlichen Emissionen des Lüner Werks leiden. Der Meiler selbst durfte bis zur endgültigen Klärung am Netz bleiben.

Als das OVG den Fall wieder aufnahm, begann Maren Sarnighausen ihre Arbeit. Die Richterin tat im Kalenderjahr 2022 nichts anderes, als den umfangreichen Sachverhalt zu lesen, zu verstehen, rechtlich zu analysieren und für den Senat aufzubereiten. Bei der Jahrespressekonferenz des OVG Anfang März gab die Richterin einen Einblick in ihre Arbeit, für die sie von anderen Verfahren freigestellt worden war.

​Digitaler Zugriff ab Seite 7.000

Ein Jahr umgab sie sich mit den Urteilen der Instanzen, las Klageschrift und Erwiderung, Gutachten, Gegengutachten, 69 „Beiakten“, sämtlich mehrere hundert Seiten stark. Zum Großteil Akten auf Papier wohlgemerkt. Die Unterlagen neueren Datums, die auch elektronisch vorlagen, ließen einen digitalen und damit leichteren Zugriff erst „ab Seite 7.000“ zu, so die Richterin.

Der Kern der Kärrnerarbeit bestand darin, die Belastungsgrenzen der durch die Abgase gefährdeten Ökosysteme zu identifizieren. Da die Gutachten der streitenden Parteien sich widersprachen, benötigte Maren Sarnighausen Hilfe. Ein Gericht allein könne die Expertise in diesen Spezialgebieten nicht erlangen, zumal die Parameter im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung „sehr umstritten sind“, so die Richterin. Die Hilfe holte das OVG sich bei eigens beauftragten Sachverständigen.

Als der Schweiß des Aktenstudiums und der Sachverständigen-Zuarbeit getrocknet war, bat das OVG BUND und Trianel zu Erörterungsterminen. Dort präsentierten die Fachleute ihre Auffassung, dass die technischen Nachbesserungen am Kohlekraftwerk tatsächlich im erforderlichen Umfang zu „weniger Dreck in der Luft“ (Sarnighausen) führten. Folge: Mit den Schadstoffwerten waren auch die Erfolgsaussichten der BUND-Klage signifikant gesunken. Der Umweltschutzverband zog sie schließlich zurück. Aktendeckel zu, diesmal für immer.

Die Erledigung der Hauptsache, so Sarnighausens Fazit, sei nicht „ohne die extreme Vorbereitung und Beweiserhebung durch die Sachverständigen möglich“ gewesen. Letztere fallen aber nicht vom Himmel, sodass das OVG auch hier Geduld aufbringen musste.

Bald zwei Jahre ohne OVG-Präsident

Dass Münster eine Richterin von allen anderen Aufgaben abziehen konnte, ist zudem keine Selbstverständlichkeit. Für OVG-Vizepräsident Beimesche ein willkommener Punkt, eine angemessene Personalausstattung der Gerichte anzumahnen. Sie sei „ein wesentlicher Faktor“, um Verfahren zu beschleunigen. Süffisant fügte er hinzu, dass das OVG selbst seit Juni 2021 auf einen neuen Präsidenten warte. Dass die Landesregierung hier noch keine Abhilfe geschaffen hat, darüber sei er zunehmend „unzufrieden“.

Freitag, 3.03.2023, 09:42 Uhr
Volker Stephan

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